OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09. August 2019 – II-8 WF 170/18
Hat der Vater sein Kind im Säuglingsalter lebensgefährlich misshandelt, entfällt sein Auskunftsrecht aus BGB § 1686 jedenfalls solange, bis das Kind die verstandesmäßige Reife besitzt, über die Weitergabe seiner persönlichen Daten selbst zu entscheiden.(Rn.22)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der am 26.09.2018 erlassene Beschluss des Amtsgerichts Oberhausen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Antrag des Antragstellers wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden für beide Instanzen nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
2. Der Kindesmutter wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin A. in Oberhausen bewilligt.Dem Kindesvater wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. in Dortmund bewilligt.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Antragsteller, Vater von C., ist durch das Landgericht Dortmund im Jahr 2011 rechtskräftig wegen gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung jeweils in zwei Fällen zum Nachteil seines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Ferner ist die Unterbringung des Antragstellers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden, in dem er sich seitdem aufhält.
2
Nach den Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils hat der Antragsteller am 25.01.2011 im Wohnzimmer seiner Wohnung in Castrop-Rauxel C. so lange Mund und Nase zugehalten, bis dieser nur noch hechelnd atmete und seine Nase und die Lippen blau anliefen. Am 27.01.2011 hat er im Krankenzimmer der Kinder- und Jugendklinik in Datteln dem Säugling wiederum Mund und Nase zugehalten, so dass die Sauerstoffzufuhr kurzfristig unterbrochen war. Am 04.02.2011 hat er C. im Schlafzimmer seiner Wohnung Mund und Nase zugehalten, bis sich die Lippe und Nase des Säuglings blau verfärbten und er nur noch hechelnd atmete. In der Nacht vom 05. auf den 06.02.2011 hat der Antragsteller in einem Krankenzimmer der Kinder- und Jugendklinik in Datteln C. erneut Mund und Nase zugehalten, und zwar diesmal so lange, bis dieser blau anlief, nicht mehr atmete und einen Herzstillstand erlitt. Nach den Feststellungen des Strafgerichts hat der Antragsteller seine Taten aufgrund eine krankhaften Persönlichkeitsstörung begangen. Er wollte auf sich aufmerksam zu machen, indem er sich – nachdem er seinen kleinen Sohn zunächst in Atemnot gebracht hatte – anschließend als „Retter“ Cs. darstellte.
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Aus dem psychiatrischen Krankenhaus heraus suchte der Antragsteller schriftlichen Kontakt zu der Mutter, bei der C. lebt, um über den Entwicklungsstand des Kindes informiert zu werden. Die Antragsgegnerin kam dem zunächst nach und ermöglichte es dem Antragsteller zudem zum dritten und vierten Geburtstag des Kindes anzurufen. In der Folgezeit verweigerte sie zunehmend eine Informationsweitergabe über das Kind. Dies veranlasste den Antragsteller im Dezember 2017 gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
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Er ist der Ansicht, einen Auskunftsanspruch gegen die Antragsgegnerin gemäß § 1686 BGB zu besitzen, da er ein gegenwärtiges berechtigtes Interesse an der verlangten Auskunft habe. Er habe keine andere Möglichkeit, an die maßgeblichen Informationen zu kommen, da er auf unbestimmte Zeit untergebracht sei und der Umgang mit C. ausgeschlossen sei.
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Der Antragsteller hat beantragt,
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die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller jeweils im März, Juni, September und Dezember eines jeden Jahres Auskunft über den aktuellen Entwicklungsstand nebst Foto bezüglich des gemeinsamen Sohnes C. zu erteilen.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Sie verweist darauf, als Mutter von C. ebenfalls Opfer des Antragstellers geworden zu sein. Infolge des Auskunftsverlangens habe sie sich in psychotherapeutische Behandlung begeben müssen. Der Antragsteller habe die spezielle Täter-Opfer-Konstellation zwischen ihm und C. immer noch nicht erfasst. C. werde zum Objekt degradiert. Das Kind bedürfe Schutz vor weiterer Traumatisierung und sollte, wenn es älter sei, selbst entscheiden können, ob er demjenigen, der ihm so viel Leid angetan habe, tatsächlich Auskunft über sein Leben geben möchte.
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Wegen der Stellungnahme der übrigen am Verfahren Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Das Amtsgericht hat nach Anhörung der Beteiligten die Antragsgegnerin antragsgemäß verpflichtet, dem Antragsteller jeweils im März, Juni, September und Dezember eines jeden Jahres Auskunft über den aktuellen Entwicklungsstand nebst Foto bezüglich des Kindes C. zu erteilen. Es hat den Auskunftsanspruch dahingehend eingeschränkt, dass Adressen nicht herausgegeben werden müssen und die Übermittlung durch eine Mittelsperson erfolgen kann. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass der bestehende Auskunftsanspruch nach § 1686 BGB nicht dem Kindeswohl widerspreche, weil C. wegen seines jungen Alters keinen entgegengerichteten Willen habe, der das Auskunftsrecht ausschließen würde. Anhaltspunkte dafür, dass der Kindesvater mit seinem Antrag rechtsmissbräuchliche Absichten verfolge, lägen nicht vor. Die Straftaten des Kindesvaters gegen C. in der Vergangenheit führten lediglich zur Einschränkung des Auskunftsanspruchs in der dargestellten Weise.
