Zur Frage der Kostenübernahme von Taschengeld für eine mehrtägige Klassenfahrt

Sozialgericht für das Saarland, Beschluss vom 16.01.2012 – S 12 AS 6/12 ER

Aus der Gesetzesbegründung zu § 28 Abs 2 SGB 2 in der seit dem 1.1.2011 gültigen Fassung ist zu entnehmen, dass das Taschengeld für eintägige Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten aus der Regelleistung zu bestreiten ist. (Rn.19)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe

I.

1 Die Antragstellerin begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtschutzes die Übernahme des Taschengeldes für eine mehrtägige Klassenfahrt.

2 Die am … 1994 geborene Antragstellerin steht zusammen mit ihrem Vater im laufenden Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Sie besucht die 11. Klasse der Gesamtschule N./T..

3 Mit am 12.11.2011 beim Antragsgegner eingegangenem Antrag beantragte der Vater der Antragstellerin die Übernahme der Kosten für eine mehrtägige Klassenfahrt der Antragstellerin. In der Folge legte er eine Bescheinigung der Schule vom 28.11.2011 vor. Danach belaufen sich die Kosten für die Fahrt vom 24.06. bis 28.06.2012 nach Südtirol auf insgesamt 300,00 Euro; davon entfallen auf die Fahrt mit Vollpension 250,00 Euro und auf Taschengeld 50,00 Euro.

4 Mit an den Vater der Antragstellerin gerichteten Bescheid vom 12.12.2012 bewilligte der Antragsgegner eine einmalige Beihilfe nach § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB 2 in Höhe von 250,00 Euro für die Fahrt mit Vollpension und führte weiter aus, das aufgeführte Taschengeld von 50,00 Euro sei bereits im Regelbedarf für die Antragstellerin enthalten.

5 Dagegen legte der Vater der Antragstellerin mit Schreiben vom 09.01.2012 Widerspruch ein und begründete diesen damit, dass gemäß § 28 Abs. 7 SGB II lediglich 10,00 Euro des Taschengeldes im Regelbedarf enthalten seien, so dass der Antragstellerin noch 40,00 Euro fehlten.

6 Mit Schreiben vom 10.01.2012 bestätigte der Antragsgegner den Eingang des Widerspruchs und wies darauf hin, dass der zitierte § 28 Abs. 7 SGB II offensichtlich nicht einschlägig sei; Zweck sei insoweit ein Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe z.B. für Mitgliedsbeiträge in Vereinen, wofür ein monatlicher Betrag von 10,00 Euro berücksichtigt werde. Taschengelder würden von § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB 2 nicht erfasst, dies ergebe sich aus der Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift.

7 Mit am 13.01.2012 eingegangenem Schriftsatz hat der Vater der Antragstellerin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

8 Zur Begründung hat er ausgeführt, die veranstaltende Schule sehe einen Taschengeldbetrag in Höhe von 50,00 Euro zur Teilnahme am soziokulturellen Programm vor. Darüber hinaus sei es lebensfremd, dass das Taschengeld aus dem Regelsatz bestritten werden müsse. Dies würde dazu führen, dass ein Schüler fünf Monate lang keinerlei Ausgaben tätigen dürfe und auf jegliche Teilnahme an gesellschaftlicher Teilhabe verzichten müsse. Da die Klassenfahrt bereits im Juni 2012 stattfinde und der Antragsgegner erfahrungsgemäß Anträge über Jahre hinweg unbearbeitet liegen und gesetzte Fristen permanent fruchtlos verstreichen lasse, sei der Antrag geboten.

9 Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

10 den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr für die Teilnahme an einer mehrtägigen Klassenfahrt ein Taschengeld von 50,00 Euro zu gewähren.

11 Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,

12 dem Antrag abzulehnen.

13 Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im angegriffen Bescheid sowie auf die Gesetzesbegründung. Außerdem hält er angesichts der erst im Juni 2012 stattfindenden Klassenfahrt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes für nicht gegeben und kündigt kurzfristig den Erlass des Widerspruchsbescheides an.

II.

14 Der zulässige Antrag ist unbegründet.

1.

15 Antragsteller ist nicht der Vater, sondern die minderjährige Antragstellerin selbst, gesetzlich vertreten durch ihren Vater. Das Rubrum war daher entsprechend abzuändern.

2.

16 Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anordnungsgrund, das heißt die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, und der Anordnungsanspruch, das heißt die materielle Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren begehrt wird, sind geltend und die zur Begründung erforderlichen Tatsachen glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]).

17 In Anwendung dieser Kriterien war der Antrag abzulehnen, da die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.

3.

18 Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II werden bei Schülerinnen und Schülern die tatsächlichen Aufwendungen anerkannt für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen. Bei der von der Gesamtschule des Landkreises St.W. durchgeführten Klassenfahrt nach Südtirol vom 24. bis 28.06.2012 handelt es sich um eine solche mehrtägige Klassenfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen; dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig, weshalb vom Antragsgegner die Fahrtkosten mit Vollpension in Höhe von 250,00 Euro übernommen wurden.

19 Soweit die Antragstellerin das von der Schule in einer Höhe von 50,00 Euro vorgeschlagene Taschengeld als Leistung begehrt, scheidet dies bei summarischer Prüfung schon deshalb aus, weil ein Taschengeld aus der Regelleistung gemäß § 20 SGB II zu bestreiten ist. Dies ergibt sich eindeutig aus der Gesetzesbegründung zu § 28 Abs. 2 SGB II (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drs. 17/3404 vom 26.10.2010, S. 104, veröffentlicht unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/034/1703404.pdf).

