Zur Frage der Vereinbarung eines von Art. 31 CISG abweichenden Lieferort als Gerichtsstand

LG Köln, Urteil vom 29.03.2011 – 87 O 158/09

1. Die Beklagte darf im Hinblick auf Art. 31 CISG im Zweifel davon ausgehen, dass die erforderliche Beförderung der von der Klägerin bei ihr gekauften Glasfasern nach Köln keine dort gerichtsstandbegründende Wirkung haben würde, weil Art. 31 CISG vorbehaltlich einer anderweitigen vertraglichen Regelung von der Niederlassung oder dem Lager- bzw. Produktionsstandort des Verkäufers als gerichtsstandbegründendem Erfüllungsort auch für den Fall ausgeht, dass die gekaufte Ware zum Käufer transportiert wird.(Rn.17)

2. Vereinbaren die Vertragsparteien einen von Art. 31 CISG abweichenden besonderen Lieferort, ist hiermit eine zuständigkeitsbegründende Wirkung nur dann verbunden, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Vertragsschlusses unter Berücksichtigung des Auslegungsmaßstabes des Art. 8 Abs 3. CISG davon auszugehen ist, dass der Erklärungswille der Vertragsparteien übereinstimmt. Insofern rechtfertigen die Regelungen über die Lieferung der Kaufsache durch Zurverfügungstellung am Bestimmungsort bei Gefahrtragung des Verkäufers und dessen Kostenübernahme nicht die Schlussfolgerung, dass mit der Übernahme dieser Pflichten zugleich eine Vereinbarung über die Gerichtszuständigkeit getroffen werden sollte.(Rn.18)(Rn.22)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Parteien sind weltweit tätige Kabelhersteller. Sie standen seit 2003 in ständiger Geschäftsbeziehung: die in Deutschland ansässige Klägerin importierte zwischen Januar 2003 und Januar 2009 für ihre Herstellung von Lichtwellenleiterseilen (LWL-Seilen) insgesamt rund 628.000 km von der in (Süd-)Korea ansässigen Beklagten produzierte Glasfasern (Lichtwellenleiter) im Gesamtwert von 5.400.000,00 €. Einen Rahmenvertrag hatten die Parteien diesbezüglich nicht vereinbart. Die Klägerin bestellte die für ihr Werk in Köln bestimmten Glasfasern vielmehr nach Bedarf im Abstand von ungefähr drei bis vier Wochen, indem sie der Beklagten jeweils eine Bestellung („purchase order“) übermittelte, die neben einer spezifischen Auflistung der benötigten Glasfasern auch stets einen auf die INCOTERMS-Klausel „Delivered Duty Paid“ verweisenden Vermerk „Terms of delivery: DDP Cologne“ enthielt. Damit korrespondierend versandte die Beklagte – ohne vorherige Auftragsbestätigung – Rechnungen („commercial invoice“), welche gleichfalls den Vermerk „DDP Cologne“ enthielten. Auch vermerkte die Beklagte auf den von ihr ausgestellten Transportdokumenten („Air Waybill“) „DDP Cologne“ und lieferte die bestellten Glasfasern dementsprechend frachtfrei und verzollt von (Süd-)Korea nach Deutschland zum Werk der Klägerin in Köln.

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Nunmehr streiten die Parteien über Mängel. Die Klägerin reklamiert einen zu hohen temperaturabhängigen Dämpfungsanstieg der Glasfasern, welche sie bei der Produktion von insgesamt rund 15.000 km für die Installation von Überlandleitungen bestimmten LWL-Seilen verwendet und an Endabnehmer in und außerhalb Europas vertrieben hat. Betroffen seien bislang nur Glasfasern, die nach dem 01.03.2005 bestellt worden seien. Unter Bezugnahme auf eine als solche umstrittene Garantieerklärung der Beklagten vom 07.12.2007 bzw. wegen der von ihr behaupteten Mangelhaftigkeit der Glasfasern verlangt die Klägerin mit umfassender, ins Einzelne gehender Begründung Schadensersatz und Minderung gemäß Art. 74, 50 CISG sowie Zinsen gemäß Art. 78 CISG.