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Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie beantragt,
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den Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben.
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Sie macht geltend, dass die Erteilung der Auskunft das Wohl des Kindes C. gefährde; sie vertieft und ergänzt insoweit ihr erstinstanzliches Vorbringen.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er verweist darauf, die gewünschten Informationen allein für sich als Vater verwenden zu wollen, um am Lebens seines Kindes teilzuhaben. Der Entwicklungsstand seines Sohnes sei ihm sehr wichtig. Soweit sein Sohn irgendwann von sich aus den Umgang mit ihm wünsche und ihn kennenlernen möchte, stehe er dem offen gegenüber. Hätte ein Sachverständiger die Feststellung getroffen, dass das Auskunftsbegehren auf irgendeine Weise negativ auf C. Auswirkungen haben könne, so hätte er das Verfahren nicht weiter betrieben.
18
Wegen der Stellungnahme der übrigen Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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In dem Verfahren 43 F 395/12 hat das Amtsgericht ein fachpsychologisches Gutachten des Sachverständigen D. zu der Frage eingeholt, ob bzw. in welcher Form Umgangskontakte des Vaters mit dem Kind C. ohne Gefährdung des Kindeswohls durchgeführt werden können. Wegen des Ergebnisses wird auf das schriftliche Gutachten vom 09.11.2012 (Bl. 176 ff. GA) verwiesen.
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Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung einer weiteren schriftlichen gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen D.. Wegen der Fragestellung wird auf das Anschreiben vom 10.05.2019 (Bl. 240 f. GA) und wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das schriftliche Gutachten vom 11.06.2019 (Bl. 245 f. GA) verwiesen.
II.
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Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet.
22
Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin zu Unrecht verpflichtet, Auskunft über den Entwicklungsstand von C. zu erteilen. Dabei kann dahinstehen, ob dem Antragsteller unter den gegebenen Umständen ein berechtigtes Interesse an der Auskunft zukommen kann. Jedenfalls widerspricht die Auskunftserteilung an ihn derzeit dem Wohl von C.. Ein milderes Mittel zum Schutz des Kindes als den derzeit vollständigen Ausschluss des Auskunftsrechts des Antragstellers besteht nicht. Insoweit bleibt abzuwarten, wie sich C. zu dem Auskunftsverlangen stellt, wenn er die verstandesmäßige Reife erreicht hat, das erfahrene Gewaltgeschehen und die Tragweite der Taten seines Vaters vollumfänglich zu erfassen.
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Der Sachverständige D. hat es im Ergebnis zwar für vertretbar gehalten, wenn der Antragsteller in einem halbjährlichen Rhythmus und mit Kenntnis des heute 8-jährigen Jungen Informationen zu dessen Entwicklungsstand nebst Foto erhält. Der Senat sieht indes aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Sachverständigen die Voraussetzungen des § 1686 BGB als nicht erfüllt an; danach widerspricht nämlich eine Auskunftserteilung durch die Antragsgegnerin derzeit dem Wohl von C..
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Der Sachverständige ist von dem Senat ausdrücklich danach gefragt worden, ob die in dem zum Umgangsverfahren erstellten Gutachten beschriebene Gefahr einer Traumatisierung erhöht sei, wenn C. bei Erreichen der notwendigen Verstandesreife begreife, dass sein Vater regelmäßig über seinen Entwicklungsstand in Kenntnis gesetzt worden sei. Nach den Ausführungen von Herrn D. kann eine krisenhafte Verarbeitung des Kindes bei umfassender Einsicht in das Geschehene nicht ausgeschlossen werden kann. Hierzu hat er in dem zum Umgangsverfahren erstellten Gutachten detailliert beschrieben, dass die psychischen Auswirkungen der Taten des Antragstellers sich erst langfristig zeigen werden, wenn C. die Tragweite erfassen kann, was nicht vor Ende des Grundschulalters, eventuell auch erst später der Fall sein werde. Die Information, dass der eigene Vater bewusst Atemstillstände bis hin zu lebensbedrohlichen Zuständen an dem Kind herbeigeführt hat, werde bei C. wahrscheinlich krisen- oder schockartiges Erleben u. U. auch traumaspezifische Symptome hervorrufen und nur schwer zu verarbeiten sein. Einen Schutz für das Kind sieht der Sachverständige nun -im Hinblick auf das Auskunftsbegehren des Antragstellers – darin, dass C. Zuspruch, Verständnis und Unterstützung von seiner Mutter und von anderen nahestehenden Bezugspersonen in und außerhalb der Familie erhalten könne. Gegebenenfalls zusätzlich könne ein neutraler fachlicher Rahmen, wie eine ambulante Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie angeboten werden, um das Erfahrene besser verarbeiten zu können. Derartige aktive Einbeziehung und tatkräftige Unterstützung von C. könnten einer traumatisierenden Erlebnisverarbeitung entgegenwirken. Außerdem werde die kognitive Entwicklung des Kindes es ermöglichen, ihm verständig zu vermitteln, das alles Nötige zu seinem Schutz getan wurde, u. a. ein persönlicher Umgang ausgeschlossen worden und mit den Informationen, welche dem Vater zur Verfügung gestellt worden sind, sehr sorgsam umgegangen worden sei, um einen möglichst optimalen Schutz zu gewährleisten. Es liegen nach dem Sachverständigen keine Hinweise vor, dass C. diese Sachverhalte nicht ebenfalls zur Kenntnis nehmen und konstruktiv verarbeiten könne.
