Zur Haftungsverteilung bei Kfz-Unfall mit einem Carsharing-Fahrzeug

LG Hamburg, Urteil vom 13. Januar 2017 – 306 O 398/15

Zur Haftungsverteilung bei Kfz-Unfall mit einem Carsharing-Fahrzeug

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 21.096,42 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 12.03.2015 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 17% und der Beklagte 83% zu tragen.

4. Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar, wegen eines 750,00 € übersteigenden Betrags jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Das Urteil ist auch für den Beklagten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann jedoch die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 25.485,61 € festgesetzt.

Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt vom Beklagten Schadensersatz nach Beschädigung eines ihr gehörenden und an den Beklagten vermieteten Fahrzeugs.

2
Die Klägerin betreibt ein Selbstfahrervermietwagengeschäft. Die Klägerin vermietet die ihr gehörenden Fahrzeuge dabei nicht mit Einzelmietverträgen an bestimmten Stationen, sondern die Fahrzeuge, so auch das streitgegenständliche Fahrzeug, stehen auf Parkplätzen im öffentlichem Verkehrsraum. Die Kunden der Klägerin, so auch der Beklagte, schließen mit der Klägerin für eine unbestimmte Anzahl von Fahrzeuganmietungen einen Rahmenvertrag. Mit diesem Rahmenvertrag werden die Bedingungen für die künftige Fahrzeugnutzung vereinbart. Nach Abschluss des Rahmenvertrags erhält der Kunde der Klägerin nach Prüfung seiner Fahrerlaubnis und seiner Identität einen Chip, der auf den Führerschein des Kunden aufgeklebt wird. Unter Verwendung dieses Chips ist es dem Kunden dann möglich, die im öffentlichen Parkraum abgestellten Fahrzeuge der Klägerin zu nutzen.

3
Der Beklagte schloss am 08.01.2014 bei der Klägerin einen besagten Rahmenvertrag zur Nutzung der Mietfahrzeuge der Klägerin ab. Dieser Rahmenvertrag (im Folgenden „RV“, Anlage K3) lautet auszugsweise:

4
„9. Haftung des Kunden, Versicherungsschutz und Selbstbeteiligung des Kunden

5
a)
Bei Fahrzeugschäden, Fahrzeugverlust und Vertragsverletzung haftet der Kunde grundsätzlich nach den gesetzlichen Vorschriften. Die Haftung des Kunden erstreckt sich auch auf Folgekosten, wie beispielsweise Sachverständigen-, Abschleppkosten und Wertminderung.

6
Für alle Fahrzeuge bestehen eine Haftpflicht- und eine Teilkaskoversicherung im üblichem Umfang. Darüber hinaus besteht eine Haftungsbegrenzung zugunsten des Kunden, die dem Schutz einer Fahrzeugvollversicherung (Vollkaskoversicherung) entspricht. […] für die vorgenannten Versicherungen und die vorgenannte Haftungsbegrenzung gelten, soweit in diesen AGB nichts abweichendes geregelt ist, die vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft e.V. GDV herausgegebenen allgemeinen Bedingungen für die KFZ-Versicherung, AKB 2008 (nachfolgend „AKB“ genannt).
[…]

7
c)
im Rahmen der Haftungsbegrenzung haftet der Kunde für Schäden von D. N. bis zu einem Betrag in Höhe des vereinbarten Selbstbehaltes von € 750,– pro Schadensfall. Wurde ein Schaden grob fahrlässig herbeigeführt, ist D. N. berechtigt, ihre Leistungsverpflichtung im Rahmen der vereinbarten Haftungsbegrenzung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen.

8
Dem Kunden wird die Möglichkeit eingeräumt, die Höhe des Selbstbehaltes mittels eines Schutzpaketes durch Zahlung einer Gebühr abzusenken.“

9
Ein „Schutzpaket“ im Sinne der vorgenannten Ziff. 9 c) RV vereinbarte der Beklagte mit der Klägerin nicht, sodass grundsätzlich eine vereinbarte Selbstbeteiligung im Schadensfall in Höhe von € 750,00 galt.

