Zur Kostentragung einer privaten Krankenkasse für die Durchführung einer In-vitro-Fertilisations-Behandlung

LG Landshut, Urteil vom 26.07.2013 – 72 O 1837/12

Zur Kostentragung einer privaten Krankenkasse für die Durchführung einer In-vitro-Fertilisations-Behandlung

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.446,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.06.2012 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 430,66 € zu zahlen.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger in tarifgemäßem Umfang ärztliche Heilbehandlungskosten für einen weiteren Zyklus einer Sterilitätsbehandlung in Form einer IVF-Behandlung

(nicht einer ICSI-Behandlung) zu erstatten und zwar deren Gesamtkosten (Behandlungsmaßnahmen am Körper des Mannes, am Körper der Frau und extrakorporale Maßnahmen), welche bis 26.03.2014 durchgeführt wird.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 63 % und die Beklagte zu 37 %.

V. Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 29.132,84 € festgesetzt.

Tatbestand
1

Der Kläger macht die Erstattung der Kosten für zwei vergangene Zyklen einer Sterilitätsbehandlung geltend und begehrt außerdem die Feststellung der Erstattungspflicht der Beklagten für die Kosten von vier weiteren Zyklen.

2

Der Kläger ist bei der Beklagten privat krankenversichert.

3

Gegenstand des Krankenversicherungsvertrages ist u.a. die 100 %ige Kostenerstattung für die notwendigen ambulanten und stationären Behandlungskosten.

4

Dem Versicherungsverhältnis liegen die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten zugrunde, die inhaltsgleich mit den Musterbedingungen für die Krankenversicherung MB/KK 94 sind.

5

Unter § 1 Ziffer 2 der genannten Bedingungen heißt es:

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“Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht”.

7

Der Kläger ist seit 2008 mit R.H., geboren am 27.03.1980, verheiratet.

8

Diese ist bei der AOK Freising gesetzlich krankenversichert.

9

Bei dem Kläger liegt eine Fertilitätsstörung in Form einer Teratozoospermie vor. Bei der Ehefrau des Klägers liegt eine Fertilitätsstörung aufgrund einer Voroperation mit operativer Entfernung der rechten Tube und des rechten Ovars vor.

10

Im Juni 2011 ließen der Kläger und seine Ehefrau einen ersten Zyklus einer In-vitro-Fertilisations-Behandlung (IVF) durchführen mit einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI).

11

Die Kosten dieser Behandlung hat teilweise die gesetzliche Krankenversicherung der Ehefrau des Klägers übernommen. Der Kläger verlangt hier Ersatz von Behandlungs- und Medikamentenkosten in Höhe von 1.344,37 € (Anlagen K 5/8 bis 10). Hiervon entfallen 590 € (Anlage K 5/8) auf die ICSI-Behandlung.

12

Im Juli 2011 ließen der Kläger und seine Ehefrau einen zweiten Behandlungszyklus einer IVF und ICSI-Behandlung durchführen.

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Die Kosten hierfür beliefen sich auf 6.668,47 € (Anlagen K 5/1 bis 7), wovon 1.929,36 € (Anlage K 5/5) auf die ICSI-Behandlung entfielen.

14

Mit Schreiben vom 05.07.2011 (Anlage K 6) erbat der Kläger unter Vorlage des Attestes vom 29.06.2011 (Anlage K 2) eine Kostenzusage für die Kinderwunschbehandlung.

15

Mit Schreiben vom 28.10.2011 (Anlage K 3) teilte die Beklagte mit, dass mangels ausreichender Erfolgsaussicht leider keine Tarifleistungen zur Verfügung gestellt werden könnten. An dieser Auffassung hielt die Beklagte im Schreiben vom 31.01.2012 (Anlage K 9) fest.

16

Hierauf forderte der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte mit Schreiben vom 23.05.2012 (Anlage K 10) zur Zahlung der auch hier klagegegenständlichen 8.012,84 € für den ersten und zweiten Zyklus bis spätestens 05.06.2012 auf sowie zur Klärung der Kostenübernahme der weiteren Behandlungszyklen, die Gegenstand des Feststellungsantrages sind.

