LG Münster, Urteil vom 08. Dezember 2011 – 8 O 315/10
Zur Haftung für Verletzung eines Kindes durch einen brennenden Spiritusstrahl
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an das klagende Land einen Betrag in Höhe von 49.399,27 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus 3.970,59 EUR seit dem 21.08.2009 sowie aus weiteren 45.428,68 EUR seit dem 21.03.2010 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, 100 % der beihilferechtlichen Aufwendungen des klagenden Landes für den am 22.07.2002 geborenen C. B zu ersetzen, die dem klagenden Land als Folge des Grillunfalls vom 26.04.2009 im Garten des Hauses „M xx, XX N entstehen werden, sofern diese Ansprüche auf das klagende Land übergegangen sind.
Es wird festgestellt, dass ein weiterer Anspruch des klagenden Landes gegen den Beklagten in Höhe des durch die S, T x, XX Y im Februar 2010 regulierten Betrages von 37.378,77 EUR bis zu diesem Zeitpunkt bestanden hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der der Nebenintervenientin entstandenen außergerichtlichen Kosten, die diese selbst zu tragen hat, trägt der Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Das klagende Land (im folgenden: Kläger) macht gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche als Folge eines Grillunfalls geltend, durch den vor allem der zum Zeitpunkt des Vorfalls sechsjährige Sohn D des gegenüber dem Kläger beihilfeberechtigten G. B2 schwer verletzt wurde.
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Die von Herrn G. B2 getrennt lebende Mutter, die Zeugin M. B1, hatte den Beklagten und seine Frau, die Zeugin I, für den 26.04.2009 zum nachbarschaftlichen Grillen auf der Terrasse ihres Reihenhauses in Münster eingeladen. Als der Beklagte mit seiner Frau zur verabredeten Zeit am Nachmittag des Tages bei der Zeugin B1 eintraf, hatte die Zeugin B1 schon einen auf der Terrasse befindlichen Feuertopf mit Kohlebriketts gefüllt und entzündet. Da die Zeugin B1 in der Küche noch einen Salat zubereiten wollte, bat sie den Beklagten – auch mit Blick auf ihre sich zu dieser Zeit im Garten aufhaltenden Kinder N und D – , sich in dieser Zeit um den Grill zu kümmern, was der Beklagte auch tat.
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Da die Glut des Grills nicht in Gang kam, wandte sich der Beklagte an die Zeugin B1, die ihm eine Flasche Brennspiritus aushändigte und im Übrigen weiterhin ihrer Beschäftigung in der Küche nachging.
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Zurück auf der Terrasse gab der Beklagte sodann einen Spritzer Brennspiritus auf die Kohlebriketts ab, wodurch das Feuer wieder entfacht wurde. Anschließend stellte er die Spiritus-Flasche zurück ins Haus auf den Wohnzimmertisch. Da die Glut wiederum erlosch, holte sich der Beklagte die Flasche Brennspiritus erneut und gab einen weiteren Spritzer auf den Grill ab, bevor er die Flasche zurück auf den Wohnzimmertisch stellte. Auch dieser Versuch, den Grill in Gang zu bringen, blieb ohne Erfolg, weshalb der Beklagte die Flasche Brennspiritus ein weiteres Mal vom Wohnzimmertisch holte. Als er erneut einen Spritzer auf den Grill abgab, befanden sich die Kinder N und D in einer Entfernung von ca. 1,5 bis 2 m vor dem Grill, die der Beklagte als grundsätzlich ausreichenden Sicherheitsabstand ansah.
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Als der Brennspiritus diesmal auf die Kohlebriketts traf, explodierte eine meterhohe Stichflamme aus dem Feuertopf, und eine weitere Flamme schnellte entlang des aus der Spiritusflasche kommenden Strahls auf den Beklagten zu. Der Beklagte drehte sich nach links in Richtung der an die Terrasse angrenzenden Rasenfläche, riss dabei die Spiritusflasche herum und drückte sie schließlich kräftig, um den brennenden Strahl von ihr zu trennen. Zeitgleich wich N von dem Feuertopf zurück und rief ihrem Bruder D „Lauf, D, lauf“, zu. Als D in Reaktion hierauf von dem Feuertopf weglief, wurde er von dem mit Druck aus der Flasche beförderten brennenden Spiritus getroffen, wodurch zunächst sein T-Shirt in Brand geriet und anschließend sein Körper entzündet wurde. Die zum Zeitpunkt des Vorfalls auf der benachbarten Terrasse sitzenden Zeugen K und M1, die insbesondere durch die Stichflamme, den Knall der Verpuffung und den schreienden D auf das Geschehen aufmerksam geworden waren, eilten zur Hilfe und versuchten – im Ergebnis erfolgreich – , D zu löschen.
