AG Dortmund, Urteil vom 06.03.2018 – 425 C 9451/17
1. Einem Versicherungsnehmer der eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG erhalten hat, ist gemäß den Grundsätzen von Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten.
2. Ein Berufen auf das Fehlen der gemäß Anlage D erforderlichen Angabe des Gesamtbetrages, ist bei einer im Übrigen nicht zu beanstandenden Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG, als rechtsmissbräuchlich anzusehen.
3. Ein Widerspruch kann nach einer bereits zuvor ausgesprochenen Kündigung nicht mehr wirksam erklärt werden, da sonst für den Versicherungsnehmer die Möglichkeit bestünde abzuwarten, ob ein Versicherungsfall eintritt. Für diesen Fall könnte sich der Versicherungsnehmer erfolgreich auf die Verpflichtung des Versicherers berufen. Tritt demgegenüber während des Bestandes des Versicherungsvertrages kein Versicherungsfall ein, könnte der Versicherungsnehmer dagegen das gesamte Versicherungsverhältnis rückabwickeln. Dies wäre unredlich und widerspräche dem Grundsatz der Vertragssicherheit.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der klagenden Partei auferlegt.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger hat das Gericht gestattet, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt mit seiner Klage die verzinste Rückzahlung geleisteter Versicherungsprämien, die er auf eine im Policenmodell gem. § 5a VVG a.F. abgeschlossene Kapital-Rentenversicherung geleistet hatte, nach seinem Widerspruchs.
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Am 03.12.1997 beantragte der Kläger bei der Beklagten einen Abschluss einer Kapital- Rentenversicherung. Die Beklagte erteilte den Versicherungsschein im Policenmodell am 08.12.1997 mit der Versicherungsnummer 8515073. Auf Seite 4 des Versicherungsscheins belehrte die Beklagte über das Widerspruchsrecht wie folgt:
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„Dieser Vertrag gilt auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren beigefügten Informationen als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von vierzehn Tagen nach Überlassung dieser Unterlagen – maßgeblich ist die rechtzeitige Absendung durch Sie – schriftlich widersprechen.“
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Wegen der drucktechnischen Gestaltung des Versicherungsscheins wird auf Blatt 122 d.A. verwiesen. Versicherungsbeginn war der 01.12.1997. Die monatliche Prämie betrug zunächst 100 DM, nach der Währungsumstellung 51,13 €. Im August 2012 kündigte der Kläger den Rentenversicherungsvertrag. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger monatliche Prämien in Höhe von insgesamt 9.050,01 € geleistet. Mit Schreiben vom 21.08.2012 rechnete die Beklagte den Rentenversicherungsvertrag ab und bezifferte den Rückkaufwert mit 11.592,53 €. Der Betrag wurde an den Kläger ausgezahlt.
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Mit Telefax-Schreiben vom 29.01.2016 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Widerspruch nach § 5a VVG a. F.. Nachdem die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen hatte, forderte der Kläger durch die Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 21.03.2016 die Beklagte zur Rückabwicklung bis zum 31.03.2016 auf. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 30.03.2016 erneut ab.
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Der Kläger ist der Ansicht, er habe dem Vertrag auch noch am 29.01.2016 wirksam widersprechen können. Seiner Meinung, war die Widerspruchsbelehrung im Vertrag unwirksam. Sie sei zum einen drucktechnisch nicht ausreichend hervorgehoben, zum anderen inhaltlich unzureichend. Ferner ist er der Ansicht, dass die Beklagte es unterlassen hat, ihn über die sog. Verbraucherinformationen gem. 10a VAG a.F. zu unterrichten. Es fehle in diesem Zusammenhang, an der gemäß § 10a Abs. 2 S.2 VAG a.F. geforderten eindeutigen Formulierung sowie der übersichtlichen Gliederung der Verbraucherinformationen. Auch sei nicht klar, an welcher Stelle diese Information zu finden sei.
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Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.377,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2016 zu zahlen.
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2. die Beklagte zu verurteilen an ihn außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 368,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2016 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Widerspruchsbelehrung drucktechnisch ausreichend gestaltet sei. Die Widerspruchsbelehrung sei durch einen auf der linken Spalte eingefügten Gliederungspunkt „Widerspruchsrecht“ in Fettdruck und durch die Gestaltung der gesamten Widerspruchsbelehrung in Fettdruck ausreichend hervorgehoben. Auch würde sich die Widerspruchsbelehrung durch die unterschiedliche Schriftgröße zum übrigen Text auf Seite 4 hervorheben. Die übersandten Unterlagen enthielten sämtliche Verbraucherinformation.
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Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt der geltend gemachte Zahlungsanspruch gegen die Beklagte zu, insbesondere kann der Kläger nicht gem. § 812 Abs.1 S. 1 Alt. 1 BGB die begehrte Zahlung verlangen.
