Zur Haftungsverteilung bei Flugunfall zwischen Hängegleiter (Drachen) und Gleitschirm in Italien

LG Bonn, Urteil vom 17. Oktober 2019 – 18 O 338/16

Zur Haftungsverteilung bei Flugunfall zwischen Hängegleiter (Drachen) und Gleitschirm in Italien

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand
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Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Flugunfalls.

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Am 06.04.2014 flog der Kläger mit seinem Hängegleiter (Drachen) auf dem Fluggelände in D/Italien in der Nähe des Startplatzes X. Es herrschten gute Wetterbedingungen und ein reger Flugbetrieb. Neben dem Kläger waren noch etwa zehn weitere Personen mit ihren Gleitschirmen in der Luft. So flog auch der Beklagte mit seinem Gleitschirm im Umfeld des Klägers. Um 11:07:50 Uhr kollidierten die Parteien während des Fluges ca. 80 Meter über dem Grund. Dabei wurde der Hängegleiter des Klägers auf den Rücken gedreht. Der Kläger fiel von oben in das Segel des Hängegleiters und stürzte ab. Dabei zog sich der Kläger Verletzungen in Form von Prellungen und eine Stauchung des linken Handgelenks zu. Der Beklagte konnte seinen Rettungsschirm öffnen und blieb unverletzt. Die jeweiligen Flugwege der Parteien wurden durch Fluginstrumente, die die Parteien jeweils bei sich führten, aufgezeichnet.

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Der Kläger ist der Ansicht,

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dass der Beklagte den Unfall allein verschuldet habe, weil er sein, des Klägers, Vorflugrecht schuldhaft verletzt habe. Nach italienischem Recht habe dasjenige nicht-motorisierte Fluggerät Vorrang vor anderen nicht-motorisierten Fluggeräten, das aufgrund thermischer Bedingungen spiralförmig noch oben kreise. Hierzu trägt er vor, dass er, anders als der Beklagte, bereits vor der Kollision in engen Kurven und mit Höhengewinn in der Thermik gekreist sei. Der Beklagte hingegen sei nicht in der Thermik gekreist, sondern sei die letzten zehn Sekunden vor dem Zusammenstoß in einem konstanten Geradeausflug geflogen. Sein, des Klägers, Flugweg sei für den Beklagten vorhersehbar gewesen. Dieser hätte die Kollision durch ein Ausweichen nach links vermeiden können und die für ihn absehbare Flugbahn des Klägers meiden müssen. Dies sei ihm, dem Kläger, nicht möglich gewesen, da sein Sichtfeld aufgrund des engen Kreisens durch den gesenkten Innenflügel eingeschränkt gewesen sei und er den Beklagten daher nicht habe rechtzeitig sehen und diesem ausweichen können.

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Der Kläger meint, dass angesichts seiner Verletzungen ein Schmerzensgeld von 1.500,00 EUR angemessen sei. Durch den Unfall sei ihm auch ein materieller Schaden in Höhe von insgesamt 4.925,27 EUR entstanden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Seiten 6ff. der Klageschrift vom 11.10.2016, Bl. 6ff. d.A..

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Der Kläger beantragt,

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1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 4.925,27 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab 08.10.2016 zu zahlen;

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2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab 08.10.2016 zu zahlen;

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3. die Beklagten zu verurteilen, ihm die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab 08.10.2016 zu erstatten.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte meint,

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dass der Kläger den Unfall allein dadurch verursacht habe, dass er gegen die in Italien geltende Flugregel verstoßen habe, Flüge in der Nähe anderer Luftfahrzeuge mit einem ausreichendem Abstand durchzuführen, um die Gefahr eines Zusammenstoßes zu vermeiden. Außerdem habe der Kläger das Sichtfluggebot missachtet. Er, der Beklagte, habe den Unfall auch nicht durch ein Ausweichen nach links vermeiden können, da er weder eine Veranlassung zum Ausweichen noch aufgrund des sich in der Nähe befindlichen Hangs die Möglichkeit gehabt habe.

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Die Verletzungen des Klägers bestreitet der Beklagte mit Nichtwissen.

