Zur Haftungsverteilung bei einer Kollision mit einem wendenden Fahrzeug

OLG München, Urteil vom 09. September 2020 – 10 U 1690/20

Zur Haftungsverteilung bei einer Kollision mit einem wendenden Fahrzeug

Tenor

I. Auf die Berufungen beider Parteien vom 20.03.2020 und vom 01.04.2020 wird das Endurteil des LG München I vom 27.02.2020 (Az. 20 O 8252/17) in Nr. 1, 2, 4 und 5 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger 4.420,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 4.389,01 € seit 13.05.2017 und aus 31,82 € seit 12.09.2017.

2. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 800,- € zu bezahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben.

Im Übrigen werden die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 60 % und die Beklagten samtverbindlich 40 %.

III. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
A.

1
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).

B.

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Die statthaften sowie form- und fristgerecht eingelegten und begründeten, somit zulässige Berufungen haben in der Sache jeweils nur teilweise Erfolg.

3
I. Das Erstgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz bejaht und dabei dem Kläger aufgrund eines Verstoßes gegen die Regelung des § 1 Abs. 2 StVO einen Mithaftungsanteil angerechnet. In Abweichung des Urteils des Erstgerichts erachtet der Senat jedoch einen Mithaftungsanteil des Klägers von 40 % und damit eine Haftungsquote von 40 % zu 60 % für sachgerecht und zutreffend.

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1. Dem Senat ist es nicht verwehrt, auf der Grundlage der erstinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen ergänzende, das angefochtene Urteil weiter rechtfertigende oder berichtigende Erwägungen anzustellen (OLG Stuttgart VRS 122 [2012] 340; OLG Düsseldorf v. 10.4.2012 – 2 U 3/10 [juris]; OLG Köln v. 20.4.2012 – 5 U 139/11 [juris]; KG RdE 2013, 95; OLG Koblenz VersR 2013, 708; OLG Hamm VersR 2013, 604).

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Dies zugrunde gelegt, nimmt der Senat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die angefochtene Entscheidung des LG München I Bezug, in der zu allen relevanten Punkten jedenfalls im Ergebnis zutreffend Stellung genommen worden ist.

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2. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen beider Parteien ist zu bemerken:

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a) Dem Erstgericht ist kein Fehler bei der Tatsachenfeststellung unterlaufen.

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Der Senat ist nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, weil keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden.

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Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche, vgl. zuletzt BGH VersR 2005, 945; Senat in st. Rspr., etwa Urt. v. 9.10.2009 – 10 U 2965/09 [juris] und zuletzt etwa Urt. v. 21.6.2013 – 10 U 1206/13). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (BGHZ 159, 254 [258]; NJW 2006, 152 [153]; Senat, a. a. O.); bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH, a. a. O.; Senat, a. a. O.).

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Ein solcher konkreter Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung ist von den beiden Berufungen nicht aufgezeigt worden. Die eigentliche Beweiswürdigung des Ersturteils ist nicht zu beanstanden.

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b) Allerdings ist vorliegend ein im Vergleich zu dem Urteil des Erstgerichts höherer Mithaftungsanteil des Klägers, für den die streitgegenständliche Kollision bei einer der konkreten Verkehrssituation angepassten Fahrweise vermeidbar gewesen wäre, von 40 % aus den folgenden Erwägungen sachgerecht und zutreffend.

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(1) Zutreffend und rechtsfehlerfrei nahm das Erstgericht an, dass die Beklagte zu 1) die Regelung des § 9 Abs. 5 StVO verletzt hat, weil sie gewendet und sich dabei nicht so verhalten hat, dass die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war.

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Zwar durfte die Beklagte zu 1) an der streitgegenständlichen Stelle wenden, allerdings entbindet dies die Beklagte zu 1) nicht davon, beim Wenden die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer außer Acht zu lassen. Weiter wäre das Wenden entsprechend den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen grundsätzlich auch in einem Zug möglich gewesen, wenn die Beklagte zu 1) den Wenderadius zutreffend eingeschätzt und sich dementsprechend mit ihrem Fahrzeug vor dem Wenden auf der entsprechenden linken Spur ganz rechts eingeordnet hätte. Dies wurde vorliegend jedoch von der Beklagten zu 1) dieser vorwerfbar nicht beachtet.

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(2) Ebenso zutreffend und rechtsfehlerfrei nahm das Erstgericht einen Mithaftungsanteil des Klägers an, da dieser die Regelung des § 1 Abs. 2 StVO verletzt hat.

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Zwar rügt der Kläger mit der Berufung zurecht, dass es auf seine vom Erstgericht festgestellte riskante Fahrweise vor der Ampel nicht ankommen kann und dass seitens des Erstgerichts nicht dargelegt wurde, aufgrund welcher konkreter Gesichtspunkte es von einer riskanten Fahrweise nach dem Passieren der grünen Ampel während der Anfahrtsphase bis hin zur Kollision ausgeht und seiner Entscheidung zugrunde legt.