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Der Kläger behauptet, dass die bei ihm vorliegende gravierende Subfertilität zur Paarsterilität führe. Die im Antrag genannte IVF-ICSI-Behandlung sei aufgrund der Paarsterilität indiziert und nötigenfalls in mehrfacher Wiederholung notwendig. Die Erfolgsprognose für jeden Behandlungszyklus betrage mindestens 15 %. Die im Rahmen des ersten und zweiten Zyklus gemäß den Anlagen K 5/1 bis K 5/10 abgerechneten Maßnahmen seien behandlungsbedingt notwendig gewesen.

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Der Kläger beantragt:

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1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei 8.012,84 € nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.06.2012 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten als Nebenforderung in Höhe von 610,11 € zu zahlen.

20

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei in tarifgemäßem Umfang ärztliche Heilbehandlungskosten für Sterilitätsbehandlung, insbesondere in Form der IVF/ICSI-Behandlung, zu erstatten, und zwar für zunächst 4 weitere Behandlungszyklen (3.- 6. Zyklus) und deren Gesamtkosten(Behandlungsmaßnahmen am Körper des Mannes, am Körper der Frau und extrakorporale Maßnahmen), welche bis 26.03.2014 durchgeführt wird.

21

Die Beklagte beantragt:

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Die Klage wird abgewiesen.

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Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst
24

Anlagen ergänzend Bezug genommen.

25

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 08.11.2012 (Bl. 25 ff d.A.) durch Erholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Auf das Gutachten des Sachverständigen S. vom 10.12.2012 (Bl.33 ff d.A.) nebst Ergänzungsgutachten vom 10.02.2013 (Bl. 58 ff d.A.) und die Ausführungen des Sachverständigen in seiner mündlichen Anhörung (vgl. Protokoll vom 27.06.2013 (Bl. 90 ff d.A.) wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
26

Die Klage hat teilweise Erfolg.

I.

27

Der Kläger hat aus dem Krankenversicherungsvertrag hinsichtlich des ersten durchgeführten Behandlungszyklus einen Anspruch auf Zahlung von 754,37 €. Dies entspricht der Summe aus den Rechnungen vom 08.08.2011 (Anlage K 5/9) und dem Rezept vom 15.06.2011 (Anlage K 5/10). Nicht erstattungsfähig ist die Rechnung vom 27.06.2012 (K 5/8), die sich auf die ICSI-Behandlung bezieht.

28

Soweit bei dem Kläger und seiner Ehefrau eine IVF-Behandlung durchgeführt wurde, war diese bedingungsgemäß medizinisch notwendig, so dass die Beklagte zur Kostenerstattung verpflichtet ist (vgl. unten zu 1.). Dies gilt nicht für die darüber hinausgehende ICSI-Behandlung (vgl. unten zu 2.).

29

1. Medizinische Notwendigkeit der IVF-Behandlung

30

Mit dem Begriff der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung wird zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt. Insoweit hängt die Beurteilung nicht allein von der Auffassung des Versicherungsnehmers oder des ihn behandelnden Arztes ab, sondern von den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung (vgl. BGH vom21.09.2005, Az: IV ZA 113/04, NJW 2005, 3783 ff, Rd.-Nr.: 16).

31

Steht danach die Eignung einer Behandlung, eine Krankheit zu heilen oder zu lindern, nach medizinischen Erkenntnissen fest, folgt daraus grundsätzlich auch die Eintrittspflicht des Versicherers. Medizinisch notwendig kann eine Behandlung aber auch dann sein, wenn ihr Erfolg nicht sicher vorhersehbar ist. Es genügt insoweit, wenn die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen. Ob dies der Fall ist, kann nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlungen bestimmt werden (vgl. a.a.O. Rd.-Nr. 17).

32

Bei einer Sterilitätsbehandlung besteht die bedingungsgemäße medizinische Notwendigkeit, wenn die Behandlung eine medizinisch anerkannte Methode zur Überwindung der Sterilität darstellt und bei einer IVF-ICSI-Behandlung eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 15 % besteht, dass ein Embryotransfer zur gewünschten Schwangerschaft führt (vgl. a.a.O. Rd.-Nr. 19 und 23).