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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen und Einholung von Sachverständigengutachten aufgrund der Beweisbeschlüsse vom 12.05.2017, vom 02.01.2018 und vom 23.01.2018. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Sitzungsprotokolle vom 05.12.2017 und vom 12.09.2019 sowie auf die Gutachten der Sachverständigen S und Dr. I.

Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB auf Ersatz der geltend gemachten Schäden bzw. von Schmerzensgeld zu. Die Verletzungen des Klägers und die Beschädigung seines Hängegleiters wurden nicht durch ein schuldhaftes pflichtwidriges Verhalten des Beklagten verursacht.

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Auf den vorliegenden Fall ist die Haftungsnorm des § 823 BGB gemäß Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO anwendbar, da beide Unfallbeteiligte aus Deutschland kommen. Der Kläger und sein Hängegleiter wurden zwar durch die Kollision mit dem Beklagten verletzt bzw. beschädigt. Eine Haftung des Beklagten nach § 823 BGB setzt jedoch voraus, dass die Verletzung des geschützten Rechtsguts aufgrund eines pflichtwidrigen Verhaltens des Beklagten verschuldet wurde. Dies ist bei Flugsportunfällen dann der Fall, wenn schuldhaft gegen das für die Nutzung des Luftraums bestimmte Regelwerk verstoßen wird. Einen solchen Verstoß des Beklagten hat der hierfür darlegungs- und beweisbelastete Kläger jedoch nicht nachgewiesen. Nach Artikel 17 Rom II-VO sind vorliegend die am Unfallort geltenden Rechtsnormen für das Fliegen mit nicht-motorisierten Fluggeräten anwendbar. Die Pflichten der Führer von nicht-motorisierten Flugteilnehmern ergaben sich zum Zeitpunkt des Unfalls etwa aus Artikel 10 Abs. 3 des italienischen Präsidialdekrets Nr. 133/2010 vom 09.07.2010. Dieser regelt unter anderem, dass den nicht motorisierten Fluggeräten, die in einem thermischen Aufwind in einer kreisförmig nach oben steigenden Drehung fliegen, durch die anderen nicht motorisierten Fluggeräte ausgewichen werden muss. Der Drehsinn des Fluges – rechts oder links – innerhalb des thermischen Aufwindes wird vom ersten nicht motorisierten Fluggerät bestimmt, das diesen thermischen Aufwind nutzt. Die nicht motorisierten Fluggeräte, die sich danach in denselben thermischen Aufwind begeben, müssen unabhängig von der Höhe ihren Drehsinn jenem des nicht motorisierten Fluggeräts anpassen, das sich bereits dort befindet. Zudem gilt gemäß Artikel 9 Abs. 1 des Präsidialdekrets Nr. 133/2010 zusätzlich die allgemeine Sichtflugregelung, die bestimmt, dass das Fliegen mit Fluggeräten für den Freizeit- oder Sportflug entsprech end den Tagflugregeln, den Luftfahrtregeln und den anderen anwendbaren Regelungen, die auf die genutzten Lufträume Anwendung finden, durchgeführt wird, die von der ENAC (Nationale Anstalt für die Zivilluftfahrt) erlassen sind, und in jedem Fall außerhalb von Wolken und bei Wetterbedingungen und einer solchen Sicht, die einen fortgesetzten Blickkontakt mit dem Boden, Wasserflächen, Hindernissen und der möglichen Anwesenheit von jeder anderen Form des Luftverkehrs erlauben. Ergänzend hierzu galten die allgemeinen Ausweichregeln des Regolamento Regole dell`Aria Italia des ENAC vom 3.10.2016 Nr. 48/2006 in der am 23.04.2012 geänderten Fassung. Soweit vorliegend von Bedeutung ist dort in 3.2.1. geregelt, dass kein Luftfahrzeug in einer solchen Nähe zu anderen Luftfahrzeugen geführt werden darf, dass die Gefahr einer Kollision besteht. Dass diese Vorschriften die Pflichten der Luftfahrzeugführer zum Zeitpunkt des Unfalls am Unfallort regelten, steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. I, denen sich das Gericht anschließt.

