Zur Frage des Amtshaftungsanspruches eines Krampfanfallpatienten wegen Verbringung in ein neurologisches Krankenhaus statt in einneurochirurgisches Krankenhaus

LG Dortmund, Urteil vom 18.03.2015 – 4 O 152/12

Zur Frage des  Amtshaftungsanspruches eines Krampfanfallpatienten wegen Verbringung in ein neurologisches Krankenhaus statt einem neurochirurgischen Krankenhaus

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand
1
Der am 06.04.1969 geborene Kläger nimmt die beklagte Stadt anlässlich eines Rettungsdiensteinsatzes am 24.02.2011 auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht in Anspruch.

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In der Nacht auf den 24.02.2011 stürzte der Kläger im Bad, wo er von seiner Ehefrau aufgefunden wurde. Die Familie meldete um 2.17 Uhr einen medizinischen Notfall, worauf ein Rettungswagen (RTW) und ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) zur Wohnung des Klägers geschickt wurden. Der diensthabende Notarzt war der Zeuge M, der Fahrer des Notarzteinsatzfahrzeuges der Zeuge G. Sie fanden den Kläger im Bett liegend vor, wo ihn die Familie mittlerweile hin verbracht hatte.

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In dem Notarztprotokoll ist als Notfallgeschehen/Anamnese/Erstbefund Folgendes angegeben „Pat. im Bad von Angehörigen gefunden worden, Krampfanfall. Bei Eintreffen wacher, ansprechbarer Pat.. V. a. Zungenbiss. TAA, Z. n. Herzkatheteruntersuchung. Pat. in neurolog. Behandlung bei Dr. Q, genaues n. bek..“

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Der Notarzt vermerkte, dass der Patient die Augen spontan öffne, bei der besten verbalen Reaktion desorientiert sei, auf Aufforderung motorisch reagiere, die Bewusstseinslage orientiert sei, die Extremitätenbewegung normal sei. Die Pupillenfunktion sei auf beiden Augen mittel. Er vergab eine Punktzahl von 15 nach dem sogenannten Glasgow-Coma-Scale. Das EKG ergab eine Tachykardie und eine absolute Arrhythmie. Die Atmung war unauffällig. Als Erstdiagnose vermerkte der Notarzt ein Krampfleiden. Nach Erhebung des EKGs ging er zusätzlich von einer Tachyarrhythmie aus.

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Während der Fahrt ins Krankenhaus erlitt der Kläger ausweislich des Notarztprotokolls einen Krampfanfall. Er erhielt daraufhin intravenös das Medikament Ritrovil. Im Notarzteinsatzprotokoll wurde als Transportziel K 4 angegeben, was dem Marienhospital in I entspricht. Verbracht wurde der Patient in das Evangelische Krankenhaus in V.

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Wegen der Einzelheiten des Notarztprotokolls wird auf Blatt 187 ff. d. A. verwiesen.

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Ausweislich des Bettennachweises für den 24.02.2011 (vgl. Bl. 156 d. A.) waren im Marienhospital I ab dem 23.02.2011 keine Betten im Bereich der Stroke-Abteilung (Schlaganfallabteilung) der Neurologie für Männer und der Intensivstation für Männer vorhanden. Auch die Barbara-Klinik hatte am Abend des 23.02.2011 die Betten für die Intensivbehandlung von Männern abgemeldet.

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Das Evangelische Krankenhaus in V, in das der Kläger verbracht wurde, liegt 26,3 km von seinem Wohnort entfernt.

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Aus der Dokumentation des dortigen Krankenhauses ergibt sich, dass der Kläger bei der Ankunft somnolent und psychomotorisch sehr unruhig war. Eine Kommunikation mit ihm war nicht möglich. In der neurologischen Untersuchung zeigte sich eine deutliche Minderbewegung in der rechten Extremität, ohne dass weitere deutlich flokal neurologische Defizite auffielen. Es wurde eine CT-Diagnostik durchgeführt, die ein akutes traumatisches epidurales Hämatom links fronto-temporal zeigte. Der Kläger wurde schutzintubiert in die neurochirurgische Abteilung der St. Barbara-Klinik in I verbracht.

