LG Düsseldorf, Urteil vom 13.10.2014 – 9 O 406/13
Zur Frage Leistungspflicht der Hausratversicherung bei Diebstahl von Schmuck außerhalb des Hauses.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Hausratsversicherungsvertrag.
Zwischen den Parteien besteht seit dem 01.01.2013 ein Hausratsversicherungsvertrag mit der Versicherungsscheinnummer xxxxxxxxx, in welchen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Allgefahrenversicherung Kunst (AVB Kunst 2008, BI. 7 ff. GA) ergänzt durch die Allgemeinen Informationen gemäß VVG Informationspflichtenverordnung (BI. 57 ff. GA) einbezogen wurden. Auf Seite 14 von 16 der Allgemeinen Informationen ist unter der Überschrift “Tragerisiko Schmuck” geregelt unter welchen Voraussetzungen Schmucksachen versichert sind, wenn sie sich außerhalb der Versicherungsorte (Haus, Büro) befinden. Dort heißt es u.a.:
Werden Schmucksachen im Gesamtwert bis Euro 250.000 in einem sicher verwahrtem Behältnis (z. B. Schmuckkasten) persönlich mitgeführt, so besteht Versicherungsschutz, wenn der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant zu dem Behältnis direkten Körperkontakt hat, wenn er es z.B. in der Hand oder im Arm behalt.
Der Versicherungsschutz erlischt, wenn das Behältnis den körperlichen Schutzbereich verlasst und z.B. nur noch eine raumliehe Nähe besteht, wie etwa im Flughafen-Trolley oder auf dem Nebensitz in der Wartehalle oder auf dem Waschtisch in der Toilette.
Am 07.02.2013 hielt sich der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau am Düsseldorfer Flughafen auf, um eine Flugreise anzutreten. Nach dem Einchecken begab sich der Kläger zum Sperrgepäckschalter, während sich seine Ehefrau auf eine ansonsten unbesetzte Wartebank setzte, um sich auszuruhen, da sie wegen einer vorangegangenen Knieoperation Schmerzen verspürte. Sie nahm auf dem äußersten linken Sitz Platz und stellte den Gepäckwagen links neben sich. Sie legte ihre Handtasche in das Körbchen des Trolleys, wobei sie die Tasche mit der Hand festhielt. Vier bis fünf Minuten nachdem sich die Ehefrau des Klägers gesetzt hatte, nahm ein ihr unbekannter Mann auf einem rechts von ihr gelegenen Sitz Platz. Er sprach sie an und fragte sie nach den Schaltern der Lufthansa. Die Ehefrau des Klägers drehte sich nach rechts zu dem Mann hin, um ihm zu antworten und den Weg mit einer Handbewegung zu zeigen. Als sie sich dabei nach rechts drehte, ließ sie die Tasche für einen Moment los. Der Mann entfernte sich. Als sich die Ehefrau des Klägers zurückdrehte, war die Handtasche verschwunden. Die Handtasche konnte nicht wieder aufgefunden werden.
ln der entwendeten Handtasche befanden sich Schmuckgegenstände im Wert von insgesamt 496.850,00 Euro, eine Rolexuhr im Wert von 15.610,00 und weitere Gegenstände wie Haustürschlüssel, Ausreisepapiere etc. im Wert von 12.675,51 Euro.
Schäden wegen entwendeten Schmucks sind nach den Versicherungsbedingungen maximal in Höhe von 250.000,00 Euro erstattungsfähig.