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Das Gericht konnte sich aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme keine Überzeugung davon bilden, dass der Beklagte gegen diese Flugvorschriften verstoßen hätte. Es steht vielmehr zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger durch ein Nichtbeachten der Vorschriften die Kollision verschuldet hat und der Beklagte sie auch nicht durch ein Reagieren auf das Verhalten des Klägers sicher hätte vermeiden können. Nach den glaubhaften Ausführungen der Zeugen T, die das aus ihrer Sicht aggressive Flugverhalten des Klägers vor der Kollision bereits eine Weile von dem Startplatz der Hängegleiter aus beobachtet hatten, ist der Kläger mit seinem Gleitschirm von hinten in den Hängegleiter des Beklagten hineingeflogen. Dies lässt sich auch ohne weiteres in Einklang bringen mit den von dem Sachverständigen S festgestellten Flugwegen der Parteien.

20
0Dem Kläger stand vor der Kollision kein Vorflugrecht im Verhältnis zu dem Beklagten zu, das der Beklagte durch sein Flugverhalten missachtet hätte. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen S, der nach Auswertung der aufgezeichneten Daten der von den Parteien jeweils mitgeführten Aufzeichnungsgeräte die Flugbahnen und – höhen der Parteien festgestellt und für das Gericht nachvollziehbar anhand von Grafiken dargestellt hat. Aus den Daten leitet der Sachverständige nachvollziehbar ab, dass beide Parteien zunächst einen Höhenverlust erlitten hatten und dann kurz vor der Kollision wieder einen Steigbereich gefunden hatten, also einen Bereich, in dem es ihnen aufgrund der Thermik möglich war, wieder stärker an Höhe zu gewinnen. Diesen Steigbereich erreichte der Beklagte bereits früher als der Kläger. Das ab dem Zeitpunkt 11:06:25 UTC bei dem Beklagten zu beobachtende Steigen wurde zwar kurz unterbrochen als der Beklagte über die Thermik hinaus flog, dann aber wieder zurück ins Steigen steuerte. Der Beklagte befand sich mindestens 10 Sekunden vor der Kollision wieder vollständig innerhalb der Thermik im Steigen. Hinsichtlich des Klägers stellte der Sachverständige anhand der ausgewerteten Daten fest, dass dieser sich erstmalig wieder ab etwa 11:06:45 UTC positiv im Steigen befand. Vor diesem Hintergrund erreichte der Kläger erst ca. 20 Sekunden nach dem Beklagten den Steigbereich und nicht vor dem Beklagten, wie der Kläger meint. Beide Parteien kreisten sodann in dem gemeinsamen Thermikbereich mit Höhengewinn. Hinsichtlich der jeweiligen Flugbahnen wird Bezug genommen auf die Abbildungen 10 bis 17 und Seite 31f. des Sachverständigengutachtens vom 04.10.2018.

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Vor diesem Hintergrund hatte der Kläger gerade kein Vorflugrecht vor dem Beklagten, sondern beide Parteien waren gleichermaßen verpflichtet, kooperativ zu fliegen und die jeweiligen Flugbewegungen aufeinander abzustimmen. Dass der Beklagte gegen dieses Gebot verstoßen hätte, konnte das Gericht nicht feststellen. Der Beklagte flog im Thermikbereich zunächst größere Kreise. Dann entschloss er sich aufgrund des Umstandes, dass ihm die Flugmanöver des Klägers in seiner Nähe gefährlich erschienen, den Thermikbereich zu verlassen und geradeaus aus der Thermik hinauszufliegen. Es wird Bezug genommen auf die Abbildungen 15 bis 17 des Gutachtens vom 04.10.2018. Dass der Beklagte das Kreisen in der Thermik schließlich beenden und diese durch einen Geradeausflug verlassen wollte, führt vorliegend auch nicht dazu, dass ihm ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen werden könnte. Der Flug geradeaus stellte sich aus Sicht des Klägers nicht als eine unvorhersehbare Gefahrerhöhung dar, mit der er nicht rechnen musste. Der Kläger musste bereits zu dem Zeitpunkt 11:07:48 bzw. 11:07:49 (vgl. Abbildung 5 des Gutachtens vom 09.01.2019) damit rechnen, dass der Beklagte ggf. sein Kreisen in der zuvor durchgeführten Weise fortsetzen würde und damit bei einem Fliegen von weiteren engen Kreisen durch den Kläger eine Gefahrensituation bestehen würde. Dass der Beklagte dann sein Kreisen nach rechts nicht mehr fortsetzte, sondern geradeaus flog, stellte sich aus Sicht eines vernünftigen und sorgfältigen Flugteilnehmers in der Position des Klägers nicht als gefahrerhöhender dar als die Fortsetzung der Kreisbewegung des Beklagten, mit der jedenfalls zu rechnen war.

