Zur Haftung des gerichtlichen Sachverständigen für ein unrichtiges aussagepsychologisches Gutachten im Strafprozess

OLG Saarbrücken, Urteil vom 23.11.2017 – 4 U 26/15

1. Zur Haftung des gerichtlichen Sachverständigen für ein unrichtiges aussagepsychologisches Gutachten im Strafprozess.

2. Im Schadensersatzprozess gegen den gerichtlichen Sachverständigen hat das Regressgericht nach dem Maßstab des § 287 ZPO über den hypothetischen Ausgang des Vorprozesses (hier: des Strafprozesses) zu befinden.

3. Sind im Regressprozess bessere oder andere Erkenntnismöglichkeiten vorhanden, als sie dem für den Vorprozess zuständigen Gericht zur Verfügung standen, dann entspricht es, wie im Rahmen der Rechtsberaterhaftung, der materiellen Gerechtigkeit, dem Schadensersatzkläger deren Verwendung nicht zu versagen.

4. Der normative Schadensbegriff gilt auch für die deliktische Haftung des gerichtlichen Sachverständigen.

5. Das Nichteinholen eines Privatgutachtens im Strafprozess fällt nicht unter § 839 Abs. 3 BGB (Anschluss an BGH, Beschluss vom 27. Juli 2017, III ZR 440/16, NJW-RR 2017, 1105).

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29.01.2015 (Aktenzeichen 3 O 295/13) wird zurückgewiesen.

2. Auf die Anschlussberufung des Klägers und unter Zurückweisung des weitergehenden Anschlussrechtsmittels wird das vorbezeichnete Urteil unter Ziffer II des Tenors teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 60.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 15.05.2014 zu zahlen. Im Übrigen wird der Klageantrag zu 2 hinsichtlich des Schmerzensgeldes abgewiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 15 v. H. und die Beklagte zu 85 v. H. Die Kosten der Nebenintervention werden dem Kläger zu 15 v. H. auferlegt. Im Übrigen findet eine Kostenausgleichung nicht statt.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei darf die Vollstreckung durch die jeweilige andere Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des auf Grund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
A.

1
Der Kläger verlangt von der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Gutachterhaftung Schadenersatz und Schmerzensgeld nach einer strafrechtlichen Verurteilung und Inhaftierung wegen sexuellen Missbrauchs, Wiederaufnahme des Verfahrens und anschließendem Freispruch.

2
Der vormals als technischer Bundeswehrbeamter S. in W. beschäftigte, am … 1943 geborene Kläger war durch Urteil der Jugendkammer IV des Landgerichts Saarbrücken vom 24.05.2004 (Aktenzeichen 5 – 25/03 IV, als Anlage 5 im Anlagenbd. Kläger) wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in einem Fall, sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, in allen vier Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, begangen jeweils zum Nachteil der am … 1989 geborenen M. S., zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Im Strafverfahren hatte die Beklagte zunächst gemäß Auftrag der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vom 26.03.2003 (Anlage 1, im Anlagenbd. Kläger) mit Datum vom 21.08.2003 ein schriftliches aussagepsychologisches Gutachten erstattet, welches sich auf die überlassenen Akten der Staatsanwaltschaft Saarbrücken und die aussage- und testpsychologische sowie psychiatrische Untersuchung der Zeugin am 24.06.2003 stützte (Anlage 3, im Anlagendbd. Kläger). Später hatte die Beklagte in der Hauptverhandlung vor der Jugendkammer IV nach Teilnahme an allen zuvor erfolgten Beweisaufnahmen am 24.05.2004 ein mündliches Gutachten erstattet. In den Gutachten stufte die Beklagte die Angaben der Zeugin M. S. mit hoher Wahrscheinlichkeit als glaubhaft ein.

3
Zur Erstellung des Gutachtens lagen der Beklagten die vollständige Ermittlungsakte und die polizeilichen Videoaufnahmen der Vernehmung vom 30.01.2003 vor. Anlass der erhobenen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs waren Angaben der Zeugin M. S., die am 21.07.2001 in den Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau als Pflegekind mit Einwilligung ihres leiblichen Vaters aufgenommen worden war. In der Folge kam es ab November 2001 zu Konflikten, die in einem Vorfall vom 12.12.2002 mündeten. Dieser Vorfall, bei dem die Zeugin dem Kläger von hinten über die Hose an das Geschlechtsteil griff, führte zur Beendigung des Pflegeverhältnisses des Klägers und seiner Ehefrau, die M. S. wurde nach entsprechender Mitteilung an das Jugendamt noch am gleichen Tag von ihrem leiblichen Vater abgeholt. Unter dem 22.01.2003 erstattete der leibliche Vater Strafanzeige gegen den Kläger. Die in ihrer geistigen Entwicklung retardierte Zeugin M. S. ist bereits vor der Aufnahme im Haushalt des Klägers im Zusammenhang mit Sexualverhalten aktenkundig gewesen. Hinsichtlich sexueller Aktivitäten ist in den Unterlagen des H.-Hauses in B. ein Vorfall mit 10½ Jahren dokumentiert, der sich mit einem fast 15-jährigen Jungen ereignete. Weiterhin ist die Zeugin im Frühsommer 2002 Opfer eines Missbrauchs durch einen Mitschüler geworden, der sich mit der damals 13-Jährigen hinter ein Klavier in der Schule begab, ihr unter der Hose an die Scheide fasste und sodann bis zur Ejakulation onanierte. Der geständige Täter wurde durch das Amtsgericht Homburg am 05.01.2004 (Aktenzeichen 14 Ds 337/03, Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Saarbrücken 22 Js 447/03) verurteilt.

4
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der Jugendkammer IV des Landgerichts Saarbrücken vom 24.05.2004 (Aktenzeichen 5 – 25/03 IV) wurde durch Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 16.11.2004 (Aktenzeichen 4 StR 431/04, Anlage 7 im Anlagenbd. Kläger) als unbegründet verworfen. Ein erster Wiederaufnahmeantrag des Klägers wurde durch Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 27.06.2005 (Aktenzeichen 3 AR 5/05 II) als unzulässig verworfen (Beiakte 4 KLs 21 Js 461/03 (47/12) Teil 2 Bl. 280). Die sofortige Beschwerde des Klägers wurde durch Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 10.11.2005 als unbegründet verworfen (Aktenzeichen 1 Ws 133/05, Beiakte 4 KLs 21 Js 461/03 (47/12) Teil 2 Bl. 298 ff.). Auch das zweite Wiederaufnahmegesuch wurde durch Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 17.01.2006 (Aktenzeichen 3 AR 5/05 II) als unzulässig verworfen (Beiakte 4 KLs 21 Js 461/03 (47/12) Teil 2 Bl. 366 ff.). Die sofortige Beschwerde wurde als unbegründet verworfen (Saarländisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 05.05.2006 – 1 Ws 40/06, Beiakte 4 KLs 21 Js 461/03 (47/12) Teil 2 Bl. 377 ff.). Die Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen die Beschlüsse des Landgerichts vom 27.06.2005 und 17.01.2006 und die Beschlüsse des Oberlandesgerichts vom 10.11.2005 und 05.05.2006 wurde durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.07.2006 (Aktenzeichen 2 BvR 1201/06) nicht zur Entscheidung angenommen (Beiakte 4 KLs 21 Js 461/03 (47/12) Teil 2 Bl. 258).

5
Auf Grund des Urteils der 5. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken verbüßte der Kläger von der verhängten dreijährigen Freiheitsstrafe insgesamt 683 Tage in verschiedenen Justizvollzugsanstalten. Hierbei stand er in der internen Sozialhierarchie jeweils auf unterster Stufe, sobald seine Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs in der Anstalt bekannt war. Der Kläger war vielfachen verbalen Angriffen ausgesetzt. Es kam auch zu einer versuchten Körperverletzung, als ein anderer Häftling einen Holzklotz in Richtung des Kopfes des Klägers bei dessen Hofgang warf, diesen aber letztlich verfehlte. Der Kläger leidet auch heute noch unter Schlafstörungen und wird von Alpträumen heimgesucht. Er leidet an einem Tinnitus, der zu einem dauerhaften Rauschen im Ohr führt.

6
Frau M. S. erhob unter dem 30.12.2005 Klage auf Schmerzensgeld gegen den Kläger vor dem Landgericht Saarbrücken (Aktenzeichen 2 O 77/05). Mit Urteil vom 13.12.2007 wies das Landgericht Saarbrücken jene Klage ab, da es die Missbrauchsvorwürfe durch M. S. als nicht nachgewiesen ansah und insbesondere die gutachterliche Einschätzung zur Glaubhaftigkeit der Aussagen des angeblichen Missbrauchsopfers im Rahmen des Strafverfahrens nicht teilte. Auf die Berufung der M. S. ordnete das Saarländische Oberlandesgericht (Aktenzeichen 1 U 32/08 – 9) am 03.09.2008 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überprüfung der Begutachtung der Glaubwürdigkeit der M. S. im Strafverfahren an. Der bestellte Sachverständige Prof. Dr. S. fertigte ein Gutachten vom 01.04.2010 an, welches erst im Juli 2010 dem Gericht zuging (Beiakten 2 O 77/05 bzw. 1 U 32/08-9 Bl. 611 ff. = Anlage 13 im Anlagenbd. Kläger). Der Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass die Angaben der M. S. nicht als erlebnisbegründet und als nicht glaubhaft einzuschätzen seien. Zur Begründung führt er aus, durch alle vernehmenden Personen seien Suggestivfragen gestellt worden, und den Aussagen der Zeugin S. fehle die Konkretisierung und Detaillierung, die Vorwürfe seien vielmehr stereotyp vorgebracht. Grundsätzlich sei Frau S. aber in der Lage, ausführlich und detailreich zu antworten. Zudem verwies der Sachverständige Prof. Dr. S. auf Widersprüchlichkeiten bezüglich der geschilderten Tatörtlichkeiten und den Kernhandlungen, so dass eine Aussagekonstanz nicht vorliege. Der Sachverständige konnte weder die Übertragungshypothese noch die Suggestionshypothese verwerfen. Es wurde von gravierenden methodischen Mängeln sowie daraus abgeleiteten Fehleinschätzungen in Bezug auf das Gutachten der Beklagten ausgegangen. Das Saarländische Oberlandesgericht wies die Berufung der M. S. mit Urteil vom 13.07.2011 (Aktenzeichen 1 U 32/08-9) zurück.

7
Das anschließende dritte Wiederaufnahmegesuch des Klägers vom 31.08.2011 wurde durch Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 28.11.2011 (Aktenzeichen 3 AR 5/05 II) als unzulässig verworfen. Auf die sofortige Beschwerde erklärte das Saarländische Oberlandesgericht durch Beschluss vom 27.08.2012 (Aktenzeichen 1 Ws 118/12, (rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 612 ff.) die Wiederaufnahme des durch Urteil der Jugendkammer IV des Landgerichts Saarbrücken vom 24.05.2004 (Aktenzeichen 5-25/03; 23 Js 461/03 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken) in Verbindung mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 16.11.2004 (Aktenzeichen 4 StR 431/04) rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens unter Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses der Jugendkammer II des Landgerichts Saarbrücken vom 28.11.2011 für zulässig. Das Landgericht Saarbrücken ordnete durch Beschluss vom 17.01.2013 (Aktenzeichen 4 KLs 47/12, ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 637 ff.) – nach Kammerberatung ohne Beweisüberprüfung und Beweissicherung gemäß §§ 369, 370 StPO ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 636) – die Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung an. Mit Beschluss der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 14.03.2013 wurde das Verfahren an das Amtsgericht – Schöffengericht – Saarbrücken abgegeben ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 650). Das Amtsgericht Saarbrücken sandte die Akten mit Verfügung am 24.07.2013 an das Landgericht zurück mit der Bitte um Überprüfung und Abgabe an das örtlich zuständige Gericht ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 655). Mit Beschluss der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 26.07.2013 wurde das Verfahren unter Aufhebung des Abgabebeschlusses vom 14.03.2013 an das Amtsgericht – Schöffengericht – Neunkirchen abgegeben ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 657 ff.). In der Hauptverhandlung vom 07.11.2013 vor dem Amtsgericht Neunkirchen – Schöffengericht – wurde der Kläger befragt ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 681 f.). Die als Zeugin geladene M. S. machte nach Belehrung gemäß § 55 StPO von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 683). Weiter wurden die Zeugen Polizeikommissarin H., früher A. ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 683 f.), Kriminalkommissarin G. ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 685), S. ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 685 f.), Dr. M. ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 687) und der Sachverständige Prof. Dr. S. ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 687 f.) gehört. Sodann wurde der Kläger durch Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen – Schöffengericht – vom 07.11.2013 freigesprochen ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 694 ff.). Das Urteil ist seit dem 15.11.2013 rechtskräftig ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 694).

8
Der Kläger hat behauptet, ein sexueller Missbrauch der M. S. durch ihn habe nicht stattgefunden. Im Wiederaufnahmeverfahren sei ein „Freispruch erster Klasse“ erfolgt, die Zeugin S. habe die Aussage verweigert, um sich nicht selbst zu belasten. Das unrichtige Urteil der 5. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken sei auf der Grundlage des fehlerhaften Gutachtens der Beklagten ergangen, welches eines der ersten Gutachten der Beklagten überhaupt gewesen sei. Die Beklagte selbst habe gegenüber dem Strafverteidiger Dr. S. in einem Gespräch Anfang November 2010 eingeräumt, dass sie zuvor nur zugearbeitet gehabt habe und nur wegen der Bloßstellung durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. nicht von ihrem Ergebnis abrücke. Ohne dieses Gutachten wäre die Verurteilung nicht erfolgt. Der Kläger hat mit Nichtwissen bestritten, dass die Beklagte ihre damaligen Aufzeichnungen aus der mündlichen Verhandlung nicht mehr habe.

9
Die Beklagte habe zumindest grob fahrlässig ein fehlerhaftes Gutachten erstellt, da Grundsätze der Transparenz und Nachvollziehbarkeit verletzt worden seien und wissenschaftliche Mindeststandards aussagepsychologischer Gutachten nicht eingehalten worden seien. Die Beklagte habe die Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung nach der StPO nicht genutzt. Die Erhebung der biografischen Anamnese und der Sexualanamnese sei unzulänglich gewesen. Es habe adäquate Informationsquellen gegeben, die herangezogen hätten werden können, insbesondere sei das angebliche Missbrauchsopfer dem Jugendamt bekannt gewesen.

10
Die methodischen Mängel seien nicht im Rahmen der mündlichen Erstattung ausgeräumt worden, sie habe ihr schriftliches Gutachten nur verteidigt. Dem Gutachten der Beklagten lasse sich nicht entnehmen, auf welche Fachliteratur sie ihre Annahmen und Untersuchungen stütze. Die Aussagen zu einer leichten Intelligenzminderung der M. S. und einer Einschränkung des aktiven Wortschatzes seien nicht belegt. Die Einschätzung der Beklagten, auf Grund der Intelligenzminderung habe M. S. bei Situationsbewertungen Schwierigkeiten gehabt, sei falsch. Die Behauptung eines geringen Detaillierungsgrades bei minderbegabten Zeugen sei nicht belegt. Trotz geringen Detaillierungsgrads und nur recht pauschaler Angaben habe die Beklagte die Behauptung aufgestellt, dieses Verhalten entspreche den Möglichkeiten der Zeugin, ohne dies zu begründen. Auch die im Zeitpunkt der Gutachtenerstellung bereits vorliegenden Unterschiede in den Aussagen der Zeugin seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Dies habe die Ursache darin, dass die Entstehungsgeschichte der Aussage, die für die Beurteilung ihres Wahrheitsgehaltes eine ausschlaggebende Bedeutung habe, nicht berücksichtigt worden sei. Solche Aussagewidersprüche seien in den Aussagen gegenüber der Sachverständigen L. und der Aussage gegenüber der Polizeiobermeisterin A. eingetreten. Die familiären Beziehungen seien nicht unter Zugrundelegung von standardisierten Tests erkundet worden. Hierdurch seien sowohl die Hypothese bezüglich der Überprüfung einer Übertragung des geschilderten Sachverhalts als erlebnisfundiert, jedoch bezüglich einer anderen Person als des Beschuldigten (sogenannte Übertragungshypothese), als auch die Hypothese hinsichtlich einer Anschuldigung als Ergebnis einer Instruktion durch Dritte (sogenannte Instruktionshypothese) nicht nachvollziehbar entkräftet worden. Insbesondere der Umstand, dass die Anzeige aus einer familienrechtlichen Streitigkeit (Sorgerechtszuweisung, Beendigung der Aufnahme in Pflegefamilie) hervorgegangen sei, habe die Beleuchtung der familiären Situation zwingend erfordert (sogenannte Motivanalyse). Überdies sei das Gutachten fehlerhaft auf Grund der Nichtbeachtung der bereits vor Beginn der strafrechtlichen Ermittlungen durchgeführten privaten Befragungen, insbesondere durch die Patentante Frau K., die auch nicht als Zeugin in der Hauptverhandlung gehört worden sei. Zudem habe es sich bei der Sachverständigen L. nicht um eine Expertin für Glaubwürdigkeitsgutachten gehandelt, wodurch eine fehlerhafte Befragung und unbewusste Beeinflussung entstanden sei. Nach der Befragung durch die Patentante habe M. S. auch noch beim Jugendamt und der Organisation N. vorgesprochen, bevor die Sachverständige L. ihre Befragung durchgeführt habe. Auch eine Auseinandersetzung mit einer Beeinflussung durch ihren Vater, der zur damaligen Zeit eine familiengerichtliche Auseinandersetzung über das Sorgerecht für M. S. geführt habe, sei nicht erfolgt. Die Anwesenheit des Vaters im Rahmen der Befragung sei fehlerhaft gewesen. Ebenso sei die unterbliebene Belehrung der M. S. über ihre Verpflichtungen als Zeugin durch die Sachverständige fehlerhaft gewesen. Auch das Fehlen einer Audio- und Videoaufnahme der Exploration vom 24.06.2003 sei fehlerhaft. Darüber hinaus fehle eine Protokollierung der wichtigen Einleitungsphase. Neben Fehlern im Zuge der notwendigen Analyse sei die Beklagte nicht von der sogenannten Nullhypothese ausgegangen.

11
Die Beklagte sei von falschen Ausgangspunkten ausgegangen, denn in der Sexualanamnese sei festgehalten, dass M. S. noch Jungfrau und nicht aufgeklärt worden sei. Dies sei falsch, denn bereits im Februar 2000 sei im Bericht des H.-Hauses festgehalten, dass M. S. frühreif sei und mit einem fast fünfzehnjährigen Jungen in eindeutiger Pose in ihrem Zimmer angetroffen worden sei. Daraufhin sei in Einzelgesprächen mit M. S. das Thema Aufklärung schlechthin bearbeitet worden und festgestellt worden, dass sie für ihr Alter doch stark sexualisiert gewesen sei. Sie habe somit mit 10 ½ Jahren bereits Geschlechtsverkehr gehabt. Trotz Kenntniserlangung von diesem Umstand in der Hauptverhandlung habe die Beklagte am Ergebnis ihres Gutachtens nichts geändert. Die starke Sexualisierung, die sich auch gegenüber einer Tante des Ehepaares dadurch geäußert habe, dass sie dieser an die Brust gegriffen habe, sei unberücksichtigt geblieben. Die starke Sexualisierung werde zudem durch ein Verhalten während einer Jugendfreizeit im Jugendgästehaus in T. belegt, bei dem sich die M. S. ständig zwischen den Kläger und seine Ehefrau zu drängen versucht habe. Hinzu komme ein Vorfall in der Küche des Anwesens der Eheleute, bei dem sich die M. S. mit Wasser bespritzt habe und augenblicklich die Hose habe ausziehen wollen, woraufhin die Ehefrau des Klägers dies unterbunden und M. S. sich geäußert habe, „der … [Kläger] sehe dies doch gerne“. Auch habe die M. S. bereits gegenüber der Schwägerin der Ehefrau des Klägers im ersten Halbjahr ihrer Aufnahme geäußert, die Familie werde nichts mehr zu lachen haben, wenn sie von dort weg müsse, dann würden sie nicht mehr froh.

12
Außerdem habe die Beklagte in ihrem Gutachten einen Medikamenteneinfluss nicht berücksichtigt, nach Kenntniserlangung in der Hauptverhandlung habe sie angegeben, dass dies auf den Begutachtungsvorgang und das Ergebnis keinen Einfluss habe.

13
Im Zuge der Überprüfung einer Übertragung eines erlebten Vorfalls auf den Angeklagten habe die Beklagte den in der Vergangenheit erfolgten sexuellen Missbrauch der M. S. durch einen Mitschüler nicht berücksichtigt. Augenfällig sei der nahezu wortgleiche Inhalt der Aussagen der Zeugin S. in beiden Verfahren.

14
Der längere Zeitablauf bis zur Begutachtung im Zivilprozess sei nicht Ursache der unterschiedlichen Ergebnisse. Das Gutachten des Prof. Dr. S. sei mangelfrei, die Befragung durch zwei Interviewer sei nicht zu beanstanden.

15
Die Ansprüche des Klägers seien nicht verjährt. Eine für den Verjährungsbeginn maßgebliche Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen erfordere vorliegend insbesondere eine Kenntnis von Umständen, die für eine grobe Fahrlässigkeit des Sachverständigen sprächen. Allein die fachwissenschaftliche Stellungnahme des Dr. habil. Dipl. Psych. G. R. wie auch das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 13.12.2007 (Aktenzeichen 2 O 77/05) seien hierzu nicht ausreichend. Auch nach Vorlage dieser fachwissenschaftlichen Stellungnahme hätten die Strafgerichte das Gutachten der Beklagten weiter zu Grunde gelegt. Erst das vom Saarländischen Oberlandesgericht eingeholte Sachverständigengutachten des Prof. Dr. S. habe festgestellt, dass auf Grund fehlender fremdanamnestischer Befunde und fehlender Berücksichtigung einer zum Zeitpunkt der Begutachtung erfolgten Traumatherapie Auswirkungen auf die Einschätzung der Glaubwürdigkeit der M. S. vorlägen. Die Einreichung der Klageschrift als Entwurf unter PKH-Beantragung habe eine umfassende Verjährungshemmung herbeigeführt. Die Änderung der Klageanträge beruhe auf dem Hinweis des Gerichts im Prozesskostenhilfeverfahren.

16
Auf Grund der unberechtigten Freiheitsentziehung stehe dem Kläger ein Schmerzensgeldanspruch zu, der über die Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) hinausgehe. Ein Betrag von mindestens 80.000 € sei daher angemessen. Darüber hinaus habe er materielle Schäden in Höhe von insgesamt 38.455,61 € erlitten. Sein Beamtenverhältnis habe mit der Verurteilung geendet, Pensionsansprüche hätten ihm nicht mehr zugestanden, bereits bezogenes Gehalt habe er zurückzahlen müssen. Ein Antrag auf Erstattung sei über die W. geltend gemacht, aber noch nicht beschieden. Infolge der Verurteilung sei die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach dem Beamtengesetz zwingend gewesen, Rechtsmittel seien insoweit nicht vorgesehen. Zwischenzeitlich habe er eine Nachzahlung seiner Pension und eine Gehaltsnachzahlung durch die W. erhalten. Eine Rückkehr in die private Krankenversicherung sei nicht mehr möglich, da er älter als 65 Jahre sei. An die B. Kasse habe er seit dem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis 6.201,85 € (Anlagen K 37) gezahlt. Er habe eine Zusatzversicherung bei der C. Versicherung abgeschlossen, um bisherige Leistungen wie Zweibettzimmer einschließlich Privatarzt weiterhin in Anspruch nehmen zu können, wofür monatlich 105,67 € (Anlagen K 38 und 39) aufgewendet würden. Während des Beamtenverhältnisses habe er eine 50-prozentige private Absicherung bei der M. Krankenversicherung gezahlt mit monatlich 282,85 €. Im Pensionsalter wäre der Anteil der privaten Absicherung von 50 v. H. auf 30 v. H. gesunken. Ferner habe er einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes stellen müssen. Leistungen habe er ab dem 01.05.2005 erhalten („Hartz IV“). Nach dem Wegfall seines Einkommens habe er zunächst eine Stundung bzw. Minderung der monatlichen Zahlungsverpflichtungen gegenüber der A. Bausparkasse AG zu erlangen versucht. Eine zunächst für sechs Monate gewährte Stundung, die zu einer Zahlungsverpflichtung für den Zeitraum Juni 2011 bis November 2011 in Höhe von nur noch 1.380,91 € geführt habe, sei nach einer weiteren Stundung von drei Monaten ausgelaufen, so dass ab 31.03.2012 ein Betrag in Höhe von 1.909,29 € habe bezahlt werden müssen. Gegen Ende des Jahres 2012 seien Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durch die A. Bausparkasse AG eingeleitet worden. In der Folge sei ein neuer Vertrag bei der C. Bausparkasse AG zur Ablösung aller bestehenden Darlehensverbindlichkeiten bei A., L. und S. N. geschlossen worden. Durch die vorzeitige Ablösung sei eine Vorfälligkeitsentschädigung angefallen, ferner eine Abschlussgebühr in Höhe von 3.480 €. An die A. Bausparkasse AG sei für das Darlehen Nr. ein Betrag in Höhe von 1.508,77 € gezahlt worden. Für das Darlehen Nr. sei ein Betrag von 450,27 € gezahlt worden. Auf das Darlehen Nr. seien 6.664,30 € und auf das Darlehen Nr. weitere 1.341,99 € gezahlt worden. Eine weitere Vorfälligkeit von 846,29 € sei für das Darlehen Nr. gezahlt worden. Grundbucheintragungen hätten an Notarkosten 173,74 € verursacht, ferner hätten die Eintragungen 378,00 € und 146,50 € gekostet. Bei Notar E. seien weitere 163,74 € angefallen.

17
Im Zeitraum Januar bis November 2012 seien 55,79 € Überziehungszinsen auf die Vertragsnummer sowie 406,34 € auf die Vertragsnummer und weitere 327,26 € auf die Vertragsnummer angefallen. Die Kosten seien in den Folgejahren unverändert geblieben, so dass über neun Jahre ein Gesamtbetrag von 7.642,27 € angefallen sei. Die Beträge seien nunmehr vollständig gezahlt worden.

18
Für Honorarvereinbarungen des Klägers mit seinen Verteidigern seien 5.088,02 € sowie 3.000 € aufgewendet worden (Anlage K 42). An den Bundesgerichtshof sei eine Zahlung in Höhe von 960 € erfolgt.

19
Der Kläger hat unter Bezugnahme auf die der Beklagten am 15.05.2014 zugestellte Klage beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 38.455,61 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

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2. die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, das einen Betrag von 80.000 Euro aber nicht unterschreiten sollte;

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3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Schaden zu erstatten, der ihm durch die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Verlust der Dienstbezüge) und durch den vorzeitigen Pensionsbezug (Kürzung der Pensionsbezüge) entstanden ist und

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4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die künftigen weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten, die ihm durch das fehlerhafte Gutachten der Beklagten in der Frage der Glaubwürdigkeit der M. S. und die daraus folgende rechtswidrige Inhaftierung wegen des sexuellen Missbrauchs zu Lasten der M. S. entstehen werden.

24
Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

26
Sie hat ihre Passivlegitimation bestritten und geltend gemacht, der Gutachtenauftrag sei an das Institut für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie – klinische Medizin der Universität … erteilt worden. Das Gutachten sei auch unter dem Briefkopf der Universität erstellt worden. Sie habe somit in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt, so dass ein Haftungsübergang auf den Staat vorliege, da die Universität eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sei.

27
Ferner hat die Beklagte eine Fehlerhaftigkeit des von ihr im Strafverfahren erstellten Gutachtens bestritten. Im Zeitpunkt der Gutachtenerstellung habe sie bereits eine mehrjährige Erfahrung als Gutachterin gesammelt und etwa einhundert aussagepsychologische Gutachten erstattet gehabt. Die Einwände gegen die Richtigkeit ihres Gutachtens seien bereits im Zeitpunkt der Schlussplädoyers im Strafverfahren bekannt gewesen, neue Erkenntnisse seien nicht dargelegt. Das Gutachten habe dem damaligen aktuellen Kenntnis- und Wissenschaftsstand entsprochen. Die Beifügung schriftlicher Literaturhinweise sei nicht erforderlich.