33

Ist dabei eine Behandlung notwendig, um zugleich die körperlich bedingte Unfruchtbarkeit beider Partner zu überwinden, liegt eine jeweils eigene Heilbehandlung beider Beteiligter vor (vgl. BGH vom 13.09.2006, Az.: IV ZR 133/05, NJW 2006, 3560 ff).

34

Nach den genannten Kriterien und den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen S. liegt vorliegend jedenfalls eine Paarsterilität des Klägers und seiner Ehefrau vor, die dazu führt, dass die durchgeführte IVF-Behandlung auch medizinisch notwendig war (nicht jedoch die zusätzlich durchgeführte ICSI-Behandlung).

35

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass bei dem Kläger eine Fertilitätsstörung in Form einer Teratozoospermie vorliegt und bei seiner Ehefrau eine Fertilitätsstörung aufgrund einer operativen Entfernung der rechten Tube und des rechten Ovars.

36

Der Sachverständige führte in seiner mündlichen Anhörung vom 27.06.2013 (Seite 4 des Protokolls, Blatt 390 d. A.) aus, dass bei der Ehefrau des Klägers eine tubare Insuffizienz vorliege, so dass eine IVF-Behandlung nach Ziffer 2.1.3 der Musterrichtlinie zur Durchführung einer assistierten Reproduktion indiziert sei.

37

Der Sachverständige führte weiter auch aus, dass nach seiner Auffassung eine IVF-Behandlung auch für die Fertilitätsstörung bei dem Kläger alleine aufgrund der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses indiziert sei. Dies ist jedoch nicht zutreffend. In Betracht kommt hier nur eine Indikation gemäß Ziffer 11.3, vorletzter Spiegelstrich der genannten Richtlinie. Danach ist eine IVF-Behandlung indiziert bei einer Subfertilität des Mannes, sofern Behandlungsversuche nach Nr. 10.2 keinen Erfolg versprechen oder erfolglos geblieben sind. Unter Ziffer 10.2 sind dann intrazervikale, intrauterine oder intubare Insemination nach hormoneller Stimulation mit Gonadotropinen als Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung genannt. Nach dem Vortrag der Parteien sind keine entsprechenden erfolglosen Behandlungsversuche durchgeführt worden. Im Gegenteil ist in der Vergangenheit erfolgreich eine intrauterine Insemination durchgeführt worden, dies jedoch noch vor der erwähnten Operation bei der Ehefrau des Klägers. Irgendwelche Gesichtspunkte, warum die genannten Behandlungen allein in Bezug auf die Erkrankung des Klägers allein nicht erfolgreich sein sollten, hat der Sachverständige nicht genannt. Er hat im Gegenteil auf Seite 5 seines Ergänzungsgutachtens vom 10.02.2013 (Blatt 62 d. A.) ausgeführt, dass eine Inseminationsbehandlung bei Vorliegen einer leichten bis mittelgradigen männlichen Fertilitätsstörung – wie er bei dem Kläger angenommen hat – erfolgreich durchführbar sei.

38

Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht an, da der Sachverständige unmittelbar im Anschluss in seinem Ergänzungsgutachten (Bl. 62 d.A.) für das Gericht überzeugend ausführte, dass aufgrund der weiblicherseits gegebenen Begleitumstände (nur eine Tube durchgängig, vor Operation im Jahr 2011 mit Risiko der Ausbildung von Adhäsionen, ein Ovar fehlt, reduzierte ovarielle Reserve) die zyklusbezogene Rate an klinischen Schwangerschaften vermutlich nicht mehr als 5 % betrage gegenüber 10 % im Normalfall (d.h. ohne Berücksichtigung der bei der Ehefrau des Klägers vorliegenden Fertilitätsstörung).