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Die internationale und örtliche Zuständigkeit des von ihr angerufenen Landgerichts Köln will die Klägerin aus § 29 ZPO herleiten und führt dazu aus, die Parteien hätten in ihrer Korrespondenz mit der Bezugnahme auf die INCOTERM-Klausel DDP und die Angabe von „Cologne“ als Lieferort abweichend von Art. 31 CISG Köln als Erfüllungsort vereinbart. Mit der Vereinbarung der Klausel sei von einer Bringschuld der Beklagten auszugehen. Die Bestimmung des Leistungsortes eröffne den Gerichtsstand des Erfüllungsortes. Die Parteien hätten eine Erfüllungsortvereinbarung mit Gerichtsstandsfolge getroffen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.075.587,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.12.2009 aus einem Betrag von 961.121,69 € seit dem 28.12.2009 und aus einem Betrag von 114.466,50 € seit dem 08.07.2010 zu zahlen,

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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die ihr daraus entstanden sind und noch entstehen, dass Glasfasern, welche die Beklagte der Klägerin bis einschließlich Januar 2009 geliefert hat, nach der Integration in Lichtwellenleiterseile ein nicht dem Stand der Technik entsprechendes temperaturabhängiges Dämpfungs-phänomen, nämlich einen Dämpfungsanstieg von mehr als 0.05 dB/km zeigen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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und hilfsweise wiederklagend

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die Klägerin zu verurteilen, an sie 81.522,00 € nebst Zinsen in Höhe von 6 Prozent aus 62.455,68 € vom 23.02.2009 bis zum 12.11.2010, in Höhe von 6 Prozent aus 19.066,32 € vom 24.03.2009 bis zum 12.11.2010 sowie in Höhe von 20 Prozent aus 81.522,00 € seit dem 12.11.2009 zu zahlen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Widerklage abzuweisen.

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Die Beklagte, die den Ausführungen der Klägerin mit eingehender Begründung auch in der Sache entgegen tritt, rügt bereits die Unzuständigkeit des Landgerichts Köln. Sie führt aus, zwar habe für sie die Pflicht bestanden, die Glasfasern auf ihre Kosten und unter Übernahme des Verlustrisikos der Klägerin zuzusenden; damit sei aber keine Vereinbarung eines Erfüllungsorts verbunden. Die INCOTERM-Klausel DDP beinhalte nur eine Kosten- und Gefahrtragungsregel, nicht aber eine Bestimmung des Leistungsorts und lasse daher den Erfüllungsort unberührt. Keinesfalls gehe der Rechtsbindungswille der Vertragsparteien bei Vereinbarung der Klausel dahin, dass damit auch eine Gerichtsstandvereinbarung herbeigeführt werden solle; denn dies würde die Grundentscheidung des Art. 31 CISG unterlaufen, dass der Niederlassungsort des Verkäufers als Ort der geschuldeten Leistungshandlung anzusehen ist, weshalb dort auch der Gerichtsstand für die Inanspruchnahme des Verkäufers begründet ist. Mangels einer Vereinbarung des Erfüllungsorts sei für dessen Bestimmung im vorliegenden Streitfall für die Zeit vor dem 01.03.2005 nicht vereinheitlichtes koreanisches Recht und für die Zeit danach das CISG anzuwenden, zumal die Parteien auch keine Rechtswahl getroffen hätten.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die von Ihnen vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

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Die Klage ist mangels internationaler und örtlicher Zuständigkeit des Landgerichts Köln unzulässig.

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Entgegen der Auffassung der Klägerin ist in der Vereinbarung der INCOTERM-Klausel „Delivered Duty Paid (DDP)“ im Zusammenhang mit der von Fall zu Fall erfolgten Bestellung von Glasfasern nicht zugleich eine Vereinbarung des Erfüllungsortes gemäß Art. 31 CISG oder § 29 II ZPO durch die Parteien zu sehen, die zur Bejahung der internationalen und örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Köln führen würde.