Der Kläger machte den ihm entstanden Schaden bei der Beklagten geltend, welche daraufhin einen Betrag von 21.642,75 Euro an ihn auszahlte. Dieser Betrag ergibt sich daraus, dass die Beklagte den Ersatz des Schmuckschadens vollumfänglich ablehnte und bei dem verbleibenden Schaden in Höhe von 28.285,51 Euro teilweise eine Kürzung wegen Mitverschuldens vornahm. Die Beklagte legte bei der Berechnung des Schadens zugrunde, dass ein Betrag in Höhe von 15.000 Euro vollständig, d.h. ohne Abzug wegen Mitverschuldens zu erstatten sei und nahm bei dem restlichen Betrag in Höhe von 13.285,51 Euro (= 28.285,51 Euro minus 15.000,00 Euro) eine Kürzung wegen Mitverschuldens in Höhe von 50 % vor. Sie zahlte daher (zusätzlich zu den 15.000,00 Euro) die Hälfte von 13.285,51 Euro (=6.642,76 Euro) aus. Mit der Klage macht der Kläger nunmehr die zweite Hälfte von 13.285,51 Euro geltend, sowie den nicht erstatteten Schmuckschaden in Höhe von 250.000,00 Euro.
Der Kläger ist der Ansicht, seiner Ehefrau als Repräsentantin falle kein Mitverschulden zur Last, es habe sich allenfalls um Augenblicksversagen gehandelt, als sie die Hand kurzzeitig von der Tasche mit dem Schmuck nahm. Die Versicherungsbedingungen seien insofern nicht klar formuliert, als dass nicht deutlich werde, was mit den Begriffen “direkter Körperkontakt” im Gegensatz zu “körperlicher Schutzbereich” gemeint sei. Das Erfordernis eines ständigen Blick- oder Körperkontaktes könne nicht wirksam vereinbart werden. Das Geschehen sei im Hinblick auf das Bestehen des Versicherungsschutzes nicht nach Zeitabschnitten des Festhaltens oder Loslassens zu beurteilen, sondern es sei die Gesamtsituation zu würdigen. Daraus folge, dass sich der Schmuck im körperlichen Schutzbereich befunden habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 256.642,76 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.07.2013 sowie
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte weder ein Anspruch auf Schadensersatz wegen des entwendeten Schmucks in Höhe von 250.000,00 Euro noch ein Anspruch auf Erstattung des Differenzbetrags in Höhe von 6.642,76 Euro aus dem Versicherungsvertrag zu.
1. Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen des entwendeten Schmucks besteht nicht, weil zum Zeitpunkt der Entwendung kein Versicherungsschutz bestand. Laut den Versicherungsbedingungen setzt Versicherungsschutz voraus, dass der Schmuck in einem “sicheren Behältnis” mitgeführt wird und der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant direkten Körperkontakt zu dem Behältnis haben. Ob die Handtasche ein sicheres Behältnis im Sinne der Bedingungen darstellt, kann dahinstehen, weil es hier an der zweiten Bedingung fehlt. Der Versicherungsschutz erlischt laut den Bedingungen nämlich jedenfalls dann, wenn das Behältnis mit dem Schmuck den körperlichen Schutzbereich verlässt. Die Bedingungen nennen als Beispiele für das Verlassen des Schutzbereichs das Ablegen des Schmucks im Flughafentrolley, auf dem Nebensitz in der Wartehalle oder auf dem Waschtisch in der Toilette. Die Ehefrau des Klägers hatte die Handtasche mit dem Schmuck zunächst in den Korb des neben ihr stehenden Trolleys gelegt und die Tasche mit der Hand festgehalten. Auch wenn sich die Tasche mit dem Schmuck also im Trolley befand und damit nach den Versicherungsbedingungen – die dieses Beispiel ausdrücklich nennen – nicht mehr im körperlichen Schutzbereich, dürfte sich die Tasche zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Festhaltens der Tasche mit der Hand vorliegend noch im körperlichen Schutzbereich befunden haben. Diese Art der Aufbewahrung stellte jedoch wegen der größeren Entfernung zum Körper bereits einen Grenzfall