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Auch wenn der Sachverständige Verarbeitungsmöglichkeiten des Kindes sieht, lässt sich seinen Ausführungen gleichwohl entnehmen, dass C. nicht nur mit den Taten des Kindesvaters zurecht kommen muss, sondern – insbesondere nach Erlangung der notwendigen Verstandesreife – auch die übrigen Umstände, nämlich die Weitergabe seiner persönlichen Daten an denjenigen, der ihm erhebliche Gewalt zugefügt hat, zu verarbeiten haben wird. Der Senat versteht die Ausführungen des Sachverständigen so, dass dies jedenfalls eine zusätzliche Belastung und einen weiteren Risikofaktor für die psychische Gesundheit des Kindes darstellt. Insoweit ist aber nicht zu rechtfertigen, es darauf ankommen zu lassen, dass es C. schon gelingen wird, auch diesen Faktor bei der vorgesehenen Unterstützung durch nahestehende Personen und Psychotherapie verarbeiten zu können. Der „möglichst optimale Schutz“ des Kindes (Gutachten, S. 3, Bl. 246 GA) kann deshalb nur gewährleistet werden, wenn die Informationsweitergabe an den Antragsteller solange zurückgestellt wird, bis sich C. verständig selbst dazu oder dagegen entscheiden kann. Dies gilt umso mehr als der Sachverständige auch in seiner jetzigen gutachterlichen Stellungnahme wieder überzeugend hervorgehoben hat, wie wichtig es sei, dass Entscheidungen, die C. beträfen, nicht ohne dessen Einwilligung getroffen werden sollten. Zu der Frage des Umgangsausschlusses hat er im dortigen Gutachten hierzu wörtlich ausgeführt:
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„Bei gegebener Auffassung wird C. die Ereignisse auch im Licht der faktisch bestehenden Täter-Opfer-Konstellation mit dem Vater betrachten … . Opfer von Gewalthandlungen bedürfen Schutz nicht nur vor erneuter Gewalt, sondern auch vor anderweitiger Traumatisierung, die durch unsachgemäßen Umgang mit ihren speziellen Bedürfnissen nach psychischer Sicherheit und Selbstbestimmung entstehen kann. Vor diesem Hintergrund besteht eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass C. einen Umgang mit dem Vater, der ihm dieses Leid angetan hat, ablehnend gegenüberstehen wird und kein Verständnis für Bezugspersonen bzw. Institutionen hat, die einen fortgesetzten Umgang veranlasst haben, gleichsam über seinen Kopf hinweg, ohne seine eigene Willensbildung abzuwarten. Insofern mag er sich ein weiteres Mal als Opfer fühlen. Wiederholtes Opfererleben löst bei vielen Betroffenen nicht nur belastende Emotionen aus, sondern auch ein Denk- und Reaktionsmuster, das als erlernte Hilflosigkeit beschrieben wird und allgemein der aktiven Bewältigung von Aufgaben und Problemen des Lebens im Wege steht. Oftmals entwickeln sich daraus klinisch bedeutsame depressive Störungen.“
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Diese von dem Sachverständigen überzeugend und nachvollziehbar hervorgehobene Aspekte des Übergehens des Willens des Opfers und die Erhöhung des Risikos einer psychischen Beeinträchtigung greifen nach der Wertung des Senats auch in Bezug auf die Weitergabe von persönlichen Daten von C., solange dieser hierzu noch nicht verständig befragt werden kann.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG, die Wertfestsetzung auf § 45 Abs. 1 Nr. 3 FamGKG.
29
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 70 FamFG nicht vorliegen.