10
Am Abend des 13.12.2014 besuchte der Beklagte gemeinsam mit den Zeugen W. und S. und seinem weiteren Bekannten M. ein Restaurant, wo er auch Alkohol konsumierte. Danach bestieg er mittels seines Berechtigungschips gemeinsam mit den vorgenannten Personen ein Fahrzeug der Klägerin vom Typ BMW X1, amtliches Kennzeichen …, und fuhr mit diesem in H. die L. Str. aus Richtung der S. Str. kommend in Richtung M./K. Str.. In der L. Str. verunfallte das vom Beklagten geführte Fahrzeug gegen 21:30 Uhr dergestalt, dass es in einer aus Fahrtrichtung gesehen nahezu rechtwinkligen Rechtskurve über die Kurve hinausfuhr in einen zum Messegelände gehörenden Absperrzaun. Wegen der Unfallörtlichkeiten wird auf die Lichtbilder Bl. 58-60 der beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H., Aktenzeichen… , verwiesen. Wegen des ungefähren Fahrverlaufes wird auf die polizeiliche Unfallskizze verwiesen, vgl. Seite 4 der Anspruchsbegründung vom 27.11.2015, Blatt 17 der Akte. Die herbeigerufene Polizei führte am Unfallort beim Beklagten einen Atemalkoholtest durch. Als Ergebnis wurde in der Unfallaufnahme ein Wert von 0,65 Promille vermerkt. Der Beklagte wurde daraufhin von den aufnehmenden Polizisten mit zur Wache genommen und unterzog sich dort einer Blutentnahme, wobei im Blutentnahmeprotokoll eine Körpergröße des Klägers von 190 cm und ein Körpergewicht von 105 kg aufgenommen wurden. Das Universitätsklinikum H. E., Institut für Rechtsmedizin, ermittelte daraufhin auf Basis einer Blutentnahmezeit um 22.50 Uhr einen Mittelwert von 0,71 Promille. Ferner ist in dem Gutachten vermerkt: „Unter Zugrundelegung einer Entnahmezeit von 22.50 Uhr, einer Tatzeit von 21.30 Uhr am 13.12.2014 und des angegebenen Trinkverhaltens bzw. bei einer im wesentlichen abgeschlossenen Resorption kann der Tatzeitwert gutachterlich mit 0,8-0,9 Promille angegeben werden.“ (vgl. Bl. 33 der amtlichen Ermittlungsakte).

11
Durch den Unfall wurde das Fahrzeug der Klägerin beschädigt, insoweit wird auf die Lichtbilder zur Anlage K4 verwiesen. Der von der Klägerin beauftragte Schadensbegutachter ermittelte zur Erhebung des Schadens erforderliche Reparaturkosten (netto) in Höhe von € 36.517,18. Als Wiederbeschaffungswert (netto) ermittelte er € 32.689,08. Als Restwert legte er seiner Schadensbegutachten einen Wert von € 1.042,02 (netto) zugrunde. Dazu hatte der Sachverständige ausweislich der Anlage K8 für das verunfallte Fahrzeug Kaufangebote auf der Internetbörse „Auto Online“ eingeholt, jeweils als Brutto-Gebote. Das höchste Gebot, € 5.590,00, ist dasjenige eines Aufkäufers aus B.. Es folgen Angebote aus B1 (€ 5.550,00, € 3.730,00) und W. (€ 4.510,00) sowie schließlich das Angebot in Höhe von € 1.240,00 brutto (= € 1.042,02 netto) eines Aufkäufers aus C., welches der Gutachter als „Regionaler Markt: 200km“ (vgl. Anlage K9) seiner Feststellung zugrunde legte.

12
Nachdem der Beklagte entsprechenden vorprozessualen Zahlungsaufforderungen von Januar und März 2015 (Anlagen K6 und K7), zuletzt mit Zahlungsfrist zum 11.3.2015 nicht nachkam, mach die Klägerin nunmehr mit der vorliegenden Klage gegenüber dem Beklagten den Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von € 31.647,06 (€ 32.689,08 abzüglich € 1.042,02) geltend zuzüglich € 76,00 pauschalen Ab- und Anmeldekosten, Kosten für die Erstellung des Schadensgutachtens in Höhe von € 56,96 sowie pauschal unfallbedingte Auslagen in Höhe von € 50,00. Als Gesamtsumme hat die Klägerin in der Klagschrift insoweit – statt rechnerisch richtig € 31.830,02 – wegen eines Zahlendrehers beim Widerbeschaffungsaufwand (€ 31674,06 statt € 31.647,06) zusammen € 31.857,02 ermittelt, wovon sie vom Kläger 80%, mithin € 25.485,61 erstattet verlangt.