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Es liege keine vorsätzliche oder grob fahrlässige Handlung vor. Bei Erstellung des Gutachtens sei die erforderliche Sorgfalt nicht in besonders schwerem Maße verletzt worden, da keine ganz nahe liegenden Überlegungen nicht angestellt und nicht dasjenige nicht beachtet worden sei, was jedem habe einleuchten müssen. Allein dass ein anderer Sachverständiger zu einem anderen Ergebnis oder anderen Schlussfolgerungen gelange, belege nicht, dass ein fahrlässiges Verhalten vorliege. Vorliegend komme hinzu, dass sich die Beurteilungen des Prof. Dr. S. (Anlage 13, im Anlagenbd. Kläger) nur auf das schriftliche Gutachten (Anlage 3, im Anlagenbd. Kläger) bezögen, die im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Strafkammer erfolgten Bekundungen jedoch nicht berücksichtigt seien. Soweit gravierende methodische Mängel durch Prof. Dr. S. gerügt würden, da im Gutachten auf Seite 32 festgehalten sei, dass die Angaben aussageimmanent wie auch aussageübergreifend Strukturgleichheit und keine substantiellen Brüche hinsichtlich der Aussageweise, Aussagequalität und Aussageakzentuierung aufgewiesen hätten, sei dies falsch. Weitere Angaben zum habituellen Aussageverhalten seien unter den Punkten 6.1 und 6.3 enthalten. Auch die merkmalorientierte Inhaltsanalyse sei ab Seite 31 unter den Punkten 6.2.1 bis 6.2.4 erfolgt. Auf Seite 45 sei das vorläufige Gutachten hinsichtlich des Ergebnisses der Aussageanalyse erstellt. Alternativhypothesen seien explizit benannt und insbesondere unter Punkt 6.3 diskutiert. Die leichte Intelligenzminderung und der eingeschränkte aktive Wortschatz der M. S. seien durch eine standardisierte Intelligenzdiagnostik festgestellt und belegt. Die Bewertung zum Vorliegen von Schwierigkeiten bei Situationsbeurteilungen sei hieraus zutreffend abgeleitet unter Berücksichtigung der medizinischen Standards. Hinsichtlich detaillierter Betrachtungen von suggestiven Einflüssen vor dem Hintergrund einer durchgeführten Traumatherapie fehle eine Grundlage, da solche Informationen im Begutachtungszeitpunkt nicht bekannt gewesen seien. Kenntnis habe die Beklagte erst durch die Befragung der Zeugin S. (Ärztin aus K. im Rahmen der Hauptverhandlung erlangt. Die Behandlung habe aber frühestens ab Juli 2003 stattgefunden, somit zeitlich nach Äußerung der Vorwürfe gegenüber dem Kläger. Zudem müsse der Zeitablauf bis zur Exploration durch den Gutachter Prof. Dr. S. berücksichtigt werden, da unter Berücksichtigung dieses Moments möglicherweise auch sie zu einer negativen Beurteilung gelangt wäre. Während die M. S. im Zeitpunkt ihrer Untersuchung durch die Beklagte 14 Jahre alt gewesen sei, sei sie bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. bereits 20 Jahre alt gewesen und habe somit weitere Entwicklungsschritte durchlaufen.

29
Im Zuge der Gutachtenerstellung habe die Beklagte die Durchführung von standardisierten psychometrischen Verfahren zur Beleuchtung der familiären Verhältnisse für nicht erforderlich gehalten. Berücksichtigt worden sei die Beziehung zum Vater. Für die Frage einer Personenübertragung seien die familiären Verhältnisse auch nicht entscheidend, vielmehr die kognitiven Fähigkeiten. Eine Erweiterung der Vorwürfe gegen den Kläger habe die M. S. nicht vorgenommen, auch habe sie den Kläger nicht generell schlecht dargestellt. Die Aussage gegenüber der Patentante habe der Beklagten bei Erstellung des Gutachtens nicht vorgelegen. Sie habe die offiziellen Angaben der Zeugin begutachtet. Soweit die Patentante in der Hauptverhandlung als Zeugin gehört wurde, habe die Beklagte keine relevanten Aussagen zu Anknüpfungstatsachen in Erinnerung. Angaben gegenüber Frau L. seien ohne jedwede Relevanz für das Gutachten, ein Protokoll dieser Aussage liege der Beklagten nicht (mehr) vor. Erinnerungen an Zeugenaussagen und mögliche Anknüpfungstatsachen habe sie nicht mehr. Ein Aktenstudium vor Gutachtenerstellung sei vollkommen üblich und werde sogar erwartet. Die Befragung der Zeugin sei in Anwesenheit ihres Vaters und einer Mitarbeiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie in K. erfolgt. Eine ordnungsgemäße Unterrichtung sei bei allen Probanden stets erfolgt, wobei eine formale Belehrung nicht vorgesehen sei. Ein Audioprotokoll sei erstellt worden, zudem liege dem Gutachten das verschriftlichte Wortprotokoll bei.

30
Die früheren sexuellen Erfahrungen der Zeugin seien in der Hauptverhandlung bekannt geworden, wobei eine Traumatisierung nicht in einem direkten Zusammenhang mit der Prüfung der Glaubwürdigkeit stehe. Vielmehr müsse geprüft werden, ob inhaltliche Aspekte Basis für ungerechtfertigte Beschuldigungen ohne Erfahrungshintergrund seien. Inwieweit die im Zeitpunkt der Gutachtenerstellung nicht bekannten Vorgänge der Jugendfreizeit in T. und Äußerungen gegenüber einer Schwägerin in der Hauptverhandlung thematisiert worden seien, wisse die Beklagte nicht mehr. Sexualverkehr mit 10 1/2 Jahren sei nicht bestätigt, hätte aber auch zu keiner Änderung der gutachterlichen Einschätzung geführt. Auch die behaupteten Zeichen starker Sexualisierung seien ihr nicht bekannt. Sie würden bestritten. Ein Medikamenteneinfluss auf die kognitiven Funktionen sei nicht festgestellt worden, durch das Medikament Truxal könne ein solcher nicht entstehen.

31
Die Individualverflechtung zum Ausschluss einer Personenübertragung sei geprüft worden. Erinnerungen an ihr mündlich erstattetes Gutachten habe die Beklagte nicht mehr. Auch das Gutachten des Prof. Dr. S. sei methodisch angreifbar, da die Befragung einer intelligenzgeminderten Person durch zwei Interviewer höchst fragwürdig sei.

32
Darüber hinaus hat die Beklagte die Ursächlichkeit ihres Gutachtens für eine Entfernung des Klägers aus dem Beamtenverhältnis und eine vorzeitige Pensionierung bestritten. Eine Kausalität des Gutachtens für die Entscheidung der 5. Strafkammer (Jugendkammer IV) sei nicht gegeben, weil das Gericht auch ohne das Gutachten von der Schuld des Klägers vollumfänglich überzeugt gewesen sei, da es an der Glaubwürdigkeit der Zeugin M. S. keinerlei Zweifel gehabt habe. Die von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken mit der Anklage vom 17.10.2003 (Anlage 4, im Anlagenbd. Kläger) erhobenen Vorwürfe seien zutreffend. Der im Verfahren vor dem Amtsgericht Neunkirchen geführte Zeugenbeweis zum Aufenthalt des Klägers an seinem Arbeitsplatz zum damaligen Anklagevorwurf zu 2 hätte auch im seinerzeitigen Strafverfahren bereits geführt werden können. Das Urteil im Wiederaufnahmeverfahren vor dem Amtsgericht Neunkirchen dürfte auch nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ ergangen sein. Die Zeugin M. S. habe vor dem Amtsgericht Neunkirchen die Aussage unter Berufung auf § 55 StPO verweigert, um keinen Angehörigen belasten zu müssen.

33
Außerdem sei § 839a BGB nicht anzuwenden, weil der Kläger nicht sämtliche Rechtsmittel gegen die strafrechtliche Verurteilung und die behauptete Entfernung aus dem Beamtenverhältnis und vorzeitige Pensionierung ausgeschöpft habe. Bereits die im Strafverfahren eingelegte Revision sei nicht substantiiert begründet worden, denn der bei Einlegung vorbehaltene gesonderte Schriftsatz zur Verletzung materiellen Rechts sei nie erstellt worden. Da Fehler des Strafurteils nicht aufgezeigt worden seien, habe der Bundesgerichtshof dieses nur auf seine Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit hin überprüfen können. Zur Rechtsmittelausschöpfung seien auch formelle Beweisanträge auf Einholung eines neuen (Ober-) Gutachtens zu zählen. Diesem Erfordernis habe der nur hilfsweise gestellte Beweisantrag im Schlussplädoyer des Strafverfahrens nicht genügt. Erforderlich sei vielmehr ein unbedingter Beweisantrag gewesen, über den nicht gemäß § 244 Abs. 4 StPO hätte entschieden werden können. Eine Verfassungsbeschwerde, insbesondere gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 14.05.2004 (Aktenzeichen 5-25/03 IV), sei nicht eingelegt worden. Als Nichtausschöpfung von Rechtsmittel stelle es sich auch dar, dass Rechtsmittel bezüglich der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis überhaupt nicht erhoben worden seien.

34
Die Beklagte erhebt überdies die Einrede der Verjährung. Die Verjährung habe bereits mit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils im Strafverfahren zu laufen begonnen. Dies gelte insbesondere, da der Kläger über seinen damaligen Verteidiger jedenfalls einen Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines weiteren Glaubwürdigkeitsgutachtens gestellt habe, da sie ihre schriftlichen Äußerungen im mündlichen Gutachten zu bestätigen versucht habe und von sich aus nicht auf die sexuellen Vorerfahrungen und die Aggressionen der Zeugin S. zu sprechen gekommen sei (Urteilsgründe Seite 22 im Verfahren 5-25/03 IV vom 24.05.2004). Die erforderlichen Kenntnisse des Klägers ergäben sich somit bereits aus der Begründung des Hilfsbeweisantrages im Rahmen des Schlussplädoyers. Eine Kenntnis der angeblichen Fehlerhaftigkeit habe daher bereits im Jahre 2004 vorgelegen, so dass Schadensersatzansprüche zum 31.12.2007 verjährt seien. Da auch das das Verfahren abschließende letzte Urteil, vorliegend die Verwerfung der Revision durch den Bundesgerichtshof vom 16.11.2004, noch im Jahre 2004 ergangen sei, ändere sich selbst bei Zugrundelegung der letztinstanzlichen Entscheidung am Verjährungszeitpunkt nichts. Da zudem die eingereichten Klageanträge nicht vollständig mit dem ursprünglichen Klageentwurf vom 27.12.2013 übereinstimmten, habe auch der Prozesskostenhilfeantrag die Verjährung nicht gehemmt. Jedenfalls zum 31.12.2009 sei die Verjährung vollendet gewesen, da sich aus einer fachwissenschaftlichen Stellungnahme zu ihrem aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten, die am 11.06.2006 der Ehefrau des Klägers übergeben worden sei (Anlage 16, Beschluss des Landgerichts Saarbrücken in 4 KLs 46/11 vom 28.11.2011, im Anlagenbd. Kläger), alle notwendigen Erkenntnisse ergeben hätten, so dass jedenfalls seit diesem Zeitpunkt Kenntnis vorgelegen habe. Spätestens zum 31.12.2010 sei Vollendung der Verjährung eingetreten, da unter dem 14.12.2007 dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 13.12.2007 (Aktenzeichen 2 O 77/05) zugestellt worden sei. Auch in diesem Urteil werde auf die bereits zuvor benannte fachwissenschaftliche Stellungnahme des Dr. R. Bezug genommen und diese zur Urteilsbegründung herangezogen. Auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. sei es zur Kenntniserlangung daher nicht mehr angekommen.

35
Ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 80.000 € hat die Beklagte für übersetzt gehalten. Weiter hat sie die Beendigung des Beamtenverhältnisses durch die Verurteilung, eine Entfernung aus demselben ohne Pensionsansprüche und eine Rückzahlungsverpflichtung bezüglich bezogenen Gehaltes wie auch die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen bestritten.

36
Die fehlende Möglichkeit der Rückkehr in die private Krankenversicherung hat die Beklagte mit Nichtwissen bestritten, ferner hat sie die Kausalität des Gutachtens hierfür bestritten. Die Zahlung von 4.148,77 € an die B. Kasse hat die Beklagte mit Nichtwissen bestritten. Soweit sich Beträge aus der Anlage 35 (im Anlagenbd. Kläger) ergeben, hat die Beklagte bestritten, dass diese Leistungen für den Kläger erfolgt seien. Eine Notwendigkeit zum Abschluss einer Zusatzversicherung bei der C. habe nicht bestanden. Eine vorherige private Versicherung bei der M. Krankenversicherung in Höhe von 50 v. H. hat die Beklagte ebenfalls bestritten, eine Verpflichtung hierzu habe nicht bestanden.

37
Bestritten hat die Beklagte auch die behaupteten Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Eigenheims, insbesondere die zweimalige Ankündigung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auf Grund ausbleibender Darlehensraten, ebenso dass der Kläger und seine Ehefrau den ursprünglichen bei der A. Bausparkasse AG bestehenden Darlehensvertrag umfinanzieren und einen neuen Vertrag bei der C. Bausparkasse AG hätten abschließen müssen. Außerdem hat die Beklagte die Höhe der monatlichen Darlehensrate von 1.059,82 € bestritten. Die sich aus der Anlage 19 (im Anlagenbd. Kläger) ergebende Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 3.480 € sei rechtswidrig und könne von der C. Bausparkasse AG zurückgefordert werden. Den sich aus Anlage 20 (im Anlagenbd. Kläger) ergebenden Betrag in Höhe von 1.508,77 € für die vorzeitige Rückzahlung des Darlehens Nummer an die A. hat die Beklagte bestritten. Vorfälligkeitszinsen in Höhe von 475,27 €, sowie 6.664,30 €, weiteren 1.341,99 € und 846,29 € hat die Beklagte der Höhe nach bestritten, ferner hat sie sich zur Zahlung der Beträge mit Nichtwissen erklärt. Ebenfalls bestritten hat die Beklagte die Notwendigkeit einer Umfinanzierung und nötiger Grundbucheintragungen mit einhergehenden Kosten von 173,74 €. Gleichfalls bestritten hat sie die Kosten für Grundbucheintragungen in Höhe von 378 €, weiteren 146,50 € sowie Notarkosten in Höhe von 173,74 €. Überdies hat sie bestritten, dass auf Grund fehlenden Einkommens des Klägers Überziehungszinsen in Höhe von 55,79 € für den Zeitraum Januar bis November 2012 bei der A. betreffend Vertragsnummer sowie betreffend Vertragsnummer in Höhe von 327,26 € angefallen seien. Die gleichbleibende Höhe dieses Schadens in Höhe von jährlich 849,15 € für den Zeitraum ab Wegfall des Einkommens des Klägers ab Anfang 2004 unter Berücksichtigung von neun Jahren in Höhe von insgesamt 7.642,27 € hat die Beklagte ebenfalls bestritten.

38
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.000 € für Rechtsanwalt S. bezüglich des Strafverfahrens, insbesondere die Zahlung dieses Betrages, hat die Beklagte ebenso bestritten wie die Zahlung eines Betrags in Höhe von 5.949,47 € an die Rechtsanwaltskanzlei B.. Hilfsweise hat die Beklagte die wirksame Vereinbarung eines Pauschalhonorars bestritten. Außerdem hat die Beklagte die Zahlung eines Betrags in Höhe von 960 € an den Bundesgerichtshof bestritten.

39
Das Landgericht hat mit dem am 29.01.2015 verkündeten Grund- und Teilurteil (Bd. III Bl. 494 ff. d. A.) die materiellen Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte auf Grund eines fehlerhaften Gutachtens der Beklagten in der Frage der Glaubwürdigkeit der M. S. und der daraus folgenden rechtswidrigen Inhaftierung des Klägers wegen des sexuellen Missbrauchs zu Lasten der M. S. dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Ferner hat das Landgericht die Beklagte unter Abweisung des weitergehenden Klageantrags zu 2 verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.05.2014 zu zahlen. Außerdem hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Schaden zu erstatten, der ihm durch die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Verlust der Dienstbezüge) und durch den vorzeitigen Pensionsbezug (Kürzung der Pensionsbezüge) entstanden ist, soweit der Schaden nicht durch Dritte bereits ausgeglichen wurde. Schließlich hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die künftigen weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten, die diesem durch das fehlerhafte Gutachten der Beklagten in der Frage der Glaubwürdigkeit der M. S. und die daraus folgende rechtswidrige Inhaftierung wegen des sexuellen Missbrauchs zu Lasten der M. S. entstehen werden. Im Übrigen nimmt der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil Bezug.

40
Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, Ziffer I und IV des Tenors des angefochtenen Urteils seien insoweit unzutreffend, als die Beklagte demnach dem Kläger jedweden Schaden zu ersetzen habe und nicht nur den durch die gerichtliche Entscheidung entstandenen. § 839a BGB erfasse aber nur den durch eine gerichtliche Entscheidung entstehenden Schaden. Darüber hinaus habe die Beklagte kein Gutachten in Bezug auf die Glaubwürdigkeit der M. S., sondern in Bezug auf die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage erstellt (Bd. IV Bl. 590 d. A.).

41
Aus der Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. vom 02.10.2007 (19 U 8/07, ZfSch 2007, 671 ff.) sei zu schließen, dass das OLG Frankfurt a. M. selbst bei einer vom Gutachter angenommenen „sehr hohen Wahrscheinlichkeit“ der Täterschaft noch nicht von einer grob fahrlässigen Fehlerhaftigkeit eines Gutachtens ausgehe, sondern erst dann, wenn ein Gutachten eine quasi 100 %-ige – falsche – Sicherheit bejahe. Das Ergebnis der Beklagten habe hier deutlich unter der „sehr hohen Wahrscheinlichkeit“ gelegen. Die von ihr angenommene „hohe Wahrscheinlichkeit“ stelle die mittlere der drei von ihr bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Aussagen verwendeten Wahrscheinlichkeitsstufen dar.

42
Die Beklagte habe als vom Landgericht zugezogene Sachverständige und damit als Amtsträger im Sinne von § 839 BGB gehandelt. Diese Regelung sei gegenüber anderen deliktischen Schadensersatzansprüchen vorrangig mit der Konsequenz, dass der Amtsträger nicht persönlich hafte, sondern seine Haftung nach Art. 34 GG auf den Staat übergeleitet werde (Bd. IV Bl. 594 d. A.). Werde zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben ein Gutachten in Auftrag gegeben, so werde dieser Gutachter ebenfalls hoheitlich tätig (Bd. IV Bl. 596 d. A.). Die Beklagte sei auch deswegen hoheitlich tätig geworden, weil das Institut für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie der Universität … als solches nicht in der Lage ist, ein Gutachten zu erstatten, und sie als konkret benannte Person das Gutachten während ihrer Dienstzeit im Institut erstattet habe. Fakturiert habe das Gutachten wiederum das Institut (Bd. IV Bl. 597 d. A.).

43
Das Landgericht habe ohne einen nach § 139 ZPO gebotenen Hinweis das Gutachten des Prof. Dr. S. verwertet und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Die Beklagte sei indes dem Vortrag des Klägers, das Gutachten S. sei richtig und dasjenige der Beklagten falsch, substantiiert entgegen getreten und habe insoweit Zeugenbeweis und die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Richtigkeit ihres Gutachtens angeboten. Diese Beweisangebote hätte das Landgericht nicht übergehen dürfen (Bd. IV Bl. 598 d. A.). Hätte das Landgericht den gebotenen Hinweis gegeben, hätte die Beklagte bereits in erster Instanz ein Parteigutachten von Frau Prof. Dr. G. eingeholt und vorsorglich die Einholung eines neuen, hilfsweise eines Obergutachtens zur Frage der Fehlerhaftigkeit des von ihr erstatteten Gutachtens beantragt. Diese beiden Anträge würden nunmehr ebenfalls in der zweiten Instanz gestellt (Bd. IV Bl. 599 d. A.). Ergänzend beziehe sich die Beklagte auf das sachverständige Zeugnis des Prof. Dr. M. R. (Bd. IV Bl. 654 d. A.). Die Verwertung des Gutachtens S. durch das Landgericht sei auch deswegen überraschend, weil sie vom Kläger erstinstanzlich nicht beantragt worden sei (Bd. IV Bl. 651 d. A.).

44
Bei den Ausführungen zur methodisch-technischen Fehlerhaftigkeit des Gutachtens der Beklagten habe das Landgericht wiederum übersehen, dass die Beklagte zum Einen die Richtigkeit ihres Gutachtens – obwohl die Beweislast beim Kläger liege – durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und sachverständiges Zeugnis des Prof. Dr. R. unter Beweis gestellt habe, und dass zum Anderen das Gutachten des Prof. Dr. S. nicht wirksam in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführt worden sei (Bd. IV Bl. 653 f. d. A.). Darüber hinaus leide das Gutachten der Beklagten nicht an den von Prof. Dr. S. angegebenen und vom Landgericht übernommenen Mängeln (Bd. IV Bl. 657 ff. d. A.).

45
Die Auffassung des Landgerichts, dass die Entscheidung der 5. Strafkammer „auf diesem unrichtigen Gutachten“ beruhe, sei nicht haltbar (Bd. IV Bl. 663 d. A.). Die Überzeugung der Strafkammer von der Glaubhaftigkeit der Beschuldigungen habe festgestanden, die mündlichen Ausführungen der Beklagten seien lediglich noch unterstützend bzw. bestärkend hinzugekommen. Das Beweisangebot der Beklagten auf Vernehmung der an der Entscheidung mitwirkenden Berufsrichter und ehrenamtlichen Richter habe mit „Verletzung des Beratungsgeheimnisses“ nichts zu tun. Es gehe lediglich um die Frage, ob das, was in den Urteilsgründen auf S. 18 festgehalten sei, in der vorgetragenen Form zutreffe (Bd. IV Bl. 664 d. A.).

46
Hinsichtlich der Frage der groben Fahrlässigkeit fehlten im angefochtenen Urteil jedwede Ausführungen, woraus sich die subjektive Vorwerfbarkeit ergeben solle. Wenn die Fehlerhaftigkeit des Gutachtens der Beklagten so evident gewesen wäre, hätte sie sowohl dem Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren als auch den mit den Wiederaufnahmeanträgen befassten Gerichten auffallen müssen. Der Umstand, dass dies nicht geschehen sei, spreche gegen die grob fahrlässige Erstattung eines falschen Gutachtens durch die Beklagte (Bd. IV Bl. 666 d. A.).

47
Grobe Fahrlässigkeit sei aber auch deswegen nicht anzunehmen, weil die Beklagte keine Sicherheit oder sehr hohe Wahrscheinlichkeit der Aussage der Frau S. vorgegeben habe, sondern eine lediglich im mittleren Bereich liegende Wahrscheinlichkeit für die Glaubhaftigkeit mitgeteilt habe. Insoweit sei auf das Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 23.10.2008 (8 U 487/07, OLGR 2009, 196 ff.) zu verweisen.

48
Rechtsfehlerhaft seien auch die Ausführungen des Landgerichts zur Erschöpfung des Rechtswegs durch den Kläger. Im Falle eines unbedingt gestellten Beweisantrages durch den Strafverteidiger des Klägers wäre diesem Antrag entweder stattgegeben worden oder der Antrag wäre durch Beschluss des Vorsitzenden zurückgewiesen worden bzw. es hätte der Verteidiger die Entscheidung der Kammer beantragen müssen. Die Stellung lediglich eines Hilfsbeweisantrags lasse dem Strafgericht Raum, im Wege der antizipierten Beweiswürdigung den Beweisantrag erst mit den Urteilsgründen zu bescheiden, was die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel eines Angeklagten nicht ausschöpfe (Bd. IV Bl. 669 d. A.).

49
Die Ansprüche des Klägers seien entgegen der Ansicht des Landgerichts unter jedem denkbaren Gesichtspunkt verjährt. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Berufungsbegründung Bezug genommen (Bd. IV Bl. 673 ff. d. A.).

50
Die Streithelfer der Beklagten halten die erhobenen Ansprüche für verjährt. Der Kläger habe spätestens seit Oktober 2003 relevante Kenntnis von den Tatsachen gehabt, welche letztlich zur Überzeugung geführt hätten bzw. hätten führen müssen, dass das schriftliche Gutachten der Beklagten einer Überprüfung nicht habe standhalten können. Dies ergebe sich aus dem Schriftsatz des Zeugen Rechtsanwalt J. S., als des damaligen Strafverteidigers des Klägers. Ferner sei nicht nachvollziehbar, aus welchen durchgreifenden Erwägungen die angefochtene Entscheidung letztendlich die fachwissenschaftliche Stellungnahme des Dr. phil. habil. R. vom 11.09.2006 bei der Feststellung der für den Verjährungsbeginn maßgeblichen Kenntnis des Klägers unbeachtet gelassen habe.

51
Außerdem fehle es bereits an der Kausalität des schriftlichen Gutachtens für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch. Insbesondere könne nicht uneingeschränkt davon ausgegangen werden, dass das mündlich erstattete Gutachten inhaltlich mit dem schriftlichen identisch sei. Soweit im Rahmen der Berufung Sachverständigenbeweis erhoben worden sei bezüglich des schriftlichen Gutachtens, werde der Verwertung dieses Sachverständigengutachtens widersprochen. Der Sachverständige habe eine Wertung zu treffen gehabt bezüglich eines Gutachtens, welches niemals Gegenstand der mündlichen Verhandlung in der Strafsache gewesen sei.

52
Schließlich halten die Streithelfer der Beklagten sich für nicht passivlegitimiert. Die Beauftragung der Beklagten sei persönlich ausschließlich durch die Staatsanwaltschaft und gerade nicht in ihrer Eigenschaft als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts erfolgt. Der Streithelfer Prof. R. sei zu keinem Zeitpunkt in die Begutachtung eingebunden gewesen, zumal es einzig und allein auf das mündliche Gutachten in der Strafverhandlung ankomme. Das „Institut für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie, Universitätsklinikum …“ selbst sei nicht rechtsfähig. Der Streithelfer Prof. R. sei als Klinikdirektor gemäß § 11 der Satzung des Universitätsklinikums … lediglich medizinischer Leiter.

53
Die Beklagte (Bd. IV Bl. 576 f. d. A.) und die Streithelfer der Beklagten (Bd. VIII Bl. 1590 d. A.) beantragen,

54
das Grund- und Teilurteil des Landgerichts Saarbrücken (Aktenzeichen 3 O 295/13) vom 29.01.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen;

55
hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen und

56
die Revision zuzulassen.

57
Der Kläger beantragt,

58
die Berufung zurückzuweisen.

59
Er verteidigt bis auf die Bemessung des Schmerzensgeldes die angefochtene Entscheidung. Insoweit rügt der Kläger, es sei nicht berücksichtigt worden, dass er ohne das von der angeblich Geschädigten geführte Zivilverfahren keine Rehabilitation erfahren habe. Wäre von der angeblich Geschädigten kein Zivilverfahren auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in die Wege geleitet worden, wäre kein zweites gerichtliches Gutachten eingeholt worden und hätte es keine erfolgreiche Wiederaufnahme mit dem sich anschließenden Freispruch des Klägers gegeben. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Strafverteidiger des Klägers die Beklagte außergerichtlich über das Gutachten des Prof. Dr. S. informiert und um Rückäußerung gebeten habe, ob sie vor diesem Hintergrund an ihren Ausführungen festhalte. Der Strafverteidiger des Klägers habe darauf hingewiesen, dass eine Äußerung der Beklagten, sich vom Ergebnis ihres Gutachtens zu distanzieren, zu einer leichteren Wiederaufnahme für den Kläger führen dürfte. Dennoch habe die Beklagte mitgeteilt, an ihrem Gutachten festzuhalten. Vom Landgericht sei auch der Umstand nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass der Kläger auch nach seiner Entlassung noch mit dem Vorwurf habe leben müssen, die Pflegetochter angeblich sexuell missbraucht zu haben. Außerdem hätten sich zwischenzeitlich weitere Probleme ergeben. Der Kläger sei vom … bis zum … stationär ins Krankenhaus eingeliefert worden mit der Diagnose des Verdachts auf einen Schlaganfall. Im Rahmen der medizinischen Untersuchungen habe sich herausgestellt, dass der Kläger unter massiven Gleichgewichtsstörungen gelitten habe, die unter anderem durch den Tinnitus ausgelöst würden. Dieser Tinnitus habe seine Ursache in der durch die Haft ausgelösten Stresssituation. Der Kläger habe ständig darauf achten müssen, wer sich in seiner Nähe befunden habe, und er sei nur alleine Duschen gegangen aus Angst vor körperlichen Misshandlungen. Die Zahlung einer Strafrechtsentschädigung sei bei der Frage der Höhe des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen. Dagegen sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte bis zum heutigen Tage nicht ihr Bedauern über die unberechtigterweise erfolgte strafrechtliche Verurteilung des Klägers mit allen ihren Folgen zum Ausdruck gebracht habe. Vielmehr zeige die von ihr eingelegte Berufung, dass sie nach wie vor der Meinung sei, an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten zu müssen. Überdies habe die Beklagte aus Sicht des Klägers unwahren Tatsachenvortrag vorgebracht und behauptet, der Kläger habe die Tat begangen. Die Beklagte habe unter anderem auf S. 13 des Schriftsatzes vom 05.06.2014 behauptet, dass die von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken mit der Anklage vom 27.10.2003 gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe zuträfen, und sie habe die Zeugin M. S. benannt. Der Kläger fühle sich durch solche Äußerungen zu Recht diskreditiert und trotz des Freispruchs nochmals als Sexualstraftäter betitelt.

60
Im Wege der Anschlussberufung beantragt der Kläger (Bd. IV Bl. 773 d. A.),

61
das angefochtene Urteil zu Ziffer II insofern abzuändern, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 80.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.05.2014 zu zahlen.

62
Die Beklagte und die Streithelfer der Beklagten beantragen,

63
die Anschlussberufung zurückzuweisen.

64
Die Beklagte bestreitet, dass der Strafverteidiger des Klägers sie außergerichtlich um eine Rückäußerung gebeten habe. Selbst wenn dem so gewesen wäre, würde auch dieser Umstand keine Erhöhung des Schmerzensgeldes rechtfertigen. Mit Nichtwissen bestreitet die Beklagte, dass der Kläger auch nach seiner Entlassung „noch mit dem Vorwurf habe leben müssen, die Pflegetochter angeblich sexuell missbraucht zu haben“. Weiter hat die Beklagte bestritten, dass beim Kläger ein Tinnitus vorliege und die „massiven Gleichgewichtsstörungen“ unter anderem durch den Tinnitus ausgelöst worden seien. Höchst vorsorglich und hilfsweise hat sie die Kausalität bestritten. Selbst wenn der Kläger zeitweise unter einem Tinnitus gelitten haben sollte, bestreitet die Beklagte, dass er heute noch darunter leide. Die Beklagte habe nicht behauptet, der Kläger habe die Tat begangen. Dies sei Aufgabe des Strafgerichts gewesen. Die Beklagte habe lediglich die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin M. S. beurteilt.