22
Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen S ist im vorliegenden Fall hingegen davon auszugehen, dass der Unfall durch ein pflichtwidriges und rücksichtsloses Flugverhalten des Klägers verschuldet wurde. Dieser hat es unterlassen, einen Kurs einzuschlagen, der ihm ein gefahrenloses Kreisen mit dem Beklagten um ein gemeinsames Drehzentrum ermöglicht hätte. Er hat vielmehr – möglicherweise aufgrund der im Prozess geäußerten irrigen Annahme, er habe ein Vorflugrecht – seine Kreise trotz der Erkenntnis, dass sich ein anderer Flugteilnehmer in seiner Nähe in der gleichen Thermik befindet, immer enger gezogen. Dadurch hat er sich zum einen die Möglichkeit genommen, das Flugverhalten des Beklagten entsprechend des geltenden Sichtfluggebots in einem ausreichenden Ausmaß beobachten zu können und sein eigenes Verhalten hierauf abstimmen zu können. Zum anderen wurde sein Flugverhalten für den Beklagten so unvorhersehbar, dass es dem Beklagten seinerseits nicht möglich war, der Gefahr sicher auszuweichen.

23
Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen stieg mit den sehr eng gezogenen Kurven durch den Kläger die Schräglage des Hängegleiters. Dabei senkte sich der Innenflügel des Hängegleiters stark ab mit der Konsequenz, dass dem Kläger die Sicht auf das Drehzentrum physisch versperrt war. Der Sachverständige hat diese eingeschränkte Sichtmöglichkeit des Klägers in Abbildung 18 des Gutachtens vom 04.10.2018 nachvollziehbar dargestellt und erläutert, dass der Kläger seine letzte Kurve fast vollständig ohne Sicht auf den Beklagten geflogen ist, obwohl ihm aufgrund der vorherigen Flugbewegungen der Parteien die Anwesenheit des Beklagten in der Nähe bekannt war. Er musste auch damit rechnen, dass der Beklagte sich bei einem erneuten Schließen des Kreises durch den Kläger jedenfalls wieder in unmittelbarer Nähe befinden würde, da dieser innerhalb der kurzen Dauer der Kurve des Klägers mit seinem langsameren Fluggerät keine große Distanz zum Kläger hätte aufbauen können und er sich auch nicht in Luft auflösen würde. Hierauf hätte der Kläger Rücksicht nehmen und eine flachere Kurve fliegen müssen, bei der er die weiteren Flugbewegungen des Beklagten besser hätte beobachten können.

24
Für den Beklagten war das Flugverhalten des Klägers auch nicht so rechtzeitig absehbar, dass er die Kollision durch ein Ausweichverhalten sicher hätte vermeiden können. Nachdem sich der Kläger, der nach den Ausführungen des Sachverständigen mit seinem Hängegleiter ca. eine Grundgeschwindigkeit von 48 km/h hatte und damit schneller flog als der Beklagte mit einer Grundgeschwindigkeit von ca. 30 km/h, zum Zeitpunkt 11:07:43 (vgl. Seite 32 des Gutachtens des SV vom 04.10.2018) vor den Beklagten gesetzt hatte, war aus Sicht des Beklagten völlig unklar, wie der Kläger sich weiter verhalten würde. Naheliegend wäre es aus Sicht einer Person mit Flugwissen und -erfahrung gewesen, dass der Kläger jedenfalls einen so großen Thermikkreis ziehen würde, dass der Beklagte durch ein Geradeausfliegen vor einem erneuten Schließen des Kreises durch den Kläger bereits unproblematisch aus dem Thermikbereich und von dem Kläger weggekommen wäre. Es war für den Beklagten zu diesem Zeitpunkt auch nicht absehbar, dass der Kläger seinen Kreis noch enger als zuvor ziehen würde und dann de facto versuchen würde, ein zweites Mal vor den langsamer fliegenden Beklagten zu gelangen.