13
Die Klägerin behauptet, dass der in Rede stehende Unfall vom Beklagten grob fahrlässig herbeigeführt wurde, namentlich deshalb, weil er im stark alkoholisierten Zustand das Fahrzeug der Klägerin verwendete und der Unfall auf einem alkoholbedingten Fahrfehler beruhe. Der Kläger habe bei der Fahrt auch eindeutig die zulässige Geschwindigkeit überschritten. Ihrer Schadensberechnung habe die Klägerin zu Recht einen Restwert von € 1.042,02 zugrunde gelegt, wie sich aus den dargelegten Restwertgeboten ergebe.

14
Die Klägerin beantragt:

15
Die beklagte Partei wird verurteilt, an die Klägerin € 25.485,61 nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz an Zinsen hieraus seit dem 12.03.2015 zu bezahlen.

16
Mit der Klagerwiderung hat der Beklagte eine Ersatzpflichtigkeit in Höhe von € 750,00 aufgrund des vereinbarten Selbstbehaltes anerkannt.

17
Der Beklagte beantragt im Weiteren

18
Klagabweisung.

19
Er behauptet, dass er während seines Aufenthaltes im Restaurant zwischen 18.45 Uhr und 20.30 Uhr zwei kleine Gläser Bier à 0,33 l sowie einen Aperitif à 2 cl getrunken habe. Gegessen habe er ein großes Steak mit Beilage. Er sei mit dem klägerischen Fahrzeug mit den Witterungsverhältnissen angepasster Geschwindigkeit gefahren und habe in der 90°-Kurve die Geschwindigkeit nochmals reduziert. Die Lenkbewegung nach rechts in der Kurve habe aber das Fahrwerk des Fahrzeugs der Klägerin nicht mitgemacht. Der Beklagte habe dann wiederum angemessen reagiert und gebremst. Auf sporadisch glatter Fahrbahn sei das Fahrzeug dann nicht mehr in den Griff zu bekommen gewesen und weiter geradeaus gerutscht. An einer Kausalität des vorherigen Alkoholgenusses fehle es. Der Unfall, so behauptet der Beklagte, wäre einem vollständig nüchternen Fahrer ebenso unterlaufen. Zudem sei der nach dem Unfall – unstreitig – ermittelte Blutalkoholwert von 0,71 Promille nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, was sich aus der Differenz des protokollierten Atemalkoholwertes ergebe. Pauschale Ab- und Anmeldekosten seien zudem lediglich in Höhe von € 60,00 erstattungsfähig, allgemeine Auslagen nur in Höhe von € 20,00.

20
In der mündlichen Verhandlung vom 29.11.2016 hat das Gericht den Beklagten persönlich angehört sowie die Zeugen L., S., P., W. und S. vernommen. Wegen des Ergebnisses wird auf das entsprechende Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe
21
Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Die Klägerin kann vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von € 21.096,42 verlangen gemäß Ziff. 9 lit. a), c) RV.

22
Das Fahrzeug der Klägerin wurde bei der vertragsgemäßen Nutzung durch den Beklagten beschädigt, so dass der Beklagte grundsätzlich für den eingetretenen Schaden ersatzpflichtig ist, Ziff. 9 lit. a) RV.

23
Auf die Haftungsbegrenzung des Ziff. 9 lit. c) S.1 RV auf 750,00 Euro Selbstbehalt nach dem Leitbild einer Vollkaskoversicherung kann sich der Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Denn er hat den Fahrzeugschaden grob fahrlässig herbeigeführt, weshalb die Klägerin gemäß Ziff. 9 lit. c) S.2 RV berechtigt ist, die Haftungsbegrenzung um 75% des entstandenen Schadens zu reduzieren (dazu unter I.), sie mithin nur 25% des Schadens selbst tragen muss.

24
Der Höhe nach hat die Klägerin einen Schadensbetrag in Höhe von € 28.128,56 nachgewiesen (dazu im Einzelnen unter II.), woraus sich bei einer Haftung des Beklagten von 75% der tenorierte Betrag ergibt.

I.