65
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 30.10.2014 (Bd. III Bl. 407 f. d. A.) und vom 15.12.2014 (Bd. III Bl. 484 f. d. A.) und des Senats vom 14.01.2016 (Bd. V Bl. 905 ff. d. A.), vom 10.11.2016 (Bd. VI Bl. 1115 ff. d. A.) und vom 19.10.2017 (Bd. VIII Bl. 1589 ff. d. A.) sowie die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Saarbrücken (Aktenzeichen 21 Js (09) 461/03) und des Landgerichts Saarbrücken (Aktenzeichen 2 O 77/05), welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

66
Der Senat hat Beweis erhoben gemäß den Beweisbeschlüssen vom 16.02.2016 (Bd. V Bl. 938 ff. d. A., in Verbindung mit dem Beschluss vom 17.06.2016 (Bd. VII Bl.1078 f. d. A.) und dem Hinweisbeschluss vom 06.12.2016 (Bd. VI Bl.1185 f. d. A.), vom 08.03.2017 (Bd. VII Bl. 1382 ff. d. A.) und vom 12.07.2017 (Bd. VIII Bl. 1492 f. d. A.).

B.

67
Die Anschlussberufung hat insoweit Erfolg, als dem Kläger über den vom Landgericht ausgeurteilten Betrag von 50.000 € weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € nebst Zinsen zuzusprechen ist. Die weitergehende Anschlussberufung und die Berufung sind hingegen zurückzuweisen. Das Landgericht hat im Übrigen im Ergebnis mit Recht im Wege des Grund- und Teilurteils (§§ 304 Abs. 1, 301 ZPO) entschieden, dass die Klage dem Grunde nach berechtigt ist, und es hat ebenso zutreffend nach den Feststellungsanträgen erkannt.

I.

68
Die Berufung der Beklagten ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist mithin zulässig. Das Rechtsmittel ist nach Maßgabe der §§ 513, 529, 546 ZPO unter Berücksichtigung des Ergebnisses der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme nicht begründet.

69
1. Die Berufung macht geltend, dass Ziffer I und IV des Tenors des erstinstanzlichen Urteils insoweit unzutreffend seien, als die Beklagte demnach dem Kläger jedweden Schaden zu ersetzen hätte und nicht nur den durch die gerichtliche Entscheidung entstandenen (Bd. IV Bl. 590 d. A.). Diese Rüge geht fehl.

70
a) Ein Teil eines einheitlichen Anspruchs (hier: Schmerzensgeld und Feststellungen), dessen Grund streitig ist, darf nur dann durch Teilurteil zugesprochen werden, wenn zugleich ein Grundurteil ergeht. Dies ist eine Folge davon, dass ein Teilurteil nur erlassen werden darf, wenn es von der Entscheidung über den Rest des Anspruchs unabhängig ist, wenn also die Gefahr widersprechender Entscheidungen, auch infolge einer abweichenden Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht, ausgeschlossen ist (BGHZ 107, 236, 242; VersR 2017, 888, 889 Rn. 12). Ein Grundurteil (§ 304 Abs. 1 ZPO) wiederum darf nur ergehen, wenn ein Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist, grundsätzlich alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind und wenn nach dem Sach- und Streitstand zumindest wahrscheinlich ist, dass der Anspruch, was hier angesichts der strafrechtlichen Verurteilung des Klägers außer Frage steht, in irgendeiner Höhe besteht (BGH NJW 2017, 265 Rn. 21). Beim Grundurteil genügt es an sich schon, die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären. Beim Feststellungstenor (§ 256 ZPO, hier: des Teilurteils) muss auf der Zulässigkeitsebene das Rechtsverhältnis in der Regel durch Angabe der rechtsbegründenden Tatsachen genau umschrieben werden (BGH VersR 1982, 68; NJW 1983, 2247, 2250; VersR 1991, 788). Welche Tatsachen rechtsbegründend sind, ergibt sich aus dem materiellen Recht. Erstattet ein vom Gericht ernannter Sachverständiger vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten, so ist er gemäß § 839a Abs. 1 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht. Die Vorschrift ist hier gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB anzuwenden, weil das in Frage stehende schädigende Ereignis nach dem 31.07.2002 eingetreten ist. Insoweit kommt es unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht darauf an, ob als schädigendes Ereignis die auf dem Gutachten beruhende gerichtliche Entscheidung (so Staudinger/Wöstmann, BGB Neubearb. 2013 § 839a Rn. 31) oder das Gutachten selbst (so Kilian VersR 2003, 683, 688) anzusehen ist. § 839a BGB gilt – in analoger Anwendung – auch für die Gutachten, die ein Sachverständiger in einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren erstattet (BGHZ 200, 253 ff. = BGH NJW 2014, 1665, 1666 Rn. 20).

71
b) Unter Ziffer I des Tenors hat das Landgericht die materiellen Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte auf Grund eines fehlerhaften Gutachtens der Beklagten in der Frage der Glaubwürdigkeit der M. S. und der daraus folgenden rechtswidrigen Inhaftierung des Klägers wegen des sexuellen Missbrauchs zu Lasten der M. S. dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Wie unter a) ausgeführt, wäre die Angabe der haftungsbegründenden Tatsachen an sich beim Grundurteil nicht erforderlich. Da die Klage sich sowohl auf das schriftliche, im Auftrag der Staatsanwaltschaft erstattete, als auch auf das mündliche, im Auftrag der Jugendkammer erstattete Gutachten im Strafprozess bezieht, ist eine weitere Differenzierung nicht erforderlich. Die Auffassung der Berufung, dass die Beklagte kein Gutachten in Bezug auf die Glaubwürdigkeit der M. S., sondern in Bezug auf die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage erstellt habe (Bd. IV Bl. 590 d. A.), trifft nicht zu. Herkömmlich werden bei der Beurteilung von Zeugenaussagen die Begriffe „Glaubhaftigkeit der Aussage“ und „Glaubwürdigkeit des Zeugen“ unterschieden. Es besteht Einigkeit darüber, den Begriff „Glaubhaftigkeit“ auf die Sachdarstellung und den Begriff „Glaubwürdigkeit“ auf die Persönlichkeit des Zeugen zu beziehen (BGH NJW 1991, 3284). Der Gutachtenauftrag der Staatsanwaltschaft vom 26.03.2003 bezieht sich auf die Glaubwürdigkeit der minderjährigen Zeugin (Anlage 1, im Anlagenbd. Kläger). Das schriftliche Gutachten der Beklagten (Anlage 3, im Anlagenbd. Kläger) verhält sich aber sowohl zur Glaubwürdigkeit der Zeugin (z. B. Aussagetüchtigkeit) als auch zur Glaubhaftigkeit des Inhalts der Aussage. Da die Beklagte innerhalb und außerhalb des hier interessierenden Strafprozesses keine weiteren Gutachten in Bezug auf die Zeugin M. S. erstattet hat, ist eine Verwechselung ausgeschlossen.

72
c) Weiter hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Schaden zu erstatten, der ihm durch die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Verlust der Dienstbezüge) und durch den vorzeitigen Pensionsbezug (Kürzung der Pensionsbezüge) entstanden ist, soweit der Schaden nicht durch Dritte bereits ausgeglichen wurde. Dass das haftungsbegründende Ereignis die Begutachtung der Zeugenaussage der M. S. durch die Beklagte sein soll, ergibt sich zweifelsfrei aus dem Zusammenhang mit Ziffer I des Tenors.

73
d) Dementsprechend ist auch die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die künftigen weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten, die diesem durch das fehlerhafte Gutachten der Beklagten in der Frage der Glaubwürdigkeit der M. S. und die daraus folgende rechtswidrige Inhaftierung wegen des sexuellen Missbrauchs zu Lasten der Frau S. entstehen werden, nicht zu beanstanden.

74
2. Ohne Erfolg rügt die Berufung ferner das Fehlen der Passivlegitimation der Beklagten.

75
a) Nach § 839a BGB ist der Sachverständige selbst persönlich verantwortlich (vgl. MünchKomm-BGB/Wagner, 7. Aufl. § 839a Rn. 35). Gerichtliche Sachverständige werden, auch wenn sie öffentlich bestellt sind, durch die gerichtliche Beauftragung nicht Beamte im haftungsrechtlichen Sinn. Sie haften deshalb, wenn sie schuldhaft ein objektiv unrichtiges Gutachten erstatten, nicht nach § 839 BGB. Etwas Anderes gilt, wenn die Erstattung von gerichtlichen Sachverständigengutachten – wie etwa beim Gutachterausschuss – im Rahmen einer normalen Amtstätigkeit erfolgt (BGH NJW 2003, 2825, 2826; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess 1. Aufl. Kap. 43 Rn. 33 f.).

76
aa) Zutreffend ist jedoch der Ausgangspunkt der Berufung, dass § 839 BGB in seinem Anwendungsbereich als vorrangige Spezialregelung konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB (BGHZ 34, 99, 104; 60, 54, 62 f.) sowie aus § 839a BGB verdrängt. Im Rahmen der Haftung nach § 839 BGB tritt gemäß Art. 34 Satz 1 GG – im Wege der befreienden Haftungsübernahme – der Staat bzw. die jeweilige Anstellungskörperschaft als Anspruchsgegner des Geschädigten an die Stelle dessen, der in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat; in diesem Falle scheidet eine persönliche Haftung des Amtsträgers gegenüber dem Geschädigten aus (BGHZ 200, 253 ff. = BGH NJW 2014, 1665, 1667 Rn. 29). Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes darstellt, bestimmt sich danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wird, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, d. h. auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der gesamte Tätigkeitsbereich, der sich auf die Erfüllung einer bestimmten hoheitlichen Aufgabe bezieht, als Einheit beurteilt werden muss und es nicht angeht, die einheitliche Aufgabe in Einzelakte – teils hoheitlicher, teils bürgerlich-rechtlicher Art – aufzuspalten und einer gesonderten Beurteilung zu unterziehen (BGHZ 200, 253 ff. = BGH NJW 2014, 1665, 1667 Rn. 34).

77
bb) Wenn und soweit die Erstattung von Behördengutachten zum öffentlich-rechtlichen Pflichtenkreis gehört, setzt sich demnach § 839 BGB als Haftungsgrundlage gegenüber § 839a BGB durch mit der Folge, dass der Geschädigte sich an den Staat zu halten hat. Der Vorrang des § 839 BGB gilt auch dann, wenn ein Beamter dienstlich ein Sachverständigengutachten erstellt. Anders liegt es aber, wenn die Gutachtenerstattung lediglich im Rahmen einer privaten Nebentätigkeit geschieht. Wird nicht die Behörde, sondern einer ihrer Mitarbeiter persönlich zum Sachverständigen ernannt, kommt es also darauf an, ob er das Gutachten in Erfüllung seiner Dienstaufgaben oder im Rahmen seiner privaten Nebentätigkeit erstatten soll (Knerr in Geigel, Der Haftpflichtprozess 27. Aufl. Kap. 35 Rn. 3; MünchKomm-BGB/Wagner, aaO Rn. 11). Abgrenzungskriterium ist hier insbesondere die Erstattungsfähigkeit nach § 1 Abs. 3 ZSEG a. F. bzw. § 1 Abs. 2 Satz 2 JVEG (Soergel/Spickhoff, BGB 13. Aufl. § 839a Rn. 13). In der Übermittlung eines Gutachtenauftrages an ein Krankenhaus in öffentlicher Trägerschaft ist, auch wenn konkrete Ärzte nicht benannt werden, regelmäßig keine Beauftragung des Krankenhauses (mit der Folge möglicher Amtshaftung) zu sehen, sondern eine Beauftragung individueller Ärzte als Privatpersonen (OLG Oldenburg VersR 1996, 59, 60; Ahrens, aaO Rn. 35).

78
b) Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf den an das Institut für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie „z. Hd.“ der Beklagten adressierten Gutachtenauftrag der Staatsanwaltschaft gegeben, zumal darin die Beklagte angeredet und um Begutachtung gebeten wird (Anlage 1 im Anlagenbd. Klägerin). Aus den beigezogenen (rekonstruierten) Strafakten ergibt sich zudem, dass die Beklagte persönlich durch Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer vom 09.03.2004 als Sachverständige geladen worden ist (Beiakte 4 KLs 21 Js 461/03 (47/12) („Handakte RA H.“) Bd. II Bl. 219, Ladungsplan Bl. 219a). Ein Sachverständiger ist der Haftung nach § 839a BGB ausgesetzt, wenn er von einem Gericht in einem konkreten Verfahren bestellt worden ist, um Erfahrungssätze oder Kenntnisse zu vermitteln, Tatsachen festzustellen und/oder aus dem Tatsachenstoff Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Zivilprozess erfolgt die Ernennung regelmäßig in Form eines Beweisbeschlusses (§§ 358, 358a Satz 2 Nr. 4, 359 ZPO), während sich das Strafgericht (§§ 72 ff. StPO) mit einer einfachen Beweisanordnung des Vorsitzenden – wie hier – begnügen kann (vgl. BGH NStZ 1982, 432). Zwingend ist ein förmlicher Beschluss nicht (MünchKomm-BGB/Wagner, aaO Rn. 7; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl. § 244 Rn. 104). Dementsprechend lautet auch die Festsetzung der Entschädigung für die Teilnahme an der Hauptverhandlung vom 11.05.2004 auf „R. Ärztin“ (Beiakte 4 KLs 21 Js 461/03 (47/12) („Handakte RA H.“) Bd. II Bl. 270), also auf die Beklagte persönlich. Entsprechendes gilt für die Festsetzung betreffend den Hauptverhandlungstermin am 24.05.2004 (Beiakte 4 KLs 21 Js 461/03 (47/12) („Handakte RA H.“) Bd. II Bl. 296). Darüber hinaus ist in dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 24.05.2004, in dem das mündliche Gutachten erstattet wurde, die Beklagte persönlich als Sachverständige verzeichnet (Beiakte 4 KLs 21 Js 461/03 (47/12) („Handakte RA H.“) Bd. II Bl. 287).

79
3. Das im Strafprozess gegen den Kläger erstattete Gutachten der Beklagten ist in mehreren entscheidenden Punkten unrichtig.

80
a) Das Merkmal der Unrichtigkeit im Sinne des § 839a Abs. 1 BGB erschließt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 742/01, S. 65 ff.) und ist daher ausfüllungsbedürftig. Die Vertretbarkeit der Ansicht des Gerichtssachverständigen (Ch. Huber, Das neue Schadensersatzrecht (2003) § 5 Rn. 58) stellt kein geeignetes Kriterium zur Verneinung der Haftung dar. Insoweit wird im Schrifttum mit Recht daran gezweifelt, ob es überhaupt Fälle geben könne, in denen die Meinung eines Sachverständigen unvertretbar falsch sei, zumal es doch fast immer einen Kollegen gebe, „der – wenn auch nicht den größten, aber doch relativ großen Unsinn – als noch vertretbar bezeichnen wird“ (Jaeger/Luckey, Das neue Schadensersatzrecht (2002) Rn. 418; Staudinger/Wöstmann, aaO Rn. 9). Die „Richtigkeit“ des Gutachtens ist vielmehr an Hand der Aufgabe des Sachverständigen und der Funktion seines Gutachtens zu messen. Demnach stellt sich ein Gutachten jedenfalls dann als unrichtig dar, wenn prozessuale und fachliche Standards nicht eingehalten sind.

81
aa) Unrichtig ist ein Sachverständigengutachten, wenn es nicht der objektiven Sachlage entspricht. Dies ist insbesondere der Fall, wenn es von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgeht – auch: wenn die festgestellten Tatsachen überhaupt nicht existieren (MünchKomm-BGB/Wagner, aaO Rn. 19) -, die Befunderhebung, soweit nicht vom Gericht vorgegeben, fehlerhaft oder unvollständig ist (Palandt/Sprau, BGB 76. Aufl. § 839a Rn. 3) oder wenn das Gutachten aus Befundtatsachen (SaarlOLG OLGR 2009, 196, 197) bzw. dem festgestellten Sachverhalt falsche Schlüsse zieht (BGHZ 198, 265, 269 Rn. 17; Knerr in Geigel, aaO Rn. 6). Kann die Beweisfrage vom Sachverständigen nicht exakt im Sinne einer mathematischen Genauigkeit ermittelt werden, ist ihm ein Bewertungsspielraum zuzugestehen (vgl. BGHZ 198, 265, 270 f. Rn. 20, zum Verkehrswertgutachten; Erman/Mayen, BGB 14. Aufl. § 839a Rn. 6). Soll der Gutachter über Erfahrungssätze Auskunft geben, so darf kein Lehrsatz aufgestellt werden, der nicht (mehr) gilt. Hat der Sachverständige aus einem gegebenen Tatsachenstoff Schlussfolgerungen zu ziehen, so muss der Schluss richtig sein. Ist nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil möglich, dann darf der Sachverständige keine Sicherheit vorspiegeln, sondern muss sich auf einen Wahrscheinlichkeitsschluss beschränken und den Wahrscheinlichkeitsgrad richtig angeben (MünchKomm-BGB/Wagner, aaO Rn. 19).

82
bb) Kommt es auf fachliche Meinungen an, hat der Sachverständige sein Gutachten entweder an allgemein vertretenen Ansichten auszurichten oder deutlich zu machen, dass seine in dem Gutachten vertretene Auffassung auf einer anderen (Minder-)Meinung beruht. Im letztgenannten Fall muss er darlegen, welche nennenswerten Gegenauffassungen bestehen, wie diese begründet werden und warum er diesen nicht gefolgt ist (Jaeger/Luckey, aaO Rn. 419; Bruckner/Neumann MDR 2003, 906, 907). Gleiches sollte im Grundsatz aber auch dann gelten, wenn sich der Gutachter der „herrschenden Meinung“ anschließt, dagegen aber eine nicht von der Hand zu weisende abweichende Auffassung besteht. Denn nur auf diese M. W.e wird der Sachverständige seiner Pflicht gerecht, dem Gericht eine umfassende Entscheidungshilfe zu liefern. Das Gutachten wird dadurch für den Leser nachvollziehbar und erfüllt somit eine Grundvoraussetzung, die an jedes Gutachten gestellt wird (Bruckner/Neumann MDR 2003, 906, 907).

83
b) Die Voraussetzungen eines im vorbeschriebenen Sinne unrichtigen Gutachtens sind, wie die Berufung zutreffend rügt, erstinstanzlich nicht verfahrensfehlerfrei ermittelt worden, so dass der Senat insoweit an die Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht gebunden war.

84
aa) Das Landgericht hat ausgeführt, der Kläger habe schlüssig dargelegt, dass das von der Beklagten erstattete mündliche Gutachten hinsichtlich der Glaubwürdigkeitsbeurteilung der damaligen Zeugin S. unrichtig, d. h. methodisch-technisch fehlerhaft, gewesen sei. Demnach habe die Beklagte an den Darlegungen im Rahmen ihres im Ermittlungsverfahren erstatteten Gutachtens auch trotz der aus den mündlichen Verhandlungen vor der 5. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken im Rahmen der Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnisse uneingeschränkt festgehalten. Diesem Vortrag des Klägers sei die Beklagte nicht in einer Art und M. W.e entgegengetreten, die einer Beweisaufnahme zugänglich gewesen wäre (Bd. III Bl. 514 d. A.). Zur methodisch-technischen Fehlerhaftigkeit des Gutachtens könne, so das Landgericht weiter, auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. abgestellt werden, auch wenn diese sich maßgeblich auf das schriftliche Gutachten der Beklagten aus dem Ermittlungsverfahren bezögen und mangels näherer Darlegungen nicht auf das mündliche Gutachten aus der Strafverhandlung selbst. Dies sei möglich, da die Beklagte der Behauptung des Klägers, im Rahmen des mündlichen Gutachtens sei es nicht zu Abweichungen von ihren schriftlichen Äußerungen gekommen, nicht konkret entgegengetreten sei. Die Beklagte habe einerseits behauptet, selbst wenn weitere Erkenntnisse vorgelegen hätten, hätten diese keinen Einfluss auf das Ergebnis der Begutachtung gehabt (so zu sexuellen Vorerfahrungen oder der Familienhistorie). Andererseits habe die Beklagte aber auch keine konkreten Abweichungen ihres mündlichen Gutachtens im Verhältnis zu ihrem schriftlichen Gutachten dargestellt. Im Übrigen ergebe sich aus dem Urteil der 5. Strafkammer, dass die Beklagte das Ergebnis ihres schriftlichen Gutachtens gerade auch im Rahmen ihres mündlichen Gutachtens bestätigt habe (Bd. III Bl. 514 f. d. A.).

85
bb) Die Auffassung des Landgerichts, dem Vortrag des Klägers sei die Beklagte nicht in einer Art und Weise entgegengetreten, die einer Beweisaufnahme zugänglich gewesen wäre, ist an Hand des Akteninhalts nicht nachzuvollziehen. Das Landgericht hatte – gerade umgekehrt – den Kläger mit Beschluss vom 11.07.2014 darauf hingewiesen, dass das Klägervorbringen zur Fehlerhaftigkeit des von der Beklagten erstatteten Gutachtens vor dem Hintergrund einer auf Seiten des Klägers liegenden diesbezüglichen Beweislast und den bisherigen Darstellungen der Beklagten als nicht ausreichend erscheine. Beweisangebote zur Fehlerhaftigkeit des Gutachtens müssten auf einer konkreten Tatsachenbehauptung aufbauen; denn ohne eine solche lägen keine Beweisangebote, sondern unbeachtliche Beweisermittlungsanträge vor (Bd. II Bl. 263 d. A. unter 2.). Daraufhin hat der Kläger im Schriftsatz vom 05.08.2014 im Einzelnen und unter Beweisantritt durch Sachverständigengutachten dargelegt, aus welchen Gründen er das Gutachten der Beklagten für fehlerhaft halte (Bd. II Bl. 284 bis 295 d. A.). Diesem Vorbringen ist die Beklagte im Schriftsatz vom 17.09.2014 detailliert und unter (Gegen-)Beweisangeboten entgegen getreten (Bd. II Bl. 336 bis 344 d. A.). Bei dieser Sachlage hätten die vom Kläger angebotenen Beweise und danach ggf. die von der Beklagten angebotenen Gegenbeweise erhoben werden müssen.

86
cc) Überdies hat das Landgericht durch Heranziehung des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S. aus dem Verfahren vor dem Saarländischen Oberlandesgericht (Aktenzeichen 1 U 32/08 – 9) in mehrfacher Hinsicht das bei der Ersetzung der erforderlichen (schriftlichen) Begutachtung durch Verwertung eines in einem anderen gerichtlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens einzuhaltende Verfahren außer Acht gelassen.

87
(1) Beabsichtigt das Gericht, von der Möglichkeit des § 411a ZPO Gebrauch zu machen, muss es den Beteiligten vor der Anordnung der Verwertung rechtliches Gehör gewähren (BGH MDR 2012, 226, 227 f. Rn. 24). Das verfahrensfremde Gutachten muss folglich zunächst beigezogen und den Parteien übermittelt werden, sofern diese es nicht schon kennen; dann genügt ein Hinweis auf das beabsichtigte Verfahren. Zugleich ist ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer bestimmten Frist zu geben (Huber in Musielak/Voit, ZPO 14. Aufl. § 411a Rn. 11). Unter den vorliegenden Umständen kann offenbleiben, ob die Verwertung eines Gutachtens nach § 411a ZPO – wie die Berufung meint – einen förmlichen Beweisbeschluss voraussetzt (so Zöller/Greger, ZPO 31. Aufl. § 411a Rn. 4; offengelassen von BGH FamRZ 2012, 297 Rn. 8). Jedenfalls setzt eine Verwertung eines in einem anderen Verfahren eingeholten Gutachtens einen Hinweis an die Parteien auf das beabsichtigte Verfahren voraus, damit diese noch vor der Verwertung des Gutachtens in der abschließenden Entscheidung des Gerichts Gelegenheit zur Stellungnahme haben (BGH FamRZ 2012, 297 f. Rn. 8). Die bloße Beiziehung der das betreffende Gutachten enthaltenden Akten durch das Prozessgericht in der mündlichen Verhandlung ersetzt das Verfahren nach § 411a ZPO nicht. Hierdurch sind die Akten lediglich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden und können gegebenenfalls im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden. Das Verfahren nach § 411a ZPO stellt demgegenüber die Einholung eines Sachverständigenbeweises mit der Anwendung der allgemeinen Regeln der §§ 404 ff. ZPO dar (Zöller/Greger, aaO Rn. 1). Zu einer derartigen Klarstellung hinsichtlich der weiteren Verfahrensweise besteht umso mehr Anlass, wenn zwar die eine Partei die Verwertung des in einem anderen Verfahren eingeholten Gutachtens nach § 411a ZPO angeregt hatte, die andere Partei sich hiermit aber nicht einverstanden erklärt, sondern Einwände gegen die Richtigkeit der Gutachten erhoben hat (BGH FamRZ 2012, 297, 298 Rn. 9). Nur bei einer vorherigen Unterrichtung der Parteien über das beabsichtigte Verfahren nach § 411a ZPO sind diese in der Lage, die ihnen zustehenden prozessualen Rechte auszuüben, insbesondere gemäß § 411 Abs. 4 ZPO Einwendungen gegen das Gutachten zu erheben oder gemäß §§ 402, 397 ZPO die Anhörung des Gutachters in der mündlichen Verhandlung zu beantragen. Die Partei hat zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Erläuterung der Sache für erforderlich hält, zur (mündlichen oder schriftlichen) Beantwortung vorlegen kann. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO und davon, ob das Gericht das schriftliche Gutachten für überzeugend hält und selbst keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht (BGH FamRZ 2012, 297, 298 Rn. 10 m. w. Nachw.).

88
(2) Die demnach gebotene Verfahrensweise hat das Landgericht nicht eingehalten. Die Ladungsverfügung vom 16.06.2014 (Bd. I Bl. 187 d. A. Rücks.), der Beschluss vom 11.07.2014 (Bd. II Bl. 262 f. d. A.), mit welchem dem Kläger Gelegenheit zur Vervollständigung seines Vorbringens gegeben wurde, und die Sitzungsniederschrift vom 30.10.2014 (Bd. III Bl. 407 ff. d. A.) lassen nicht erkennen, dass das Landgericht hinsichtlich des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S. nach § 411a ZPO zu verfahren beabsichtigte. Im Beschluss vom 14.11.2014 ist den Parteien lediglich die Beiziehung der Akten 2 O 77/05 des Landgerichts Saarbrücken angekündigt worden (Bd. III Bl. 417 d. A.). Laut Protokoll vom 15.12.2014 sind in der letzten mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug unter anderem die Akten 2 O 77/05 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden (Bd. III Bl. 485 d. A.), doch ersetzt dies, wie vorstehend ausgeführt, nicht das Verfahren nach § 411a ZPO.

89
(3) Die Berufungserwiderung und Anschlussberufung meint sinngemäß, die Berufung übersehe, dass die Verwertung des Gutachtens von Prof. Dr. S. als Urkundenbeweis nicht des Verfahrens nach § 411a ZPO bedürfe (Bd. IV Bl. 792 d. A.). Wenngleich in dem angefochtenen Urteil die Vorschrift des § 411a ZPO nicht genannt ist, liegt in der Sache keine Verwertung des Gutachtens im Wege des (ebenfalls nicht ausdrücklich genannten) Urkundenbeweises vor. Durch Verwertung eines in einem anderen Verfahren erstatteten Gutachtens als Urkundenbeweis wird nur der Umstand bewiesen, dass in dem anderen Verfahren ein Gutachten dieses Inhalts erstattet wurde (Zöller/Greger, aaO § 411a Rn. 1 in Verbindung mit § 402 Rn. 6d; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs 5. Aufl. § 38 Rn. 16). Das Erstgericht hat hier auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. zur Begründung der methodisch-technischen Fehlerhaftigkeit des Gutachtens der Beklagten abgestellt (Bd. III Bl. 514 f. d. A.). Nicht auf eine urkundenbeweisliche Verwertung des in einem anderen gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachtens beschränkt sind insbesondere die Erwägungen des Landgerichts, dass die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S. nachvollziehbar, widerspruchsfrei und logisch strukturiert erarbeitet seien, und dass der Sachverständige durch die Untersuchung der M. S. deren grundsätzliche Aussagetüchtigkeit nachgewiesen habe (Bd. IV Bl. 515 f. d. A.). Im Übrigen wäre die Verwertung eines in einem anderen Verfahren erstatteten Sachverständigengutachtens im Wege des Urkundenbeweises an Stelle der beantragten unmittelbaren Einholung eines Gutachtens im laufenden Prozess unzulässig, wofür schon der Umstand spricht, dass selbst im Falle einer schriftlichen Begutachtung im laufenden Prozess das Gericht, wenn eine Partei dies beantragt, das Erscheinen des Sachverständigen zur Erläuterung des schriftlichen Gutachtens regelmäßig anordnen muss (vgl. BGH NJW 1997, 3096 f.; OLG Karlsruhe OLGR 2007, 868, 869).