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D erlitt Verbrennungen II.b bis III. Grades an beiden Armen zirkulär, beiden Händen, am ventralen Thorax, am Hals und am rechten Oberschenkel; 40 % seiner Körperoberfläche verbrannte. Auch die neunjährige N wurde – wenn auch bei weitem nicht so schwer wie D – durch brennende Spiritus-Spritzer am Arm verletzt.
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Unmittelbar nach dem Vorfall wurde D in eine Spezialklinik nach Bochum geflogen. Es schlossen sich eine mehrmonatige stationäre Behandlung sowie eine Vielzahl von Operationen und sonstigen Arztbesuchen an.
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Der Kläger übernahm aufgrund seiner beihilferechtlichen Verpflichtung die durch den Vorfall erforderlich gewordenen Kosten der stationären Aufenthalte, Arztbesuche und medikamentösen Behandlung von D und N in Höhe von insgesamt 87.188,04 EUR. Auf die zu den Akten gereichten Forderungsaufstellungen des Klägers vom 17.02.2010 (Bl. 25 d. GA) und 30.04.2010 (Bl. 27 d. GA) nebst Anlagen wird insofern Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 18.06.2009 forderte der Kläger die hinter dem Beklagten stehende Haftpflichtversicherung, die S, die die Abwicklung des Vorfalls übernommen hatte, zur Zahlung eines Teilbetrages i.H.v. 2.535,12 EUR unter Fristsetzung bis zum 20.08.2009, auf. Mit weiterem Schreiben vom 09.07.2009 verlangte der Kläger unter Fristsetzung ebenfalls bis zum 20.08.2009 die Zahlung weiterer 1.435,47 EUR. Schließlich forderte er mit Schreiben vom 17.02.2010 unter Fristsetzung bis zum 20.03.2010 die Zahlung von insgesamt 74.757,54 EUR, woraufhin die Haftpflichtversicherung des Beklagten – allerdings ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter dem Vorbehalt der Rückforderung – einen Betrag in Höhe von 37.378,77 EUR an den Kläger überwies.
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Der Kläger, der mit seinem Antrag zu 1.) die nach der Zahlung verbleibende Differenz zwischen 87.188,04 EUR und 37.378,77 EUR verlangt, vertritt die Auffassung, der Beklagte hafte für den entstandenen Schaden allein und beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 49.809,27 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.06.2009 zu zahlen.
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2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, 100 % der beihilferechtlichen Aufwendungen des Klägers für den am 22.07.2002 geborenen C. B zu ersetzen, die dem Kläger als Folge des Grillunfalls vom 26.04.2009 im Garten des Hauses „M xx, XX N entstehen werden, soweit sie nicht von dem Antrag zu 1.) erfasst werden und sofern diese Ansprüche auf das klagende Land übergegangen sind.
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3. festzustellen, dass ein weiterer Anspruch des klagenden Landes gegen den Beklagten in Höhe des durch die S, T x, XX Y im Februar 2010 regulierten Betrages von 37.378,77 EUR bis zu diesem Zeitpunkt bestanden hat.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er behauptet, er habe die Zeugin B1 zunächst nach einem Fön gefragt, um den Grill anzuheizen; mit der Verwendung von Spiritus sei er erst nicht einverstanden gewesen. Darüber hinaus habe sich die Zeugin B1 zum Zeitpunkt des Vorfalls bereits wieder auf der Terrasse befunden und insofern auch die Aufsicht über die Kinder N und D übernommen. Der Beklagte vertritt die Ansicht, seine Reaktion auf die Stichflamme sei reflexhaft gewesen, weshalb ihr schon keine Handlungsqualität zukomme. Im Übrigen sei D nur deshalb verletzt worden, weil er in den Strahl des Brennspiritus hineingelaufen sei. Schließlich habe sich D – und damit auch der Kläger – ein ihm zurechenbares Mitverschulden seiner Mutter entgegenhalten zu lassen, welches die durch den Beklagten zu tragende Haftungsquote – jedenfalls angesichts der nach Auffassung des Beklagten vorliegenden Grundsätze zur gestörten Gesamtschuld – reduziere.