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Die Zahlungen des Klägers an die Beklagte erfolgten mit Rechtsgrund, da der Kläger dem zustande gekommenen Vertrag nicht wirksam widersprochen hat.
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Den Rechtsgrund für die Leistungen des Klägers bildet der zwischen den Parteien zustande gekommene Rentenversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer: 8515073. Dieser Vertrag ist im Wege des sog. Policenmodells auf Grundlage des § 5a VVG a. F. wirksam zustande gekommen. Ein Vertrag nach dem sog. Policenmodell kam nicht allein durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme, zustande. Gemäß § 5a Abs.1 VVG a. F. ist weitere Voraussetzung für den wirksamen Vertragsschluss, dass der Versicherungsnehmer nicht binnen 14 Tagen nach Übersendung der für den Versicherungsvertrag maßgeblichen Unterlagen, d.h. des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren Verbraucherinformationen nach § 10a Versicherungsaufsichtsgesetz, schriftlich widerspricht.
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Die maßgeblichen Unterlagen gemäß § 5a Abs. 1 S. 1 VVG a.F. hat der Kläger zum Zeitpunkt der Übersendung des Versicherungsscheins erhalten. Der Kläger bestreitet nicht, die von der Beklagten übersandten Unterlagen erhalten zu haben.
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Die erteilten Belehrungen und Informationen waren ausreichend und entsprachen den gesetzlichen Vorgaben:
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Gemäß § 5a Abs. 2 VVG. a. F. begann die Widerspruchsfrist grundsätzlich erst dann zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Mit drucktechnisch deutlich ist gemeint, dass mittels Gestaltungsprozess das spätere Druckerzeugnis so hergestellt ist, dass dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer die Widerspruchsbelehrung gleichsam ins Auge fällt. Diese Hervorhebung ist im vorliegenden Fall gegeben, da hier zum einen die Widerspruchsbelehrung auf der letzten Seite des Versicherungsscheins abgedruckt wurde und somit als einzig lesbarer Text, unmittelbar oberhalb der Unterschriften, auf dieser Seite vorhanden ist. Zum anderen wurde der Text in Abgrenzung zum Rest des Versicherungsscheins durch Schriftauszeichnung in fett hervorgehoben. Auch durch Schriftauszeichnung hervorgehoben, ist das Wort „Widerspruchsrecht“ linksspaltig angeordnet. Zusätzlich war der gesamte Text der Widerspruchsbelehrung durch Schriftgrößenunterschied zum übrigen Text so verändert, dass es für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer möglich war, die Widerspruchsbelehrung ohne Probleme wahrzunehmen.
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Der Kläger hat auch ausreichende Verbraucherinformation erhalten. Gem. § 10 a Abs. 1 S.1 VAG a.F. haben die Versicherungsunternehmen zu gewährleisten, dass der Versicherungsnehmer in einer Verbraucherinformation über die für das Vertragsverhältnis maßgeblichen Tatsachen und Rechte vor Abschluss des Vertrages nach Maßgabe der Anlage Teil D unterrichtet wird. Gemäß § 10 a Abs. 2 S. 2 VAG a.F. muss die Verbraucherinformation eindeutig formuliert, übersichtlich gegliedert und verständlich in deutscher Sprache oder der Muttersprache des Versicherungsnehmers abgefasst sein. Eine vollständige Aufzählung der Informationen oder ein Hinweis, an welcher Stelle der Unterlagen sie zu finden sind, enthält das Gesetz nicht. Entscheidend ist, dass die Verbraucherinformationen gewissen Transparenzanforderungen genügen. Den Versicherern steht in diesem Zusammenhang frei, ob sie gesonderte Verbraucherinformationen erteilen oder ob sie die Informationen anderweitig zur Verfügung stellen (Vgl. Präve in Prölss, Versicherungsaufsichtsgesetz, 12. Auflage, § 10 a Rn. 56 m.w.N.).
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Die Widerspruchsbelehrung ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Richtig ist, dass die Beklagte in ihrer verwendeten Widerspruchsbelehrung den Begriff „Informationen“ verwendet und damit den Begriff der „Verbraucherinformationen“ nicht ausdrücklich verwendet. Diese leicht modifizierte Wortwahl führt nach Überzeugung des Gerichts, jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Belehrung. Der Begriff „Verbraucherinformationen“ nach § 10 VAG muss als fristauslösendes Moment in der Widerspruchsbelehrung nicht explizit genannt sein (Vgl. OLG Frankfurt Urteil vom 29.10.2015 – 3 U 91/15).
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Es mussten auch gemäß Anlage D zum VAG a.F. keine weiteren Angaben u.a. zum insgesamt zu zahlenden Betrag gemacht werden, damit die Widerspruchsbelehrung gültig ist. Die Widerspruchsbelehrung war inhaltlich vollkommen ausreichend. Ein Berufen auf geringe Mängel ist im Übrigen rechtsmissbräuchlich. Der Versicherungsnehmer muss jedenfalls davon ausgehen, dass die Frist mit der Übersendung der Unterlagen auch dann zu laufen beginnt, wenn diese hinsichtlich der weiteren beigefügten Unterlagen möglicherweise nicht vollständig sein sollten.