90
(4) Aus dem Verstoß gegen § 411a ZPO ergibt sich eine weitere Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Landgericht entgegen §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO mit den Parteien nicht über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt und den Sach- und Streitstand erneut erörtert hat. Findet sich – wie hier (vgl. Bd. III Bl. 407 bis 409, 484 f. d. A.) – im Protokoll kein Hinweis darauf, dass die Parteien zum Beweisergebnis verhandelt haben, steht ein Verstoß gegen §§ 285 Abs. 1, 279 Abs. 3 ZPO fest (BGH FamRZ 2012, 297, 298 Rn. 13 m. w. Nachw.). Dieser Verfahrensfehler stellt zugleich eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör dar, weil nicht auszuschließen ist, dass die Entscheidung des Landgerichts auf ihm beruht. Eine Stellungnahme der Beklagten hätte zu einer für ihn günstigeren Entscheidung führen können. Zu einer derartigen Verhandlung über das Ergebnis der Beweisaufnahme konnte es hier nicht kommen, weil das Landgericht bereits die Bekanntgabe einer beabsichtigten Beweisaufnahme nach § 411a ZPO unterlassen hatte (vgl. BGH FamRZ 2012, 297, 298 Rn. 13).

91
(5) In der Berufungsbegründung ist im Einzelnen und unter Beweisantritt dargelegt worden, dass und mit welchem Inhalt die Beklagte im Falle eines Hinweises des Landgerichts, dass es nach § 411a ZPO zu verfahren beabsichtige, Stellung genommen hätte. Sie hätte dann bereits in erster Instanz das nunmehr vorgelegte Parteigutachten der Frau Prof. Dr. G. zu dem eigenen Gutachten der Beklagten wie auch zum Gutachten von Herrn Prof. Dr. S. eingeholt und zum letztgenannten Gutachten Stellung genommen. Vorsorglich hätte die Beklagte die Einholung eines neuen, hilfsweise eines Obergutachtens zu der Frage der Fehlerhaftigkeit des Gutachtens der Beklagten beantragt (Bd. IV Bl. 599 bis 657 d. A.).

92
c) Die Sache war unter Abwägung aller Umstände nicht an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.

93
aa) Die Entscheidung zwischen der Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 ZPO und der eigenen Sachentscheidung nach § 538 Abs. 1 ZPO steht im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts (BGH VersR 2011, 1392, 1394 Rn. 20). Nach den Gesetzesmaterialien stellt die einfache Vernehmung eines Zeugen im Inland keine umfangreiche Beweisaufnahme dar, wohingegen die Vernehmung einer Vielzahl von Zeugen oder Sachverständigen als Beispiel für eine umfangreiche Beweisaufnahme genannt ist (BT-Drucks. 14/4722, 102 f.). Die Aufhebung und Zurückverweisung wegen einer noch durchzuführenden Beweisaufnahme ist auf Ausnahmefälle zu beschränken, in denen die Durchführung des Verfahrens in der Berufungsinstanz voraussichtlich zu größeren Nachteilen führt als die Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz (BGH VersR 2011, 1392, 1394 Rn. 23).

94
bb) Das Berufungsgericht ist gehalten, nachprüfbar darzulegen, inwieweit eine noch ausstehende Beweisaufnahme so aufwändig oder umfangreich ist, dass sie eine Zurückverweisung rechtfertigt. Dabei hat es eine Abwägung zwischen der mit einer Zurückverweisung verbundenen Verzögerung und Verteuerung des Verfahrens auf der einen und dem Interesse an der Wahrung des vollen Instanzenzugs auf der anderen Seite vorzunehmen. Die Aufhebung und Zurückverweisung wegen einer noch durchzuführenden Beweisaufnahme ist auf Ausnahmefälle zu beschränken, in denen die Durchführung des Verfahrens in der Berufungsinstanz voraussichtlich zu größeren Nachteilen führt als die Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz (BGH VersR 2011, 1392, 1394 Rn. 23). An die Begründung durch das Berufungsgericht sind allerdings keine hohen Anforderungen zu stellen; es reicht regelmäßig aus, wenn sie erkennen lässt, dass das Berufungsgericht die Alternative zwischen § 538 Abs. 1 und 2 ZPO gesehen und erwogen hat (BGH MDR 2000, 716, 717; VersR 2011, 1392, 1394 Rn. 23).

95
cc) Im Streitfall war zwar eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme durch den Senat notwendig. Dabei war durchaus zu sehen, dass bei Aufarbeitung dieser streitigen Kernpunkte des Rechtsstreits erst in der Berufungsinstanz den Parteien eine Tatsacheninstanz genommen wurde. Gegen die Zurückverweisung sprachen jedoch entscheidend die Gesichtspunkte der Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits, denen hier auf Grund des Verfahrensgegenstandes besondere Bedeutung zukommt. Dauer und Ausgang des Verfahrens sind erkennbar nicht nur für den Kläger, sondern auch für die Beklagte von erheblicher Bedeutung. Der Kläger macht letztlich geltend, auf Grund eines grob fahrlässig erstatteten unrichtigen Gutachtens der Beklagten langfristig inhaftiert, gesundheitlich Schaden genommen und seine Beamtenstellung verloren zu haben. Er verfolgt eine seit Jahren offene, gut sechsstellige Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderung. Auf der anderen Seite ist es erkennbar für die berufliche Stellung der Beklagten und für ihre Gutachtertätigkeit von erheblicher Bedeutung, ob die – freilich weit zurückliegende Gutachten betreffenden – Vorwürfe des Klägers ihr gegenüber berechtigt sind.

96
d) Die angesichts dessen vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben, dass das Gutachten der Beklagten einen grundsätzlichen Fehler (nachfolgend unter aa)), Fehler im Berichtsteil (bb)) und Fehler im schlussfolgernden Teil (cc)) aufweist und damit unrichtig ist. Diese Fehler finden sich nicht nur in dem schriftlichen Gutachten vom 21.08.2003, sondern sind auch in das vor der Jugendkammer erstattete mündliche Gutachten eingegangen, welches letztlich für die strafrechtliche Verurteilung des Klägers (mit-)ursächlich war (dd)).

97
aa) Wie der vom Senat bestellte Sachverständige Prof. Dr. M. S. -ausgehend von den in den Jahren 2003/2004 an ein aussagepsychologisches Gutachten zu stellenden Anforderungen – nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat, weist das schriftliche Gutachten der Beklagten vom 21.08.2003 den wesentlichen ergebnisrelevanten Fehler auf, dass sich der in der Schlussfolgerung angegebene Wahrscheinlichkeitsgrad für die Erlebnisfundierung nicht aus den zuvor mitgeteilten Anknüpfungs- und Befundtatsachen ableiten lässt (Bd. VII Bl. 1206 f. d. A.).

98
(1) Die Beklagte hat im letzten Absatz ihrer Zusammenfassung erklärt: „Aus aussagepsychologischer Sicht sind dabei … [die] Angaben [der Zeugin S.], daß ihr Pflegevater [der Kläger] sie an der Brust berührt, er sie an der Scheide geleckt, seinen Finger in ihre Scheide eingeführt und seinen Penis an ihrer Scheide gerieben habe, mit hoher Wahrscheinlichkeit als glaubhaft einzuschätzen.“ (Gutachten, S. 47 f., Hervorhebung im Original). Der Sachverständige Prof. Dr. St. hat im Rahmen der mündlichen Erläuterung seiner Gutachten darauf aufmerksam gemacht, dass eine Festlegung eines Sachverständigen in der M. W.e, dass er eine Aussage für uneingeschränkt glaubhaft erachtet, eher selten vorkommt; im Zweifel wird es ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad sein (Bd. VIII Bl. 1594 d. A.). Die von der Beklagten bejahte (hohe) Wahrscheinlichkeit für die Erlebnisfundierung (Glaubhaftigkeit) der Angaben der Belastungszeugin steht im Widerspruch zu den eigenen Darstellungen der Beklagten, aus denen sich ergibt, dass im Zeitpunkt der schriftlichen Gutachtenerstellung von Unentscheidbarkeit zwischen Erlebnis- und Lügenhypothese, also von einem non liquet, auszugehen war.

99
(2) Die Beklagte hat in ihrem Gutachten (S. 47) selbst bemerkt, das vorliegende Aussagematerial weise qualitative Mängel auf, die in Übereinstimmung mit den gegebenen Leistungsbesonderheiten, d. h. der leichtgradigen Intelligenzminderung der Belastungszeugin, stünden. Nach eigener Auffassung der Beklagten war die Zeugin S. nicht in der Lage, „konkrete zeitliche Einordnungen vorzunehmen und spezifische Situationen konkret darzustellen.“ (aaO). Hierzu hat der Sachverständige Prof. Dr. St. zutreffend angemerkt, dass der Schluss von Qualitätsmängeln in den Aussagen der Belastungszeugin auf eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Erlebnishintergrund weder im aussagepsychologischen Befund noch in der Zusammenfassung der Beklagten nachvollziehbar begründet wird (Bd. VII Bl. 1207 d. A.).

100
(3) Der Beklagten ist bei ihrem Gutachten ein grundsätzlicher Fehler in der Anwendung der aussagepsychologischen Logik unterlaufen. Eine mögliche Erklärung für das Fehlen von Realkennzeichen bedeutet nämlich logisch nicht, dass die notwendige Aussagequalität für eine positive Beurteilung der Glaubhaftigkeit durch diese Erklärung gegeben ist. Aus verschiedenen Befragungen der Zeugin S. lagen eher Handlungsbenennungen als Handlungsbeschreibungen vor. Die Beklagte hat dieses Fehlen von Realitätskennzeichen durch eine geringe Intelligenz der Zeugin erklärt. Die daran anknüpfende Schlussfolgerung einer hohen Wahrscheinlichkeit für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Belastungszeugin beruht auf einem fundamentalen Missverständnis der Beklagten; denn die Zurückweisung der Lügenhypothese als Gegenüberlegung zur Erlebnisannahme wäre nur mit der Feststellung einer inhaltlichen Aussagequalität möglich gewesen, die über die Erfindungskompetenz der Zeugin hinausgeht (Bd. VII Bl. 1208 d. A.).

101
bb) Im Berichtsteil des Gutachtens sind der Beklagten zahlreiche Fehler unterlaufen.

102
(1) Die Beklagte hat mögliche Quellen nicht genutzt, die für die Analyseeinheiten „Aussageperson“ und „Aussagegeschichte“ von Bedeutung waren, obwohl sie von diesen möglichen Informationsquellen Kenntnis hatte (Bd. VII Bl. 1213 f. d. A.).

103
(1.1) Im Rahmen der Fehlerquellenanalyse wird es in Fällen, bei denen (auch unbewusst) fremdsuggestive Einflüsse in Erwägung zu ziehen sind, in aller Regel erforderlich sein, die Entstehung und Entwicklung der Aussage aufzuklären. Hinzu kann die sog. Motivationsanalyse treten. Die Feststellung der Aussagegenese stellt insofern einen zentralen Analyseschritt dar. Besonders dann, wenn es sich bei dem möglichen Tatopfer um ein (jüngeres) Kind handelt, werden zu diesem Zweck die Angaben der Personen, denen gegenüber es sich zu den Tatvorwürfen geäußert hat (z. B. Eltern, Lehrer), zu berücksichtigen sein (BGHSt 45, 165, 173; BGH StV 1995, 451 f.; Scholz/Endres NStZ 1995, 6, 10). Einer derartigen fremdanamnestischen Befragung Dritter kann darüber hinaus – wenigstens bei Kindern im Vor- und Grundschulalter – auch zur biographischen Rekonstruktion Bedeutung zukommen (BGHSt 45, 165, 173).

104
(1.2) Insoweit hat der Sachverständige Prof. Dr. St. überzeugend ausgeführt, dass die Feststellung von Frau Prof. Dr. G. in dem von der Berufung vorgelegten Privatgutachten, wonach der Beklagten unvollständige oder zum Teil falsche Anknüpfungstatsachen durch Staatsanwaltschaft und Gericht bereitgestellt worden seien, nicht nachzuvollziehen ist. Die Beklagte hätte auf Grund der ihr vorliegenden Anknüpfungstatsachen zur Annahme von potentiell hoher Lügenmotivation und -kompetenz der Belastungszeugin kommen müssen. Überdies hat sie die darauf bezogenen ergänzenden Hinweise aus der Hauptverhandlung nicht zur Modifikation ihrer gutachtlichen Beurteilung verwendet (Bd. VII Bl. 1258 d. A.).

105
(1.3) Davon abgesehen hätte die Beklagte auf Grund der gegebenen Kenntnis über Verhaltensauffälligkeiten der Belastungszeugin und über deren psychiatrischen Behandlungen Veranlassung gehabt, die Einholung von Entwicklungs- und Krankenberichten zumindest anzuregen. In den an anderer Stelle eingeholten Berichten waren für die 1989 geborene Belastungszeugin für den Zeitraum von 1994 bis 2000 Aggressivität, Lügen, Stehlen und distanzloses (sexualisiertes) Verhalten beschrieben worden. Eine Sexualanamnese ist zwar nicht generell bei jeder Glaubhaftigkeitsbegutachtung bedeutsam. Vielmehr handelt es sich auch bei ihr um eine Untersuchungsmethode, deren Anwendung im pflichtgemäßen Ermessen des Sachverständigen steht. Geht es aber – wie hier – um die Frage, ob ein Zeuge den Vorwurf an ihm begangener Sexualdelikte zutreffend erhebt, ist regelmäßig die Einschätzung seiner sexualbezogenen Kenntnisse und Erfahrungen notwendig (BGHSt 45, 165, 176). Bei der gebotenen Einholung der Berichte wären als personale Dispositionen auf Seiten der Belastungszeugin eine niedrige Hemmschwelle für Lügen und eine höhere Lügenkompetenz zu Grunde zu legen gewesen (Bd. VII Bl. 1212 f. d. A.). Dadurch wären Gegenüberlegungen zur Wahrheitsannahme gestützt worden, die sich allerdings schon aus den anderen, der Beklagten bekannten Anknüpfungstatsachen ergaben (Bd. VII Bl. 1213 d. A.).

106
(1.4) Die Beklagte hat die wichtige Erhebungs- und Analyseeinheit „Rekonstruktion der Aussagegenese“ in Bezug auf die Erstbekundung gegenüber dem Vater der Zeugin S. unvollständig bearbeitet. Aus aussagepsychologischer Sicht war es von erheblicher Bedeutung, ob von einem Hinweis auf „mehr“ an Beschuldigungen als (der Kläger habe die Zeugin S.) „auch unten angefasst“ bereits in der ersten Bekundung der Belastungszeugin gegenüber ihrem Vater ausgegangen werden kann oder nicht (Bd. VII Bl. 1214 f. d. A.).

107
(2) Die Gegenhypothesen zur Wahrheitshypothese wurden nicht fallspezifisch begründet, d. h. nicht aus den von der Beklagten nur rudimentär dargestellten Anknüpfungstatsachen abgeleitet. Überdies wurden drei von vier Gegenhypothesen zur Erlebnisannahme unklar formuliert (Bd. VII Bl. 1216 f. d. A.).

108
(3) Bereits zu Beginn der Exploration der Belastungszeugin sind der Beklagten vier basale Explorationsfehler unterlaufen: Sie hat keinen Versuch unternommen, einen Erzählanstoß zu geben, sie hat einen von der Zeugin S. noch gar nicht benannten Sachverhalt durch eine direkte Frage eingeführt, sie hat nicht versucht, eine unklare Angabe der Zeugin zu spezifizieren, und sie hat eine direkte Frage zu Begleitgedanken oder -gefühlen gestellt (Bd. VII Bl. 1221 d. A.). In Bezug auf das Gutachten des Prof. Dr. S. hat der Sachverständige Prof. Dr. St. überzeugend angemerkt, dass Prof. Dr. S. die erwähnten direkten Fragen (unzutreffend) pauschal als suggestive Fragen bezeichnet hat (Bd. VII Bl. 1248 d. A.).

109
cc) Der schlussfolgernde Teil des Gutachtens der Beklagten weist ebenfalls Mängel auf.

110
(1) Die Feststellung von grundsätzlichen Problemen der Zeugin S. bei Situationsbewertungen ist im Gutachten der Beklagten ohne entsprechende Belege und im Widerspruch zu den im Gutachten mitgeteilten Bewertungen wie Ekel und Angst erfolgt (Bd. VII Bl. 1225 d. A.).

111
(2) Die Beklagte hat es ungeachtet der aussagepsychologischen Notwendigkeit durchgehend unterlassen, jeweils alternative Sichtweisen zu diskutieren und zu gewichten (Bd. VII Bl. 1226 d. A.). Damit wurden die unverzichtbaren Gutachtenstandards der Transparenz und Nachvollziehbarkeit und die Falsifikationsmaxime „Widerlegung der Unwahrheitshypothese“ nicht beachtet (Bd. VII Bl. 1238 f. d. A.).

112
(3) Die Behauptung der Beklagten, die Anwendung von Realkennzeichen sei bei intelligenzgeminderten Zeugen nur eingeschränkt möglich, steht im Gegensatz zu einer schon im Begutachtungszeitpunkt vorhandenen, grundlegenden aussagepsychologischen Literatur, was der Sachverständige Prof. Dr. St. überzeugend nachgewiesen hat. Unbeschadet dessen hat die Beklagte für ihre – unrichtige – Behauptung auch keine Begründung und keine Belege angeführt (Bd. VII Bl. 1227 d. A.).

113
dd) Die Fehler im schriftlichen Gutachten der Beklagten habe sich in ihrem mündlichen Gutachten vor der Jugendkammer IV des Landgerichts Saarbrücken und schließlich im Strafurteil manifestiert.

114
(1) Der Sachverständige Prof. Dr. St. ist in seinem Gutachten richtig davon ausgegangen, dass bei Verhandlungen vor dem Landgericht lediglich Ablaufprotokolle geführt werden, der Inhalt des Gutachtens also nur dem Bericht darüber und der Würdigung in dem Urteil entnommen werden kann. Das ist hier ohne Weiteres möglich, weil die Würdigung der Ausführungen der Beklagten im Strafurteil auf dreieinhalb DIN A4-Seiten erfolgt (Bd. VII Bl. 1239 d. A.). Dass die Argumente und Fehler der Beklagten die gleichen sind, hat der Sachverständige im Einzelnen an Hand des Urteils rekonstruiert und auf Antrag der Beklagten überzeugend mündlich erläutert (Bd. VIII Bl. 1592, 1593 d. A., jeweils unten). Unter Berücksichtigung aller Umstände gibt es keine Anhaltspunkte für eine mündliche, nicht protokollierte Abweichung der Beklagten von ihrem fehlerhaften schriftlichen Gutachten in der Hauptverhandlung vor der Jugendkammer IV des Landgerichts Saarbrücken. Im Übrigen ist es nach dem gesamten Inhalt der Akten abwegig, dass die Beklagte ihr schriftliches Gutachten als fehlerhaft erkannt, dies gegenüber der Jugendkammer IV offen gelegt und die Fehler berichtigt, die Jugendkammer aber den Kläger ohne Erwähnung einer Richtigstellung auf der Grundlage früherer Gutachten verurteilt hätte.

115
(2) An Hand des Urteils der Jugendkammer IV des Landgerichts Saarbrücken vom 25.04.2004 hat der Sachverständige überzeugend dargestellt, dass es Wiederholungen der – fehlerhaften – Argumente der Beklagten aus dem schriftlichen Gutachten enthält, soweit dies die Qualitäts- und Konstanzanalyse der Aussage der Zeugin M. S. betrifft, weshalb die Ausführungen zu den Mängeln des schriftlichen Gutachtens auch für das mündliche Gutachten gelten. Aus dem Strafurteil geht zweifelsfrei hervor, dass das mündliche Gutachten der Beklagten über die Glaubhaftigkeit der Anschuldigungen der Zeugin M. S. mit identischen Argumenten und mit denselben Fehlern wie im schriftlichen Gutachten aus dem August 2003 erfolgte. Überdies wurde ein neuer Befund aus der Hauptverhandlung über frühe und umfangreiche Erfahrungen mit sexuellen Handlungen inklusive Geschlechtsverkehr bei der Belastungszeugin von der Beklagten ebenso eindimensional im Blick auf eine glaubhafte Aussage interpretiert wie andere Anknüpfungs- und Befundtatsachen. Gegenüberlegungen zur Erlebnisannahme wurden unzureichend diskutiert. Damit erfüllt (auch) das mündliche Glaubhaftigkeitsgutachten nicht die vom BGH im Urteil vom 30.07.1999 (1 StR 618/98, BGHSt 45, 164 ff.) formulierten Mindeststandards (Bd. VII Bl. 1242 d. A.).

116
(2.1) Der Sachverständige Prof. Dr. St. hat einleuchtend erklärt, dass das Fehlen einer Aussagequalität, die für eine positive aussagepsychologische Beurteilung notwendig ist, im Strafurteil auf der Grundlage des mündlichen Gutachtens der Beklagten fehlerhaft durch eine Erklärung für dieses Fehlen ersetzt wird (Bd. VII Bl. 1240 d. A.). So heißt es im Strafurteil insbesondere:

117
„Sie [die Beklagte im Rahmen ihres mündlichen Gutachtens] hat allgemein zur Frage der Glaubhaftigkeit der Belastungen weiter ausgeführt, dass die allgemeinen Qualitätsmerkmale einer Aussage wie Detaillierungsgrad, Anschaulichkeit, Strukturgleichheit und logische Konsistenz im Hinblick auf normal begabte Zeugen ermittelt worden seien. Die vorliegenden qualitativen Mängel [sic!] bei den Aussagen der Nebenklägerin (kaum in der Lage, einzelne Ereignisse von einer Vielzahl herauszugreifen und diese genauso zu beschreiben; keine genaue zeitliche Einordnung einzelner Handlungen; nur grobe Dimensionen über Beginn und Ende der Missbrauchshandlungen; Angabe von relativ häufigen Vorfällen – mehrfach wöchentlich mit Pausen dazwischen – ohne weitere Konkretisierung) stünden in Übereinstimmung mit den gegebenen Leistungsbesonderheiten, nämlich mit der leichten Intelligenzminderung der Nebenklägerin.“ (Anlage 5, S. 19, im Anlagenbd. Kläger = Bd. II Bl. 387 d. A.).

118
(2.2) Zu früheren Lügen der Zeugin M. S. ist im Strafurteil vermerkt, dass die Beklagte diese als „kindliche Strategien“ bezeichnet habe, die mit den vorliegenden Belastungen „nicht vergleichbar“ seien (S. 21 = Bd. II Bl. 389 d. A.). Darin kommt zum Ausdruck, dass die Beklagte die Bedeutung von Häufigkeit, Art und Intensität von früheren Lügen der Belastungszeugin unterschätzte. Unter Beachtung der Nullhypothese hätten die Erkenntnisse über eine niedrige Hemmschwelle für Lügen, und zwar auch gegenüber Autoritätspersonen, und Hinweise auf eine hohe Lügenkompetenz dazu führen müssen, auch im mündlichen Gutachten den Schwellenwert für Qualitätsanforderungen an die Aussagen der Belastungszeugin für eine positive Glaubhaftigkeitsfeststellung hoch anzusetzen. Dann wäre deutlich geworden, dass die geringe Aussagequalität diese Anforderungen nicht erfüllte (Bd. VII Bl. 1241 d. A.).

119
(2.3) Es kommt hinzu, dass im Strafurteil über das mündliche Gutachten der Beklagten berichtet wird, diese habe die Hypothese einer bewusst falschen Bezichtigung als „widerlegt“ bezeichnet (S. 20 = Bd. II Bl. 388 d. A.). Bei der Abhandlung der drei weiteren, bereits im schriftlichen Gutachten enthaltenen Gegenhypothesen wird deutlich, dass Sexualkenntnisse und Lügenkompetenz der Belastungszeugin von der Beklagten als sehr niedrig eingestuft wurden. Indessen war auf Grund der Hauptverhandlung – an der die Beklagte teilgenommen hatte – bekannt, dass die am … 2000 11 Jahre alt gewordene Belastungszeugin Ende 2000 sexuelle Kontakte zu einem damals fast 15-jährigen Jungen aus dem Wohnheim aufgenommen hatte, wobei es mehrmals zu Geschlechtsverkehr gekommen war (S. 5 = Bd. II Bl. 373 d. A.). Mit einer vor diesem Hintergrund potentiell hohen Erfindungskompetenz im Bereich des Themas „sexuelle Handlungen“ hat sich die Beklagte eindimensional – nicht unter dem Gesichtspunkt der Übertragungshypothese – befasst und es stattdessen mit diesen sexuellen Vorerfahrungen erklärt, dass die Belastungszeugin „automatisch“ sexuelle Handlungen beim Kläger vorgenommen habe (Bd. VII Bl. 1241 f. d. A.).

120
ee) Im Ergebnis werden weder das schriftliche noch das mündliche Gutachten der Beklagten auch nur den vom 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes im Urteil vom 30.07.1999 (1 StR 618/98, BGHSt 45, 164 ff.) aufgestellten Mindestanforderungen gerecht.

121
(1) Demnach besteht, wie der Sachverständige Prof. Dr. St. im Einzelnen an Hand der grundlegenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes ausgeführt hat, das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist (BGHSt 45, 164, 167 f.). Der Sachverständige nimmt daher bei der Begutachtung zunächst an, die Aussage sei unwahr (sogenannte Nullhypothese). Zur Überprüfung dieser Annahme hat er weitere Hypothesen zu bilden. Ergibt seine Prüfstrategie, dass die Unwahrhypothese mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen, und es gilt dann die Alternativhypothese, dass es sich um eine wahre Aussage handelt (BGHSt 45, 164, 168; Bd. VII Bl. 1204 d. A.). Mit dieser Hypothesenbildung soll überprüft werden, ob die im Einzelfall vorfindbare Aussagequalität durch sogenannte Parallelerlebnisse oder reine Erfindung erklärbar sein könnte. Die Nullhypothese sowie die in der Aussagebegutachtung im Wesentlichen verwendeten Elemente der Aussageanalyse (Qualität, Konstanz, Aussageverhalten), der Persönlichkeitsanalyse und der Fehlerquellen- bzw. der Motivationsanalyse sind gedankliche Arbeitsschritte zur Beurteilung der Zuverlässigkeit einer Aussage. Sie sind nicht nur in einer Prüfungsstrategie anzuwenden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau (BGH NStZ 2001, 45, 46).

122
(2) Die beiden Einwände der Berufung, der Sachverständige Prof. Dr. St. habe in seinem Gutachten für den Bundesgerichtshof im Verfahren 1 StR 618/98 seinen „eigenen“ Standard hinsichtlich aussagepsychologischer Begutachtung festgelegt und die beiden Gutachten der Beklagten ausschließlich daran gemessen (Bd. VII Bl. 1347 d. A.), und für die schon vorher auf der Grundlage der allgemeinen Prinzipien vorgehenden aussagepsychologischen Gutachter habe sich durch das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 30.07.1999 nichts Grundlegendes geändert, vor allem nicht die Methodenwahl bei der Begutachtung, weshalb das Urteil nicht zu der Aufmerksamkeit in Fachkreisen geführt habe, wie es durch den Sachverständigen anklinge (Bd. VII Bl. 1348 d. A.), verfangen nicht.

123
(2.1) Der Sachverständige Prof. Dr. St. hat diese Einwände zutreffend als logisch nicht nachvollziehbar bezeichnet; denn die Kritik der Berufung, die vom Bundesgerichtshof formulierten Mindestanforderungen stellten ausschließlich die „eigenen“ Standards des Sachverständigen dar, steht im Widerspruch zur Feststellung der Berufung, der Bundesgerichtshof habe solche Standards formuliert, die auch vorher schon gegolten hätten (Bd. VIII Bl. 1415 d. A.). Darüber hinaus hat der Sachverständige unter Angabe aussagepsychologischer Publikationen aus der Zeit vor dem 30.07.1999 erläutert, dass die allgemeinen Prinzipien psychologischer Begutachtungskunde und die methodischen Grundsätze der Aussagepsychologie in dem Urteil des 1. Strafsenats nicht „erfunden“ worden sind. Vielmehr ging es vor dem Hintergrund von „gutachterlich mitverursachten „Justizkatastrophen““ und Qualitätsdiskussionen in psychologischen und juristischen Fachkreisen um die Festlegung von (Mindest-) Standards für die aussagepsychologische Begutachtung (Bd. VIII Bl. 1412 d. A.).

124
(2.2) Das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 30.07.1999 fand in rechtspsychologischen und juristischen Fachkreisen wie auch in der Öffentlichkeit erhebliche Beachtung. Der Sachverständige Prof. Dr. St. hat in seinem zweiten Gutachten vom 27.04.2017 – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Berücksichtigung allgemeiner Presseveröffentlichungen wie auch danach erschienener Lehrbücher – zahlreiche Hinweise und Besprechungen des Urteils in den einschlägigen Fachzeitschriften aus den Jahren 1999 und 2000 aufgezählt (Bd. VIII Bl. 1412 f.: Forum Recht 4/1999, S. 136 f.; Neue Justiz 11/1999, S. 602 f.; Recht & Psychiatrie 2000, 18, (1), S. 30 ff.; Neue Zeitschrift für Strafrecht 2/2000, S. 100 ff.; Strafverteidiger 4/2000, S. 224 ff.; Neue Juristische Wochenschrift 13/2000, S. 916 ff. und 929 f.; Praxis der Rechtspsychologie 8 (2)/1999, S. 126 ff.; Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 83 (2)/2000, S. 59 ff.; Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 49/2000, S. 261 ff.; Juristenzeitung 55/2000, S. 262 ff.). Die Mindeststandards mussten daher einem aussagepsychologischen Gutachter spätestens seit dieser Zeit bekannt sein. Im Übrigen hat der Sachverständige bereits in seinem Erstgutachten vom 12.12.2016 bemerkt, dass aus der von der Beklagten in ihrem schriftlichen Gutachten benutzten Terminologie, insbesondere der Verwendung der „aussagepsychologischen Trias“ von Aussagetüchtigkeit, Aussagequalität und Aussagevalidität deutlich wird, dass die Beklagte sich auf ein im Jahre 1998 erschienenes Lehrbuch von Frau Prof. Dr. G. u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage – Theorie und Praxis der forensisch-psychologischen Begutachtung, bezieht (Bd. VII Bl. 1202 d. A.).