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Das Gericht hat den Beklagten angehört sowie zum Hergang des Geschehens Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin M. B1 – die ihren zwischenzeitlich erklärten Beitritt als Nebenintervenientin des Klägers am 05.09.2011 zurückgenommen hat – sowie der Zeugen I, B. K, D. K1, H. M1 und S. M2.
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Hinsichtlich des Ergebnisses der Parteianhörung sowie der Zeugenvernehmungen wird verwiesen auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 08.12.2011.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist ganz überwiegend begründet.
I.
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Dem Kläger steht gem. § 82 LBG NRW, § 823 Abs. 1, 2 BGB, §§ 229, 230 StGB ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 49.399,27 EUR zu.
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1. Der Beklagte hat die Körperverletzung der Kinder D und N des beihilfeberechtigten G. B2 fahrlässig verursacht, indem er den Brennspiritus für das Anzünden des Grills verwendet und die Flasche mit dem brennenden Spiritusstrahl anschließend in Richtung des Rasens herumgeschwenkt hat.
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a) Zunächst kann sich der Beklagte weder hinsichtlich der Verwendung von Spiritus an sich noch hinsichtlich des Schwenks mit der Spiritusflasche darauf berufen, seinem Verhalten fehle es an der erforderlichen Handlungsqualität. Während dies mit Blick auf die Verwendung von Brennspiritus für das Anzünden eines Grills bereits auf der Hand liegt, gilt dies auch für sein Verhalten unmittelbar im Anschluss an die entstandene Stichflamme. Denn auch diesem von Seiten des Beklagten als „Reflex“ bezeichnetem Verhalten kommt entgegen der durch den Beklagten vertretenen Auffassung Handlungsqualität zu, für dessen Folgen der Beklagte verantwortlich zu machen ist. Reflexhandlungen stellen nur dann keine Handlungen dar, wenn die Erregung der motorischen Nerven nicht unter seelischem Einfluss steht (OLG Hamm, Urteil vom 16.07.1974, NJW 1975, 657), sondern der körperliche Reiz sich unmittelbar vom Empfindungs- auf das Bewegungszentrum überträgt, so etwa der Fall bei unwillkürlichem Schließen der Augen unter dem Anprall eines Gegenstandes, beim Zusammenzucken unter einem Stromschlag oder bei ärztlichen Reflexprüfungen (LG Wuppertal, ZfSch 2003, 170). Reflexhandlungen ist danach nur dann die Handlungsqualität abzusprechen, wenn sie „unwiderstehlich“ sind (vgl. Spendel, Leipziger Kommentar, § 323 a Rdnr. 170), nicht dagegen, wenn sie sich unterdrücken lassen, wie z.B. das Niesen auf Niesreiz, weil sich hier der Betroffene tatsächlich „zurückhalten“ kann und sich nicht so weit „gehen zu lassen“ braucht (LG Wuppertal a.a.O. m.w.N.). Um einen nicht steuerbaren Reflex handelte es sich daher vorliegend nicht. Dies wird insbesondere auch durch die Aussage des Beklagten im Rahmen seiner persönlichen Anhörung belegt, der zufolge er sich in Richtung des Rasens gewandt hat, um niemanden zu treffen und zugleich mit dem Ziel auf die Flasche zu drücken, den Feuerstrahl abreißen zu lassen.
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b) Die Verletzungen von D und N beruhen auch adäquat kausal auf diesem Verhalten des Beklagten. So ist allgemein bekannt, dass das Schütten von Spiritus auf erhitzte Kohlen ein Feuer entfachen und darüber hinaus auch zu gefährlichen Verpuffungen und Stichflammen führen kann, aufgrund derer wiederum in der Nähe befindliche Personen zu Schaden kommen können. Gleiches gilt erst recht in Bezug auf das Schwenken einer Spiritusflasche, deren Strahl bereits Feuer gefangen hat.