25
Dem Grunde nach kann die Klägerin vom Beklagten 75% des ihr aus dem Unfallereignis entstandenen Schadens gemäß Ziff. 9 lit. c) RV verlangen. Demgemäß ist die Klägerin berechtigt, die vereinbarte Haftungsbegrenzung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen, soweit der Beklagte den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat.

1.

26
Grobe Fahrlässigkeit setzt objektiv voraus, dass der Beklagte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in einem ungewöhnlich großen Maße verletzt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. u.a. BGH, VersR 2003, 364). In subjektiver Hinsicht muss der Sorgfaltsverstoß unentschuldbar erscheinen. Bei der Feststellung der groben Fahrlässigkeit sind daher auch subjektive, in der Individualität des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen (vgl. BGH, a.a.O.).

27
Bei der Abwägung sind daher alle objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Grobe Fahrlässigkeit liegt dabei nahe, wenn der Versicherungsnehmer wusste oder durch einfachste und naheliegende Überlegungen hätte erkennen können, dass sein Verhalten geeignet war, den Eintritt des Versicherungsfalles zu fördern. Die Beweislast für die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit trägt die Klägerin.

28
Unstreitig wurden bei dem Kläger unmittelbar nach dem Unfall eine Atemalkoholkonzentration von 0,65 Promille festgestellt sowie aufgrund einer etwa 80 Minuten später entnommenen Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 0,71 Promille. Dies belegt zwar keinen Fall der absoluten Fahruntüchtigkeit zum Unfallzeitpunkt, die, wie im Strafrecht, erst ab einem Blutalkoholgehalt von 1,1 Promille anzunehmen wäre und bereits für sich genommen einen Anscheinsbeweis dafür begründet, dass sie für den Unfall kausal ist.

29
Jedoch liegt auch bei relativer Fahruntüchtigkeit, d.h. bei einem Blutalkoholgehalt zwischen 0,3 und 1,1 Promille grobe Fahrlässigkeit im Allgemeinen vor, wenn über die Alkoholmenge hinaus Fahrfehler vorliegen, die die Alkoholbedingtheit des Unfalles belegen. Insoweit müssen Ausfallerscheinungen, insbesondere vermindertes Reaktions- und Koordinationsvermögen oder erhöhte Risikobereitschaft festgestellt werden, die typischerweise auf den Alkoholgehalt zurückzuführen sind (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 30.10.2014, Az. 4 U 165/13, Rz. 68, 69 n.w.N.). Als alkoholtypische Fehlleistungen sind dabei insbesondere auch das zu späte Erkennen einer Kurve und die Fehleinschätzung von Kurvenverlauf und Radius anerkannt (vgl. Prölss/Martin, 29. Aufl. AKB 2008, A.2.16, Rz. 45).

30
Der Klägerin ist hier der Nachweis eines alkoholbedingten Fahrfehlers gelungen. Die alkoholbedingte Fehleinschätzung des Beklagten im Hinblick auf den Kurvenverlauf ergibt sich zum einen aus der unstreitigen Fahrtstrecke des Fahrzeuges. Dieser stellt sich mitnichten so dar, wir von Beklagtenseite schriftsätzlich vorgetragen – anpasste Geschwindigkeit, nochmalige Reduktion der Geschwindigkeit in der Kurve, erneutes Bremsen, nachdem das Fahrwerk nicht mitgemacht habe. Schon der Beklagte selbst erklärte, dass er nach seiner Schätzung 60 km/h gefahren sei. Der polizeilichen Unfallskizze, die Lichtbilder sowie den übereinstimmenden Zeugenaussagen ist dann jedoch nicht ein „Einfahren“ in die Kurve mit „nochmaliger“ Geschwindigkeitsreduktion zu entnehmen. Vielmehr ist der Beklagte mit dem Fahrzeug nahezu in Geradeausfahrt über die Kurve hinausgefahren und ausweislich der Fahrzeugschäden mit nicht unerheblicher Geschwindigkeit in die Zaunanlage der M. geprallt. Darüber hinaus hat insbesondere die Zeugin P. berichtet, dass der Beklagte noch am Unfallort gegenüber seinen Freunden immer wieder wiederholt habe: “Ich habe die Kurve nicht gesehen.“, was ein deutliches Wahrnehmungsdefizit des Beklagten belegt. Dabei berichtete die Zeugin P. insgesamt ohne große Belastungstendenz von dem Unfallgeschehen und schilderte zugleich in eindrücklicher Weise, dass sie besonders wahrnehmungsbereit war, nachdem sie selbst die besagte Kurve gerade mit dem Fahrrad durchfahren hatte, hinter sich ein Quietschen hörte, vom Fahrrad absprang, sich umdrehte und den Unfall genau beobachtete. Die Zeugin konnte sich dabei noch an zahlreiche, mit den übrigen Zeugenaussagen stimmige Details erinnern (Anwesenheit eines „Pärchens“ – der Zeugen L. und S. – am Unfallort, Durchführung eines Atemalkoholtests beim Beklagten etc.), die für das Gericht dafür sprechen, dass es sich um die Wiedergabe tatsächlich erlebter Umstände handelt. Auch sonst bestanden keine Anhaltspunkte, an der Glaubwürdigkeit der Zeugin zu zweifeln.