125
4. Die für die Gutachterhaftung (zumindest) erforderliche grobe Fahrlässigkeit ist nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme zu bejahen.

126
a) Grobe Fahrlässigkeit erfordert einen in objektiver Hinsicht schweren und in subjektiver Hinsicht nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Es muss eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegen, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (BGHZ 198, 265, 273 Rn. 26).

127
aa) Dieser Maßstab gilt gleichermaßen für die Haftung des Sachverständigen nach § 839a BGB; der Gutachter muss unbeachtet gelassen haben, was jedem Sachkundigen hätte einleuchten müssen, und seine Pflichtverletzung schlechthin unentschuldbar sein (BGHZ 198, 265, 273 Rn. 27; SaarlOLG OLGR 2009, 196, 198; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.01.2017 – 2 U 119/14, juris Rn. 38; Stein/Itzel/Schwall, Praxishandbuch des Amts- und Staatshaftungsrechts 2. Aufl. Rn. 677). Für die Annahme grober Fahrlässigkeit des Sachverständigen nach § 839a BGB kommt es nicht darauf an, dass die Unrichtigkeit des Gutachtens jedermann, auch den entscheidenden Richtern, auf Grund nahe liegender Überlegungen hätte einleuchten müssen. Maßgebend ist insoweit vielmehr die Perspektive des Sachkundigen. Das Gericht bedient sich der Hilfe des Sachverständigen, weil es über die nötige eigene Sachkunde nicht verfügt. Es ist deshalb auch typischerweise nicht ohne weiteres in der Lage, fachliche Mängel des Gutachtens zu erkennen, weshalb seiner „Billigung“ keine ein grobes Verschulden des Sachverständigen generell ausschließende Bedeutung zukommt.

128
bb) Die Billigung des Gutachtens des Sachverständigen im Ausgangsprozess ist in aller Regel gerade Voraussetzung für die Haftung des Sachverständigen gemäß § 839a BGB, weil diese nur dann eingreift, wenn die Entscheidung des Ausgangsprozesses auf seinem Gutachten – und damit auch auf dessen Billigung durch die Gerichte des Ausgangsprozesses – beruht. Wollte man annehmen, die Billigung des Gutachtens und der Vorgehensweise des Sachverständigen durch die Gerichte des Ausgangsverfahren lasse ein grobes Verschulden des Sachverständigen entfallen, liefe die Haftung nach § 839a BGB weitgehend leer und würde praktisch bedeutungslos. Der Haftungsprozess gegen den gerichtlichen Sachverständigen dient zwar im engeren Sinne nicht der Fehlerkontrolle des Vorprozesses selbst, wohl aber der Kontrolle der Tätigkeit des dort beauftragten Sachverständigen (BGH, Beschluss vom 24.07.2014 – III ZR 412/13, juris Rn. 3). Die Beschränkung der Haftung des vom Gericht beauftragten Gutachters dient laut den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 14/7752, 28) der inneren Freiheit, derer er bedarf, um sein Gutachten unabhängig und ohne Druck eines möglichen Rückgriffs erstatten zu können (BGHZ 198, 265, 273 Rn. 27; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.01.2017 – 2 U 119/14, juris Rn. 38). Im Einzelfall kann es gerechtfertigt sein, von einem bestimmten äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des damit einhergehenden objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und eine gesteigerte subjektive Vorwerfbarkeit zu schließen (BGHZ 198, 265, 273 f. Rn. 28). Allgemein unterliegt die Beurteilung des (Nicht-) Vorliegens grober Fahrlässigkeit der tatrichterlichen Würdigung (BGHZ 198, 265, 274 Rn. 29). Die Darlegung und der Nachweis eines (mindestens) grob fahrlässigen Verschuldens des gerichtlichen Sachverständigen obliegen dem Geschädigten (BGHZ 198, 265, 274 Rn. 29; SaarlOLG OLGR 2009, 196, 197).

129
b) Die Berufung meint, wenn die Fehlerhaftigkeit des Gutachtens der Beklagten so evident gewesen wäre, hätte sie in Kenntnis dieser Entscheidung sowohl dem Bundesgerichtshof als auch den mit den Wiederaufnahmeanträgen befassten Gerichten auffallen müssen. Bereits der Umstand, dass keinem der mit der Revision bzw. Wiederaufnahme befassten Gerichte die angebliche evidente Fehlerhaftigkeit des Gutachtens aufgefallen sei, spreche gegen die grob fahrlässige Erstattung eines falschen Gutachtens durch die Beklagte (Bd. IV Bl. 666 d. A. Abs. 5). Mit dieser Begründung lässt sich grobe Fahrlässigkeit nicht verneinen.

130
aa) Für die Annahme grober Fahrlässigkeit des Sachverständigen nach § 839a BGB kommt es, wie oben ausgeführt, nicht darauf an, dass die Unrichtigkeit des Gutachtens jedermann, auch den entscheidenden Richtern, auf Grund nahe liegender Überlegungen hätte einleuchten müssen. Maßgebend ist insoweit vielmehr – wie das Erstgericht im Ansatz zutreffend gesehen hat (Bd. III Bl. 522 d. A. unten) – die Perspektive des Sachkundigen.

131
bb) Das Landgericht hat unter ausführlicher und zutreffender Darstellung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung richtig ausgeführt, dass einer Billigung des Gutachtens der Beklagten durch die Gerichte des Strafverfahrens keine ein grobes Verschulden der Sachverständigen generell ausschließende Bedeutung zukommt (Bd. III Bl. 522 f. d. A.). Mit Blick auf das Berufungsvorbringen ist zu ergänzen, dass zudem im Revisionsverfahren und im Wiederaufnahmeverfahren andere Prüfungsmaßstäbe als derjenige im Rahmen der erstinstanzlichen strafrechtlichen Verurteilung durch das Landgericht gelten.

132
c) Die Feststellungen des Landgerichts zur groben Fahrlässigkeit an Hand der unter a) dargestellten Maßstäbe waren erstinstanzlich allerdings nicht verfahrensfehlerfrei erfolgt, weil das Landgericht die schon auf Grund des damaligen Sach- und Streitstandes gebotene, zur Beweislast des Klägers stehende Begutachtung durch Sachverständige unterlassen hat.

133
aa) Das Erstgericht hat den Vorwurf einer grob fahrlässigen Falschbegutachtung als erfüllt angesehen, da jedenfalls die Zusammenschau der der Beklagten anzulastenden Verstöße zur Negierung der Nullhypothese so schwer wiege, dass ein über einen einfachen Fahrlässigkeitsvorwurf hinausgehendes, einen groben Fahrlässigkeitsvorwurf begründendes Verhalten vorliege, welches der Kläger an Hand der bewiesenen Anknüpfungstatsachen nachweisen könne. Unter Berücksichtigung des gesamten Sachstandes im Zeitpunkt der Erstellung des mündlichen Gutachtens vor der 5. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken hätte die Beklagte vier der fünf Kontrollhypothesen – jedenfalls auf der Basis der ihr zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse – nicht verwerfen dürfen und somit nicht zur Negation der Nullhypothese gelangen dürfen. Die Art und M. W.e, in der sie gleichwohl zur Verwerfung der Kontrollhypothesen und somit der Negation der Nullhypothese gelangt sei, begründe den Vorwurf eines grob fahrlässigen Verhaltens, da Grundregeln eines methodisch wissenschaftlichen Vorgehens nicht beachtet worden seien (Bd. III Bl. 528 d. A. Abs. 2).

134
bb) Wie bereits festgestellt, sind die dazu erforderlichen Anknüpfungstatsachen zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits in allen wesentlichen Punkten streitig.

135
(1) Darüber hinaus hat die Berufung sich die Darstellung von Frau Prof. Dr. G. in deren Gutachten (S. 56 = Bd. IV Bl. 631 d. A.) zu eigen gemacht. Darin ist unter Rn. 96 vermerkt, das zentrale methodische Problem (des schriftlichen Gutachtens der Beklagten im Auftrag der Staatsanwaltschaft) liege in der mangelnden Individuierung des Aussagematerials. Die Sachverständige habe die Aussage als Ganzes hinsichtlich etwaiger Qualitätsmerkmale erlebnisgestützter Aussagen bewertet und insbesondere die Detaillierung der Aussage kumulativ über die verschiedenen Aussagekomplexe beurteilt. Ob, wie Frau Prof. Dr. G. unter Rn. 97 weiter ausführt, dieser Beurteilungsfehler der Beklagten (sic!) als grob fahrlässig eingestuft werden könne, sei letztlich eine Frage der normativen Bewertung und mit psychologischen Methoden nicht zu beantworten. Es könne nur feststellt werden, dass auch die später involvierten Sachverständigen Dr. R. und Prof. Dr. S. weder erkannt noch reflektiert hätten, dass die Aussage der M. S. nicht als Gesamtprodukt, sondern jeweils in Bezug auf die individuierbaren Schilderungskomplexe (manuelle, orale, genitale Manipulationen an der Zeugin; Vornahme von Masturbationshandlungen am Kläger) zunächst darauf hätte überprüft werden müssen, ob jeweils hinreichend diagnostisch relevantes Aussagematerial zur Verfügung stehe, um eine Aussageanalyse und eine hierauf gestützte Hypothesenprüfung überhaupt sinnvoll durchführen zu können. Sei dies nicht der Fall, könne gutachterlicherseits auch keine Überprüfung der einzelnen Alternativhypothesen durchgeführt werden. In einem derartigen Fall könne die Begutachtung grundsätzlich nur mit der Feststellung abgeschlossen werden, dass die Beurteilung des Erlebnisbezugs der Aussage mangels diagnostisch relevanten Aussagematerials mit aussagepsychologischen Methoden nicht möglich ist (Bd. IV Bl. 631 d. A.). Frau Prof. Dr. G. erklärt sodann, in Bezug auf den mündlichen Gutachtenvortrag der Beklagten ergebe sich zudem ein weiteres, strukturelles Problem, welches das gesamte Verfahren bis in die Hauptverhandlung hinein durchziehe, nämlich die Bereitstellung von unvollständigen und zum Teil falschen Anknüpfungstatsachen durch Staatsanwaltschaft und Gericht. Wenn selbst dem erkennenden Gericht (also der Jugendkammer) im Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht bekannt sei, dass die Zeugin (M. S.) nahezu zeitgleich als identifiziertes Opfer eines sexuellen Missbrauchs in ein weiteres Strafverfahren involviert und das Strafverfahren in dieser Sache bereits abgeschlossen gewesen sei, und erst Monate nach dem erstinstanzlichen Urteil durch den damaligen Strafverteidiger die Akte aus diesem Verfahren erstmals beigezogen und in das Verfahren eingeführt worden sei, dann sei es nicht der Sachverständigen als (gravierender) methodischer Fehler anzulasten, diese unentdeckt gebliebene Aussage in ihrem Gutachtenvortrag nicht reflektiert zu haben. Würden Anknüpfungstatsachen vorgegeben, die unvollständig oder falsch seien, tangiere dies zwangsläufig die Richtigkeit der hierauf basierenden gutachterlichen Schlussfolgerungen, ohne dass dies automatisch den Rückschluss auf methodische Gutachtenfehler zulasse (Bd. IV Bl. 631 f. d. A.).

136
(2) Die in dem von der Berufung vorgelegten Privatgutachten vorgebrachten Überlegungen und Einwände waren nicht von der Hand zu weisen. Sie ließen sich, zumal ohne sachverständige Beratung, nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht abschließend beantworten.

137
d) Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme sind die vorstehend unter a) beschriebenen Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit allerdings zweifelsfrei gegeben. Die Beklagte hat in allen Teilschritten der Begutachtung und Gutachtenabfassung Fehler gemacht. Erhebliche Fehler liegen nicht nur bei den Informationserhebungen, insbesondere der für die Glaubhaftigkeitsbegutachtung zentralen Exploration der Zeugin M. S., sondern auch bei den aussagepsychologischen Schlussfolgerungen vor (vgl. das zweite Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. St. vom 27.04.2017, Bd. VIII Bl. 1418 d. A.).

138
aa) Der Sachverständige Prof. Dr. St. hat in seinem dritten aussagepsychologischen Gutachten vom 25.09.2017 erklärt, das methodische Vorgehen der Beklagten bei ihrer Begutachtung vor Erstellung des schriftlichen Gutachtens (unter anderem bei der Exploration, der Berücksichtigung von Anknüpfungstatsachen und der Durchführung der Aussageanalyse) und die aussagepsychologischen Argumentationen (Schlussfolgerungen) der Beklagten sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Gutachten seien in hohem Maße fehlerbehaftet gewesen (Bd. VIII Bl. 1575 d. A.). Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

139
bb) Der Sachverständige hat im Rahmen der mündlichen Erläuterung seiner Gutachten anschaulich dargestellt, dass der Beklagten absolut vermeidbare Fehler unterlaufen sind und dass Dinge falsch gemacht worden sind, die ein Sachkundiger hätte wissen müssen (Bd. VIII Bl. 1593 d. A.). Auf Nachfrage hat der Sachverständige zutreffend darauf verwiesen, dass sich die mündliche Erläuterungsleistung aus dem Urteil ergibt, aus dem erkennbar hervorgeht, dass die Fehler und Argumente von der Beklagten in der mündlichen Erläuterung übernommen worden sind. So sind denn deren Fehler in Bezug auf die Lügenhypothese ausdrücklich im Strafurteil festgehalten. Darüber hinaus sind auch Fehler nur in der mündlichen Gutachtenerstattung festzustellen, soweit der Komplex M. W. und die frühen Geschlechtserfahrungen der Zeugin S. unzureichend berücksichtigt wurden (Bd. VIII Bl. 1593 d. A. unten). Angesichts der gegen eine Erlebnisfundiertheit der Angaben der Belastungszeugin sprechenden Gesichtspunkte und der vorliegenden Hinweise auf eine hohe Lügenmotivation und -kompetenz war zumindest ein non liquet anzunehmen und hätte die Tendenz der Beklagten aus der Sicht eines Sachkundigen klar in Rechnung einer negativen Glaubhaftigkeitsbeurteilung gehen müssen (aaO Mitte).

140
cc) Die vom Sachverständigen bei der Beurteilung der Qualität der Gutachten der Beklagten angelegten Grundsätze der aussagepsychologischen Methodik mussten in den Jahren 2003/2004 jedem, der als Sachverständiger für Staatsanwaltschaften und Gerichte tätig wurde, bekannt gewesen sein (Bd. VIII Bl. 1431 d. A.). Die Fehlerhaftigkeit der aussagepsychologischen Begutachtungen der Beklagten bei allen wichtigen Teilschritten berechtigt zu der Feststellung, dass die Beklagte grundlegende methodische Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen unbeachtet gelassen hat. Insbesondere die Notwendigkeit einer fachgerechten Exploration, die Ausgangspunkte der Unschuldsvermutung und der „Beweislast“, die dem wissenschaftlichen Konzept der Nullhypothese entsprechen, sowie die grundsätzlichen Qualitätsanforderungen von Transparenz und Nachvollziehbarkeit hätten jedem Sachkundigen einleuchten müssen (Bd. VIII Bl. 1431 f. d. A.).

141
dd) Diese gravierenden methodischen Defizite sind schlechthin unentschuldbar. Bei den vorstehend im Einzelnen erörterten Fehlern geht es weder um die – im Einzelfall zu definierende – „innere Freiheit“ eines Sachverständigen oder die Möglichkeit abweichender Bewertungen im Rahmen eines Beurteilungsspielraums. Vielmehr handelt es sich um die mehrfache Verletzung von nicht in Frage zu stellenden methodischen Prinzipien. Insoweit hat der Sachverständige Prof. Dr. St. in dem Gutachten vom 27.04.2017 klargestellt, dass er deswegen auf der Grundlage des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 30.07.1999 von Mindestanforderungen gesprochen und nur dieses Mindestmaß an die Überprüfung der Gutachten der Beklagten angelegt hat, weil in der wissenschaftlichen Literatur, wie auch von Frau Prof. Dr. G. ausgeführt, weitergehende Standards beschrieben sind (Bd. VIII Bl. 1431 d. A.). Dem Sachverständigen ist auch aus rechtlicher Sicht darin beizupflichten, dass die Übernahme eines Auftrags, als Sachverständiger tätig zu werden, die Selbstprüfung voraussetzt, ob die erforderliche – und vom Auftraggeber vorausgesetzte – hinreichende Sachkunde vorhanden ist. Die vielfache Verletzung grundlegender methodischer Prinzipien bei der Durchführung eines Sachverständigenauftrags hat in der Tat derjenige zu verantworten, der sich als Sachverständiger ernennen lässt (Bd. VIII Bl. 1432 d. A.) und tätig wird.

142
5. Die Kausalität (nachfolgend unter b)) und der Schaden (c)) sind zwar nicht mit der vom Landgericht gegebenen Begründung (a)), dafür aber nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme zu bejahen.

143
a) Das Landgericht hat ausgeführt, es genüge, dass das Gutachten neben anderen Beweismitteln zur Überzeugungsbildung des Gerichtes beigetragen habe, wobei in der Literatur darauf verwiesen werde, dass im Sinne der conditio sine qua non-Formel zu fragen sei, ob die gerichtliche Entscheidung ohne das unrichtige Gutachten genauso ausgefallen wäre. Da aus den Urteilsgründen der 5. Strafkammer hervorgehe, dass diese sich der fachkundigen Einschätzung der Beklagten anschließe und auf Grund dieser Erkenntnisse zu ihrer Entscheidung gelangt sei, stehe eine Mitursächlichkeit des Gutachtens der Beklagten fest. Soweit die Beklagte behaupte, die 5. Strafkammer wäre auch ohne ihr Gutachten zu der gleichen Überzeugung hinsichtlich der Einschätzung der Aussagen der Zeugin S. gelangt, stehe dem bereits die Tatsache entgegen, dass das Gericht die Sachverständige überhaupt zugezogen habe. Eine ausschließliche eigene Beurteilungskompetenz der 5. Strafkammer sei nicht ersichtlich und auch nicht nachvollziehbar. Sie ergebe sich auch durch die Entscheidungsbegründung des Strafgerichtes selbst nicht, da das Strafgericht sich gerade auf die Darstellungen der Sachverständigen gestützt habe und nicht nur auf eigene, davon völlig unabhängige Kenntnisse (Bd. III Bl. 521 f. d. A.). Dem Beweisangebot der Beklagten auf Vernehmung der Richter der 5. Strafkammer zum Beweis der Behauptung, die Strafkammer wäre auch ohne ihr Gutachten zu einer Überzeugung betreffend der Glaubhaftigkeit der Zeugin S. gelangt, sei nicht nachzugehen gewesen, da einer solchen Beweiserhebung das Beratungsgeheimnis zwingend entgegenstehe (Bd. III Bl. 522 d. A.). Diese Auffassung überzeugt nicht.

144
b) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Landgerichts, dass ein Beruhen der Entscheidung auf dem Gutachten jedenfalls vorliegt, wenn das Gutachten tragend für die Entscheidung geworden ist (Soergel/Spickhoff, aaO § 839a Rn. 37). Es reicht aus, wenn das Gutachten mitursächlich geworden ist, also neben anderen Beweismitteln zur Überzeugungsbildung des Gerichts beigetragen hat (Soergel/Spickhoff, aaO; jurisPK-BGB/Zimmerling, 8. Aufl. § 839a Rn. 15).

145
aa) Damit ist allerdings die Frage, wie im Regressprozess das schadensursächliche Geschehen des Verfahrens, in dem der gerichtliche Sachverständige tätig war, zu beurteilen ist, noch nicht beantwortet. Die Erwägungen des Landgerichts wie auch der Parteien haben sich insoweit bislang ausschließlich auf die Sicht der im Strafprozess gegen den Kläger erkennenden Richter bezogen. Auch die Berufung macht geltend, die Entscheidung der Strafkammer wäre, wie erstinstanzlich vorgetragen und durch das Zeugnis der Berufsrichter Herr A. und Herr W. und der Schöffen Frau R. und Herr Sch. unter Beweis gestellt, auch ohne das Gutachten der Beklagten identisch ausgefallen (Bd. IV Bl. 664 d. A. Abs. 2). Bei einer rein kausalen Betrachtungsweise müsste das Regressgericht aufklären, wie das damals entscheidende Gericht tatsächlich geurteilt hätte, wenn es nicht zu einer – hier: unterstellt – unrichtigen Gutachtenerstattung gekommen wäre, also gegebenenfalls die im Ausgangsprozess tätigen Richter dazu als Zeugen vernehmen.

146
bb) Im Rahmen der Rechtsanwaltshaftung für forensische Fehlleistungen, die in einer schadenstiftenden gerichtlichen Entscheidung münden, wie auch im Rahmen der Amtshaftung wird ein solches Kausalitätsverständnis indes abgelehnt. Dort muss der Richter im Regressprozess nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten. Ist im Haftpflichtprozess die Frage, ob dem Mandanten durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Rechtsanwalts ein Schaden entstanden ist, vom Ausgang eines anderen Verfahrens abhängig, muss das Regressgericht selbst prüfen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre (BGHZ 36, 144, 154 f., zur Amtshaftung; 72, 328, 330; 124, 86, 96, zur Haftung des Konkursverwalters; BGH NJW 1996, 48, 49; NJW 2013, 540, 543 Rn. 26). Da der materiellen Gerechtigkeit Vorrang vor der wirklichen Kausalität gebührt, kommt es nicht darauf an, welche Tatsachen das Inzidenzgericht mutmaßlich festgestellt hätte, sondern welche Beweiserhebungen nach Auffassung des Regressrichters zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich sind (BGHZ 133, 110, 112). Der Regressrichter hat zu prüfen, wie nach seiner Auffassung der Vorprozess richtigerweise hätte entschieden werden müssen (BGHZ 36, 144, 154 f.; 72, 328, 338; 79, 223, 226; 124, 86, 96; 145, 256, 261). Wird dem Rechtsanwalt vorgeworfen, der Misserfolg des Mandanten im Vorprozess sei auf mangelhaften Prozessvortrag zurückzuführen, hat das Regressgericht deshalb grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, der dem Gericht des Inzidenzverfahrens bei pflichtgemäßem Verhalten des dortigen Prozessbevollmächtigten unterbreitet worden wäre (BGHZ 133, 110, 111 f.; Senat, Urt. v. 14.08.2014 – 4 U 146/13, juris Rn. 47).

147
cc) Die Feststellung, wie der Prozess richtigerweise hätte entschieden werden müssen, ist nach § 287 ZPO zu treffen, weil es sich um ein Element der schadensausfüllenden Kausalität handelt (BGH NJW 1988, 3013, 3015). Die Schadensersatzklage ist als gewöhnlicher Zivilprozess zu führen, für den die allgemeinen Regeln – insbesondere die Dispositionsmaxime – gelten. Hat der Anwalt die Interessen seines Auftraggebers im Vorprozess nicht ordnungsgemäß vertreten, gewinnt die Frage, ob der Rechtsstreit bei vertragsgerechtem Verhalten günstiger ausgegangen wäre, in der Regel allein als Voraussetzung für die Entstehung eines Schadens Bedeutung. Dann ist darüber, wie der Prozess hätte enden müssen, nach den Verfahrensgrundsätzen des § 287 ZPO zu befinden (vgl. BGH NJW 1988, 3013, 3015). Diese Vorschrift stellt den Richter insbesondere hinsichtlich des Umfangs der Beweiserhebungspflicht freier. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen ein Sachverständigengutachten anzuordnen ist, bleibt danach dem pflichtgemäßen Ermessen des Richters überlassen (§ 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Im Unterschied zu den Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO kann er von einer weiteren Beweisaufnahme absehen, wenn ihm bereits hinreichende Grundlagen für ein Wahrscheinlichkeitsurteil zur Verfügung stehen (vgl. BGH BGHR ZPO § 287 Abs. 1 Beweisantrag 1). Das hat für den Geschädigten eine Beweiserleichterung zur Folge, bedeutet aber auf der anderen Seite auch, dass der Richter die Tatsachen nicht weiter aufzuklären braucht, wenn der Nachweis bisher nicht einmal ansatzweise geführt und bereits hinreichend erkennbar ist, dass die noch zur Verfügung stehenden Beweise nicht ausreichen werden, die Behauptung des Klägers mit Wahrscheinlichkeit zu belegen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sind die Beweislastregeln des Ausgangsprozesses auch im Rechtsstreit gegen den Anwalt anzuwenden. Dies beruht auf der Erwägung, dass es sich um Vorschriften des materiellen Rechts handelt und der Mandant nicht allein deshalb schlechter gestellt sein darf, weil der hypothetische Sieg im Vorprozess nunmehr eine notwendige Voraussetzung für die Bejahung eines Schadens darstellt, den grundsätzlich der Kläger nachzuweisen hat (vgl. BGHZ 30, 226, 232; BGH VersR 1976, 468, 469; NJW 1988, 3013, 3015; WM 1996, 1830). Auch über den hypothetischen Ausgang eines Strafverfahrens hat das Regressgericht nach dem Maßstab des § 287 ZPO zu befinden (BGH NJW-RR 2007, 569, 573 Rn. 50; Fahrendorf in Fahrendorf/Mennemeyer/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts 8. Aufl. Rn. 1936; Krause NStZ 2000, 225, 231 f.).

148
dd) Diese Grundsätze sind auf die Haftung des Gutachters zu übertragen (Kilian VersR 2003, 683, 687; Knerr in Geigel, aaO Rn. 11; ebenso Soergel/Spickhoff, aaO Rn. 40; jurisPK-BGB/Zimmerling, aaO Rn. 15; Stein/Itzel/Schwall, aaO Rn. 681; a. A. Mäsch AnwBl 2009, 855, 858).

149
(1) Der Wortlaut des § 839a BGB ordnet die Verpflichtung zum Ersatz des Schadens an, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht. Der Begriff des Beruhens ist zunächst ein unbestimmter Rechtsbegriff und daher wertungsausfüllungsbedürftig. Ein Beruhen ist nicht bereits zwingend zu bejahen, wenn der gerichtlichen Entscheidung im Sinne einer natürlichen Kausalität ein Gutachten vorausgegangen ist. Deshalb geht die Auffassung von Mäsch (AnwBl 2009, 855, 858), es komme allein auf eine – nicht näher umschriebene – „wirkliche Kausalität“, nicht auf die Sicht des Regressgerichts an, schon von einem zu engen Verständnis des Wortlauts der Vorschrift aus. Ein Beruhen kann ohne weiteres verneint werden, wenn es auf das Gutachten nicht entscheidungserheblich ankam bzw. die gerichtliche Entscheidung sich aus anderen Gründen als richtig darstellt. Das entspricht der Konzeption des § 839a BGB als deliktischer Schadensersatzanspruch. Dieser neue Haftungstatbestand wurde geschaffen, weil der gerichtlich bestellte Sachverständige gegenüber den Verfahrensbeteiligten keiner Vertragshaftung unterworfen ist (BR-Drucks. 742/01, S. 65) und nach vorheriger Rechtslage die Haftung von dem ungeeigneten Differenzierungskriterium abhing, ob der Sachverständige beeidigt worden (dann Haftung auch für reine Vermögensschäden über § 410 ZPO als Schutzgesetz) oder unbeeidigt geblieben ist (dann Haftung nur für Verletzung absoluter Rechte, BR-Drucks. 742/01, S. 65 f.). Nicht bezweckt ist mit § 839a BGB hingegen eine vom Verfahrensausgang bei unterstellt richtigem Gutachten unabhängige Sanktionierung des Sachverständigen für sein falsches Gutachten.

150
(2) Die Befragung der Richter des Vorprozesses, wie ihre Entscheidung bei unterstellt richtigem Gutachten gelautet hätte, stellt keine geeignete Vorgehensweise zur Ermittlung der Kausalität dar. Die Klärung dieser Frage im Wege des Zeugenbeweises durch Vernehmung der Vorderrichter würde allein auf die Feststellung hinauslaufen, ob die Richter damals in dem nunmehr bekundeten Sinne entschieden hätten, ohne Rücksicht darauf, ob die Entscheidung dann zutreffend gewesen wäre. Zudem hinge der Ausgang des Regressprozesses von bloßen Zufällen ab, wenn Vorderrichter verstorben, nicht mehr vernehmungsfähig oder nicht erreichbar wären oder wenn sie keine eindeutige Aussage (mehr) über ihre damalige hypothetische Entscheidung treffen könnten. Das wird besonders sinnfällig, wenn es – wie hier – um die Entscheidung eines mit Berufsrichtern und ehrenamtlichen Richtern besetzten Kollegialgerichts geht, bei dem zudem, wie das Landgericht an sich zutreffend bemerkt hat, eine Beratung und Abstimmung erforderlich ist. Überdies sind Gestaltungen denkbar, in denen zwar die Unrichtigkeit des Gutachtens feststeht, allein daraus aber ohne (neue) weitere Begutachtung oder Erhebung anderer Beweise kein Endergebnis herzuleiten ist. Dann kann der Vorderrichter als Zeuge überhaupt keine Aussage dazu treffen, wie die prozessordnungsgemäße Endentscheidung gelautet hätte.