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Allerdings ist die von dem Sachverständigen Dipl.-Ing. L. in dem schriftlichen Gutachten vom 24.09.2018 zugrunde gelegte Reaktionsaufforderung der letzte vertretbare Moment, zu dem spätestens eine an den Kläger gerichtete Reaktionsaufforderung angenommen werden kann. Der Sachverständige legt als Reaktionsaufforderung den Zeitpunkt zugrunde, ab dem das Abbremsen des Fahrzeuges der Beklagtenseite in Annäherung an die Leitplanke für den Kläger erkennbar gewesen ist und führt hiervon ausgehend nachvollziehbar und überzeugend aus, dass von diesem Zeitpunkt an bis zum Eintritt einer Kollision eine Zeitspanne von mindestens 3 – 4 Sekunden gelegen ist, innerhalb der der Kläger problemlos seine Geschwindigkeit hätte drosseln und den streitgegenständlichen Unfall auf diese Weise in jedem Fall hätte verhindern können.

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Der Senat geht jedoch aufgrund der im Streitfall gegebenen Umstände bereits von einem früheren Zeitpunkt der an den Kläger gerichteten Reaktionsaufforderung auf. Beachtlich ist vorliegend, dass das Wenden an der konkreten Stelle aufgrund des engen Wendekreises sowie dem Vorhandensein der Leitplanke, an die sich die Beklagte zu 1) mit ihrem Fahrzeug angenähert hatte, in jedem Fall derart schwierig ist, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer gemäß der Grundregel des § 1 StVO stets damit rechnen muss, dass der an dieser Stelle Wendende dies ggf. nicht in einem Zug schaffen könnte. Da die streitgegenständliche Wendestelle für den Kläger aufgrund des konkreten unverbauten Straßenverlaufs auch weithin sichtbar war, hätte der Kläger bereits ab dem Zeitpunkt, an dem die Beklagte zu 1) für ihn sichtbar das Wendemanöver begonnen hatte, seine Geschwindigkeit deutlich unter die von dem Sachverständigen nachvollziehbar und überzeugend festgestellte Ausgangsgeschwindigkeit des Klägers von 39 – 48 km/h reduzieren und eine defensive und abwartende Fahrweise an den Tag legen müssen. Angesichts der vom Sachverständigen festgestellten Ausgangsgeschwindigkeit des Klägers von mindestens 39 km/h und angesichts der vom Sachverständigen festgestellten Kollisionsgeschwindigkeit des klägerischen Motorrads von mindestens 35 km/h ist somit ein erheblicher Verstoß des Klägers gegen die Regelung des § 1 Abs. 2 StVO gegeben, wonach ein jeder Verkehrsteilnehmer sich so zu verhalten hat, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

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Angesichts Vorstehendem kommt es auf die weiteren letztlich hypothetischen Erwägungen des Klägers zur Unvermeidbarkeit des Unfalls für ihn nicht an, da diese allesamt von einem deutlich zu spätem und einem damit nicht zutreffendem Moment der Reaktionsaufforderung ausgehen.

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(3) In der Gesamtschau und unter Abwägung der vorstehend dargestellten Umstände und insbesondere unter Berücksichtigung dessen, dass der Kläger ab dem Zeitpunkt der an ihn gerichteten Reaktionsaufforderung bis hin zur Kollision eine Zeitspanne von über 3 – 4 Sekunden zur Verfügung hatte, innerhalb der der Kläger problemlos seine Geschwindigkeit hätte drosseln und den streitgegenständlichen Unfall auf diese Weise in jedem Fall hätte verhindern können, ist der Verstoß des Klägers gegen die Vorschrift des § 1 Abs. 1 StVO höher als von dem Erstgericht angenommen zu gewichten. In Abweichung des Urteils des Erstgerichts und unter Beachtung sämtlicher Umstände erachtet der Senat einen Mithaftungsanteil des Klägers von 40 % und damit eine Haftungsquote von 40 % zu 60 % für sachgerecht und zutreffend.

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II. Die Ausführungen des Erstgerichts hinsichtlich der einzelnen Schadenspositionen sind überwiegend zutreffend und rechtsfehlerfrei.

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1. Die Kosten für die Ersatzbeschaffung des Gepäckträgers in Höhe von 90,- € wurden seitens des Erstgerichts zurecht und rechtsfehlerfrei nicht in Ansatz gebracht.