31
Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass einem nüchternen Fahrer ein vergleichbarer Fahrfehler nicht unterlaufen wäre. Der entsprechende Vortrag der Beklagtenseite, dass der Fahrfehler auch einem nüchternen Fahrer unterlaufen wäre, erfolgt ersichtlich ins Blaue hinein. Insofern war auch dem entsprechenden Beweisangebot der Beklagtenseite zur Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht weiter nachzugehen. Würde die Behauptung der Beklagtenseite zutreffen, müsste es an der besagten Stelle an jedem Winterabend nach Einbruch der Dunkelheit zu entsprechenden Unfällen kommen. Als Unfallschwerpunkt ist diese Stelle jedoch nicht bekannt, wenngleich es möglicherweise nach dem Unfall dort zu unfallvermeidenden baulichen Veränderungen (Anbringung von Reflektoren in der Kurve) kam. Für die Behauptung der Beklagtenseite spricht auch nicht die bauliche Gestaltung der Kurve, die zum Einen mit 90° einen scharfen Winkel aufweist und zum Anderen durch die bauliche Gestaltung des zum Unfallzeitpunkt dahinter liegenden M. Gebäudes den Eindruck erwecken könnte, die Fahrbahn führe geradeaus weiter, gleichsam unter dem Dach der M. als eine Art Tunnel. Derartige bauliche Gestaltungen sind für den Straßenverkehr keinesfalls unüblich, sondern erfordern gerade die beim Beklagten zum Unfallzeitpunkt nicht mehr gegebene Sorgfalts- und Reaktionsbereitschaft.

32
Zudem konnte das Gericht nicht zu der Überzeugung gelangen, dass am Unfallabend eine Straßenglätte vorgeherrscht habe, die gegebenenfalls neben der Fahruntüchtigkeit des Beklagten mitursächlich für den Unfall gewesen wäre. Eine derartige Straßenbeschaffenheit wurde nur ansatzweise von den im Unfallfahrzeug mitfahrenden und mit dem Beklagten befreundeten Zeugen S. und W. geschildert. Die unbeteiligte Zeugin P. hingegen schilderte für das Gericht nachvollziehbar und überzeugend, dass sie sich eben nicht gedacht habe, dass es „jetzt auch irgendwie glatt oder glitschig“ gewesen sei und dass sie sich an einen derartigen Gedanken sonst bestimmt noch erinnern könnte. Auch aus den in der Akte befindlichen Lichtbildern lässt sich keinerlei Glatteisbildung oder ähnliches erkennen. Gleiches gilt für die vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vage vorgetragene „Sichtbehinderung“ („Es war auch etwas diesig.“), die von den unbeteiligten Unfallzeugen P., L. und S. gerade nicht bestätigt wurde. Darüber hinaus würde die vorgetragene „sporadische Straßenglätte“ als auch der Umstand, dass es „etwas diesig“ ist, auch insoweit die Alkoholbedingtheit des Fahrfehlers des Beklagten nicht schmälern, da auch derartige Straßenverhältnisse in der Regel von Nüchternen gemeistert werden. Die nur allgemeine Möglichkeit jedoch, dass auch einem Nüchternen der Unfall hätte unterlaufen können, die nie auszuschließen ist, besagt für sich genommen noch nichts (vgl. Prölls/Martin, a.a.O., Rz. 43).