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Hilfsweise weist das Gericht darauf hin, dass das selbst dann gilt, wenn man von einer nicht ausreichenden Belehrung ausgehen würde – was das Gericht gerade nicht tut – dem Kläger ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, aufgrund seines eigenen widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB nicht zusteht.
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Speziell für Verträge im Policenmodells reicht nach der Rechtsprechung des BGH für den Einwand gemäß § 242 BGB bereits ein sogenanntes „objektiv widersprüchliches Verhalten“ des Versicherungsnehmers aus. Dieses nimmt der Bundesgerichtshof schon dann an, wenn ein Versicherungsnehmer über einen längeren Zeitraum die Versicherungsprämien bezahlt und damit – für diese Zeit – sein Interesse bekundet, den Vertrag durchzuführen. Dabei soll im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen insbesondere berücksichtigt werden, dass der Versicherungsnehmer während der längeren Zeit der Vertragsdurchführung die Erwartung hat, im Versicherungsfall Leistungen vom Versicherer zu erhalten (vgl.BGH, NJW 2014, 2723, 2727 f.; BGH, Beschluss vom 29.06.2016 – IV ZR 492/15 -, zitiert nach juris). Nur durch eine solche Rechtsprechung wird der besonderen Interessenlagen bei Lebensversicherungsverträgen, die nach dem Policenmodell gemäß § 5a VVG a.F. geschlossen wurden, entsprochen. Die Rechtsprechung ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG NJW 2015, 1294).
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Nach diesen Grundsätzen, handelte der Kläger im vorliegenden Fall treuwidrig, wenn er unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages die Rückzahlung des gesamten Versicherungsbeitrages – abzüglich bereits erfolgter Zahlungen – von der Beklagten verlangt. Der Kläger war von der Beklagten in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Anforderungen des § 5a VVG a.F. über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden. Ihm war daher bekannt, dass er den Vertrag über dessen Modalitäten er zutreffend im Bilde war, nicht hätte zustande kommen lassen müssen und ihm von der Beklagten jedenfalls ein Recht zum Widerspruch zugestanden worden war. Dass ihm vertraglich zuerkannte Widerspruchsrecht ließ er verstreichen und zahlte im Folgenden fast 14 Jahre die vereinbarten Versicherungsprämien. Mit diesem Verhalten, welches in seinem eigenen Interesse begründet lag und über einen langen Zeitraum fortgeführt wurde, setzt sich der Kläger in Widerspruch, wenn er geltend macht ein Vertrag habe nie bestanden. Erst annähernd vier Jahre nach der eigenen Kündigung durch den Kläger erfolgte der Widerruf.
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Eine Geltendmachung des Widerspruchsrechts verstößt unter diesem Aspekt gegen Treu und Glauben, denn eine Ausübung des Widerspruchs 17 Jahre nach Vertragsbeginn ist rechtsmissbräuchlich. Die Prämienzahlungen die unstreitig über mehr als ein Jahrzehnt erfolgten, können nur als Ausdruck seines Willen den Vertrag durchzuführen, verstanden werden. Da die Beklagte die Zahlung der Prämien auch entgegennahm und daher erkennbar von einem bestehenden Versicherungsvertrag ausging, konnte der Kläger auch bis zu seiner Kündigung davon ausgehen, dass ihm der vereinbarte Versicherungsschutz zustehen werde. Daraus ergibt sich ein nach außen hin in Erscheinung getretener Vertragsbestätigungswille des Klägers. Daran, dass der Kläger den Versicherungsschutz in Anspruch genommen hätte, wenn es zum Versicherungsfall gekommen wäre, hat das Gericht nicht die geringsten Zweifel.
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Die Beklagte zahlte nach der Kündigung ohne Beanstandung den Rückkaufwert der Prämien an den Kläger aus. Auch diese Zahlung hat er unbeanstandet entgegengenommen. Jede andere Beurteilung des Verhaltens des Klägers würde dazu führen, dem Kläger zunächst die Möglichkeit einzuräumen abzuwarten, ob ein Versicherungsfall eintritt. Für diesen Fall hätte der Kläger sich erfolgreich auf die Verpflichtung des Versicherers berufen. Tritt demgegenüber während des Bestandes des Versicherungsvertrages kein Versicherungsfall könnte der Kläger dagegen das gesamte Versicherungsverhältnis rückabwickeln. Dass dies zutiefst unredlich wäre bedarf keiner weiteren Ausführungen. Es widerspräche zudem dem Grundsatz der Vertragssicherheit.
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Mangels bestehender Hauptforderung kommt auch kein Anspruch auf Zinsen oder vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Betracht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, Nr. 711 ZPO.
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Der Streitwert wird auf 4.377,76 EUR festgesetzt.