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c) Dem Beklagten ist Fahrlässigkeit vorzuwerfen, da er den Brennspiritus auf die Holzkohle spritzte, obwohl sich mehrere Personen in der Nähe des Grills aufhielten. Angesichts der vorangegangenen Anzündversuche war ihm dabei zusätzlich bewusst oder hätte ihm jedenfalls bewusst sein müssen, dass sich unter der Kohle noch Glut befand (vgl. den ähnlich gelagerten Fall OLG Hamm NJW-RR 1998, 1181). Darüber hinaus war es auch durchaus vorhersehbar, dass sich im Falle des Entstehens einer Stichflamme eine weitere Flamme entlang des aus der Spiritusflasche kommenden Strahls in Richtung der Flasche bewegen und von daher die Notwendigkeit bestehen würde, sich des Flascheninhalts zügig zu entledigen, um einen Brand der Spiritusflasche zu vermeiden. Etwaige ihm vor diesem Hintergrund obliegende Sicherheitsvorkehrungen – Herstellen eines größtmöglichen Abstandes zwischen dem Grill und den anwesenden Personen, Bereitstellen eines Eimers mit Sand o. ä. – hat der Beklagte insofern nicht getroffen.
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2. Der ursprünglich in der Person der geschädigten Kinder entstandene Anspruch besteht in voller Höhe. Er ist insbesondere nicht mit Blick auf ein etwaiges Mitverschulden der Kinder, ihrer Erziehungsberechtigten – der Zeugin B1 -, oder vor dem Hintergrund der Grundsätze zur gestörten Gesamtschuld zu kürzen.
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a) Beiden Kindern fällt kein eigenes Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB zur Last. Während ein etwaiger Mitverschuldensbeitrag der neunjährigen N weder ersichtlich noch von Seiten des insofern darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten vorgetragen worden ist, ist D als zum Zeitpunkt des Vorfalls Sechsjähriger schon nicht schuldfähig, zumal §§ 827, 828 Abs. 1 BGB für Fälle des Mitverschuldens entsprechend gelten (BGH NJW 1957, 1187).
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b) Für die Zurechnung eines etwaigen Mitverschuldens der Mutter der Kinder, der Zeugin B1, gem. § 254 Abs. 1 BGB i.V.m. § 278 BGB fehlt es bereits an der hierfür erforderlichen rechtlichen Sonderverbindung zwischen D und N auf der einen und dem Beklagten auf der anderen Seite. In Betracht käme hier allenfalls die Übertragung der Aufsichtspflicht gegenüber den Kindern von der Zeugin B1 an den Beklagten für die Dauer ihrer kurzfristigen Abwesenheit. Ob diese tatsächlich erfolgt ist, kann hier aber letztlich dahinstehen. In der Rechtsprechung ist eine vertragliche Übernahme der Aufsichtspflicht regelmäßig nur dann angenommen worden, wenn es sich um eine weitreichende Obhut von längerer Dauer und weitgehender Einwirkungsmöglichkeit gehandelt hat, z.B. bei Pflegeeltern, Kindergärtnerinnen, Aufsichts- und Erziehungspersonal in Heimen, bei längerem Aufenthalt bei Verwandten, bei der älteren Schwester, die ihren minderjährigen Bruder in den Haushalt aufgenommen hat (BGH NJW 1968, 1874). Um eine solche Fallgestaltung handelte es sich vorliegend aber gerade nicht. Vielmehr hätte der Beklagte der Zeugin B1 hier lediglich eine Gefälligkeit erwiesen. Eine erwiesene Gefälligkeit hat aber nur dann rechtsgeschäftlichen Charakter, wenn der Leistende den Willen hat, dass seinem Handeln rechtliche Geltung zukommen soll, wenn er also eine Rechtsbindung herbeiführen will und der Empfänger die Leistung in diesem Sinn angenommen hat. Gefälligkeiten des täglichen Lebens halten sich regelmäßig außerhalb des rechtsgeschäftlichen Bereichs; das gleiche gilt für Gefälligkeiten, die im gesellschaftlichen Verkehr wurzeln (BGH a.a.O.).