39

Eine solch geringe Erfolgswahrscheinlichkeit ist nach Auffassung des Gerichts nicht mehr zumutbar. Die Kombination der Fertilitätsstörung des Klägers und der Fertilitätsstörung seiner Ehefrau führt daher dazu, dass eine Paarsterilität mit einer Indikation für eine IVF-Behandlung gegeben ist. Dies ergibt sich auch schon allein aus dem Umstand, dass bei beiden Partnern eine Fertilitätsstörung gegeben ist, die eine Sterilitätsbehandlung erfordert. Die für die Überwindung der Paarsterilität medizinisch notwendige Sterilitätsbehandlung ergibt sich in einem solchen Fall aus der Fertilitätsstörung desjenigen Partners, die einen weitergehenden Eingriff in den Befruchtungsvorgang erfordert (wenn nicht die Kombination der Fertilitätsstörungen eine noch weitergehende Behandlung erfordert). Vorliegend indizierte die Erkrankung der Ehefrau des Klägers eine IVF-Behandlung.

40

Diese IVF-Behandlung hatte auch die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geforderte Erfolgswahrscheinlichkeit von mindestens 15 % für einen geglückten Embryotransfer. Auf die diesbezüglichen überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen wird Bezug genommen. Insbesondere hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10.02.2013 nachvollziehbar aufgeführt, dass nicht gerechtfertigt wäre sowohl einen Abschlag für die erfolgte Entfernung eines Ovars als auch einen Abschlag für den unterdurchschnittlichen AMH-Wert vorzunehmen, da dieser gerade im Wesentlichen den Umstand widerspiegelt, dass nur noch ein Ovar vorhanden ist. Es ist daher nur der vom Sachverständigen ausgeführte einmalige Abschlag vorzunehmen mit dem Ergebnis, dass die Prognose für die Erfolgsraten jedenfalls im Bereich zwischen 15 – 20 % lag (vgl. Seite 6 des Ergänzungsgutachtens, Bl. 63 d. A.).

41

Es lag daher nach allen maßgeblichen Kriterien eine medizinische Notwendigkeit für eine IVF-Behandlung bei Durchführung des ersten Zyklus vor.

42

2. Keine medizinische Notwendigkeit der ICSI-Behandlung

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Die im Rahmen der IVF-Behandlung zusätzlich durchgeführte ICSI-Behandlung war nicht medizinisch notwendig.

44

Hinsichtlich der vorliegend durchgeführten ICSI-Behandlung führte der Sachverständige im Wesentlichen aus, dass eine Indikation nach der (Muster-)Richtlinie der Bundesärztekammer zur assistierten Reproduktion sowie der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses zur künstlichen Befruchtung nicht gegeben gewesen sei, er aber dem Kläger – wenn er sein Patient gewesen wäre – auch eine ICSI-Behandlung vorgeschlagen hätte (vgl. S. 4 des Protokolls vom 27.06.2013, Bl. 93 d. A.). Er begründete dies mit einer zu befürchtenden schlechteren Befruchtungsrate bei einer reinen IVF-Behandlung im Hinblick auf die nach den vorliegenden Spermiogrammen vorliegenden Einschränkungen bei der Spermienmorphologie.

45

Aus rechtlicher Sicht reicht dies nicht aus, um eine medizinische Notwendigkeit einer ICSI-Behandlung zu begründen.

46

Nach der bereits oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.09.2005, AZ: IV ZA 113/04, genügt für die Annahme einer medizinischen Notwendigkeit, wenn die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen. Ob dies der Fall ist, könne nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmt werden.

47

Vorliegend spiegeln die (Muster-)Richtlinie der Bundesärztekammer zur assistierten Reproduktion und die Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses zur künstlichen Befruchtung in ihrer jeweils aktuellen Fassung den aktuellen Stand der Wissenschaft wider (vgl. Seite 4 des Sachverständigengutachtens vom 10.12.2012, Blatt 36 der Akte). Die Richtlinien enthalten außerdem eine Staffelung der Indikation für Sterilitätsbehandlungen. Je gravierender die Fertilitätsstörung ist, desto weitgehender ist der indizierte Eingriff in den Befruchtungsvorgang. So rechtfertigen leichte Formen männlicher Fertilitätsstörungen nach Ziffer 2.1.2 der Musterrichtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion “nur” eine homologe Insemination, während männliche Fertilitätsstörungen nach erfolgloser Insemination nach Ziffer 2.1.3 der genannten Richtlinie eine IVF-Behandlung indizieren. Nach den Kriterien der Richtlinien soll daher bei einer weniger gravierenden Fertilitätsstörung auch ein weniger gravierender Eingriff in den Befruchtungsvorgang erfolgen.