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In der Barbara-Klinik erfolgte eine operative Entlastung des epiduralen Hämatoms. Ausweislich der Dokumentation verkomplizierte sich der Verlauf durch das Auftreten einer Pneumonie. Am 09.03.2011 war eine weitere operative Revision aufgrund von Wundheilungsstörungen erforderlich. Nach der Krankenhausentlassung befand sich der Kläger zur Anschlussheilbehandlung im Klinikzentrum N GmbH in C.

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Der Kläger behauptet, die vom Notarzt gestellte Verdachtsdiagnose sei auf Basis der Befunde und der Angaben der Angehörigen nicht nachvollziehbar gewesen. Er sei bei Eintreffen des Notarztes nicht ansprechbar gewesen. Es sei nur leicht bei Bewusstsein gewesen und habe nur unverständliche Worte gemurmelt. Er sei desorientiert gewesen und habe nicht mal seine eigene Familienangehörigen erkannt. Außerdem habe er mit seiner Hand Bewegungen vor dem Mund gemacht, als wolle er etwas verscheuchen. Er habe kaum Luft bekommen und Blut sei ihm aus dem Mundwinkel geronnen. Insbesondere das Auftreten von Blut aus dem Mundwinkel habe auf eine Hirneinblutung hingedeutet. Typische Anzeichen für einen stattgehabten Krampf hätten nicht vorgelegen. Der behandelnde Notarzt hätte daher nicht von einem Krampfanfall ausgehen dürfen. Im Übrigen hätten die Angehörigen auch nie angegeben, dass er sich wegen eines bekannten Krampfleidens in Behandlung befinde. Vielmehr hätten sie lediglich ausgesagt, dass er sich aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung nach einem Betriebsunfall in der neurologischen Behandlung bei Dr. Q befinde. Ein Anfallsleiden, z. B. eine Epilepsie, sei von Angehörigen nicht bejaht worden und habe auch nicht vorgelegen. Aufgrund der stattgehabten Symptome, insbesondere der Blutung aus dem Mundwinkel habe der Verdacht einer zerebralen Blutung diagnostiziert werden müssen. Aus diesem Grund sei es zwingend erforderlich gewesen, ihn zur Durchführung sofortiger operativer Maßnahmen in das nächstgelegene Krankenhaus, nämlich die St. Barbara-Klinik, zu verbringen.

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Die Lenkung des Notarzteinsatzes der Stadt I sei sorgfaltswidrig, zumindest aber ermessungsfehlerhaft erfolgt. In Ansehung dessen, dass akute Lebensgefahr nicht habe ausgeschlossen werden können und eine CT-Diagnostik erkennbar unabdingbar gewesen sei, habe das nächstgelegene Krankenhaus mit einer neurochirurgischen Abteilung angesteuert werden müssen.

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Selbst wenn man zu Gunsten der beklagten Stadt unterstelle, dass die St. Barbara-Klinik keine Kapazitäten mehr aufgewiesen habe, so hätte man ihn dort als Notfall dennoch aufnehmen müssen. Es sei nicht darum gegangen, ein Bett für ihn zu finden, sondern vielmehr darum, ihn schnellstmöglich einer operativen Versorgung zuzuführen. Im Übrigen sei nicht nachvollziehbar, dass eine vermeintliche Belegung gemeldet worden sei, er dann aber zwei Stunden später doch operiert und stationär aufgenommen worden sei.