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c) Auch eine Zurechnung gem. § 254 Abs. 2 BGB i.V.m. § 278 BGB kommt hier nicht in Betracht. Das Mitverschulden im Falle des § 254 Abs. 2 BGB muss sich für den eingetretenen Schaden auf die Phase beziehen, in der die unerlaubte Handlung des Schädigers – hier das Gießen des Brennspiritus“ in den Grill – die Schadensentwicklung bereits auf den Weg gebracht hat (vgl. BGHZ 103, 338). Vorliegend ist insofern aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Zeugin B1 die ihr gegenüber D obliegende Aufsichtspflicht dadurch verletzt hat, dass sie das im Anschluss an die Verwirklichung des Verletzungstatbestands erfolgte Loslaufen von D hätte verhindern können und müssen.
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d) Auch mit Blick auf die durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur gestörten Gesamtschuld kommt eine Kürzung des Anspruchs nicht in Betracht.
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aa) Dabei ist es unerheblich, ob die Zeugin B1 bei der Beaufsichtigung ihrer Kinder, denen gegenüber sie gem. § 1664 BGB haftungsprivilegiert ist, bestehende Pflichten tatsächlich schuldhaft verletzt hat. In keiner der möglichen Fallgestaltungen ist das Haftungsverhältnis des Beklagten zu den Kindern der Zeugin B1 betroffen.
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(1) Hätte die Zeugin B1 ihre Aufsichtspflicht gegenüber ihren Kindern in grob fahrlässiger Weise verletzt, stünde den Kindern nicht nur dem Beklagten, sondern auch der Zeugin B1 gegenüber ein Schadensersatzanspruch zu mit der Folge, dass die Zeugin B1 und der Beklagte ihnen gegenüber als Gesamtschuldner anzusehen wären, § 840 Abs. 1 BGB. Dies wiederum hätte zur Konsequenz, dass sowohl die Zeugin B1 als auch der Beklagte gegenüber den geschädigten Kindern zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet wären (vgl. Palandt, Kommentar zum BGB, 70. Auflage 2011, § 840 Rn. 3). Eine etwaige Mithaftung der Zeugin B1 ihren Kindern gegenüber würde deren Recht, den Beklagten für den entstandenen Schaden vollumfänglich in Anspruch zu nehmen, nicht beeinträchtigen.
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(2) Auch für den Fall, dass der Zeugin B1 einfache Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird, wären ihre Kinder nicht gehindert, den Beklagten in voller Höhe für den ihnen entstandenen Schaden in Anspruch zu nehmen. In den Fällen, in denen die Mithaftung an § 1664 BGB scheitert, wächst der so „privilegierte“ Mitschädiger schon gar nicht in die Regelung des § 840 Abs. 1 BGB hinein; es fehlt schon an den Grundlagen für ein Gesamtschuldverhältnis, das „gestört“ werden könnte. Das ist nicht nur ein formaler, äußerlicher Unterschied. Es entspricht Wesen und System der Deliktshaftung, dass der Schädiger einen Mitverursacher des Schadens nur dann an seiner Haftpflicht beteiligen kann, wenn und soweit dieser den Schaden zurechenbar mitgesetzt hat. Nur wo das Haftungsprivileg ihm den Mitschädiger trotz dessen haftungsrechtlicher Mitverantwortung als Ausgleichsschuldner nimmt, ist es gerechtfertigt, von seiner die §§ 840, 426 BGB durchbrechenden Belastung mit dem Haftungsprivileg zu sprechen. Wenn dagegen ein Ausgleich schon am Fehlen einer zurechenbaren Mitbeteiligung des Ausgleichsschuldners scheitert, so ist das eine Folge des Ausgleichssystems, die im Rahmen der Deliktshaftung grundsätzlich allen Schädigern zugemutet wird (BGHZ 103, 338).