25
Ein solches Flugverhalten macht aus Sicht der flugbeteiligten Kreise nach den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen keinen Sinn. Bei den vorgefundenen Thermikverhältnissen konnte der Kläger durch das enge Fliegen der Kurven nur einen mäßigen Höhengewinn erzielen. Er hätte die Thermik hingegen optimaler ausnutzen und ein stärkeres Steigen erzielen können, wenn er den Drachen nicht so schräg gestellt hätte und eine größere Kurve geflogen wäre. Aus diesem Grund lag das tatsächlich von dem Kläger durchgeführte Flugverhalten für den Beklagten nicht nahe. Aus der unmittelbaren Flugsituation im dreidimensionalen Raum heraus konnte der Beklagte, der sich selbst in Bewegung befand, auch nicht erkennen, welche konkrete Flugroute der Kläger bislang genommen hatte und hieraus Schlüsse ziehen, wie der Kläger sich im weiteren Verlauf in Relation auf die Position des Beklagten bewegen würde. Der Sachverständige hat insoweit nachvollziehbar erläutert, dass ein Flieger die Bewegungen der anderen Flieger nicht als Kreise wahrnehmen kann, wie dies nunmehr nachträglich aufgrund der von dem Sachverständigen hergestellten Skizzen der Fall ist.

26
Der Beklagte hätte zwar durch ein Ausweichen nach links die Kollision vermeiden können. Dies lässt sich jedoch erst aufgrund des nachträglich bekannt gewordenen Geschehensablaufs schließen. Vor der Kollision war es für den Beklagten nicht voraussehbar, wie der Kläger sich verhalten würde. Aus seiner – hier maßgeblichen – ex ante Sicht war es ohne weiteres möglich, dass der Hängegleiterpilot nunmehr eine den thermischen Verhältnissen angemessenere weitere Kurve fliegen würde und der Beklagte ihm dann nach den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen bei einem Steuern nach links direkt in den Flugweg geflogen wäre. Der Kläger hätte auch in diesem Szenario erst ganz zum Schluss Sicht auf den Beklagten erlangen und die Kollision nicht vermeiden können. In diesem Fall hätte sich jedoch der Beklagte seinerseits dem Vorwurf ausgesetzt, dass sein Verhalten für andere Flugteilnehmer nicht berechenbar war, da er entgegen des bereits etablierten und damit vorgesehenen Rechtsdrehsinns beim Thermikkreisen unerwartet nach links gedreht wäre.

27
Die von dem Sachverständigen weiter aufgeführte Reaktionsmöglichkeit des Beklagten, selbst eine massive Rechtskurve zu fliegen und sich damit in aggressiver Weise dem Kläger zu nähern, war dem Beklagten aus der gebotenen damaligen Sichtweise heraus ebenfalls nicht zuzumuten. Sich auf einen bloßen Verdacht hin, dass der Kläger erneut versuchen würde, sich mit unangemessen engen Kreisen vor ihn zu setzen, selbst aggressiv zu verhalten und massive, aus flugtechnischer Sicht unangemessenen Ausweichmanöver durchzuführen, konnte in dieser Situation von dem Beklagten nicht verlangt werden.

28
Der Beklagte hat mit dem Geradeausflug vielmehr denjenigen Weg eingeschlagen, der für alle anderen Flugverkehrsteilnehmer nach den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen der berechenbarste war. Als für ihn dann schließlich zu einem späteren Zeitpunkt die Absicht des Klägers, sich durch einen noch enger gezogenen Kreis erneut vor ihn zu setzen, erkennbar wurde, war es dem Beklagten mit seinem langsameren Fluggerät nicht mehr möglich, die Kollision zu vermeiden.

29
Da bereits die geltend gemachte Hauptforderung nicht besteht, besteht auch kein Anspruch auf die Nebenforderungen.

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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708, 711 ZPO.

31
Der Streitwert wird auf 6.425,27 EUR festgesetzt, wobei 1.500,00 EUR auf den Antrag zu 2. entfallen.

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