151
(3) Nur wenn das mit dem Schadensersatzanspruch befasste Gericht sich sämtlicher bei ihm zulässiger Beweismittel bedienen darf, vermag es eine verlässliche Grundlage für die Beurteilung zu gewinnen, ob der Kläger einen im Rechtssinne ersatzfähigen Schaden erlitten hat. Wäre der Richter des Schadensersatzprozesses gehalten, sich hinsichtlich seiner Feststellungen auf die Aufklärungsmöglichkeiten zu beschränken, die dem Richter des (gedachten) Vorprozesses ohne die Pflichtverletzung des Gutachters im damaligen Zeitpunkt zur Verfügung gestanden haben würden, so könnte das dazu führen, dass zum Teil das eintritt, was im Schadensersatzprozess gerade vermieden werden soll, dass nämlich der dort tätige Richter darauf achtet, wie der Richter des Vorprozesses – jedenfalls hinsichtlich der Verfahrensgestaltung – entschieden haben würde. Denn die Frage, welche Aufklärungsmöglichkeiten damals bestanden haben würden, kann in vielen Fällen schwerlich losgelöst von der speziellen Verfahrensgestaltung durch das seinerzeit befasste Prozessgericht beantwortet werden und hängt von vielen – nun hypothetischen – Faktoren ab. Von diesem unzuverlässigen Beurteilungsmaßstab soll aber im Interesse eines gerechten Ergebnisses der Schadensersatzprozess, bei dem es nicht um Durchführung oder Wiederholung des Vorprozesses, sondern um die Ermittlung des zu ersetzenden Schadens geht, wie er sich im gegenwärtigen Zeitpunkt darstellt, gerade freigestellt sein (BGHZ 72, 328, 331, 332; BGH ZIP 1984, 221, 222).

152
(4) Dem Kläger darf im Wege des Schadensersatzes nicht mehr zugesprochen werden, als das, worauf er rechtmäßig Anspruch hat (BGHZ 145, 256, 261; BGH NJW 2000, 1572, 1573; G. Fischer in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung 4. Aufl. § 5 Rn. 107, jeweils zur Rechtsanwaltshaftung). Wenn daher im Regressprozess – aus welchen Gründen auch immer – bessere oder andere Erkenntnismöglichkeiten vorhanden sind, als sie dem für den (durchgeführten oder unterbliebenen) Vorprozess zuständigen Gericht zur Verfügung standen, dann entspricht es, wie im Rahmen der Rechtsanwaltshaftung, der materiellen Gerechtigkeit, ihm deren Verwendung nicht zu versagen.

153
(5) Dieses Verständnis der Sachverständigenhaftung kommt auch in der Entstehungsgeschichte des § 839a BGB zum Ausdruck. In den Gesetzesmaterialien heißt es:

154
„Mit der Regelung soll auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Rückgriff auf den Sachverständigen für den in einem Rechtsstreit auf Grund eines falschen Sachverständigengutachtens Unterlegenen oft die einzige Möglichkeit ist, materielle Gerechtigkeit zu erlangen. Dies birgt freilich auch die Gefahr in sich, dass rechtskräftig abgeschlossene Prozesse im Gewand des Sachverständigenhaftungsprozesses neu aufgerollt werden.“ (BR-Drucks. 742/01, S. 66; s. auch Reinert in Bamberger/Roth, BeckOK BGB Stand 15.06.2017 § 839a Rn. 4).

155
An Hand dieser Gesetzesbegründung wird deutlich, dass der neue Haftungstatbestand des § 839a BGB der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit und nicht einer davon losgelösten Sanktionierung des Gerichtssachverständigen für ein grob fahrlässig oder vorsätzlich unrichtiges Gutachten dienen sollte. Da das Ergebnis des rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses aber schon auf Grund der vom Haftungskläger geltend gemachten Unrichtigkeit in Frage steht, gewinnt die Frage des Ausgangs des Vorprozesses bei (unterstellt) richtigem Gutachten maßgebliche Bedeutung. Stimmen insoweit die Darstellungen der Parteien – wie hier – nicht überein, führt an der Aufklärung der streitigen Punkte kein Weg vorbei. Die Wortwahl der Gesetzesbegründung („Gefahr“, „rechtskräftig abgeschlossene Prozesse“, „neu aufgerollt“) lässt keinen Zweifel daran, dass es Aufgabe des Regressgerichts ist, je nach Einlassung des beklagten Sachverständigen zur Haftungsklage gegebenenfalls das Ergebnis des Vorprozesses einer neuen, eigenständigen Prüfung zu unterziehen (vgl. Brückner/Neumann MDR 2003, 906, 909: „logische und unabdingbare Folge der neuen gesetzlichen Regelung“).

156
(6) Schließlich steht dieser Sichtweise die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Unterlassen eines Rechtsmittels im Sinne des § 839a Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 839 Abs. 3 BGB nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof hat es für den Ursachenzusammenhang zwischen der unterbliebenen Anhörung des Sachverständigen und dem Schaden ausreichen lassen, wenn infolge der gebotenen Beantragung einer Anhörung die Verwertbarkeit des fehlerhaften Gutachtens als Grundlage für die der Partei ungünstige klageabweisende Entscheidung im Vorprozess beseitigt worden wäre (BGHZ 173, 98, 102 Rn. 11). In einem solchen Fall ist eine weitergehende Prognose darüber, wie der Vorprozess mutmaßlich im Ergebnis ausgefallen wäre, – anders als bei einer dem Schadensersatzanspruch gegen den Sachverständigen stattgebenden Entscheidung – nicht erforderlich (BGHZ 173, 98, 102 Rn. 12).

157
ee) Der Anspruchsteller trägt die Darlegungs- und Beweislast für alle haftungsbegründenden Tatsachen, insbesondere für die Kausalität zwischen Gutachten und Entscheidung, den Schaden und die Kausalität zwischen Entscheidung und Schaden (Knerr in Geigel, aaO Rn. 17; MünchKomm-BGB/Wagner, aaO Rn. 42; Kilian VersR 2003, 683, 688). Da diese Punkte hier streitig sind, waren sie vom Kläger zu beweisen.

158
(1) Im ersten Rechtszug hat die Beklagte in der Klageerwiderung vom 05.06.2014 dargelegt, es fehle an der Kausalität des Gutachtens für die Entscheidung der Jugendkammer. Aus dem Strafurteil selbst ergebe sich, dass die Strafkammer auch ohne das vorläufige Gutachten und die mündliche Erläuterung der Beklagten von der Schuld des Klägers vollumfänglich überzeugt gewesen sei (Bd. I Bl. 178 d. A.). Ferner ist in der Klageerwiderung die Zeugin M. S. zum Beweis der Tatsache benannt, dass die von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken mit der Anklage vom 27.10.2003 gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe zutreffend seien (Bd. I Bl. 180 f. d. A.; die letzten beiden Worte fehlen in der Klageerwiderung, sind aber zweifelsfrei sinngemäß zu ergänzen). Weiter hat die Beklagte im Schriftsatz vom 17.09.2014 durch Zeugnis der M. S. und unter Verwahrung gegen die Beweislast durch Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt, dass das, was dem Kläger in dem Strafverfahren vorgeworfen worden sei, aus aussagepsychologischer Sicht mit der in dem schriftlichen Gutachten festgehaltenen Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert sei (Bd. II Bl. 334 d. A. Mitte). Weiter hat die Beklagte unter Beweisantritt durch Zeugnis der M. S. dargelegt, der Freispruch vor dem Amtsgericht Neunkirchen sei lediglich deswegen erfolgt, weil die Zeugin unter Berufung auf § 55 StPO die Aussage verweigert habe. In diesem Zusammenhang zu bestreiten sei auch der Vortrag, dass die Zeugin S. nach Belehrung über eine eigene Falschaussage die Aussage verweigert habe. Sie habe vielmehr im Hinblick darauf, dass sie mit einer Aussage einen Angehörigen belasten würde, die Aussage verweigert (Bd. II Bl. 334 d. A. unten).

159
(3) In der Berufungsbegründung hat die Beklagte auf ihren gesamten erstinstanzlichen Sachvortrag nebst Beweisangeboten Bezug genommen (Bd. IV Bl. 684 d. A. unter – E -).

160
(4) In der Anschlussberufungserwiderung hat die Beklagte erneut bestritten, dass wenn sie zu dem Ergebnis gekommen wäre, die Mindestvoraussetzungen für die Anwendung der Aussageanalyse seien erfüllt, dies dazu geführt hätte, dass eine Substantiierung des Erlebnisgehaltes der Aussage mit aussagepsychologischen Mitteln nicht möglich sei. Selbst wenn dem so gewesen wäre, hätte die 5. Strafkammer den Kläger auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme verurteilt. Zum Beweis hat sich die Beklagte unter Verwahrung gegen die Beweislast auf das Zeugnis der beiden mitwirkenden Richter der 5. Strafkammer und der beiden Schöffen bezogen (Bd. V Bl. 848 d. A.). Darüber hinaus hat die Beklagte in der Anschlussberufungserwiderung vorgetragen, die Strafkammer habe sich durch eigene Befragung unter anderem der Zeugin S. selbst davon überzeugt, dass die von der Zeugin gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe zutreffend seien. Die Beklagte habe keine Überzeugungsarbeit geleistet (Bd. V Bl. 851 d. A.).

161
(5) Mit dem unter (1) wiedergegebenen erstinstanzlichen Sachvortrag nebst Beweisantritten hat sich das Landgericht nicht auseinander gesetzt. Da keines der vorangegangenen Straf- oder Zivilurteile gegenüber der als Gerichtssachverständige im Strafverfahren tätigen Beklagten Bindungswirkung entfaltet, die Beklagte darüber hinaus weder an dem (vorgetragenen) Geschehen zwischen dem Kläger und der Zeugin M. S. noch an dem auf die strafrechtliche Verurteilung des Klägers folgenden Zivilprozess und den strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren beteiligt war, bleibt es der Beklagten unbenommen, die Sachdarstellung des Klägers zum (vermeintlichen) Tatgeschehen – interessewahrend – zu bestreiten.

162
(5.1) Das Landgericht hat im Zusammenhang mit der (Mit-) Ursächlichkeit des Gutachtens der Beklagten für die strafrechtliche Verurteilung des Klägers angenommen, soweit die Beklagte behaupte, die 5. Strafkammer wäre auch ohne ihr Gutachten zu der gleichen Überzeugung hinsichtlich der Einschätzung der Aussagen der Zeugin M. S. gelangt, stehe dem bereits die Tatsache entgegen, dass das Gericht die Sachverständige überhaupt zugezogen habe. Eine ausschließliche eigene Beurteilungskompetenz der 5. Strafkammer sei nicht ersichtlich und auch nicht nachvollziehbar. Sie ergebe sich auch gerade durch die Entscheidungsbegründung des Strafgerichtes selbst nicht, da das Strafgericht sich gerade auf die Darstellungen der Sachverständigen stütze und nicht nur auf eigene, davon völlig unabhängige Kenntnisse (Bd. III Bl. 521 f. d. A.).

163
(5.2) Diese Ausführungen laufen auf eine unzulässige Beweisantizipation hinaus. Das Landgericht hat die strafrechtliche Verurteilung des Klägers in erster Linie auf die Bekundungen der dortigen Nebenklägerin in der Hauptverhandlung vor der Strafkammer und in der durch Augenscheinseinnahme in die Hauptverhandlung eingeführten Videovernehmung vom 30.01.2003 gestützt (Anlage 5, S. 16 ff., im Anlagenbd. Kläger). Dabei hat die Strafkammer die Bekundungen der Nebenklägerin detailliert gewürdigt. Außerdem hat die Strafkammer auf Befragungen der Frau S. durch die Zeugin R. am 07.01.2003, durch die Zeugin L. am 21.01.2003, durch die Zeugin A. am 22.01.2003, durch die Zeugin G. am 30.01.2003 und auf die Befragung und Begutachtung durch die Beklagte abgestellt (aaO, S. 17). Wie bei – unterstellt – richtigem Gutachten der Beklagten zu entscheiden wäre, kann nicht isoliert betrachtet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der Tatrichter insbesondere nicht gehindert, von dem Gutachten eines Sachverständigen abzuweichen. Wenn er aber eine Frage, für die er geglaubt hat, des Rates eines Sachverständigen zu bedürfen, im Widerspruch zu dem Gutachten lösen will, muss er die maßgeblichen Darlegungen des Sachverständigen wiedergeben und seine Gegenansicht unter Auseinandersetzung mit diesen begründen (BGH NStZ 2013, 180, 181). In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat. Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Angeklagte sich nicht zur Sache einlässt und der Aussage des einzigen Belastungszeugen ausschlaggebendes Gewicht zukommt (BGH NStZ 2013, 180, 181). Damit konnte der Ausgang des Strafverfahrens nicht isoliert an Hand des Gutachtens der Beklagten beurteilt werden.

164
(5.3) Auch unter Heranziehung des freisprechenden Strafurteils konnte die von der Beklagten (unter Verwahrung gegen die Beweislast) beantragte Beweisaufnahme nicht unterbleiben. Im Übrigen hat das Amtsgericht Neunkirchen im Unterschied zur Strafkammer die Zeugin M. S. nicht zur Sache vernommen, weil diese nach Belehrung gemäß § 55 StPO die Aussage verweigert hat (Bd. II Bl. 236 d. A.).

165
ff) Unter Beachtung dieser Grundsätze und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist festzustellen, dass der Kläger bei pflichtgemäßer Begutachtung durch die Beklagte freizusprechen gewesen wäre.

166
(1) Aus den verschiedenen Befragungen der Zeugin M. S. im Strafverfahren lagen von ihr eher Handlungsbenennungen als Handlungsbeschreibungen vor. Das damit verbundene Fehlen von inhaltlichen Besonderheiten, die als sogenannte Realkennzeichen hätten qualifiziert werden können, wurde von der Beklagten durch eine geringe Intelligenz der Zeugin erklärt. Das ist, wie bereits angemerkt, schon insoweit fehlerhaft, als eine mögliche Erklärung für das Fehlen von Realkennzeichen logisch nicht bedeutet, dass die notwendige Aussagequalität für eine positive Beurteilung der Glaubhaftigkeit gegeben ist (Bd. VII Bl. 1207 d. A. unten). Im Übrigen steht die – nicht belegte – Behauptung der Beklagten, die Anwendung von Realkennzeichen sei bei intelligenzgeminderten Zeugen nur eingeschränkt möglich, im Gegensatz zur grundlegenden aussagepsychologischen Literatur (Bd. VII Bl. 1226 f. d. A.). Die aussagepsychologische Logik gilt auch bei intelligenzgeminderten Zeugen, d. h. eine Zurückweisung der Lügenhypothese ist dann möglich, wenn die vorgefundene Aussagequalität die Erfindungskompetenz der Aussageperson übertrifft und wenn keine Störfaktoren diese Interpretation beeinträchtigen. Gerade bei Zeugen mit Intelligenzminderung finden sich in erlebnisbegründeten Aussagen häufig „originelle“ und „individuelle“ Aussagebesonderheiten, die als Realkennzeichen qualifiziert werden können (Bd. VII Bl. 1227 d. A.). Gerade daran aber fehlt es in den Aussagen der Zeugin S..

167
(2) Außerdem darf bei einer Bewertung der Angaben der Zeugin S., wie der Sachverständige zutreffend bemerkt hat, nicht außer Betracht bleiben, dass die Erstbekundung der Vorwürfe gegen den Kläger in einer Konfliktsituation vor dem Hintergrund einer möglichen Ausrede- oder Rachemotivation der Zeugin erfolgte (2.1) und das Verschweigen der angeblichen Übergriffe des Klägers nur mit einem pauschalen Schweigegebot begründet worden ist (2.2).

168
(2.1) Nach den insoweit detaillierten Feststellungen im Strafurteil rief die Ehefrau des Klägers, die Zeugin R. K., am 11.12.2002 in der Schule an und sprach mit der Klassenlehrerin der Belastungszeugin darüber, dass nach Angaben der Pflegetochter in der Schule bereits geraucht werden würde. Am Folgetag kam die Zeugin S. wutentbrannt von der Schule nach Hause, weil die Klassenlehrerin vor der Klasse gesagt habe, die Zeugin habe zu Hause erzählt, dass die ganze Klasse bereits rauche. Die Zeugin S. habe sich äußerst ungehalten über das Verhalten der Pflegemutter gezeigt und sich geweigert, an diesem Tag anstehende Arzttermine wahrzunehmen. Nachdem der Kläger nach Hause kam, suchte Frau R. K. alleine Herrn Dr. G. auf, um sich Hilfe in dieser Situation zu erbitten. Der Kläger störte die Zeugin S. dann an diesem Nachmittag wiederholt, als sie mit einem Löffel spielte und ihn auf den Boden warf. Er fühlte sich durch die Zeugin S. weiter provoziert, weil sie ständig mit dem Fuß auf den Türrahmen trat. Als er sie eindringlich aufforderte, damit aufzuhören, näherte sich ihm die Zeugin und griff ihm über der Hose zwischen die Beine an sein Geschlechtsteil und an sein Hinterteil, woraufhin der Kläger sie anschrie, sie solle aufhören, ihm den „Finger in den Arsch“ zu stecken. Diesen Vorgang beobachtete der mit Renovierungsarbeiten beschäftigte Zeuge Schl.. Die Zeugin S. suchte daraufhin ihr Zimmer auf. Als der Kläger ihr nachkam, sagte sie, sie wolle am liebsten die Pflegemutter, die Zeugin R. K., massakrieren, weil sie ihre Lehrerin angerufen und sie auf das Rauchen angesprochen habe. Der Kläger erwiderte, sie müsse bis 12.00 Uhr am nächsten Tag das Haus verlassen. Nachdem die Zeugin R. K. nach Hause gekommen war und von dem Kläger über den Vorfall – Griff an das Geschlechtsteil – informiert wurde, verständigte sie sofort das Jugendamt, und am nächsten Tag wurde die Zeugin S. von einer Jugendamtsmitarbeiterin in Begleitung des Vaters der Zeugin abgeholt (S. 9 f. = Bd. II Bl. 377 f. d. A.). Nachdem der Vater der Zeugin S. am 19.12.2002 bei einer Besprechung auf dem Jugendamt von dem Griff ans Geschlechtsteil des Klägers erfahren und die Zeugin S. darauf am selben Tag zu Hause ansprach, entgegnete die Zeugin, dass der Kläger „das“ mit ihr auch getan habe, weiteres wolle sie aber gegenüber ihm nicht sagen (S. 12 = Bd. II Bl. 380 d. A.). Diese Konstellation hätte, wie der Sachverständige Prof. Dr. St. überzeugend ausgeführt hat, zur Formulierung hoher Anforderungen an die inhaltliche Qualität der Aussagen der Belastungszeugin führen müssen (Bd. VII Bl. 1229 d. A.), was jedoch unterblieben ist. Solchen hohen Anforderungen genügt die keine hinreichenden Realkennzeichen aufweisende Aussage denn auch nicht.

169
(2.2) Außerdem hätte geprüft werden müssen – und ist im Regressprozess gegen die Gutachterin zu prüfen -, ob ein langes Verschweigen angesichts der Kenntnisse über die Persönlichkeit der Zeugin S. und über die Bedingungen, unter denen sie über den infrage stehenden sexuellen Missbrauch geschwiegen haben soll, psychologisch nachvollziehbar sein soll. Wie der Sachverständige Prof. Dr. St. auch in diesem Punkt überzeugend ausgeführt hat, erscheint fraglich, ob es nicht im Rahmen von aggressiven Verhaltensweisen der Zeugin M. S. gegenüber der Zeugin R. K. nahe gelegen hätte, den (mehrfachen, andauernden) sexuellen Missbrauch durch den Pflegevater (spontan) zu benennen. Der behandelnde Arzt Herr Dr. G. erklärte, in seinen Terminen mit der Zeugin S. keine Hinweise auf sexuellen Missbrauch erhalten zu haben, obgleich eine psychotherapeutische Situation einen Anreiz zur Darstellung solcher belastender Lebensereignisse geboten hätte. Überdies sagte die Zeugin J. D., eine Freundin der Zeugin S., aus, die Zeugin S. habe ihr über sexuellen Missbrauch durch einen Jungen erzählt, über einen solchen Missbrauch durch den Pflegevater habe sie aber keine Angaben gemacht (Bd. VII Bl. 1230 d. A.). Es ist nicht zu erklären, dass und warum die Zeugin S. einen sexuellen Missbrauch durch einen Jungen erzählte, den angeblichen Missbrauch durch den Pflegevater aber verschwieg. Dass die Zeugin S., die sich äußerst ungehalten über den Anruf der Zeugin R. K. bei der Klassenlehrerin gezeigt hatte und selbst gegenüber dem wesentlich älteren Kläger übergriffig wurde, bei mehreren Anlässen zu einem solchen gesteuerten Verhalten in der Lage gewesen wäre und sich an ein Schweigegebot durch den Kläger gehalten hätte, leuchtet ebenfalls nicht ein.

170
(3) Die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin S. hatte die Jugendkammer IV des Landgerichts Saarbrücken unter Einbeziehung des Gutachtens der Beklagten damit begründet, dass die Zeugin den Ablauf einzelner Sexualpraktiken authentisch wirkend, mit „originellen“ Details versehen geschildert habe wie das Hochziehen von Pullover und Büstenhalter, das Lecken nur an einer Brust und nur an der Brustwarze, das Hochheben ihrer Beine mit bis zu den Füßen heruntergelassener Hose und Unterhose, die über sie gebeugte und dabei stehende Haltung des jetzigen Klägers sowie das Lecken und anschließende Reiben mit dem Penis an der Scheide (Anlage 5, S. 17 = Bd. II Bl. 385 d. A.). Als weiteres Glaubhaftigkeitsmerkmal hat die Jugendkammer die Konstanz der Aussage der Belastungszeugin in mehreren Befragungs-/Vernehmungssituationen, darunter am 24.06.2003 im Rahmen der Exploration durch die Beklagte, angeführt (aaO). Diese Argumentation erweist sich – bei ordnungsgemäßer aussagepsychologischer Beratung – als nicht tragfähig.

171
(3.1) Unbeschadet der bereits im Einzelnen erörterten ergebnisrelevanten grundlegenden Mängel der Exploration der Zeugin S. durch die Beklagte, hat der Sachverständige Prof. Dr. St. in jeder Hinsicht plausibel aufgezeigt, dass jedenfalls das vorliegende Aussagematerial – und weiteres Material ist nicht zu gewinnen – nicht zum Schluss auf die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin S. berechtigt. Die längsten Darstellungen der Zeugin zur Sache (sexuelle Missbrauchshandlungen) bei der Exploration der Beklagten vom 24.06.2003 bestehen aus 3 ¼, 2 ½ oder 3 ½ Zeilen. Zu anderen Themen gab die Zeugin deutlich längere zusammenhängende Beschreibungen ab, so zum Ausrasten (11 Zeilen), einem Schlag mit dem Kartoffelstampfer (6 Zeilen), Spielen mit einem Löffel (5 Zeilen), Gelddiebstahl (5 ½ Zeilen) und Erziehungsmaßnahme „Duschen“ (7 Zeilen, Bd. VII Bl. 1222 f. d. A.).

172
(3.2) Die Nennung einer Vielzahl von sexuellen Handlungen verbunden mit der Nennung mehrerer Tatorte im Sinne des Qualitäts-Kompetenz-Vergleichs kann, wie der Sachverständige Prof. Dr. St. mit Recht betont hat, einen Indikator für einen Erlebnishintergrund des Ausgesagten darstellen (Bd. VII Bl. 1236 d. A.). Allerdings sind hier die in der Hauptverhandlung zu Tage getretenen sexuellen Erfahrungen der Zeugin M. S. mit dem M. W. zu berücksichtigen. Für eine „Übertragung“ früherer Erfahrungen ist keine vollständige Identität von Vorerfahrungen und infrage stehenden Anschuldigungen nötig (Bd. VII Bl. 1237 d. A.). Auf dem Hintergrund der Übertragungshypothese ist aber nicht auszuschließen, dass die von der Jugendkammer als „originelle“ Details eingeordneten Angaben wie das Hochziehen von Pullover und Büstenhalter, das Lecken nur an einer Brust und nur an der Brustwarze, das Hochheben ihrer Beine mit bis zu den Füßen heruntergelassener Hose und Unterhose, die über sie gebeugte und dabei stehende Haltung des Mannes sowie das Lecken und anschließende Reiben mit dem Penis an der Scheide auf sexuelle Erfahrungen mit Dritten zurückzuführen sind.

173
(3.3) Die Feststellung einer – nach dem Gutachten der Beklagten allenfalls anzunehmenden – „einfachen“ Konstanz stellt noch kein überzeugendes Realkennzeichen dar. Auch eine Zeugin mit geringer Intelligenz kann frühere (Falsch-)Darstellungen beibehalten, insbesondere wenn sie, wie hier, dazu wiederholt befragt wurde. Positive Hinweise auf einen Erlebnishintergrund wie (stimmige) Ergänzungen und (eigenständige) nachträgliche Präzisierungen kamen nicht vor. Der Sachverständige Prof. Dr. St. hat hierzu angemerkt, dass die zehn Zeilen umfassende Aufzählung von sexuellen Handlungen und Tatorten in der einleitenden Aussage der Zeugin S. bei der Exploration nicht als konstante Wiederholung früherer Angaben interpretiert werden muss. Als alternative Überlegung kann ein stereotyper Charakter dieser Angabe angenommen werden, wofür sprechen würde, dass die Zeugin S. in der Folge trotz direkter Fragen keine Detailschilderungen abgeben konnte (Bd. VII Bl. 1231 d. A.).

174
(4) In dem zum Freispruch des Klägers führenden Wiederaufnahmeverfahren hat die Zeugin M. S. nicht ausgesagt. Zur aussagepsychologischen Beurteilung trägt das Wiederaufnahmeverfahren daher, wie der Sachverständige zutreffend gesehen hat, nichts bei (Bd. VIII Bl. 1436 d. A.).

175
(5) Die Vernehmung der Zeugin M. S. durch den Senat ermöglicht jedenfalls keine positiven aussagepsychologischen Feststellungen in Bezug auf den Erlebnishintergrund der im Strafverfahren behaupteten sexuellen Handlungen.

176
(5.1) In dem Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. St. vom 27.04.2017 ist zutreffend bemerkt worden, dass die am 21.03.1989 geborene Zeugin S. bei der in Gegenwart des Sachverständigen erfolgten Beweisaufnahme vor dem Senat am 10.11.2016 bereits das 27. Lebensjahr vollendet hatte. Sie hat zu fraglichen sexuellen Handlungen des Klägers ausgesagt, die deutlich mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen sollten, als sie circa 12 bis 13 Jahre alt war. Ihre jetzigen Angaben zum zeitlichen Rahmen bzw. zu Beginn und Ende, zur üblichen Tageszeit und zur Häufigkeit der sexuellen Handlungen standen im Widerspruch zu früheren Befragungen. Nach den auf der Aussage der Zeugin S. beruhenden Feststellungen der Jugendkammer IV des Landgerichts Saarbrücken wäre es von Herbst 2001 bis Herbst 2002 zu sexuellen Übergriffen gekommen (S. 10 = Bd. II Bl. 378 d. A.). Nach jetziger Aussage der Zeugin hätten die sexuellen Vorgänge etwa in der Mitte ihres Pflegeaufenthaltes (Juli 2001 bis Dezember 2002), also im Frühjahr 2002, angefangen (Bd. VI Bl. 1121 d. A. unten). Ebenso widersprüchlich sind die früheren und die jetzigen Angaben der Zeugin zum Ausziehen ihrer Kleidung (Bd. VIII Bl. 1436 f. d. A., dazu Bd. VI Bl. 1123 d. A. Mitte). Mehrfach hat die ausführlich befragte Zeugin angegeben, sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern zu können, auch für die Ausgangshandlung des Konflikts zwischen Zeugin und Kläger (Fassen in den Schritt des Pflegevaters) hat die Zeugin S. sich auf das Fehlen einer Erinnerung berufen.

177
(5.2) Die häufigen Angaben der Zeugin S. zu fehlender Erinnerung stehen zwar nach dem zutreffenden Bemerken des Sachverständigen im Einklang mit dem langen zeitlichen Abstand zu den in Frage stehenden Vorkommnissen, auch das aktuelle Aussagematerial aus 2016 stützt aber die Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Zeugin nicht (Bd. VIII Bl. 1437 d. A.). Der lange Zeitablauf und fehlendes Erinnerungsvermögen der Auskunftsperson mögen zwar die im Widerspruch zu früheren Aussagen stehende und detaillarme jetzige Aussage erklären, sie berechtigen in Ermangelung einer hinreichenden Aussagequalität aber nicht zu dem Schluss auf die Glaubhaftigkeit der Aussage.

178
(5.3) Ergänzend ist, wie der Sachverständige zutreffend erkannt hat, zu bemerken, dass die Zeugin S. wie in früheren Befragungen sexuelle Handlungen benannt, Handlungsabläufe mit markanten Realkennzeichen aber nicht geschildert hat. Die von ihr erwähnte Erhärtung ihrer Brustwarzen (Bd. VI Bl. 1123 d. A. unten) stellt bei einer nunmehr 27-jährigen Zeugin kein markantes Realitätskennzeichen dar, weil für diese Schilderung bei einer infrage stehenden sexuellen Handlung auch die Interpretation möglich ist, dass die Zeugin mit dieser Antwort eine auf Grund der Fragen erfasste Erwartung erfüllen wollte (Bd. VIII Bl. 1437 d. A.).