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bb) Im Übrigen wäre die Frage, ob der Zeugin B1 vorliegend grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, zu verneinen. Die zwischen den Parteien unstreitige Tatsache, dass sie dem Beklagten die Spiritus-Flasche übergeben hat, stellt keinen Umstand dar, der die Annahme einer besonders schweren Verletzung der verkehrserforderlichen Sorgfalt rechtfertigt. Selbst wenn der Beklagte zunächst nach einem Fön verlangt haben mag – wovon nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auszugehen ist – durfte und musste die Zeugin B1 darauf vertrauen, dass der erwachsene Beklagte eigenverantwortlich die erforderlichen Maßnahmen ergreifen würde, um eine Gefährdung anderer auszuschließen. Zwar steht zur Überzeugung des Gerichts angesichts der glaubhaften Schilderungen insbesondere der Nachbarn, die die Zeugin B1 Feuer an ihrer eigenen Kleidung haben ausschlagen sehen, fest, dass sich die Zeugin B1 zum Zeitpunkt des Vorfalls, dem Grill zugewandt, auf der Terrasse befunden hat. Da sie ausweislich der Einlassungen des Beklagten im Verhandlungstermin sowie auch der Zeugin I aber unmittelbar vor dem Einsatz des Spiritus durch den Beklagten ihre Kinder dazu angehalten hat, den Abstand zum Grill zu vergrößern – ein Umstand, den sich der Kläger als ihm günstig stillschweigend zu eigen gemacht hat – , ist ihr auch insofern nicht der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch der Beklagte selbst den Sicherheitsabstand der Kinder, die der Aufforderung der Zeugin B1 nachgekommen waren, zum Grill als ausreichend empfand.
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3. Für die infolge des Vorfalls erforderlich gewordene ärztliche Versorgung der Kinder – insbesondere D – sind die mit dem Antrag zu Ziff. 1.) geltend gemachten Kosten unstreitig angefallen. Zwischen den Parteien steht darüber hinaus nicht in Streit, dass hiervon auch Kosten umfasst sind, die dem Vater der Kinder mit Blick auf seine 41-tägige dauerhafte Anwesenheit während des stationären Aufenthaltes von D in Höhe von 763,81 EUR entstanden sind (vgl. Beihilfebescheid vom 17.09.2009, Bl. 137 d. GA). Abzuziehen von diesem Betrag sind allerdings – und insofern war die Klage in der Hauptsache abzuweisen – die durch Herrn G. B2 in dieser Zeit ersparten Eigenaufwendungen, die das Gericht – in Anlehnung auch an den von Seiten des Klägers für D pro Tag des stationären Aufenthalts in Ansatz gebrachten Betrag – auf insgesamt 410,- EUR (41 Tage à 10,- EUR) beziffert, § 287 ZPO.
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3. Der verbleibende, ursprünglich den Kindern D und N zustehende gesetzliche Schadensersatzanspruch i.H.v. 49.399,27 EUR ist gem. § 82 LBG NRW auf den Kläger, der ihnen gegenüber zur Gewährung von Leistungen verpflichtet ist, übergegangen.
II.
36
Die Zinsforderung in Bezug auf den Antrag zu 1.) ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB. In Bezug auf den Zinsbeginn war dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Kläger mit Schreiben vom 18.06.2009 und 09.07.2009 zunächst nur Teilbeträge zur Zahlung angefordert hat.
III.
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Der auf die Zukunft gerichtete Feststellungsantrag (§ 256 ZPO) ist zulässig und begründet.
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Die Feststellungsklage ist zulässig, da die spätere Verwirklichung eines weiteren Schadens nach der Art der Verletzungen von D möglich erscheint. Sie ist darüber hinaus begründet, da eine nicht eben entfernt liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht durch Auftreten weiterer von Seiten des Klägers zu regulierender Kosten ärztlicher Behandlung, droht.
IV.
39
Da die hinter dem Beklagten stehende Haftpflichtversicherung den im Februar 2010 an den Kläger gezahlten Betrag i.H.v. 37.378,77 EUR lediglich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und unter dem Vorbehalt der Rückforderung gezahlt hat, hat der Kläger auch insofern ein rechtliches Interesse an der Feststellung, dass ihm dieser Betrag gegenüber dem Beklagten zusteht. Da der Beklagte – wie ausgeführt – vollumfänglich für den entstandenen Schaden einstandspflichtig ist, ist der Feststellungsantrag auch begründet.
V.
40
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, §§ 101 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO (analog).
41
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.
VI.
42
Streitwert:
43
107.188,04 EUR (Antrag zu 1.): 49.809,27 EUR
44
Antrag zu 2.): 37.378,77 EUR zzgl. 20.000,- EUR)