48

Wie sich aus dem Inhalt, insbesondere der Präambel zu der genannten Musterrichtlinie, aber auch den Ausführungen des Sachverständigen ergibt, gibt es hierfür ethische und medizinische Gründe (vgl. die Ausführung des Sachverständigen auf Seite 3 seines Ergänzungsgutachtens, Bl. 60 d. A., zu den möglichen Risiken für bestimmte Fehlbildungen bei nach ICSI geborenen Kindern).

49

Eine solche Indikationsstaffelung – wie in den nationalen Richtlinien erfolgt – ist auch erforderlich, da bei einem bloßen Abstellen auf die mit einer Sterilitätsbehandlung verbundenen Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Schwangerschaft in aller Regel der weitestgehende Eingriff in den Befruchtungsvorgang die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit hätte.

50

Die beiden genannten Richtlinien berücksichtigen daher in geeigneter und erforderlicher Weise die medizinischen und ethischen Besonderheiten bezüglich Art und Umfang einer Sterilitätsbehandlung und sind daher gegenwärtig Maßstab für deren medizinische Notwendigkeit.

51

Da eine ICSI-Behandlung vorliegend nach den beiden genannten Richtlinien nicht indiziert war, liegt daher auch keine Erstattungspflicht der Beklagten bezüglich der hierfür angefallenen Kosten vor.

52

Die medizinische Notwendigkeit der im Übrigen durchgeführten IVF-Behandlung bleibt jedoch hierdurch unberührt. Der Sachverständige führte in seiner mündlichen Anhörung für das Gericht überzeugend aus, dass der Unterschied zwischen einer (reinen) IVF- und einer ICSI-Behandlung allein im Labor stattfinde. Nach der Befruchtung sei der Verlauf bei IVF und ICSI wieder gleich. Aus Kostensicht könne man sagen, dass eine ICSI-Behandlung aus einer IVF-Behandlung besteht, zuzüglich der für eine ICSI-Behandlung anfallenden Kosten (S.3 des Protokolls vom 27.6.2013, Bl. 92 d.A.). Diese Kostensicht ist bei der Frage der Erstattungspflicht eines privaten Krankenversicherers maßgeblich.

II.

53

Der Kläger hat aus dem Krankenversicherungsvertrag hinsichtlich des zweiten Behandlungszyklus einen Anspruch auf Zahlung von 4.692,19 €. Dies entspricht dem Rechnungsbetrag der Anlagen K 5/1 des K 5/4 sowie K 5/6 und K 5/7, wobei von der Rechnung vom 11.08.2011 (K 5/3) ein Abzug von 46,92 € zu machen war. Nicht erstattungsfähig ist die Rechnung vom 11.08.2011 (K 5/5), die sich auf die ICSI-Behandlung bezieht.

54

Auch der zweite Zyklus war nach den maßgeblichen Kriterien hinsichtlich der IVF-Behandlung medizinisch notwendig, nicht jedoch bezüglich der zusätzlichen ICSI-Behandlung. Zur Begründung wird auf die Ausführungen oben zu I Bezug genommen. Insbesondere hat der Sachverständige auch für den zweiten Zyklus die erforderliche Erfolgswahrscheinlichkeit von mindestens 15 % für einen erfolgreichen Embryotransfer überzeugend und nachvollziehbar dargelegt.

55

Hieraus folgt, dass dem Kläger die Kosten für die IVF-Behandlung zu erstatten sind, nicht aber die Kosten für die zusätzliche ICSI-Behandlung. Weiterhin war von der Rechnung vom 11.08.2011 (K 5/3) ein Betrag von zweimal 23,46 € abzuziehen, da nach den Ausführungen des Sachverständigen die Bestimmung der Serumkonzentration von Östradiol nur einmal medizinisch notwendig war.

III.

56

Der Kläger hat aus dem Versicherungsvertrag einen Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte wie tenoriert für einen weiteren (dritten) Zyklus einer Sterilitätsbehandlung durch eine IVF-Behandlung erstattungspflichtig ist, dies jedoch nicht bezüglich einer zusätzlichen ICSI-Behandlung.