33
Schließlich ist auch der Einwand der Beklagtenseite unbehelflich, dass zwar durch die Blutentnahme eine Blutalkoholkonzentration von 0,71 Promille festgestellt wurde, das ordnungsgemäße Zustandekommen dieses Testergebnisses jedoch in Zweifel gezogen werde. Maßgebliche Anhaltspunkte für derartige Zweifel wurden nicht vorgetragen. Allein der Umstand, dass bei dem Beklagten am Unfallort eine geringere Atemalkoholkonzentration im Wege einer Atemalkoholmessung festgestellt wurde, begründet keine Anhaltspunkte für derartige Zweifel, da allgemein bekannt die Messgenauigkeit bei einer Atemalkoholkonzentrationsmessung geringer ist als bei Messung der Blutalkoholkonzentration. Zudem wäre eine derartige Abweichung auch zwangslos damit erklärbar, dass sich der Beklagte zum Zeitpunkt der Atemalkoholkonzentrationsmessung noch in der Resorptionsphase befand. Eine derartige Überzeugung konnte sich das Gericht gleichwohl nicht bilden, zumal der Beklagte in seiner Anhörung ersichtlich unwahre Angaben zu seinem Alkoholkonsum an jenem Abend machte. Es ist gemeinhin bekannt, dass eine Person mit Körpergröße von 1,94 m und einem Gewicht von über 100 kg nach dem Genuss von zwei kleinen Bier und einem Aperitif schon keine derartig hohe Atemalkoholkonzentration erreicht, wie im vorliegenden Fall gemessen, zumal noch, wenn besagte Alkoholmengen über einen Zeitraum von mindestens zwei Stunden konsumiert worden sein sollen und der Beklagte dazu auch noch ein großes Steak gegessen haben will. Die Trinkmengenangaben des Beklagten, die dieser im Übrigen auch schon bei der Blutprobenentnahme angab (vgl. Bl. 31 der Ermittlungsakte), sind offenbar geschönt und geben den tatsächlich vor dem Unfall stattgefundenen Alkoholkonsum nicht korrekt wieder.

34
In subjektiver Hinsicht ist bei dieser Sachlage ebenfalls von grober Fahrlässigkeit auszugehen. Der Beklagte hat hier schon nach eigenem Bekunden direkt nach dem Restaurantbesuch, bei dem auch Alkohol konsumiert wurde, dass Fahrzeug der Klägerin gefahren. Unmittelbar danach kam es zum Unfall und zu der besagten Atemalkoholkonzentrationsmessung. Dass nach einem Restaurantbesuch mit ausweislich der Alkoholmessung nicht unerheblichen Alkoholkonsum die eigene Fähigkeit, ein Fahrzeug zu führen, eingeschränkt ist, ist eine für jedermann naheliegende Tatsache. Diese hat der Beklagte hier offenkundig mißachtet. Dass er sich selber möglicherweise noch für fahrfähig hielt, steht dieser Annahme nicht entgegen, da dies ebenfalls häufig alkoholbedingt der Fall ist.

2.

35
Maßstab für die Haftungsquote des Beklagten ist die Schwere seines Verschuldens, dass heißt die Kriterien der objektiven Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit des Eintritts des Versicherungsfalles sowie die subjektive Vorwerfbarkeit. Eine vollständige Kürzung, wie sie gemeinhin bei absoluter Fahruntüchtigkeit angenommen wird, kommt vorliegend nicht in Betracht. Bei relativer Fahruntüchtigkeit wird hingegen in der Rechtsprechung gemeinhin eine Kürzung zwischen 50% und 75% angenommen.