dar. Als die Ehefrau des Klägers dann von dem unbekannten Mann angesprochen wurde, löste sie diesen unmittelbaren Körperkontakt Damit war die Handtasche “nur noch” neben ihr in dem Trolley, es bestand weder Sicht- noch Körperkontakt und die Tasche verließ – spätestens – in diesem Moment den körperlichen Schutzbereich. Hierfür kommt es auch nicht darauf an, ob und wie man zwischen den Begriffen” direkter ” 5 ” Körperkontakt” im Gegensatz zu “körperlicher Schutzbereich” unterscheidet. Ein Ablegen der Wertgegenstände im Trolley erfüllt die Voraussetzungen an die Aufbewahrung innerhalb des körperlichen Schutzbereiches jedenfalls nicht. Denn durch die Beispiele in den Bedingungen wird deutlich, dass Versicherungsschutz jedenfalls nur dann bestehen soll, wenn das Schmuckbehältnis in irgendeiner Weise Körperkontakt hat. Entgegen der Ansicht des Klägers ändert sich hieran auch nichts, nur weil der Moment kurz war, in dem weder Sicht- noch Körperkontakt bestand. Denn die Tatsache, dass nur das kurze Loslassen schon zu einem – zunächst unbemerkten – Diebstahl führen konnte, war dadurch bedingt, dass die Tasche bereits zuvor nicht in unmittelbarer Körpernähe, sondern entfernter abgelegt war und eben nur geringfügigen Kontakt hatte. Mit der Entscheidung, die Tasche entfernter abzulegen, hat die Ehefrau des Klägers bereits eine erhöhte Gefahrenlage geschaffen, die sich schließlich durch das zusätzliche Entfernen der Hand auch verwirklicht hat. Ursächlich für das Erlöschen des Versicherungsschutzes war also nicht nur das – zugegebenermaßen kurzfristige – Wegziehen der Hand, sondern auch das Vorverhalten, also die Entscheidung, die Tasche im Trolley aufzubewahren. Hätte sich die Tasche auf dem Schoß befunden, wäre durch das kurze Lösen einer aufgelegten Hand, die Tasche nicht in derart ungeschützter Position gewesen.
Entgegen der Ansicht des Klägers sind die Bedingungen auch wirksam. Der Versicherungsnehmer wird durch die Verpflichtung, Körperkontakt aufrechtzuerhalten nicht unangemessen benachteiligt, § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB. Eine unangemessene Benachteiligung liegt vor, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen” (BGH NJW 2001, 2331).
Es ist nicht missbräuchlich, wenn die Beklagte ihre Bedingungen so ausgestaltet, dass Versicherungsschutz voraussetzt, dass Schmuck eng am Körper aufbewahrt wird. Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse daran, ihre Erstattungspflicht auf Taten zu beschränken, die dadurch erschwert werden, dass der Täter direkten Körperkontakt überwinden muss. Derartige Taten sind deutlich schwerer zu begehen, weshalb das Risiko des Verlusts der versicherten Gegenstände sprunghaft ansteigt, wenn dem Täter eine einfache Wegnahme genügt, zu welcher er noch nicht mal in die unmittelbare Körpernähe des Berechtigten eindringen muss. Je näher der Täter nämlich dem potentiellen Diebstahlsopfer kommen muss, desto größer ist die Gefahr, entdeckt zu werden und die Hemmschwelle zur Tatbegehung steigt. Zugleich ist es für den Versicherungsnehmer – entgegen der klägerischen Ansicht – keinesfalls unzumutbar derartig wertvolle Gegenstände permanent mit Körperkontakt aufzubewahren. Vielmehr ist dies schon bei allen wichtigen Gepäckstücken (Portemonaie, Ausweis, Reiseunterlagen) eigentlich selbstverständlich und es entspricht auch dem eigenen Interesse des Versicherungsnehmers, durch eine Aufbewahrung am Körper die Entwendung solcher Gegenstände zu verhindern bzw. erheblich zu erschweren. Dass derartige Vorsichtsmaßnahmen besonders in Örtlichkeiten wie Bahnhöfen oder Flughäfen zu ergreifen sind, weil das Diebstahlsrisiko dort besonders groß ist, entspricht allgemeiner Lebenserfahrung.