22
Aus dem vom Kläger als Anlage K 5 selbst vorgelegten Gutachten (dort insbesondere Lichtbilder 1 und 2) ist ersichtlich, wie und in welchem Zustand das streitgegenständliche Motorrad dem Sachverständigen zur Begutachtung vorgeführt wurde. Aus diesen Lichtbildern ist ersichtlich, dass das klägerseitige Motorrad dem Sachverständigen mit einem Gepäckträger vorgeführt wurde. Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass ein Sachverständiger bei der Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes das Motorrad so bewertet, wie es ausgestattet ist, hätte der Kläger in Auseinandersetzung mit den in dem Gutachten beigefügten Lichtbildern 1 und 2 darlegen müssen, dass und aus welchen konkreten Gründen der Gepäckträger bei der Bewertung des Wiederbeschaffungswertes außen vor geblieben ist, zumal es hierfür in dem Gutachten auch sonst keine Anhaltspunkte gibt.

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Weiter ist die Frage, ob es neben dem Wiederbeschaffungswert einen zusätzlichen Anspruch des Klägers auf die Kosten einer Ersatzbeschaffung des Gepäckträgers gibt, zwischen den Parteien nicht unstreitig, sondern seit der Klageerwiderung der Beklagten mit Schriftsatz vom 12.07.2017 streitig.

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2. Die Transportkosten 1 in Höhe von 120,- € für den Transport des verunfallten Motorrads von der Unfallstelle zur Adresse des Klägers wurden seitens des Erstgerichts zurecht und rechtsfehlerfrei in Ansatz gebracht.

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Da das klägerseitige Motorrad, wie sich aus dem Gutachten Anlage K 5 ergibt, nach dem streitgegenständlichen Unfall nicht mehr fahrtauglich gewesen ist, sind dem Kläger Kosten für den Abtransport des verunfallten Motorrades entstanden. Demzufolge ist die Vorlage der Rechnung vom 29.09.2016 (Anlage K 14) hierzu seitens des Klägers ausreichend.

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3. Die Transportkosten 2 in Höhe von 250,- € für den Transport des vom Kläger erworbenen Ersatzmotorrad von Bayreuth nach München wurden seitens des Erstgerichts zurecht und rechtsfehlerfrei nicht in Ansatz gebracht.

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Denn der Kläger hat bereits keinen Anspruch auf ein derart konkret vergleichbares Motorrad wie das verunfallte. Darüber hinaus wurde seitens des Klägers nicht dargelegt, welche konkreten erfolglosen Bemühungen er unternommen hatte, in München ein vergleichbares Motorrad wie das Verunfallte zu finden.

28
4. Allerdings brachte das Erstgericht den vom Kläger geltend gemachten Verdienstausfall in Höhe von 2.026,12 € rechtsfehlerhaft in Verkennung der der Beklagtenseite obliegenden Darlegungs- und Beweislast nicht in Ansatz.

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a) Wie bereits vorstehend unter I. 2. a) dargelegt wurde, ist der Senat nach § 529 I Nr. 1 ZPO an die Beweiswürdigung des Erstgerichts gebunden, weil keine konkreten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden. Somit ist der Senat auch an das Ergebnis der Beweisaufnahme und die Beweiswürdigung des Erstgerichts hinsichtlich der Angaben des Zeugen K. gebunden, da das Erstgericht diesen Zeugen rechtsfehlerfrei als glaubwürdig eingeschätzt hat. Folglich ist vorliegend der Entscheidung zugrunde zu legen, dass der streitgegenständliche Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger als Arbeitnehmer und dem Zeugen K. als Arbeitgeber (Anlage K 9) ernsthaft und wirksam vereinbart worden war.

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b) Unter Beachtung der grundsätzlichen haftungsrechtlichen Ausführungen des Bundesgerichtshofes in dem Urteil vom 14.11.2017, Az. VI ZR 92/17, liegt jedoch, was seitens des Erstgerichts übersehen wurde, die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der streitgegenständliche Aufhebungsvertrag zwischen dem Kläger und dem Zeugen K. nicht aufgrund der unfallbedingten Verletzungen und der unfallbedingten temporären Arbeitsunfähigkeit des Klägers vereinbart worden war, sondern dass dieser Aufhebungsvertrag seine Grundlage in einer eigenverantwortlichen und außerhalb des Unfalls liegenden Entscheidung des Klägers hat, bei der Beklagtenseite.