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Die Beklagte durfte nämlich jedenfalls hinsichtlich des für das Verfahren maßgeblichen Bestellzeitraums ab 01.03.2005 im Hinblick auf Art. 31 CISG im Zweifel davon ausgehen, dass die erforderliche Beförderung der von der Klägerin bei ihr gekauften Glasfasern nach Köln keine dort gerichtsstandbegründende Wirkung haben würde, weil Art. 31 CISG vorbehaltlich einer anderweitigen vertraglichen Reglung von der Niederlassung oder dem Lager- bzw. Produktionsstandort des Verkäufers als gerichtsstandbegründendem Erfüllungsort auch für den Fall ausgeht, dass die gekaufte Ware zum Käufer zu befördern ist.

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Allein die Vereinbarung der INCOTERM-Klausel DDP führt dabei nicht zur Bejahung eines vom Regelfall des Art. 31 CISG abweichenden Gerichtsstands. Vereinbaren die Vertragsparteien einen von Art. 31 CISG abweichenden besonderen Lieferort, ohne ihn zugleich ausdrücklich zum Gerichtstand zu erklären, so ist es vielmehr eine Frage der Vertragsauslegung, ob sie hierdurch nur die technische Abwicklung des Vertrages oder zugleich den Gerichtsstand regeln wollen (Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum einheitlichen UN-Kaufrecht, 4. Aufl. 2004, Art. 31 CISG, Rdn. 92). Daher ist auch die Vereinbarung von INCOTERM-Klauseln mit einer zuständigkeitsbegründenden Wirkung nur dann verbunden, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Vertragsschlusses unter Berücksichtigung des Auslegungsmaßstabs des Art. 8 III CISG (vgl. zu dessen Geltung BGHZ 134, 206ff.) davon auszugehen ist, dass der Erklärungswille der Vertragsparteien übereinstimmte (vgl. Schlechtriem/Schwenzer, a.a.O., Art. 31 CISG, Rdn. 92).

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Gleiches gilt für die – ungeachtet einer etwaigen Wahl materiellen deutschen oder anderen Rechts durch die Parteien (vgl. Zöller-Geimer, Zivilprozessordnung, 28. Aufl. 2010, IZPR Rdn. 82, 71) – zu prüfende internationale und örtliche (zur Doppelfunktion der deutschen Gerichtsstandsvorschriften: Zöller-Geimer, a.a.O., IZPR Rdn. 37) Zuständigkeit des Landgerichts Köln gemäß § 29 II ZPO, bei der für die Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung aller Umstände auf den objektiven Erklärungsinhalt der Vertragserklärungen abzustellen ist.

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Davon ausgehend hätte die Klägerin den Einwand der Beklagten, sie habe durch die Vereinbarung der INCOTERM-Klausel DDP, die – aus ihrer Sicht – nur eine Kosten- und Gefahrtragungsregel, nicht aber eine Bestimmung des Leistungsorts beinhalte und daher den Erfüllungsort unberührt lasse, keinesfalls (auch) eine Gerichtsstandsregelung herbeiführen wollen, widerlegen müssen.

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Dies ist der Klägerin indessen – auch bei Berücksichtigung ihrer noch nach der mündlichen Verhandlung vom 25.01.2011 vorgelegten Schriftsätze – nicht gelungen:

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Zwar ist nicht zu verkennen, dass die INCOTERM-Klausel DDP Regelungen über die Lieferung der Kaufsache durch Zurverfügungstellung am Bestimmungsort bei Gefahrtragung des Verkäufers und Kostenübernahme durch ihn enthalten. Allerdings rechtfertigt dies alleine nicht die Schlussfolgerung, die Beklagte habe mit der Übernahme dieser Pflichten zugleich auch eine Vereinbarung von Köln als vom Regelfall des Art. 31 CISG abweichendem Erfüllungsort bzw. als Erfüllungsort i.S.d. § 29 II ZPO mit der Folge der Prorogation der Zuständigkeit des Landgerichts Köln treffen wollen. Auch der – im Schriftsatz vom 08.03.2001 vertiefte – Hinweis der Klägerin auf Art. 5 Nr. 1 b EuGVO und die Rechtsprechung dazu führt diesbezüglich nicht weiter, da diese Vorschrift den Lieferort und den – gerichtsstandbegründenden – Erfüllungsort autonom verknüpft (vgl. Schlechtriem/Schwenzer, a.a.O., Art. 31 CISG, Rdn. 93).