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Durch die fehlerhafte Verbringung in das Krankenhaus in V sei wertvolle Zeit verstrichen, was zur Folge gehabt habe, dass eine Wiederherstellung seiner Gesundheit letztlich nicht mehr möglich gewesen sei. Er habe mehrere Wochen gebraucht, ehe er sich überhaupt habe erinnern und registrieren können, was ihm passiert sei. Sein gesundheitlicher Zustand sei sehr kritisch. Er sei motorisch eingeschränkt und leide an Gedächtnisstörungen. Seine Sprache sei sehr undeutlich und es bestehe eine halbseitige Lähmung rechts. Er könne sich weder fortbewegen noch alleine duschen, essen oder ähnliche Verrichtungen selbständig durchführen. Am normalen Leben könne er nicht mehr teilhaben und sei ständig auf Hilfe angewiesen. Außerdem leide er unter erheblichen Schmerzen. Alle drei Tage erhalte er deshalb ein Schmerzpflaster und nehme täglich 16 Medikamente ein. Es bestehe derzeit Pflegestufe I. Die Voraussetzungen für eine höhere Pflegestufe, vermutlich Pflegestufe III, würden aber vorliegen. Auch psychisch sei er hochgradig belastet. Seit dem 01.09.2011 erhalte er infolge seines Gesundheitszustandes eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Durch die verzögerte Behandlung und Ausdehnung der Hirnblutung habe sich zudem erstmals ein Krampfleiden eingestellt. Auch eine Teilhabe an der Führung des Haushaltes sei ihm nicht mehr möglich.

15
Der Kläger erachtet aufgrund der Folgen des behaupteten fehlerhaften Einsatzes ein Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,00 EUR für angemessen.

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Der Kläger beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellt wird;

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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm jeglichen materiellen und derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen aufgrund des fehlerhaften Rettungsdiensteinsatzes vom 24.01.2011, soweit der Anspruch nicht auf öffentlich-rechtliche Sozialversicherungsträger übergegangen ist.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte behauptet, der Kläger sei während des Notarzteinsatzes am 24.02.2011 ordnungsgemäß behandelt und versorgt worden. Der Kläger habe sich gegenüber dem Zeugen M wach, ansprechbar und konversationsfähig gezeigt. Anhaltspunkte für einen etwaigen Hirndruckanstieg habe es nicht gegeben, so dass die von dem Zeugen M gestellte Verdachtsdiagnose vollkommen zutreffend gewesen sei. Aufgrund dieses Befundes sei es richtig gewesen, den Kläger einer neurologischen Klinik mit der Möglichkeit der Anfertigung eines CCT und eines intensivmedizinischen Hintergrundes zu verbringen. Die St. Barbara-Klinik verfüge über keine neurologische Abteilung und sei darüber hinaus zum fraglichen Zeitpunkt bereits komplett belegt gewesen. Auch im Marienhospital in I und im St. F.-hospital in M1 seien keine Kapazitäten mehr frei gewesen, so dass allein das Krankenhaus in V als nächste erreichbare neurologische Abteilung mit CCT und intensivmedizinischem Hintergrund zur Verfügung gestanden habe.

22
Dass bei dem Kläger eine epidurale Blutung vorgelegen habe, habe sich weder aus den Angaben gegenüber dem Notarzt noch aus den zu erhebenden klinischen Befunden ergeben. Ein CCT habe naturgemäß nicht vom Notarzt erstellt werden können, ebenso wenig habe der Notarzt die Indikation zu einer neurochirurgischen Intervention treffen können. Erst nachdem im Krankenhaus in Unna ein CCT durchgeführt und dort erstmals eine cerebrale Blutung diagnostiziert worden sei, habe Veranlassung bestanden, den Kläger in die neurochirurgische Klinik der St. Barbara-Klinik zu verlegen. Diese Verlegung falle im Übrigen nicht in den Verantwortungsbereich der Beklagten, sondern sei alleinige Entscheidung des verlegenden Krankenhauses in V gewesen.

23
Die weiteren Folgen werden mit Nichtwissen bestritten. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger schon vor der streitgegenständlichen Behandlung unter Krampfanfallen gelitten und aus diesem Grunde bei Dr. Q in Behandlung gewesen sei.