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Gemäß den Ausführungen des Bundesgerichtshofes in dem vorgenannten Urteil kann es hinsichtlich dem für die schadensrechtlichen Einstandspflicht erforderlichen haftungsrechtlichen Zusammenhang mit dem Gefahrenbereich, den der Schädiger durch die Schutzgutverletzung für den Geschädigten eröffnet hat, zwar dann ausnahmsweise fehlen, wenn der Geschädigte aufgrund eines eigenen Willensentschlusses selbst in den Geschehensablauf eingegriffen und dadurch die eigentliche Ursache für die von ihm geltend gemachte Schadensfolge gesetzt hat. Allerdings sind an die Annahme eines solchen Ausnahmefalles strenge Anforderungen zu stellen, da der Grundsatz der im Schadensrecht geltenden Totalrestitution es gebietet, eine dahingehende Bewertung nur in außergewöhnlich gelagerten Fällen vorzunehmen. Hierbei sind klare Zäsuren erforderlich, die auch nach außen erkennen lassen, dass der Verletzte durch seine Entscheidung für ein geändertes Berufsziel die berufliche Entwicklung eigenverantwortlich zu seinem persönlichen Lebensrisiko hat werden lassen. Weiter hat nach dem Grundprinzip der Beweislastverteilung und entgegen der Ansicht des Erstgerichts nicht der Kläger als Geschädigter, sondern die Beklagtenseite als Schädiger darzulegen und zu beweisen, dass die Voraussetzungen einer Zäsur vorliegen, die einen zunächst bestehenden Zurechnungszusammenhang für die Zukunft wieder entfallen lassen.

32
c) Vorliegend konnte die Beklagtenseite den für die Annahme einer haftungsrechtlichen Zäsur erforderlichen Beweis nicht führen, dass der streitgegenständliche Aufhebungsvertrag zwischen dem Kläger und dem Zeugen K. nicht aufgrund der unfallbedingten Verletzungen und der unfallbedingten temporären Arbeitsunfähigkeit des Klägers vereinbart worden war, sondern dass dieser Aufhebungsvertrag seine Grundlage in einer eigenverantwortlichen und außerhalb des Unfalls liegenden Entscheidung des Klägers hat. Vielmehr gab der Zeuge K. in der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2019 in klarer Verneinung einer haftungsrechtlichen Zäsur an, dass der Aufhebungsvertrag vereinbart worden war, weil der Kläger aufgrund des streitgegenständlichen Motorradunfalls nicht mehr hätte arbeiten können (vgl. S. 2 des entsprechenden Protokolls, Bl. 115 d.A.). Somit ist entgegen dem Erstgericht der vom Kläger geltend gemachten Verdienstausfall in Höhe von 2.026,12 € in Ansatz zu bringen.

33
5. Der materielle Schaden summiert sich folglich insgesamt auf einen Betrag in Höhe von 7.368,05 €, so dass der Kläger unter Berücksichtigung seines Mithaftungsanteils von 40 % einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 4.420,83 € gegenüber der Beklagtenseite geltend machen kann.

34
Dies berechnet sich im Einzelnen folgendermaßen:

35
nicht Gegenstand der Berufungen

36
Totalschaden

2.250,-

Gutachterkosten

710,19

Zulassungskosten

40,40

Kosten Schilder

15,-

Nutzungsausfall

322,-

Unkostenpauschale

30,-

Jacke

699,-

Attestkosten

53,04

Zuzahlung Verband

7,90

Sonstige Kleider

1.094,40

Gegenstand der Berufungen

Gepäckträger

0,-

Transportkosten 1

120,-

Transportkosten 2

0,-

Verdienstausfall

2.026,12

gesamt

7.368,05

hiervon 60 %

4.420,83

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6. Unter Beachtung der vom Senat zugrunde gelegten vom Erstgericht abweichenden Haftungsquote ist der Senat aufgrund eigenständiger Überprüfung (vgl. dazu BGH NJW 2006, 1589 ff.; Senat, Urt. v. 30.7.2010 – 10 U 2930/10 [juris]) der Ansicht, dass vorliegend ein Schmerzensgeldanspruch des Klägers in Höhe von 800,- € angemessen.

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Das Erstgericht setzte sich bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes rechtsfehlerfrei mit sämtlichen hierbei relevanten Umständen auseinander und berücksichtigte insbesondere, dass der Kläger nach dem streitgegenständlichen Unfall sechs Wochen krankgeschrieben war und mehrere Wochen einen Gilchristverband tragen und auf diese Weise die durch den Unfall verletzte Schulter ruhig stellen musste. Weiter berücksichtigte das Erstgericht rechtsfehlerfrei, dass die unfallbedingten Verletzungen schließlich folgenlos ausgeheilt sind. Auch wenn der Kläger im Rahmen seiner erstinstanzlich erfolgten mündlichen Anhörung keine Aggravierungstendenzen an den Tag gelegt hat, und ihm ärztlicherseits die Einnahme von Schmerzmitteln und eines entsprechenden Magenschutzes über einen längeren Zeitraum verordnet worden war, ist vorliegend angesichts der konkreten unfallbedingt erlittenen, jedoch folgenlos ausgeheilten Verletzungen und unter Berücksichtigung vergleichbarer Fälle sowie der vom Senat zugrunde gelegten vom Erstgericht abweichenden Haftungsquote ein Schmerzensgeldanspruch des Klägers in Höhe von 800,- € angemessen.

39
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I 1 Fall 2 ZPO.

40
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO.

41
V. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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