179
(5.4) Die Tatsache, dass die Zeugin S. nunmehr – anders als im Wiederaufnahmeverfahren – ausgesagt hat und der Befragung während etwa anderthalb Stunden motorisch ruhig und ohne erkennbare Anzeichen von Irritationen gefolgt ist, lässt keine sicheren aussagepsychologischen Schlussfolgerungen zur Erlebnisgrundlage der Aussage zu.

180
(5.5) Im Übrigen hat der Sachverständige mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Erkenntnisse zur Vorgeschichte der Beschuldigungen sowie über eine potentiell hohe Lügenmotivation und eine potentiell gute Lügenkompetenz der Zeugin zwischenzeitlich bzw. durch die Verhandlung nicht verändert worden sind. Die gebotene Gesamtbetrachtung aller Erkenntnisse ergibt daher, dass eine Erlebnisgrundlage für die seinerzeit angeklagten sexuellen Missbrauchshandlungen durch den Kläger als Pflegevater mit aussagepsychologischer Methodik nicht substantiierbar ist. Deshalb würde selbst eine aussagepsychologische Exploration der Zeugin nach überzeugender Darstellung des Sachverständigen keinen Erkenntnisfortschritt und keine Änderung der Beurteilung mehr erwarten lassen (Bd. VIII Bl. 1438 d. A.).

181
c) Dem Kläger ist auf Grund des fehlerhaften Gutachtens der Beklagten und der zu Unrecht erfolgten strafrechtlichen Verurteilung ein ersatzfähiger Schaden entstanden.

182
aa) Nicht ersatzfähig ist derjenige Schaden, der zwar auf der gerichtlichen Entscheidung, aber nicht auf deren Unrichtigkeit beruht. Erweist sich die gerichtliche Entscheidung als trotz der unrichtigen Begutachtung materiell-rechtlich zutreffend, liegt der dadurch vermittelte Schaden nicht mehr im Schutzbereich der Norm. Daher steht dem Anspruchsteller kein Schadensersatz zu, wenn er ohne das unzutreffende Gutachten zwar obsiegt hätte – oder hier: nicht strafrechtlich verurteilt worden wäre -, die gerichtliche Entscheidung aber ihrerseits materiell-rechtlich unzutreffend ausgefallen wäre (Soergel/Spickhoff, aaO Rn. 40; Cahn, Einführung in das neue Schadensersatzrecht (2003) Rn. 164; so wohl auch jurisPK-BGB/Zimmerling, aaO Rn. 22: ersatzfähig ist der Schaden, der auf der durch das unrichtige Gutachten beeinflussten unrichtigen gerichtlichen Entscheidung beruht). Hier liegt es – wiederum – nicht anders als im Bereich der Anwaltshaftung (Soergel/Spickhoff, aaO Rn. 40; vgl. dazu BGHZ 133, 110, 111 ff., 115).

183
bb) Der das allgemeine Schadensrecht (§ 249 Abs. 1 BGB) beherrschende normative Schadensbegriff schließt einen Schadensersatzanspruch wegen solcher Positionen aus, die ihm im Vorprozess zu Recht zu- oder aberkannt worden sind (BGH NJW 2013, 540, 543 Rn. 25). Ein Geschädigter soll grundsätzlich im Wege des Schadensersatzes nicht mehr erhalten als dasjenige, was er nach der materiellen Rechtslage hätte verlangen können. Der Verlust einer tatsächlichen oder rechtlichen Position, auf die er keinen Anspruch hat, ist grundsätzlich kein erstattungsfähiger Nachteil (BGHZ 125, 27, 34; G. Fischer in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, aaO § 5 Rn. 98). Durch eine fiktive Entscheidung, die gerade mit diesem Inhalt nicht hätte ergehen dürfen, wird kein schutzwürdiger Besitzstand begründet (BGH NJW 2008, 440, 442 Rn. 21). Bei wertender Betrachtung kann nämlich der Verlust eines Rechtsstreits nicht als Schaden im Rechtssinne angesehen werden, wenn sich im Anwaltshaftungsprozess herausstellt, dass die unterlegene Partei den Vorprozess materiell-rechtlich zu Recht verloren hat, dieser also nach Auffassung des mit dem Anwaltshaftungsprozess befassten Gerichts im Ergebnis richtig entschieden worden ist. Der Umstand, dass die Partei bei sachgerechter Vertretung durch ihren Anwalt den Vorprozess gewonnen hätte, rechtfertigt es nicht, der Partei im Regressprozess gegen ihren Prozessbevollmächtigten einen Vermögensvorteil zu verschaffen, auf den sie nach materiellem Recht keinen Anspruch hatte. Auf diesen Fall trifft die Regel nicht zu, dass ein Schaden bereits dann bejaht werden kann, wenn die Partei einen Prozess verloren hat, den sie bei sachgemäßer Vertretung gewonnen hätte (BGH NJW 2013, 540, 543 Rn. 28). Da dieser normative Schadensbegriff das allgemeine Schadensersatzrecht beherrscht, muss er auch für die deliktische Haftung des Sachverständigen gelten.

184
cc) Auch unter Berücksichtigung des normativen Schadensbegriffs ist der Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte zu bejahen. Wie vorstehend unter b) im Einzelnen dargestellt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände einschließlich des Ergebnisses der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme nicht festzustellen, dass der Kläger die ihm vorgeworfenen strafbaren Handlungen zum Nachteil der Zeugin S. begangen hat. Deshalb ist auch nicht anzunehmen, dass der Kläger zwar nicht strafrechtlich verurteilt worden, die gerichtliche Entscheidung dann aber ihrerseits materiell-rechtlich unzutreffend ausgefallen wäre.

185
6. Weiter hält die Berufung die Ausführungen des Landgerichts zur Erschöpfung des Rechtswegs durch den Kläger für rechtsfehlerhaft. Im Falle eines unbedingt gestellten Beweisantrages durch den Strafverteidiger des Klägers wäre diesem Antrag entweder stattgegeben worden oder der Antrag wäre durch Beschluss des Vorsitzenden zurückgewiesen worden bzw. es hätte der Verteidiger die Entscheidung der Kammer beantragen müssen. Die Stellung lediglich eines Hilfsbeweisantrags lasse dem Strafgericht Raum, im Wege der antizipierten Beweiswürdigung den Beweisantrag erst mit den Urteilsgründen zu bescheiden, was die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel eines Angeklagten nicht ausschöpfe (Bd. IV Bl. 669 d. A.). Diese Rüge hat keinen Erfolg.

186
a) Nach § 839a Abs. 2 BGB ist § 839 Abs. 3 BGB entsprechend anzuwenden. Folglich tritt die Schadensersatzpflicht nicht ein, wenn es der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Rechtsmittel in diesem Sinne sind alle Rechtsbehelfe, die eine Abwendung des Schadens ermöglichen können (Soergel/Spickhoff, aaO Rn. 46). Erfasst sind alle Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen das fehlerhafte Gutachten selbst richten (Soergel/Spickhoff, aaO Rn. 46), und die bestimmt und geeignet sind, eine auf das Gutachten gestützte instanzbeendende gerichtliche Entscheidung zu verhindern (BGHZ 173, 98, 100 Rn. 8). Insoweit ist etwa an Gegenvorstellungen und Hinweise auf die Unrichtigkeit des Gutachtens (vgl. § 411 Abs. 4 ZPO), an Anträge, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden, und an formelle Beweisanträge auf Einholung eines neuen (Ober-) Gutachtens (§ 412 ZPO) zu denken (BGHZ 173, 98, 100 f. Rn. 8). Darüber hinaus sind alle Rechtsmittel gemeint, die sich gegen die auf dem unrichtigen Gutachten beruhende gerichtliche Entscheidung selbst richten (BGH NJW-RR 2006, 1454, 1455 Rn. 11), insbesondere Berufung, Revision und Verfassungsbeschwerde (Soergel/Spickhoff, aaO Rn. 47). Sind mehrere Rechtsmittel vorhanden, muss der Geschädigte nach Maßgabe des § 839 Abs. 3 BGB das stärkste und effektivste wählen, um seinen Amtshaftungsanspruch nicht zu verlieren; das gilt jedenfalls dann, wenn sich die Erfolglosigkeit des gewählten Rechtsmittels abzeichnet (Staudinger/Wöstmann, aaO § 839 Rn. 344). Für die Voraussetzungen des § 839a Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 839 Abs. 3 BGB, also dafür, dass der Verletzte es schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, ist der Sachverständige beweispflichtig (Staudinger/Wöstmann, aaO Rn. 28; Stein/Itzel/Schwall, aaO Rn. 681).

187
b) Die Berufung legt indes schon nicht dar, dass ein unbedingt gestellter Beweisantrag anders als ein Hilfsantrag zu einem anderen Verfahrensausgang im Strafverfahren geführt hätte. Richtig ist zwar, dass in Hilfs- und Eventualbeweisanträgen die Erklärung des Verzichts auf eine der Urteilsverkündung vorausgehende Antragsablehnung durch Beschluss liegt und die Nichterhebung des Beweises trotz Eintritts der Bedingung erst im Urteil begründet werden muss (BGHSt 32, 10, 13; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl. § 244 Rn. 93). Sowohl beim Haupt- als auch beim Hilfsantrag kann die Anhörung eines weiteren Sachverständigen aber, wie geschehen, nach § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen. Die Voraussetzungen für die Anhörung eines weiteren Sachverständigen hat die Jugendkammer IV auf der Grundlage des damaligen Erkenntnisstandes ohne Rechtsfehler verneint, weil insbesondere nicht ersichtlich war, dass ein neuer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel verfügt hätte (Anlage 1 im Anlagenbd. Kläger, S. 22 f.).

188
c) Das Nichteinholen eines Privatgutachtens im Strafprozess durch den jetzigen Kläger fällt nicht unter § 839 Abs. 3 ZPO. Der Bundesgerichtshof hat in der von der Beklagten im Schriftsatz vom 09.10.2017 angeführten Entscheidung ausgesprochen, dass die Einholung eines Privatgutachtens, um Einwände gegen ein beanstandetes gerichtliches Sachverständigengutachten zu substantiieren, nicht zu den „Rechtsmitteln“ im Sinne von §§ 839a Abs. 2, 839 Abs. 3 BGB zählt (BGH, Beschluss vom 27.07.2017 – III ZR 440/16, juris Rn. 7). Zwar mag die Einholung und Vorlage eines Privatgutachtens die Aussicht dafür erhöhen, dass das Prozessgericht einem Antrag auf Einholung eines neuen (Ober-)Gutachtens Folge leistet. Eine nicht sachkundige Partei ist jedoch generell nicht verpflichtet, zur Substantiierung ihrer Einwendungen gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten einen Privatgutachter zu konsultieren. Dementsprechend kann es ihr nicht im Sinne von §§ 839a Abs. 2, 839 Abs. 3 BGB anspruchsausschließend zur Last fallen, wenn sie dies unterlassen hat (BGH, aaO).

189
7. Das Landgericht hat die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede (§ 214 Abs. 1 BGB) mit Recht nicht durchgreifen lassen.

190
a) Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, der der regelmäßigen Verjährung nach §§ 195, 199 BGB unterliegende streitgegenständliche Anspruch sei im Jahre 2004 entstanden (erstinstanzliches Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 24.05.2004 und Verwerfung der Revision durch den Bundesgerichtshof). Für die Entstehung des Anspruchs seien die folgenden Wiederaufnahmeanträge unbeachtlich, da sie keine Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB darstellten. Unerheblich sind insoweit auch zunächst der – nach hiesiger Aktenlage zu Grunde zu legende – Verlust der Akte nach den Wiederaufnahmeanträgen vom 18.05.2005 und 15.12.2005, sowie die Stellung des dritten Wiederaufnahmeantrages erst am 05.09.2011 nach Wiederauffinden der Akte. Mit dem Erlass des Strafurteils und der Verwerfung der hiergegen eingelegten Revision sei der Anspruch nicht nur entstanden, sondern bei dem Kläger seien zu diesem Zeitpunkt auch die für den Verjährungsbeginn maßgeblichen Kenntnisse betreffend des Vorliegens eines auf einem unrichtigen Gutachten basierenden Urteils bereits positiv vorhanden gewesen, weil er gewusst habe, dass er die vorgeworfenen Taten nicht begangen habe, und die Schuldnerin (d. h. die Beklagte) bereits gekannt habe. Jedoch sei dies allein nicht ausreichend, da für den Verjährungsbeginn auch eine Kenntnis betreffend die Umstände einer hier allein in Betracht kommenden groben Fahrlässigkeit bezüglich der fehlerhaften Gutachtenerstellung hinzutreten müsse. Der Zeitpunkt dieser Kenntniserlangung sei strikt vom Zeitpunkt der Kenntniserlangung über die Unrichtigkeit des Gutachtens zu trennen. Während die Kenntnis betreffend der inhaltlichen Unrichtigkeit des Gutachtens bereits mit dessen Vorliegen eintrete, gelte dies für die Kenntnis der grob fahrlässigen fehlerhaften Erstellung gerade noch nicht. Anders als die Frage der Richtigkeit der Aussage des Gutachtens sei für letztere eine Kenntnis von methodischen Fehlern bei der Gutachtenerstellung nötig, und zwar solcher methodischer Fehler, die den Vorwurf eines grob fahrlässigen Handeln in Form eines erheblichen Abweichens von einem grundsätzlich einzuhaltenden wissenschaftlichen Standard begründeten. Hierfür seien das Vorliegen des Strafurteils wie auch die Verwerfung der Revision allein nicht ausreichend, weil jegliche Anhaltspunkte für (anspruchsbegründende) Fehler in Bezug auf die Erstellung des Gutachtens selbst noch gefehlt hätten. Da solche Punkte sich auch den mit der Sache befassten Gerichten nicht aufgedrängt hätten, fehlten auch Argumente für die Bejahung einer eigenen grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers. Auch mit der Vorlage der fachwissenschaftlichen Stellungnahme des Sachverständigen Dr. R. sei die erforderliche Kenntnis beim Kläger noch nicht eingetreten. Diese Stellungnahme habe kein vollständiges fachwissenschaftliches Gutachten eines Sachverständigen dargestellt, sondern letztlich nur eine – wenn auch ausführliche – überschlägige Bewertung des im Strafurteil des Landgerichts Saarbrücken verwendeten Gutachtens. Hierbei müsse insbesondere beachtet werden, dass sich die Beurteilungen maßgeblich auf das im Strafverfahren auch berücksichtigte, aber für die Verurteilung eben nicht allein entscheidende schriftliche Gutachten der Beklagten bezogen hätten. Die Bewertung des mündlichen Gutachtens sei für den Sachverständigen Dr. R. auch gar nicht möglich gewesen, da ihm die Strafakten nicht zur Verfügung gestanden hätten und er die Belastungszeugin nicht habe befragen können. Weiterhin habe er seine Ausarbeitung selbst nicht in den Rang eines Gutachtens gestellt, sondern von einer gerade im wissenschaftlichen Sprachgebrauch anerkanntermaßen weniger fachmethodisch aufbereiteten und erarbeiteten Stellungnahme gesprochen. Feststellungen zu einem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit oder zumindest der zur Begründung desselben notwendigen Anknüpfungspunkte seien im Rahmen des Urteils in Sachen 2 O 77/05 durch das Gericht nicht veranlasst gewesen. Genau diese Kenntnisse hätte der Kläger aber zur schlüssigen Klageerhebung gegen die Gutachterin benötigt. Die rechtliche Belastbarkeit der Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 13.12.2007 (2 O 77/05) in dem Schmerzensgeldprozess der Zeugin S. gegen den Kläger sei zudem von der Rechtskraft dieses Urteils abhängig gewesen. Diese sei auf Grund eines von der dortigen Klägerin unter dem 15.01.2008 eingereichten Prozesskostenhilfeantrags verbunden mit einer Berufungseinlegung zunächst nicht eingetreten. Denn das Saarländische Oberlandesgericht habe daraufhin unter dem 18.03.2008 die Prozesskostenhilfe zugunsten der dortigen Zeugin S. bewilligt, und hat mithin ihrem Vorbringen eine hinreichende Erfolgsaussicht beigemessen und somit zu erkennen gegeben, dass es offensichtlich der Argumentation des erstinstanzlichen Gerichts nicht ohne weiteres zu folgen beabsichtige. Letztlich sei daher der für den Verjährungsbeginn maßgebliche Zeitpunkt derjenige des Vorliegens des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S. im Juli 2010 im Berufungsverfahren vor dem 1. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts, in dem die sich aus der methodisch fehlerhaften Vorgehensweise ergebenden Voraussetzungen für den sich daraus ergebenden Vorwurf der grob fahrlässigen fehlerhaften Erstellung aufgezeigt worden seien. Verjährungsbeginn für den streitgegenständlichen Anspruch sei somit der 01.01.2011 gewesen. Die vorliegende Klage ist in Verbindung mit einem Prozesskostenhilfeantrag am 27.12.2013 und damit in unverjährter Zeit eingereicht worden. Die jetzigen Anträge seien auch von der ursprünglichen Antragschrift umfasst gewesen, da ein umfassender Feststellungsantrag gestellt war, und die Änderungen auf ausdrücklichen gerichtlichen Hinweis erfolgt seien.

191
b) Diese sorgfältige Begründung trifft in allen wesentlichen Punkten zu.

192
aa) Im Grundsatz gilt auch für § 839a BGB die infolge der Schuldrechtsreform 2002 von 30 auf drei Jahre reduzierte Regelverjährungsfrist des § 195 BGB (Brückner/Neumann MDR 2003, 906, 909). Die Verjährung beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger, d. h. der Geschädigte, von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Grob fahrlässige Unkenntnis wird insoweit der positiven Kenntnis gleichgestellt. Ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände sowie der Person des Gutachters (Schädigers) verjährt der Anspruch in spätestens zehn Jahren von der Entstehung an bzw. gemäß § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB spätestens in 30 Jahren nach dem Eintritt des schädigenden Ereignisses (Stein/Itzel/Schwall, aaO Rn. 680).

193
bb) Das OLG Zweibrücken hat zu Schadensersatzansprüchen nach §§ 826, 823 Abs. 2, 852 a. F. BGB; 163, 154 StGB entschieden, dass, soweit ein gerichtlich bestellter Sachverständiger haftet, der Schaden bereits mit der ersten dem Geschädigten nachteiligen Entscheidung und nicht erst mit deren Bestätigung in den Rechtsmittelinstanzen entstanden ist (OLG Zweibrücken NJW-RR 2004, 27; ebenso Knerr in Geigel, aaO Rn. 15; Ahrens, aaO § 154 Rn. 59; Soergel/Spickhoff, aaO Rn. 51). Bereits in diesem Zeitpunkt verschlechtert sich die Vermögenslage des Geschädigten infolge des Fehlverhaltens des Schädigers. Die Möglichkeit einer Korrektur in einer weiteren Instanz begründet lediglich eine Unsicherheit darüber, ob der Schaden bestehen bleibt und endgültig wird (OLG Zweibrücken NJW-RR 2004, 27). Für die Entstehung des Anspruchs im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB gilt nichts Anderes, weshalb diese Voraussetzungen hier mit Verkündung des Strafurteils der Jugendkammer IV vom 24.05.2004 gegeben waren.

194
cc) Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen hat der Geschädigte nur dann, wenn ihm dessen Name und Anschrift bekannt sind. Die Verjährungsfrist gegenüber dem Ersatzpflichtigen beginnt erst, wenn der Geschädigte keine begründeten Zweifel mehr an Person und Verantwortlichkeit hat (jurisPK-BGB/Lakkis, 8. Aufl. § 199 Rn. 111). Maßgeblich ist schon die Kenntnis von Tatsachen, aus denen die Verantwortlichkeit des konkreten Schädigers folgt, nicht auch deren rechtliche Würdigung. Ein Rechtsirrtum über die Verantwortlichkeit des Schädigers lässt daher den Fristbeginn nach Abs. 1 Nr. 2 unberührt (BGH VersR 1972, 394, 395; OLG Frankfurt NJW-RR 1999, 1474, 1476 f.). Davon zu unterscheiden ist die Kenntnis des Geschädigten von zusätzlichen, die Haftung des Schädigers begründenden Umständen, etwa bei § 826 hinsichtlich der Sittenwidrigkeit und des vorsätzlichen Handelns des Schädigers (Spindler in Bamberger/Roth, BeckOK BGB, Stand 01.02.2017 § 199 Rn. 31). Darüber hinaus muss der Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände kennen. Es müssen sämtliche Tatsachen bekannt sein, die (subsumiert) den Anspruch begründen, darüber hinaus auch die anspruchsbegründenden Kausalitätsverläufe (jurisPK-BGB/Lakkis, aaO Rn. 115). Gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen die Kenntnis von entsprechenden Standards eines Berufs oder einer Branche, nach denen sich die Pflichtwidrigkeit im Rahmen eines entsprechenden Anspruchs beurteilt, kann der Geschädigte ohne die Kenntnis etwa industrieller Normen, wie der DIN, oder ärztlicher Standards nicht die Erfolgschancen einer Klage einschätzen (Spindler in Bamberger/Roth, BeckOK BGB, aaO § 199 Rn. 24). Die Verjährung kann nur regulär anlaufen, wenn der Gläubiger die Möglichkeit hat, Klage zu erheben (jurisPK-BGB/Lakkis, aaO Rn. 117). Die Kenntnis muss so weit gehen, dass der Geschädigte auf Grund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Schadensersatzklage, sei es auch nur eine Feststellungsklage, mit einigermaßen sicherer Aussicht auf Erfolg erheben kann, dass er mithin alle Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs außer dem Schadensbetrag vernünftigerweise für gegeben halten muss und ihm deshalb angesichts der ihm bekannten Tatsachen eine Klageerhebung zuzumuten ist (BGH VersR 1967, 711, 712; BGB-RGRK/Kreft, 12. Aufl. § 852 Rn. 23). Bei Ansprüchen, die ein Verschulden des Schädigers voraussetzen, ist die Kenntnis von Tatsachen erforderlich und ausreichend, die auf ein schuldhaftes Verhalten des Schädigers und dessen Ursächlichkeit für den Schaden hinweisen und als naheliegend erscheinen lassen (BGB-RGRK/Kreft, aaO Rn. 26). Es ist aber weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können (BGH VersR 2009, 685, 688 Rn. 32; 2016, 551, 553 Rn. 14).

195
dd) Nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung hemmt die Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes im Sinne der §§ 839a Abs. 2, 839 Abs. 3 BGB in (entsprechender) Anwendung des § 204 Abs. 1 BGB die Verjährung (Soergel/Spickhoff, aaO Rn. 51; jurisPK-BGB/Zimmerling, aaO Rn. 33). Andernfalls müsste der Geschädigte auf Grund der zeitlichen Abläufe den Primärrechtsschutz durch Rechtsmittel weiterverfolgen und Klage gegen den Gerichtssachverständigen erheben, dem er im Ausgangsverfahren nicht den Streit verkünden kann (Soergel/Spickhoff, aaO Rn. 51; jurisPK-BGB/Zimmerling, aaO Rn. 33). Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 839 Abs. 3 BGB (BGHZ 189, 365, 378 Rn. 55 m. w. Nachw.) und ist auf Grund der in § 839a Abs. 2 BGB angeordneten Verweisung folgerichtig. In Bezug auf den Umfang des Primärrechtsschutzes ist im Rahmen des § 839a BGB ebenso wie im Rahmen des § 839 Abs. 3 BGB umstritten, ob dazu auch die Wiederaufnahme im Strafverfahren gehört (dagegen: Knerr in Geigel, aaO Rn. 13 unter Verweis auf Sinn und Zweck des § 839a Abs. 1 BGB; Staudinger/Wöstmann, aaO § 839 Rn. 342; Cahn, aaO Rn. 172; dafür: BGB-RGKR/Kreft, 12. Aufl. § 839 Rn. 529; Soergel/Vinke, aaO § 839 Rn. 218; MünchKomm-BGB/Papier, aaO § 839 Rn. 331; vermittelnd MünchKomm-BGB/Wagner, aaO § 839a Rn. 39: vorrangige Erhebung einer Restitutionsklage nur in den (seltenen) Fällen, in denen eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Sachverständigen bereits vorliegt oder die Einleitung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht erfolgen kann, wie dies in §§ 580 Nr. 3, 581 Abs. 1 ZPO, 359 Nr. 2, 364 StPO vorausgesetzt wird).

196
c) Die unter dd) erörterte Streitfrage gewinnt vorliegend keine Bedeutung, weil selbst unter Zugrundelegung der für den Kläger ungünstigsten Auffassung unter Beachtung der unter cc) dargestellten Grundsätze eine Feststellungsklage nicht vor Zugang des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. S. im Juli 2010 zuzumuten war.

197
aa) Bei dem Anspruch aus § 839a BGB besteht im Unterschied zu sonstigen Schadensersatzansprüchen die Besonderheit, dass die Erstattung eines unrichtigen Gutachtens zur Begründung der Haftung nicht ausreicht, der Sachverständige vielmehr vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben muss, und dass das Vorliegen (mindestens) grober Fahrlässigkeit, wie oben ausgeführt, aus der Perspektive eines Sachkundigen (BGHZ 198, 265, 273 Rn. 27; SaarlOLG OLGR 2009, 196, 198; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.01.2017 – 2 U 119/14, juris Rn. 38; Stein/Itzel/Schwall, aaO Rn. 677), also hier eines Aussagepsychologen, zu beurteilen ist. Dazu ist der Kläger als früherer Bundeswehrbeamter des technischen Dienstes offenkundig nicht in der Lage. Entgegen der Auffassung der Streithelfer der Beklagten (Bd. VIII Bl. 1503 d. A.) lässt sich aus dem Schriftsatz des Rechtsanwalts Sch. in Lebach vom 22.10.2003 als des damaligen Verteidigers des Klägers nicht erkennen, dass die (gröbliche) Verletzung fachlicher Standards durch die Beklagte damals bereits bekannt gewesen wäre (vgl. Bd. VIII Bl. 1511 ff. d. A.). Andernfalls wäre auch kaum zu erklären, dass die Jugendkammer IV des Landgerichts Saarbrücken ohne Problematisierung der Einhaltung fachlicher Standards den Kläger danach zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt hätte.

198
bb) Unbeschadet der mit der Anspruchsgrundlage verbundenen Besonderheiten war dem Kläger bis zur Vorlage des Gutachtens des Prof. Dr. S. angesichts der ihm bekannten Tatsachen eine Klageerhebung nicht zuzumuten. Die von der Ehefrau des Klägers, der Zeugin R. K., in Auftrag gegebene fachwissenschaftliche Stellungnahme des Dr. R. vom 11.09.2006 (Beiakte 2 O 77/05 Bd. II Bl. 187 ff.) gelangt zwar zu dem Ergebnis, das Gutachten der Beklagten weise „eine Vielzahl handwerklicher und sachlicher Fehler auf. Eine große Zahl von Informationen deutet in Richtung eines ganz anderen Begutachtungsergebnisses, als es hier von der Sachverständigen formuliert wird.“ (Beiakte 2 O 77/05 Bd. II Bl. 226).

199
Angesichts des Misserfolgs sämtlicher vorangegangener Rechtsbehelfe, auch der beiden Wiederaufnahmeverfahren, war eine Feststellungsklage gegen die Beklagte dem Kläger in diesem Zeitpunkt noch nicht zuzumuten, zumal der Kläger zuvor mit seinen gegen die Glaubhaftigkeit der Belastungszeugin und den Inhalt des Gutachtens der Beklagten gerichteten Argumenten keinen Erfolg gehabt hatte.

200
d) Da das auf den 01.04.2010 datierte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. (Beiakte 2 O 77/05 bzw. 1 U 32/08 – 9 – Bd. V Bl. 611 ff.) den jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 03.08.2010 zugestellt worden ist (Beiakte 2 O 77/05 bzw. 1 U 32/08 – 9 – Bd. VI Bl. 853), ist die Verjährung am 01.01.2011, 0 Uhr, angelaufen und wäre an sich gemäß §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Schluss des 31.12.2013, 24 Uhr, abgelaufen. Die Verjährung ist jedoch gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB rechtzeitig durch die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gehemmt worden.

201
aa) In dem angefochtenen Urteil ist – von der Berufung unangegriffen – festgestellt worden, dass die vorliegende Klage in Verbindung mit dem Prozesskostenhilfeantrag am 27.12.2013 und damit in unverjährter Zeit eingereicht worden ist (Bd. III Bl. 535 d. A.). Der Kläger hat am 27.12.2013 mittels Telefax (Bd. I Bl. 1 d. A.) und am 30.12.2013 in Urschrift eine – unbedingte – Klage vom 23.12.2013 eingereicht (Bd. I Bl. 19 d. A.) und vorab Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt (Bd. I Bl. 21 d. A.). Bei der Unterschrift „für D. L. Rechtsanwältin“ handelt es sich ersichtlich um die Unterschrift des der Gesellschaft der Prozessbevollmächtigten des Klägers (damals) ebenfalls angehörigen Rechtsanwalts Dr. S. Sch. (Bd. I Bl. 19, 34 d. A.).