24
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

25
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Beiziehung von Krankenunterlagen sowie durch Vernehmung der Zeugen M, G, B1 und B2 sowie durch Einholung eines notfallmedizinischen Sachverständigengutachtens von Dr. L2, welches der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung erläutert hat. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf das Gutachten vom 08.05.2014 (Bl. 221 ff. d. A.) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.03.2015 (Bl. 291 ff. d. A.).

Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.

27
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch gemäß §§ 839, 253, 249 BGB auf Zahlung von Schmerzensgeld oder Schadensersatz. Der Kläger hat nicht bewiesen, dass das Rettungsteam, das für die Beklagte am 24.02.2011 hoheitlich handelnd tätig geworden ist, dem Kläger gegenüber obliegende Amtspflichten verletzt hat. Die Kammer ist vielmehr nach Durchführung der Beweisaufnahme sogar davon überzeugt, dass das Handeln des Teams bestehend aus Notarzt und Rettungsassistenten den zu stellenden Anforderungen im Rettungswesen ohne jegliche Einschränkung gerecht geworden ist. Die Kammer folgt dabei der Einschätzung des Sachverständigen Dr. L2, der selbst über eine große Erfahrung als Notarzt verfügt, die keinerlei Zweifel an seiner Kompetenz aufkommen lässt. Er hat sämtliche, auch streitigen Tatsachen, sorgfältig gewürdigt und sein schriftliches Gutachten in der mündlichen Verhandlung überzeugend erläutert.

28
Als das Rettungsteam bestehend aus zwei Rettungsassistenten des RTW und einem Arzt sowie Rettungsassistent des NEF in der Wohnung des Klägers eintraf, ist zunächst festgestellt worden, dass eine akut lebensbedrohliche Situation nicht bestand. Was die Schilderung der Auffindesituation angeht, so weichen die Schilderungen der Parteien und auch der Zeugen nur geringfügig voneinander ab, die nach den Ausführungen des Sachverständigen für den weiteren Verlauf ohne Relevanz sind.

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Zunächst ist festzustellen, dass unstreitig der Patient selbst atmete und nicht bewusstlos war. Er wies auch keine schwerwiegenden äußeren Verletzungen auf. Nach den Ausführungen des Sachverständigen war es daher geboten, nunmehr das Geschehen zu eruieren. Danach war der Kläger von seiner Familie im Bad aufgefunden worden. Es mag sein, dass die Familie selbst keine Zuckungen im Sinne eines Krampfanfalls geschildert hat und die Aufnahme in das Notarztprotokoll eine Schlussfolgerung des Notarztes enthält. Gegen eine Schilderung der Angehörigen spricht, dass der Kläger zuvor Krampfanfälle ausweislich der Unterlagen von Dr. Q nicht erlitten hatte, sondern dort wegen eines posttraumatischen Belastungssyndroms nach einem Stromschlag in Behandlung war. Gleichwohl durfte der Notarzt M nach Auswertung aller Befunde und Schilderungen zu der Erstdiagnose kommen, dass ein Krampfanfall vorliege. Typische Anzeichen für einen Krampfanfall sind nach den Ausführungen des Sachverständigen ein akuter, zeitlich limitierter Bewusstseinsverlust. Dies war bei dem Kläger gegeben. Die Ehefrau hatte ihn bewusstlos aufgefunden. Beim Eintreffen des Notarztes war er bei Bewusstsein, wenn auch nach Schilderungen sämtlicher Beteiligten im Bewusstsein beeinträchtigt, was ein typischer Verlauf nach einem Krampfanfall darstellt. Hier ist oft eine verzögerte Reorientierung mit Verwirrtheitszuständen festzustellen. Zuckungen der Extremitäten waren möglicherweise nicht beobachtet worden, dies schließt aber einen Krampfanfall nicht aus, da diese oft von kurzer Dauer sind und bereits beendet sein können, bevor Angehörige oder Notarzt den Patienten sehen. Der Kläger selbst schildert einen Blutfluss aus dem Mund. Dies passt zu der Beschreibung des Zeugen M, dass er einen Zungenbiss festgestellt hat. Es ist auszuschließen, dass es sich um Blut handelte, das auf die Hirnblutung zurückzuführen sein könnte.