36
Das Gericht erachtet vorliegend eine Haftung des Beklagten in Höhe von 75% für sachgerecht. Dafür spricht zum Einen das Maß der subjektiven Vorwerfbarkeit des Sorgfaltsverstoßes, wenn der Beklagte hier direkt nach dem Alkoholkonsum bei dem Restaurantbesuch bzw. nach nur kurzem Fußweg – von dem besagten Restaurant „E. T.“ bis zu der Straße, wo der Beklagte nach seinen Angaben in das Auto eingestiegen sein will, sind es etwa zehn bis fünfzehn Minuten Fußweg – und aus bloßer Bequemlichkeit – nach den insoweit glaubhaften Angaben des Zeugen S. war es der Personengruppe auf dem Weg zur Wohnung des Zeugen S. zu kalt, um weiter zu Fuß zu gehen – trotz Alkoholkonsums das Fahrzeug der Klägerin benutzte und damit eine erhebliche Gefahrenquelle für sich, seine Mitfahrer und etwaige Unbeteiligte eröffnete. Weiter spricht für die vorbenannte Haftungsquote die Art und Weise des Fahrfehlers. Die Fahrweise des Beklagten hat zu einem erheblichen Sachschaden am Fahrzeug der Klägerin geführt und hätte ausweislich der starken Beschädigungen am Fahrzeug und der verschiedenen anwesenden Zeugen auch ohne weiteres zu erheblichen Personenschäden für Unbeteiligte oder die Fahrzeuginsassen führen können. Zudem hat der Beklagte ausweislich des oben dargelegten Fahrtverlaufs und der Angaben der Zeugen die Kurve erheblich zu spät erkannt, wofür unter anderem auch indiziell spricht, dass die Zeugen P. und S. übereinstimmend von einem Quietschgeräusch berichteten, was einer starken Bremsung durch den Beklagten geschuldet war. Schließlich war der Beklagte zum Unfallzeitpunkt erheblich alkoholisiert. Dabei kann es für den Verschuldensgrad hier letztlich dahinstehen, ob der Beklagte zum Unfallzeitpunkt – entsprechend dem Gutachten des rechtsmedizinischen Instituts – eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,8 Promille hatte, oder ob er „nur“ – wie bei der Atemalkoholkontrolle gemessen – 0,65 Promille hatte, sich dafür aber noch in der Resorptionsphase befand, d.h. sich der Alkohol aber jedenfalls schon im Körper des Beklagten befand, er ihn nur kurze Zeit zuvor konsumiert hatte und dann dennoch das Fahrzeug der Klägerin benutzte.

II.

37
Der Höhe nach kann die Klägerin 75% von den folgenden Schadenspositionen geltend machen:

38
Der maßgebliche Wiederbeschaffungsaufwand beträgt € 27.991,60, nämlich € 32.689,08 als unstreitigem Wiederbeschaffungswert abzüglich € 4.697,48 (netto) Restwert. Maßgeblich ist insoweit nämlich das höchste der Klägerin vorgelegene Angebot in Höhe von € 5.590,00 (brutto) des Aufkäufers aus B.. Die Klägerin hat hier Angebote auf dem überregionalen Markt eingeholt und muss sich dann auch an diesen festhalten lassen – soweit, wie vorliegend offenkundig der Fall, keine Angebote auf dem tatsächlichen regionalen Markt, d.h. von ortsansässigen oder im H. Umland tätigen Händlern, vorliegen. Dass die Klägerin hier willkürlich eine Entfernung von „bis zum 200 km“ als „regionalen Markt“ festlegt, damit dann das (geringste) Angebot aus C. herausfiltert und die übrigen Angebote nicht beachtet, kann ihr dabei nicht helfen, denn eine Entfernung von „bis zu 200 km“ oder auch nur 119 km, von H. nach C., ist offenkundig kein regionaler Markt mehr. Vor diesem Hintergrund ist dann nicht ersichtlich, warum es der Klägerin nicht auch zumutbar sein soll, ein – ungleich höheres – Angebot aus B. anzunehmen.

39
Die Sachverständigenkosten in Höhe von € 59,96 (netto) sind grundsätzlich vollumfänglich ersatzfähig.

40
Pauschale Ab- und Anmeldekosten sind im hiesigen OLG-Bezirk nur in Höhe von € 60,00 erstattungsfähig, allgemein pauschalierte Unfallkosten in Höhe von € 20,00.

41
Es ergibt sich ein Anspruch auf die nachfolgenden Ersatzpositionen:

42
Wiederbeschaffungsaufwand

27.991,60 €

An- und Abmeldekosten

60,00 €

Kostenpauschale

20,00 €

Sachverständigenkosten

56,96 €

SUMME

28.128,56 €

davon 75%

21.096,42 €

III.

43
Der Anspruch auf Verzugszinsen ergibt sich aus den §§ 286 Abs. 1, 288 ZPO, der Beklagte zahlte auch nach mehrmaliger Mahnung und Ablauf der Zahlfrist vom 11.3.2015 nicht an die Klägerin.

IV.

44
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1 S. 1, 2. Alt.; 708 Nr. 1, 709; 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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