Zur Haftungsverteilung bei Kollision zwischen einem überholenden Fahrzeug und einem Inline-Skater auf einem Wirtschaftsweg

OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Oktober 2020 – 22 U 29/20

Zur Haftungsverteilung bei Kollision zwischen einem überholenden Fahrzeug und einem Inline-Skater auf einem Wirtschaftsweg

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom … wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass nach einer Teilrücknahme von … die in Ziff. 1 tenorierte Summe von … lediglich … beträgt.

Die Kosten der Berufungsinstanz trägt die Beklagtenseite.

Das angefochtene Urteil wird für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung erklärt.

Gründe
I.

1
Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall vom … geltend gemacht. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage dem Grunde nach in vollem Umfang stattgegeben und lediglich einige Schadenspositionen nicht anerkannt. Die Beklagten hatten bereits vorgerichtlich ihre Ersatzverpflichtung auf einer Basis von 70 % anerkannt.

2
Das Landgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Unfall ausschließlich durch den Beklagten zu … verursacht worden ist, weil dieser zu nah an der Klägerin vorbeifuhr und diese deshalb zu Fall brachte. Ein Mitverschulden der Klägerin hat das Landgericht abgelehnt.

3
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten, mit der diese einige Schadenspositionen in Frage stellen und im Übrigen auf einem Mitverschulden der Klägerin i.H.v. 30 % bestehen.

II.

4
Die Berufung ist offensichtlich unbegründet.

5
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Vereinheitlichung der obergerichtlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung.

6
Der Senat hat bereits ausführlich zur Rechtslage im Hinweisschreiben des Vorsitzenden vom … Stellung genommen. Auf die dortigen Ausführungen wird auch nach nochmaliger Rechtsprüfung in vollem Umfang Bezug genommen.

7
Die hiergegen von den Beklagten erhobenen Einwendungen greifen in vollem Umfang nicht durch.

8
Soweit die Beklagten meinen, die Klägerin habe verbotswidrig den Wirtschaftsweg mit Inline-Skatern benutzt, unterliegen sie offensichtlich einem Irrtum. Wie ausgeführt, handelte es sich bei der ehemaligen B 36 um eine Straße, die durch das Zeichen 260 gesperrt, aber für den landwirtschaftlichen Verkehr freigegeben war. Aus der Sperre für Kraftfahrzeuge und Motorräder folgt im Umkehrschluss, dass die Fahrbahn für Radfahrer und Fußgänger freigegeben war. Nach der Systematik der Verkehrszeichen betrifft das Verbot immer genau die Fahrzeuge, die entsprechend gekennzeichnet sind. Hätte die Fahrbahn auch für Radfahrer und Fußgänger gesperrt werden sollen, hätten die entsprechenden Zeichen 254 oder 259 aufgestellt werden müssen.

9
Da, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, gemäß § 24 StVO Inlineskater Fußgängern gleichgestellt sind, war die Fahrbahn selbstverständlich frei für diese zu benutzen.

10
Für den Senat ist die Argumentation der Beklagten, die Klägerin habe den Wirtschaftsweg schon deshalb nicht benutzen dürfen, weil kein Gehweg vorhanden gewesen sei, nicht nachvollziehbar. § 25 StVO sieht doch gerade vor, dass auch Straßen ohne Gehweg durch Fußgänger benutzt werden dürfen.

11
Schließlich ist auch unverständlich, wieso die Klägerin verpflichtet gewesen sei, von hinten herannahenden Fahrzeugen das Überholen zu ermöglichen. Es liegen zum einen überhaupt keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin vor dem Überholmanöver den Beklagten zu … und seine Überholabsicht wahrgenommen hatte. Zum anderen ist zunächst einmal der Überholende verpflichtet, so zu überholen, dass eine Gefährdung des überholten Verkehrs durch Einhaltung eines Sicherheitsabstands ausscheidet (§ 5 Abs. 4 StVO). Dass dies vorliegend nicht geschehen ist, ergibt sich eindeutig aus der Beweisaufnahme erster Instanz und auch den Fotografien des Anhängers, der nahezu die gesamte Fahrbahnbreite eingenommen hat.

12
Die Beklagten können sich auch nicht darauf berufen, dass die Klägerin links hätte fahren müssen. Dass dies vorliegend unzumutbar war, hat das Landgericht in ausführlicher Deutlichkeit herausgearbeitet. Im Übrigen würde dies nichts daran ändern, dass der Beklagte zu … Klägerin auch dann nicht hätte überholen dürfen, weil kein ausreichender Platz vorhanden war.

13
Das Überholen des Beklagten zu … in der fraglichen Situation ohne entsprechende Warnung der anderen Verkehrsteilnehmer stellt ein so grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten dar, dass bei einer Abwägung gemäß § 254 BGB selbst ein leichtes Mitverschulden der Klägerin in vollem Umfang zurücktreten würde. Ein solches kann vorliegend aber, wie dargelegt, überhaupt nicht festgestellt werden.

14
Hinsichtlich der weiteren Schadensersatz- und Schmerzensgeldpositionen kann, da insoweit keine weiteren Einwendungen erhoben worden sind, auf das Hinweisschreiben des Vorsitzenden Bezug genommen werden.

15
Die Klägerin hat auf den Hinweis die Klage i.H.v. … zurückgenommen. Dem hat die Beklagtenseite zugestimmt, indem sie Kostenantrag gestellt hat.

16
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97, 92 Abs. 2, 269 ZPO. Die zurückgenommene Zuvielforderung ist so geringfügig, dass eine Kostenverteilung hinsichtlich dieses Betrags nicht in Betracht kommt.

17
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen im Übrigen aus den §§ 708 Nr. 10, 544 ZPO. Anhaltspunkte für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, da eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung nicht vorliegt (§ 543 ZPO).

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