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Typische Anzeichen für ein schweres Schädel-Hirn-Trauma sind dagegen schwere äußere Kopfverletzungen. Diese lagen bei dem Kläger eindeutig nicht vor. Keine der Parteien oder der Zeugen schilderte eine sichtbare Kopfverletzung, mag im Krankenhaus später auch eine Prellmarke durch den Sturz festgestellt worden sein. Es lag kein fortbestehender Bewusstseinsverlust nach der Glasgow-Coma-Scale < 9 vor. Auch eine Halbseitensymptomatik bestand eindeutig nicht. Beide Zeuginnen schildern, dass der Kläger gleichermaßen mit beiden Händen Bewegungen vor seinem Gesicht gemacht hat. Auch die Pupillenmotorik, die von beiden Einsatzmannschaften überprüft worden ist, wies keine unterschiedlichen Werte der Pupillen auf. Sogar im Evangelischen Krankenhaus V sind später keine Besonderheiten bei der Pupillenreaktion notiert worden. Auch die klinische Trias bei intrakranieller Blutung mit Blutdrucksteigerung, Herzfrequenzverlangsamung und Cheyne-Strokes-Atmung lag nicht vor. Es ist daher festzuhalten, dass es keine eindeutigen Systeme gab, die auf ein epidurales Hämatom hinwiesen.

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Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass bei dem Kläger ein Vorhofflimmern bestand. Dieses Vorhofflimmern kann dazu führen, dass sich Thromben lösen und zu einem Schlaganfall führen, dieser wiederum zu einem Krampfanfall. Da nichts für ein Schädelhirntrauma nach einem Sturzereignis sprach, war es nachvollziehbar und vertretbar, dass der Notarzt von einem Krampfanfall ausgegangen ist. In einer neurologischen Klinik durch Anfertigung einer CT-Bildgebung war deshalb abzuklären, ob es sich um einen unkomplizierten Krampfanfall im Rahmen eines neurologischen Grundleidens handelte oder möglicherweise um einen akuten Schlaganfall, bei dem ein Zeitfenster von vier Stunden hätte genutzt werden müssen, um eine sogenannte Lysetherapie durchzuführen. Das Vorliegen dieser Erkrankungen war um ein Vielfaches nahe liegender als eine operativ zu behandelnde Hirnblutung. Aus diesem Grunde war es richtig, den Patienten einer neurologischen Klinik zuzuführen.

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Im Übrigen weiß die Kammer aus ihrer Erfahrung als mit Arzthaftungssachen befasster Kammer sowie auch nach den Ausführungen des Sachverständigen, dass auch ein neurochirurgischer Eingriff zwingend eine Bildgebung voraussetzt. Der Sachverständige hat daher in seinem Gutachten auch darauf hingewiesen, dass es mit den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie zu vereinbaren ist und von dieser sogar empfohlen wird, selbst bei Schädelhirntraumen zunächst in einer neurologischen Abteilung eine Bildgebung zu veranlassen.

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Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung noch einmal eindringlich darauf hingewiesen, dass keine neurochirurgische Klinik, deren Plätze auch nach Kenntnis der Kammer rar sind, einen solchen Patienten ohne schwere erkennbare traumatische Hirnverletzung, bei dem auch die Frage nach einem Schlaganfall im Raum stand, aufgenommen hätte.

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Es war daher uneingeschränkt richtig, dass das Rettungsteam sich entschlossen hat, den Kläger in ein Krankenhaus zu bringen, das über eine neurologische Abteilung verfügt. Die Barbara-Klinik in I verfügt gerichtsbekannt nicht über eine solche Abteilung, sondern über eine neurochirurgische Abteilung. Unstreitig wäre das nächstgelegene Krankenhaus mit neurologischer Abteilung das St. Marienhospital in I gewesen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass eine Aufnahme in diesem Hospital nicht möglich war. Dies ergibt sich zum einen aufgrund der vorgelegten Belegt-Meldung vom 24.02.2011 (Bl. 156 d. A.). Die Zeugen G und M haben glaubhaft bestätigt, dass gleichwohl telefonisch versucht wurde zu erfragen, ob eine Aufnahme des Patienten möglich ist, was verneint worden ist. Dem Notarzt war es daher nicht möglich, dieses Krankenhaus anzusteuern.