57

Das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse folgt aus dem Umstand, dass der Kläger mit seiner Ehefrau unstreitig den dritten Zyklus einer Sterilitätsbehandlung durchführen möchte und die Beklagte bereits vorgerichtlich eine Erstattung von Kosten hierfür abgelehnt hat.

58

Die Voraussetzungen für die Erstattungspflicht der Beklagten liegen hinsichtlich eines dritten Zyklus einer IVF-Behandlung vor, nicht aber bezüglich der zusätzlichen ICSI-Behandlung. Diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen zu I. verwiesen. Hinsichtlich der nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen wird insbesondere auf dessen Ausführungen zum dritten Zyklus auf Seite 3 des Protokolls vom 27.06.2013 (Blatt 92 d. A.) Bezug genommen. Hier nimmt der Sachverständige eine Erfolgswahrscheinlichkeit von mindestens 20 % (für einen erfolgreichen Embryonentransfer) an.

IV.

59

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Erstattungspflicht hinsichtlich eines vierten bis sechsten Zyklus.

60

Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob dem Kläger schon das notwendige Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO fehlt.

61

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Versicherte nach Treu und Glauben bei der Inanspruchnahme der besonders kostenträchtigen und nicht vital lebensnotwendigen In-vitro-Fertilisation in angemessener Weise auf den Versicherer und die Versichertengemeinschaft Rücksicht nehmen. Der Versuch kann nicht auf Kosten der Versichertengemeinschaft beliebig oft wiederholt werden (vgl. BGH vom 23.09.1987, a.O. RN 12). Die zitierte Entscheidung legt nahe, führt aber nicht ausdrücklich aus, dass die nach Treu und Glauben zu ziehende Grenze nach drei Versuchen erreicht ist.

62

Vorliegend scheitert der über den dritten Zyklus hinausgehende Feststellungsantrag jedoch jedenfalls daran, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit des vierten bis sechsten Zyklus für einen erfolgreichen Embryonentransfer von mindestens 15 % zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht feststeht.

63

Aus der soeben genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs geht hervor, dass für einen erfolgreichen Feststellungsantrag Voraussetzung ist, dass für diese weiteren Zyklen weiterhin eine deutliche Erfolgsaussicht besteht. Dies hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 21.09.2005, AZ: 4 ZR 113/04 weiter konkretisiert, dass von einer nicht mehr ausreichenden Erfolgsaussicht auszugehen ist, wenn eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 15 % für einen erfolgreichen Embryotransfer nicht mehr erreicht wird (a.a.O. RN 23).

64

Vorliegend hat der Sachverständige diesbezüglich sinngemäß ausgeführt, dass eine so geringe Erfolgswahrscheinlichkeit unwahrscheinlich aber möglich sei, wenn im dritten Zyklus nur eine oder gar keine Eizelle gewonnen würde (vgl. Seite 3 des Protokolls vom 27.06.2013, Bl. 92 d. A.). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt steht damit die erforderliche Erfolgswahrscheinlichkeit für den vierten Zyklus und damit erst Recht auch für den fünften und sechsten Zyklus nicht fest.

V.

65

Die Zinsentscheidung ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB. Nach Ablauf der im Schreiben vom 23.05.2012 (Anlage K 10) gesetzten Frist befand die Beklagte sich in Verzug.

66

Die zuzusprechenden Rechtsanwaltskosten ergeben sich sowohl unter dem Gesichtspunkt des Verzugs als auch des Schadensersatzes gemäß § 280 BGB aus einer 0,65 Gebühr aus einem Gegenstandswert von 10.726,56 € (5.446,56 € gemäß Tenor + 5.280,00 € für den Feststellungsantrag dritter Zyklus). Dies ergibt Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 341,90 € zuzüglich der Auslagenpauschale von 20,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer, somit insgesamt 430,66 €.

VI.

67

Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 91, 92 ZPO.

68

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgt aus § 709 ZPO.

69

Der Streitwert war ausgehend von den Angaben des Klägervertreters in der Klage vom 04.07.2012 auf 29.132,84 € festzusetzen. Soweit der Klägervertreter in der Klage einen Streitwert von 28.812,84 € angegeben hat, lag ein Rechenfehler vor.

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