202
bb) Für die Verjährungshemmung ist es unschädlich, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers dessen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erst mit Schriftsatz vom 03.01.2014, beim Landgericht eingegangen am 06.01.2014 (Bd. I Bl. 37 d. A.), nachgereicht haben. Nach Wortlaut und Begründung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts soll es gerade nicht – wie nach der früheren Rechtsprechung zu § 203 Abs. 2 BGB a. F. – erforderlich sein, die Hemmung außer von dem bloßen Prozesskostenhilfeantrag davon abhängig zu machen, dass der Antrag ordnungsgemäß begründet, vollständig, von den erforderlichen Unterlagen begleitet und von der subjektiven Ansicht der Bedürftigkeit getragen ist. Im Rahmen der gesetzlichen Neuregelung wurde es als nicht angebracht angesehen, zum Nachteil des Bedürftigen für den Prozesskostenhilfeantrag besondere Anforderungen gesetzlich vorzugeben, die für den finanziell Leistungsfähigen im Rahmen der Verjährungshemmung durch Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) nicht gelten (BT-Drucks. 14/6040, S. 116). Demnach reicht es aus, wenn das Gesuch – was hier der Fall ist – den verfolgten Anspruch individualisiert, es braucht aber weder zulässig noch schlüssig oder gar begründet zu sein (Staudinger/Peters/Jacoby, aaO Neubearb. 2014 § 204 Rn. 116). Hingegen kann insbesondere die Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO, wie geschehen, nachgereicht werden (MünchKomm-BGB/Grothe, aaO § 204 Rn. 67; Palandt/Ellenberger, aaO § 204 Rn. 30).

203
cc) Die anschließende Klagezustellung ist laut Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 15.05.2014 erfolgt (Bd. I Bl. 136 d. A.).

204
8. Entgegen der Auffassung der Berufung (Bd. IV Bl. 592 d. A.) ist das vom Landgericht dem Kläger zuerkannte Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 € nicht weit übersetzt, sondern nach Auffassung des Senats sogar insgesamt mit 60.000 € zu bemessen, wie zur Anschlussberufung nachfolgend unter II. näher begründet werden wird.

205
a) Die Berufung argumentiert in diesem Zusammenhang, es sei zu berücksichtigen, dass dem Kläger spätestens mit Bekanntwerden des von seiner Ehefrau auf eigene Kosten eingeholten Gutachtens des Herrn Dr. R. bereits im Jahre 2006 bekannt gewesen sei, dass das Gutachten der Beklagten „derart gravierende Mängel“ aufgewiesen habe, dass „Anlass zu Zweifeln an der Kompetenz“ der Beklagten bestanden habe. Der Kläger hätte damit schon im Jahre 2006 ein Verfahren gegen die jetzige Beklagte anstrengen und damit die Dauer seiner Inhaftierung verkürzen können. Insoweit werde auf den Wiederaufnahmeantrag vom 31.08.2011 verwiesen (Bd. IV Bl. 592 d. A.).

206
b) Diesen offenbar auf ein schmerzensgeldminderndes Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) abzielenden Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen. Wie bereits ausgeführt, hat der Kläger sämtliche Rechtsbehelfe gegen seine strafrechtliche Verurteilung ausgeschöpft. Es ist nicht ersichtlich, warum ein Verfahren gegen die Beklagte (welches? Strafverfahren? zivilrechtliche Schadensersatzklage?) daran etwas geändert haben sollte.

207
9. Der Zinsanspruch ergibt sich, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

208
10. Die Feststellungsanträge sind ebenfalls begründet, weil der Eintritt weiterer Schäden infolge der strafrechtlichen Verurteilung und Inhaftierung hinreichend wahrscheinlich ist.

II.

209
Die Anschlussberufung des Klägers ist gemäß § 524 Abs. 1 ZPO zulässig und insoweit begründet, als nach Auffassung des Senats der Schmerzensgeldbetrag auf 60.000 € zu erhöhen ist.

210
1. Die Anschlussberufung macht geltend, das vom Landgericht festgesetzte Schmerzensgeld entspreche nicht billigem Ermessen. Zum einen sei nicht berücksichtigt worden, dass der Kläger ohne das von der angeblich Geschädigten geführte Zivilverfahren keine Rehabilitation erfahren habe. Ferner sei außer Betracht geblieben, dass der Strafverteidiger des Klägers die Beklagte außergerichtlich über das Gutachten des Prof. Dr. S. informiert und um Rückäußerung gebeten habe, ob sie vor diesem Hintergrund an ihren Ausführungen festhalte. Der Strafverteidiger des Klägers habe darauf hingewiesen, dass eine Äußerung der Beklagten, sich vom Ergebnis ihres Gutachtens zu distanzieren, zu einer leichteren Wiederaufnahme für den Kläger führen dürfte. Dennoch habe die Beklagte mitgeteilt, an ihrem Gutachten festzuhalten. Vom Landgericht sei auch der Umstand nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass der Kläger auch nach seiner Entlassung noch mit dem Vorwurf habe leben müssen, die Pflegetochter angeblich sexuell missbraucht zu haben. Außerdem hätten sich zwischenzeitlich weitere Probleme ergeben. Der Kläger sei vom 28.04.2015 bis zum 04.05.2015 stationär ins Krankenhaus eingeliefert worden mit der Diagnose des Verdachts auf einen Schlaganfall. Im Rahmen der medizinischen Untersuchungen habe sich herausgestellt, dass der Kläger unter massiven Gleichgewichtsstörungen gelitten habe, die unter anderem durch den Tinnitus ausgelöst würden. Der Kläger habe ständig darauf achten müssen, wer sich in seiner Nähe befunden habe, und er sei nur alleine Duschen gegangen aus Angst vor körperlichen Misshandlungen. Die Zahlung einer Haftentschädigung sei bei der Frage der Höhe des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen. Dagegen sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte bis zum heutigen Tage nicht ihr Bedauern über die unberechtigterweise erfolgte strafrechtliche Verurteilung des Klägers mit allen ihren Folgen zum Ausdruck gebracht habe. Vielmehr zeige die von ihr eingelegte Berufung, dass sie nach wie vor der Meinung sei, an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten zu müssen. Überdies habe die Beklagte aus Sicht des Klägers unwahren Tatsachenvortrag vorgebracht und behauptet, der Kläger habe die Tat begangen. Diese Angriffe der Anschlussberufung haben im Ergebnis keinen Erfolg.

211
2. Das Schmerzensgeld verfolgt vordringlich das Ziel, dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden zu verschaffen, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Für die Bemessung der Schmerzensgeldhöhe sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichen Kriterien. Als objektivierbare Umstände besitzen vor allem die Art der Verletzungen, Art und Dauer der Behandlungen sowie die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ein besonderes Gewicht. Hierbei zählen das Entstehen von Dauerschäden, psychischen Beeinträchtigungen und seelisch bedingten Folgeschäden zu den maßgeblichen Faktoren (Senat NJW 2011, 935; 3169, 3170). Darüber hinaus sind die speziellen Auswirkungen des Schadensereignisses auf die konkrete Lebenssituation des Betroffenen zu berücksichtigen. Die beruflichen Folgen der Verletzung und ihre Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung des Geschädigten sind Faktoren bei der Bestimmung des Schmerzensgelds (Senat NJW 2011, 933, 935). Bei der Schmerzensgeldbemessung nach diesen Grundsätzen verbietet sich eine schematische, zergliedernde Herangehensweise. Einzelne Verletzungen bzw. Verletzungsfolgen dürfen nicht gesondert bewertet und die so ermittelten Beträge addiert werden. Vielmehr ist die Schmerzensgeldhöhe in einer wertenden Gesamtschau aller Bemessungskriterien des konkreten Falls zu ermitteln, wobei die in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder einen gewissen Anhaltspunkt bieten können, ohne jedoch zwingend zu einer bestimmten „richtigen” Schmerzensgeldhöhe zu führen (Senat NJW 2011, 933, 935; NJW-RR 2015, 1119, 1120 Rn. 40).

212
3. Die Bemessung des Schmerzensgelds der Höhe nach ist grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters (BGH NJW 2015, 2246 Rn. 7). Auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Schmerzensgeldbemessung auf der Grundlage der nach § 529 ZPO maßgeblichen Tatsachen gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob sie überzeugt. Hält das Berufungsgericht sie für zwar vertretbar, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, so darf und muss es nach eigenem Ermessen einen eigenen, dem Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldbetrag finden. Das Berufungsgericht darf es nicht dabei belassen zu prüfen, ob die Bemessung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (BGH NJW 2006, 1589, 1592 Rn. 30; Senat NJW-RR 2015, 1119, 1120 Rn. 41; 2016, 1168, 1169 Rn. 17).

213
4. Bei Anwendung dieser Grundsätze hält der Senat einen Schmerzensgeldbetrag von 60.000 € im konkreten Einzelfall für angemessen.

214
a) Das Landgericht hat angenommen, dass vorliegend neben dem eingetretenen Freiheitsentzug des Klägers auch die unstreitige und zur Überzeugung des Gerichts nachvollziehbarerweise eingetretene psychische Belastung aufgrund des nicht dauerhaft zu verheimlichenden Haftgrundes und den mit Bekanntwerden einsetzenden Repressalien im Gefängnisalltag maßgeblich seien. Diese Abläufe der verbalen Angriffe und Einschüchterungsversuche habe der Kläger anschaulich im Rahmen seiner Anhörung geschildert und auch den dramatische Auswuchs in Form eines gezielten Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit emotional dargestellt. Ebenso habe der Kläger aber auch dargestellt, wie er schließlich einen Weg gefunden habe, um mit dieser Situation umgehen zu können, was ihm aus Sicht des Landgerichts letztlich auch gelungen sei, ohne unter den Umständen völlig einzubrechen. Dass es gleichwohl auch nach seinem Freispruch zu traumatischen Episoden beim Kläger komme, sei unstreitig. Weiterhin sei die unstreitige Tinnitus-Erkrankung, die ein dauerhaftes Rauschen im Ohr hervorrufe, als Dauerschaden zu berücksichtigen. Sowohl die erlittenen Einschränkungen, als auch der Zeitraum der Inhaftierung von 683 Tagen, mithin eines erheblichen Teils der ausgeurteilten Freiheitsstrafe, als auch die durch den Vorwurf des Kindesmissbrauchs bedingte gesellschaftliche Stigmatisierung, die selbst im Gefängnisalltag ihre Auswirkungen gehabt habe, verbunden mit den persönlichen finanziellen und familiären Folgen seien im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung zu berücksichtigen. Es sei aber auch aus Sicht der Beklagten zu berücksichtigen, dass ihr kein Vorsatz-, sondern nur ein – wenn auch grober – Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden könne. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass gerade im Hinblick auf die zeitliche Ausdehnung auch Umstände vorlägen, die der Beklagten nicht unmittelbar zugerechnet werden können, da sie außerhalb jedes persönlichen Einflussbereichs der Beklagten lägen. Ohne dass eine förmliche Anrechnung vorzunehmen wäre, sei zu berücksichtigen, dass es auch eine staatliche Entschädigung für den Kläger gebe, als Folge der Tatsache, dass eben nicht die Beklagte ganz alleine die Verantwortung für die Inhaftierung aufgrund einer erfolgten Verurteilung trage.

215
b) Damit hat das Landgericht die Folgen des grob fahrlässigen Verhaltens der Beklagten für den Kläger im Wesentlichen berücksichtigt (vgl. aber nachfolgend unter f)). Demnach war der am 05.07.1943 geborene Kläger durch das Strafurteil vom 24.05.2004 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in einem Fall, sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, in allen vier Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, begangen jeweils zum Nachteil der am 21.03.1989 geborenen Zeugin M. S., zu Unrecht zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Strafe führte zu einer Inhaftierung für insgesamt 683 Tage in verschiedenen Justizvollzugsanstalten. Hierbei stand der Kläger in der internen Sozialhierarchie jeweils auf unterster Stufe, sobald seine Verurteilung wegen (schweren) Kindesmissbrauchs in der Anstalt bekannt war. Der Kläger war vielfachen Angriffen ausgesetzt und lebte in ständiger Angst. Die einzelnen Folgen hat er bei der Anhörung durch das Landgericht nachvollziehbar und überzeugend beschrieben (Bd. III Bl. 408 d. A.).

216
c) Die Anschlussberufung beanstandet, es sei nicht berücksichtigt worden, dass der Kläger ohne das von der angeblich Geschädigten geführte Zivilverfahren keine Rehabilitation erfahren habe. Wäre von der angeblich Geschädigten kein Zivilverfahren auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in die Wege geleitet worden, wäre kein zweites gerichtliches Gutachten eingeholt worden und hätte es keine erfolgreiche Wiederaufnahme mit dem sich anschließenden Freispruch des Klägers gegeben. Dass sich das Landgericht dieser Abläufe bewusst war, ergibt sich bereits aus dem unstreitigen Teil des Tatbestands der angefochtenen Entscheidung. Die Dauer der Inhaftierung und die Vorgänge bis zum Freispruch des Klägers sind vom Landgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes erkennbar berücksichtigt worden.

217
d) Die Anschlussberufung meint weiter, es müsse berücksichtigt werden, dass der Strafverteidiger des Klägers die Beklagte außergerichtlich über das Gutachten des Prof. Dr. S. informiert und um Rückäußerung gebeten habe, ob sie vor diesem Hintergrund an ihren Ausführungen festhalte. Der Strafverteidiger des Klägers habe darauf hingewiesen, dass eine Äußerung der Beklagten, sich vom Ergebnis ihres Gutachtens zu distanzieren, zu einer leichteren Wiederaufnahme für den Kläger führen dürfte. Dennoch habe die Beklagte mitgeteilt, an ihrem Gutachten festzuhalten. Aus diesem vorgetragenen Verhalten der Beklagten ergeben sich keine schmerzensgelderhöhenden Gesichtspunkte. Es ist schon nicht ersichtlich, dass das nach Vorlage des Gutachtens des Prof. Dr. S. eingeleitete Wiederaufnahmeverfahren durch eine entsprechende Erklärung der Beklagten erleichtert oder beschleunigt worden wäre. Darüber hinaus ist der Beklagten eine solche Erklärung, durch die sie z. B. ihren Versicherungsschutz verlieren könnte, nicht anzusinnen. Das gilt umso mehr, als die Beklagte bis in den vorliegenden Rechtsstreit hinein – in rechtlich zulässiger M. W.e – davon ausgegangen ist, die dem Kläger zur Last gelegten Straftaten habe dieser tatsächlich begangen. Im Übrigen war die Beklagte an dem Prozess der Zeugin S. gegen den Kläger nicht beteiligt. Bei diesem Prozess handelte es sich um einen Schmerzensgeldprozess, in dem die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen einer Gutachterhaftung der Beklagten keine streitentscheidende Rolle spielten.

218
e) Außerdem macht die Anschlussberufung geltend, das Landgericht habe den Umstand nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Kläger auch nach seiner Entlassung noch mit dem Vorwurf habe leben müssen, die Pflegetochter angeblich sexuell missbraucht zu haben. Außerdem hätten sich zwischenzeitlich weitere Probleme ergeben. Der Kläger sei vom 28.04.2015 bis zum 04.05.2015 stationär ins Krankenhaus eingeliefert worden mit der Diagnose des Verdachts auf einen Schlaganfall. Im Rahmen der medizinischen Untersuchungen habe sich herausgestellt, dass der Kläger unter massiven Gleichgewichtsstörungen gelitten habe, die unter anderem durch den Tinnitus ausgelöst würden. Dieser Tinnitus habe seine Ursache in der durch die Haft ausgelösten Stresssituation. Der Kläger habe ständig darauf achten müssen, wer sich in seiner Nähe befunden habe, und er sei nur alleine Duschen gegangen aus Angst vor körperlichen Misshandlungen. Die Zahlung einer Strafrechtsentschädigung sei bei der Frage der Höhe des Schmerzensgeldes nicht zu berücksichtigen. Dagegen sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte bis zum heutigen Tage nicht ihr Bedauern über die unberechtigterweise erfolgte strafrechtliche Verurteilung des Klägers mit allen ihren Folgen zum Ausdruck gebracht habe. Vielmehr zeige die von ihr eingelegte Berufung, dass sie nach wie vor der Meinung sei, an dem Ergebnis ihres Gutachtens festhalten zu müssen. Überdies habe die Beklagte aus Sicht des Klägers unwahren Tatsachenvortrag vorgebracht und behauptet, der Kläger habe die Tat begangen. Die Beklagte habe unter anderem auf S. 13 des Schriftsatzes vom 05.06.2014 behauptet, dass die von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken mit der Anklage vom 27.10.2003 gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe zutreffen, und sie habe die Zeugin M. S. hierzu benannt. Der Kläger fühle sich durch solche Äußerungen zu Recht diskreditiert und trotz des Freispruchs nochmals als Sexualstraftäter betitelt (Bd. IV Bl. 774 f. d. A.). Diese Rügen haben allesamt keinen Erfolg.

219
aa) Anders als die Anschlussberufung meint, hat das Landgericht hinreichend berücksichtigt, dass der Kläger auch nach seiner Entlassung bis zum Freispruch im Jahre 2013 noch mit dem Vorwurf zu leben hatte, die Pflegetochter sexuell missbraucht zu haben. Freilich kann nicht ausgeblendet werden, dass dem Kläger danach eine persönliche und gesellschaftliche Rehabilitation in der Öffentlichkeit zugute kam. So ist etwa in der Print- und Online-Ausgabe der Saarbrücker Zeitung vom 19.12.2013 von dem Redakteur D. K. unter der Überschrift „R. bedauert“ Justiz-Irrtum“ berichtet worden:

220
„Justizministerin A. R. hat sich gestern mit dem M.er N. K. getroffen, der zwei Jahre unschuldig hinter Gittern saß. Sie wollte wissen, was K. durchgemacht hat – und drückte ihr „Bedauern“ aus“.

221
Ferner heißt es in diesem Bericht:

222
„„Das war eine große Geste, dass sie uns zum Gespräch empfangen hat“, meinte K. nach dem 90-minütigen Treffen, das er als „angenehm“ beschrieb. Auch Anwalt S. sagte: „Das ist ihr menschlich hoch anzurechnen, dass sie diesen Schritt getan hat. Das ist nicht selbstverständlich.“

223
Außerdem hat es nach der erstinstanzlichen Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit in der bundesweiten und der regionalen Presse zahlreiche Artikel und Reportagen gegeben, z. B. in der WELT vom 29.01.2015 den Beitrag von H. C. mit der Überschrift „Unschuldig in Haft wegen erfundenen Missbrauchs“ und in der Süddeutschen Zeitung vom 30.01.2015 den Artikel von A. F. „Wer unschuldig ist, braucht die besten Anwälte“. In der Internet-Enzyklopädie Wikipedia gibt es unter dem Namen des Klägers einen Beitrag, der mit folgenden Worten beginnt:

224
„Norbert N. K. (* 1943) ist ein deutsches Justizopfer. Er saß, infolge einer Falschaussage seiner Pflegetochter und infolge eines fehlerhaften Glaubwürdigkeitsgutachtens, 683 Tage unschuldig im Gefängnis. Er war 2004 vom Landgericht Saarbrücken wegen mehrfachen sexuellen Mißbrauchs seiner Pflegetochter zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden.“.

225
In dem Beitrag wird außerdem die vorliegende Schadensersatzklage thematisiert, und es heißt weiter:

226
„Im Januar 2015 wurde die … (Beklagte), die das Glaubwürdigkeitsgutachten erstellt hatte, welches 2004 zur Verurteilung … (des Klägers) führte, vom Landgericht Saarbrücken zu einer Schmerzensgeldzahlung von 50 000 Euro … verurteilt, weil das Gutachten grob fahrlässig erstellt und dabei wissenschaftliche Standards außer Acht gelassen wurden. …

227
Die Justizministerin …, A. R., drückte in einem persönlichen Gespräch ihr Bedauern gegenüber … (dem Kläger) aus, wegen all dem, was er infolge des Justizirrtums durchmachen musste. Außerdem entschuldigte sie sich für die überlange Verfahrensdauer seiner Rehabilitation. Gemeint war damit der zwischenzeitliche Verlust der Gerichtsakte [es folgt eine Fußnote] und die Verzögerungen durch den Streit darüber, welches Gericht für das Wiederaufnahmeverfahren zuständig ist.[es folgt eine Fußnote] Zwischen dem dritten Wiederaufnahmeantrag (2009) und dem Freispruch 2013 waren vier Jahre vergangen.[es folgt eine Fußnote]“.

228
Darüber hinaus hat auch während des Berufungsverfahrens eine mehrfache Berichterstattung in allen Medien stattgefunden, bei der stets klar herausgestellt wurde, dass und aus welchen Gründen der Kläger freizusprechen war.

229
bb) Das Landgericht hat die Tinnitus-Erkrankung entgegen der Auffassung der Anschlussberufung als Dauerschaden ebenso wie die Traumatisierung berücksichtigt.

230
cc) Hinsichtlich der Zahlung einer Strafrechtsentschädigung ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass insoweit keine förmliche Anrechnung auf die Höhe des Schmerzensgeldes vorzunehmen ist. Das Erstgericht hat zwar erwähnt, es sei gleichwohl zu berücksichtigen, dass es auch eine staatliche Entschädigung für den Kläger gebe, als Folge der Tatsache, dass eben nicht die Beklagte ganz alleine die Verantwortung für die Inhaftierung aufgrund einer erfolgten Verurteilung trage. Die Tatsache, dass außer dem grob fahrlässig fehlerhaften Gutachten der Beklagten noch weitere Faktoren zur strafrechtlichen Verurteilung des Klägers geführt haben, z. B. die Angaben der Zeugin S., ändert freilich nichts an der vollen haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der Beklagten. Da die vom Senat nicht geteilte diesbezügliche Auffassung des Landgerichts nur einen – im Vergleich zu den bereits berücksichtigten Folgen der strafrechtlichen Verurteilung und zum Verschuldensgrad untergeordneten – Punkt betrifft, ändert sich dadurch an der Höhe des Schmerzensgeldes nichts, zumal das Landgericht z. B. auch den im Feststellungsantrag enthaltenen immateriellen Vorbehalt nicht schmerzensgeldmindernd berücksichtigt hat.

231
dd) Die Rechtsverteidigung der Beklagten führt entgegen der Auffassung der Anschlussberufung nicht zur Schmerzensgelderhöhung. Eine sachgerechte Verteidigung gegenüber einer Forderung nach Entschädigung ist bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere, wenn das Begehren des Geschädigten in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht umstritten ist (MünchKomm-BGB/Oetker, aaO § 253 Rn. 52). Da der strafrechtliche Freispruch des Klägers im vorliegenden Verfahren die Gerichte nicht bindet, musste es der Beklagten, die überdies im Strafverfahren keinen Einfluss auf die Beweisaufnahme hatte, unbenommen bleiben, Tatsachen vorzutragen oder vom Kläger vorgetragene Tatsachen zu bestreiten. Darüber hinaus hat die Beklagte sich im Rahmen einer durchaus sachgerechten Rechtsverteidigung auf § 839 Abs. 3 BGB berufen und Verjährung eingewandt.

232
f) Bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte hält der Senat im Unterschied zum Landgericht allerdings eine Bemessung des Schmerzensgeldes in Höhe von 60.000 € für angemessen.

233
aa) Nach dem Dafürhalten des Senats fällt bei der Schmerzensgeldbemessung besonders ins Gewicht, dass der im 61. Lebensjahr infolge des grob fahrlässig unrichtigen Gutachtens der Beklagten durch Strafurteil vom 24.05.2004 wegen schweren sexuellen Missbrauchs verurteilte Kläger nicht nur von der verhängten dreijährigen Freiheitsstrafe insgesamt 683 Tage in verschiedenen Justizvollzugsanstalten verbüßte und dabei in der anstaltsinternen Sozialhierarchie jeweils auf unterster Stufe stand. Zu berücksichtigen ist vielmehr auch, dass der Kläger viele Jahre danach zu Unrecht mit dem Makel des sexuellen Missbrauchs der Pflegetochter belastet war und selbst das nach Vorliegen des Gutachtens des Prof. Dr. S. im Juli 2010 im Schmerzensgeldprozess anschließende dritte Wiederaufnahmegesuch des Klägers vom 31.08.2011 erst mehr als zwei Jahre später zum Freispruch führte.

234
bb) So wurde das dritte Wiederaufnahmegesuch zunächst durch Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 28.11.2011 (Aktenzeichen 3 AR 5/05 II) als unzulässig verworfen, und erst auf die sofortige Beschwerde erklärte das Saarländische Oberlandesgericht durch Beschluss vom 27.08.2012 (Aktenzeichen 1 Ws 118/12, (rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 612 ff.) die Wiederaufnahme des durch Urteil der Jugendkammer IV des Landgerichts Saarbrücken vom 24.05.2004 (Aktenzeichen 5-25/03; 23 Js 461/03 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken) in Verbindung mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 16.11.2004 (Aktenzeichen 4 StR 431/04) rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens unter Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses der Jugendkammer II des Landgerichts Saarbrücken vom 28.11.2011 für zulässig. Danach ordnete das Landgericht Saarbrücken durch Beschluss vom 17.01.2013 (Aktenzeichen 4 KLs 47/12, ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 637 ff.) – nach Kammerberatung ohne Beweisüberprüfung und Beweissicherung gemäß §§ 369, 370 StPO ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 636) – die Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung an. Mit Beschluss der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 14.03.2013 wurde das Verfahren an das Amtsgericht – Schöffengericht – Saarbrücken abgegeben ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 650). Da das Amtsgericht Saarbrücken freilich erkennbar unzuständig war, sandte es die Akten mit Verfügung am 24.07.2013 an das Landgericht zurück mit der Bitte um Überprüfung und Abgabe an das örtlich zuständige Gericht ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 655). Mit Beschluss der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 26.07.2013 wurde das Verfahren unter Aufhebung des Abgabebeschlusses vom 14.03.2013 an das Amtsgericht – Schöffengericht – Neunkirchen abgegeben ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 657 ff.). In der Hauptverhandlung vom 07.11.2013 vor dem Amtsgericht Neunkirchen – Schöffengericht – wurde der Kläger befragt ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 681 f.). Die als Zeugin geladene M. S. machte nach Belehrung gemäß § 55 StPO von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 683). Weiter wurden die Zeugen Polizeikommissarin H., früher A. ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 683 f.), Kriminalkommissarin G. ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 685), S. ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 685 f.), Dr. M. ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 687) und der Sachverständige Prof. Dr. S. ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 687 f.) gehört. Sodann wurde der Kläger durch Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen – Schöffengericht – vom 07.11.2013 freigesprochen ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 694 ff.). Das Urteil ist seit dem 15.11.2013 rechtskräftig ((rekonstruierte) Beiakte 21 Js (09) 461/03 Bd. IV Bl. 694). Diese besonderen Umstände, die den Kläger ersichtlich massiv belasteten, können bei der Festlegung der Höhe des Schmerzensgeldes nicht außer Betracht bleiben. Erst danach erfuhr der inzwischen im 71. Lebensjahr befindliche Kläger die bereits dargestellte, allerdings dann sehr klare und umfangreiche Rehabilitation in der Öffentlichkeit.

235
g) Diese Schmerzensgeldbemessung passt auch in den von den vergleichsweise wenigen veröffentlichten Entscheidungen zum Schmerzensgeld im Rahmen der Gutachterhaftung bzw. der unberechtigten Freiheitsentziehung gebildeten Referenzrahmen. So war einem Mann, der auf Grund eines grob fahrlässig fehlerhaften anthropologischen Vergleichsgutachtens und einer Strafverurteilung des Betroffenen u. a. wegen schwerer räuberischer Erpressung (Bankraubes) zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren, von der er insgesamt 2.186 Tage (einschließlich erlittener Untersuchungshaft) bzw. 1.973 Tage (ohne erlittene Untersuchungshaft) verbüßte, bis er in einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen wurde, im Jahr 2007 ein nicht auf eine Entschädigung innerhalb der Grenzen des StrEG beschränkter Geldentschädigungsanspruch zuerkannt worden. Auf Grund einer Gesamtbetrachtung wurde ein Betrag von 150.000 € als billige Geldentschädigung wegen der erlittenen Freiheitsentziehung und der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als angemessen und ausreichend angesehen (OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 02.10.2007 – 19 U 8/07, juris Rn. 48 f.). Unter Berücksichtigung der Indexanpassung für 2017 entspricht dies 169.255 € (Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeld-Beträge 36. Aufl. Lfd. Nr. 2652). Einem 20-jährigen Mann, der auf Grund eines grob fahrlässigen fehlerhaft erstellten Gutachtens eine neun Jahre lange Freiheitsentziehung erlitt durch Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern, in denen ihm während der Verweildauer Medikamente verabreicht wurden, war ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 500.000 DM zuerkannt worden (LG Marburg NJW-RR 1996, 216). Unter Berücksichtigung der Indexanpassung für 2017 entspricht dies 337.670 € (Hacks/Wellner/Häcker, aaO Lfd. Nr. 2653). Einem anderen Mann, der auf Grund eines Versäumnisses seines Strafverteidigers (also nicht eines gerichtlichen Sachverständigen) 76 Tage Untersuchungshaft erlitt, wurde im Jahre 2005 unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des dortigen Klägers ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000 € zuerkannt (KG NJW 2005, 1284). Unter Berücksichtigung der Indexanpassung für 2017 entspricht dies 8.348 € (Hacks/Wellner/Häcker, aaO Lfd. Nr. 2642).

III.

236
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. § 713 ZPO findet keine Anwendung.

237
Die Revision ist entgegen dem Antrag der Beklagten und der Streithelfer der Beklagten gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen; denn weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat hat an Hand rechtlich geklärter Maßstäbe eine Beurteilung der streitbefangenen Umstände des Einzelfalls vorgenommen.

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