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Das Leitsystem, bei dem die Krankenhäuser ihre Belegung melden, dient gerade dazu, die Abläufe im Rettungswesen zu kanalisieren und unnötige zwecklose Anfahrten zu vermeiden. Der Notarzt darf diese Belegt-Meldungen nicht ignorieren. Denn ein Krankenhaus ist nicht verpflichtet und auch gar nicht in der Lage, trotz Belegt-Meldungen Behandlungen vorzunehmen. So ist beispielsweise eine neurochirurgische Operation nur möglich, wenn für die weitere Behandlung ein Intensivplatz zur Verfügung steht. Der Kammer ist aus ihren Erfahrungen bekannt, dass leider die Kapazitäten so sein können, dass dies nicht gewährleistet ist. Auch in der neurologischen Abteilung kann es sein, dass ein CT-Gerät schlicht belegt ist und eine sofort erforderliche Bildgebung nicht stattfinden kann. Auch kann es sein, dass in einer Schlaganfallabteilung die nötigen Intensivbetten nicht gestellt werden können. Der Sachverständige hat daher nach Ansicht der Kammer zu Recht darauf hingewiesen, dass das Äußerste, was das Rettungsteam unternehmen konnte, die Möglichkeit war, telefonisch nachzufragen, ob die Belegt-Meldung seine Richtigkeit hat und nicht doch der Patient aufgenommen werden könne. Dies ist verneint worden. Nach den glaubhaften Angaben der Zeugen muss die Kammer davon ausgehen, dass letztlich nur die Option blieb, das etwas weiter entfernt liegende Evangelische Krankenhaus in V anzusteuern.

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Während der Fahrt hatte das Rettungsteam im Übrigen keine Veranlassung, den Zielort zu korrigieren. Vielmehr sprach der Krampfanfall dafür, dass die Erstdiagnose richtig war. Die Fahrt zum Zielort, um möglichst schnell den Patienten einer Bildgebung zuzuführen, war daher richtig.

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Im Übrigen kann die Kammer nicht feststellen, dass durch die Fahrt nach V im erheblichen Maße Zeit verschwendet worden wäre. Der Sachverständige hat sich der Mühe unterzogen, die Anfahrtswege zu kontrollieren und Fahrzeiten zu simulieren auch unter Berücksichtigung der nächtlichen Stunde und des Blaulichteinsatzes. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass mit 28 Minuten die Zeitdifferenz zur Verlegung gering ist, wenn man einerseits die Strecke EVK V und Verlegung in die Barbara-Klinik und auf der anderen Seite die Fahrt zum Marienhospital und sodann die Verlegung in die Barbara-Klinik vergleicht. Er hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Wartezeit bei einem Krankenhaus, dessen Aufnahmekapazität erreicht ist, um ein Vielfaches höher sein kann. Dies ist der Kammer auch aus Verfahren bekannt, so hat die Kammer vor Kurzem einen Fall zu entscheiden gehabt, bei dem ein Patient mit einem möglichen Schlaganfall zwei Stunden in einer Klinik warten musste, weil das CT-Gerät belegt war. Auch der in dem dortigen Verfahren eingesetzte Sachverständige hat keinen Fehler erkennen können, sondern darauf hingewiesen, dass dies der Wirklichkeit in bundesdeutschen Krankenhäusern entspricht.

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Im Ergebnis kann die Kammer daher keinerlei Fehler im Rahmen des Rettungseinsatzes feststellen. Die Klage war daher abzuweisen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

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