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Die Klägerin hätte daher Umstände vortragen und unter Beweis stellen müssen, die – im Wege der Auslegung – den Schluss rechtfertigen, dass die Beklagte mit der Belieferung des Werks der Klägerin in Köln nach Maßgabe der zugrundegelegten INCOTERM-Klausel DDP nicht nur Lieferbedingungen, sondern darüber hinaus Köln als allgemeinen Erfüllungsort bzw. Gerichtsstand vereinbaren wollte. Eine derartige Willensbildung der Beklagten ist jedoch den Darlegungen der Klägerin nicht zu entnehmen und wird auch sonst nicht von ihr unter Beweis gestellt.

24

Die Klageschrift erschöpft sich diesbezüglich letztlich auf Rechtsausführungen. Die von der Klägerin beigefügten Anlagen K 1, K2 und K3 weisen lediglich darauf hin, dass die INCOTERM-Klausel DDP von für die betreffende Lieferung von beiden Parteien zugrunde gelegt worden ist; die in der Anlage K 1 weiter zitierten „General conditions of purchase of nkt cables GmbH, 05/2003“ sind weder beigefügt noch werden sie in der Klageschrift oder später angesprochen – die in der mündlichen Verhandlung allgemein aufgeworfene Frage nach weiteren Hinweisen auf die Willensbildung der Klägerin im Zusammenhang mit der Vereinbarung der INCOTERM-Klausel erbrachte auch diesbezüglich keine irgendwie gearteten Anhaltspunkte.

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Auch im Schriftsatz vom 30.06.2011 erörtert die Klägerin lediglich die Bedeutung der INCOTERM-Klausel als solcher.

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Gleiches gilt für den Schriftsatz der Klägerin vom 25.02.2011. Soweit die Klägerin dort ausführt, dass die Verwendung von INCOTERMS-Klauseln internationalem Standard entspreche und dass zudem die Vertragsabwicklung bestätige, dass die Beklagte sich der Bedeutung der INCOTERMS-Klausel DDP bewusst gewesen sei, vernachlässigt sie die vorliegend entscheidende Frage, ob die Beklagte mit der zu ihren Lasten vereinbarten Kosten- und Gefahrtragung – stillschweigend – auch den für die Bestimmung des Gerichtsstands maßgeblichen Erfüllungsort abweichend von der Regelung gemäß Art. 31 CISG in dem Sinne festlegen wollte, dass sie der Klägerin auch die Möglichkeit der Klage vor einem deutschen Gericht eröffnen wollte. Zu diesbezüglichen konkreten Verhandlungen oder Erklärungen der Vertragsparteien schweigt sich die Klägerin im Rahmen ihrer Bewertung der in der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2001 unter anderem aufgeworfenen Frage nach dem Erklärungswillen der Beklagten nämlich aus. Davon abgesehen lässt ihr Vorbringen taugliche Beweisantritte zur Willensbildung der Beklagten in Bezug auf eine Prorogation der Zuständigkeit des Landgerichts Köln vermissen; dies gilt auch für den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob das auch das koreanische Zivilprozessrecht einen Gerichtsstand des Erfüllungsorts anerkennt – auf diese Frage kommt es nach allem nicht an.

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Damit ist die Klage abzuweisen; einer Entscheidung der Kammer bedarf es insoweit ungeachtet der Erklärung der Klägerin im Schriftsatz vom 25.02.2011, nicht mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden alleine einverstanden zu sein, nicht, § 349 II Nr. 2 ZPO.

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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I, 709 Satz 1, 2 ZPO.

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Streitwert: 8.500.000,00 € nach Maßgabe der Streitwertangabe in der Klageschrift; die Klageerhöhung gemäß Schriftsatz der Klägerin vom 30.06.2010 fällt für die Bewertung des Feststellungsbegehrens der Klägerin nicht weiter ins Gewicht. Ebenso ist die Hilfswiderklage bei der Streitwertbemessung außer Acht zu lassen, da über sie nicht zu entscheiden war.

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