Dabei ist das Verhalten der Ehefrau des Klägers nicht anders zu beurteilen, weil sie in ihrer Bewegungsfreiheit durch die Operation eingeschränkt war. Zum einen wird nicht ganz klar, weshalb die Knieprobleme ein Abstellen auf dem Schoß, was ja in erster Linie die Oberschenkeln betreffen würde, gehindert haben sollen. Zum anderen fällt es in den Verantwortungsbereich des Klägers (und seiner Ehefrau) etwaige gesundheitsbedingte Schwierigkeiten auszugleichen. Dies hätte beispielsweise entweder dadurch geschehen können, den Schmuck bei dem Kläger zu belassen oder eben zu Hause.
Entgegen der Ansicht des Klägers sind die Bedingungen auch nicht unwirksam, weil sie bestimmen, dass der Versicherungsschutz vom aktuellen Verhalten des Versicherungsnehmers abhängig ist. Es liegt gerade in der Natur von Versicherungsbedingungen, welche die Voraussetzungen von Versicherungsschutz definieren, dass ihre Wirksamkeit von dem – jederzeit veränderbaren – Verhalten der Versicherungsnehmer vor Ort abhängen, so dass die Bedingungen in einem Moment noch erfüllt sind und im nächsten nicht mehr. Wie oben bereits gezeigt, war das Lösen des Handkontakts auch keineswegs die alleinige Ursache für den Verlust des Versicherungsschutzes.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung des Restbetrags von 6.642,76 zu. Die Beklagte hat die Erstattung zu Recht wegen Mitverschuldens der Ehefrau des Klägers, welches diesem zuzurechnen ist, um 50 % gekürzt.
Laut den Versicherungsbedingungen (BI. 68 GA) ist die Beklagte bei Schäden, die durch grobe Fahrlässigkeit entstehen, berechtigt, die Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn nahe liegende, unschwer zu ergreifende Sicherheitsvorkehrungen außer Acht gelassen werden (MüKo BGB/Grundmann, 6. Auflage, 2012, BGB § 276 Rn. 94). Indem die Ehefrau des Klägers die Handtasche mit der Rolexuhr, den Ausweispapieren und den Schlüsseln in den Korb des Flughafen trolleys legte und nur noch mit einer Hand festhielt, hat sie naheliegende Sicherheitsvorkehrungen außer Acht gelassen. Es leuchtet ein, dass Wertsachen, die nicht unmittelbar am Körper aufbewahrt werden, einem größeren Risiko unterliegen gestohlen zu werden, als dies der Fall ist, wenn sie auf dem Schoß liegen oder neben sich auf der Bank abgestellt werden. Denn je weiter entfernt die Gegenstände sind und je umständlicher es ist, diese im Blick zu halten oder festzuhalten, desto leichter wird der Sicht- oder Haltekontakt im Falle einer Ablenkung gelöst. Hätte die Ehefrau des Klägers die Handtasche zwischen sich und den Trolley auf die Bank gestellt, wäre diese bereits deutlich besser vor Dieben geschützt zu werden, ohne dass dies irgendeinen Aufwand verursacht hätte.
Die Kürzungsquote von 50 % wurde von der Beklagten jedenfalls nicht zu hoch angesetzt. Vor dem Hintergrund, dass dasselbe Verhalten der Ehefrau des Klägers hinsichtlich des Schmuckes zu einem vollständige Erlöschen des Versicherungsschutzes wegen Verstoßes gegen die Versicherungsbedingungen führte, ist die Annahme einer im mittleren Bereich liegenden Sorgfaltspflichtverletzung angemessen.
In Ermangelung einer Hauptforderung besteht weder ein Zinsanspruch des Klägers gegen die Beklagte noch ein Anspruch auf Zahlung der außergerichtlichen Geschäftsgebühr in Höhe von 3.198,24 Euro aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus§ 709 Satz 1, 2 ZPO.
Streitwert: 256.642,76 Euro