20 Dort ist folgendes ausgeführt: „… Die mit der Regelung verbundenen Ziele können nur erreicht werden, wenn die Aufwendungen für Klassenfahrten und Schulausflüge in tatsächlicher Höhe berücksichtigt werden. Dies entspricht in Bezug auf den Sonderbedarf für mehrtägige Klassenfahrten bereits der ständigen Praxis von Verwaltungen und Sozialgerichten, wird hier aber bezogen auf alle Bedarfe des § 28 Absatz 2 nochmals ausdrücklich klargestellt. Aufwendungen im Sinne dieser Vorschrift sind allerdings nur diejenigen, die von der Schule selbst unmittelbar veranlasst sind. Taschengelder für zusätzliche Ausgaben während der Klassenfahrten und Ausflüge sind davon nicht erfasst. Sie müssen aus dem Arbeitslosengeld II und Sozialgeld bestritten werden… .“

21 Die vom Vater der Antragstellerin vertretene gegenteilige Auffassung lässt sich daher mit dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nicht in Einklang bringen.

22 Im Übrigen entspricht die Übernahme des Taschengeldes durch den Leistungsbezieher aus der Regelleistung auch der zur Vorgängervorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB 2 in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung (vgl. zum Beispiel Beschluss des Landessozialgerichts [LSG] für das Land Nordrhein-Westfalen vom 04.02.2008, Aktenzeichen L 20 B 8/08 AS ER, veröffentlicht unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).

23 In diesem Zusammenhang sieht die Kammer sich zu dem Hinweis veranlasst, dass die Schule selbstverständlich die Höhe eines zu gewährenden Taschengeldes den Eltern nicht vorschreiben darf. Vielmehr dürfte es sich daher bei dem Betrag von 50,00 Euro lediglich um einen unverbindlichen Vorschlag der Schule handeln.

24 Die Regelleistung für Jugendliche vom Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres enthält gemäß § 6 Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedars-Ermittlungsgesetz – RBEG) in der Abteilung 1 (Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke) einen Betrag von monatlich 124,02 Euro, in der Abteilung 8 (Nachrichtenübermittlung) einen Betrag von 15,79 Euro, in der Abteilung 9 (Freizeit, Unterhaltung, Kultur) einen Betrag von 31,41 Euro, in der Abteilung 11 (Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen) 4,78 Euro und in der Abteilung 12 (andere Waren und Dienstleistungen) 10,88 Euro.

25 Soweit die Antragstellerin also auf der Klassenfahrt zum Beispiel Proviant im Anschluss an das Frühstück am Abreisetag benötigt kann dafür nicht ins Feld geführt werden, dass dieser teurer wäre als während eines Aufenthaltes im Hause des Vaters. Der pauschalierte Charakter der Regelleistung verpflichtet die Antragstellerin insofern, derartige zwischenzeitliche „Spitzen“ über die Zeit auszugleichen. Wollte man diese „Spitzen“ als durch die Klassenfahrt verursachten Sonderbedarf ansehen, liefe dies bei summarischer Prüfung dem Pauschalierungsgrundsatz bei der Regelleistung zuwider; diese Pauschalierung bewirkt im Übrigen gleichsam im „Gegenzug“, dass die Antragstellerin für die Zeit, in der sie in Südtirol (vom Antragsgegner über die Sonderleistung von 250,00 Euro vollfinanzierte) Vollverpflegung erhält, keinerlei Abzüge bei der Regelleistung gemacht werden, obwohl bei ihr in dieser Zeit aus der monatlichen Regelleistung zu finanzierende Aufwendungen für Ernährung nicht anfallen (vgl. Beschluss des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 04.02.2008, a. a. O.).

26 Zur Überzeugung der Kammer war und ist es der Antragstellerin daher entgegen der von Ihrem Vater vertretenen Auffassung zuzumuten, aus ihrer monatlichen Regelleistung einen entsprechenden Betrag für das während der Klassenfahrt benötigte Taschengeld, das durchaus auch geringer als 50,00 Euro sein kann, anzusparen. Über eine Zeitdauer von 12 Monaten wäre beispielsweise eine Ansparleistung von monatlich 4,17 Euro zu erbringen, dies hält die Kammer ohne Weiteres für zumutbar. Entgegen der Auffassung des Vaters der Antragstellerin führt dies auch keinesfalls dazu, dass die Antragstellerin 5 Monate lang auf jegliche Teilnahme an gesellschaftlicher Teilhabe verzichten müsste, sondern lediglich dazu, dass sie zwölf Monate lang lediglich den jeweils geringen monatlich Betrag von 4,17 Euro ansparen muss.

27 Berücksichtigt man bei einer Dauer der Klassenfahrt von insgesamt 5 Tagen, bei der die Antragstellerin jedenfalls an 3 ganzen Tagen Vollverpflegung erhält, noch die diesbezügliche Einsparung in Abteilung 1 (s.o.) von 12,40 Euro (120,02 Euro : 30 x 3), ergibt sich sogar nur ein anzusparender Betrag von 37,60 Euro und bei einer Verteilung auf 12 Monate ein solcher von 3,14 Euro monatlich. Eine solche Ansparleistung ist der Antragstellerin in den Abteilungen 8, 9, 11 und 12 mit einem monatlichen Gesamtbetrag von 62,86 Euro und damit in einem Umfang von lediglich 5 v.H. nach Auffassung der Kammer ohne weiteres zuzumuten; eine Nichtteilhabe an gesellschaftlicher Teilhabe ist damit zweifellos nicht verbunden.

28 Im Übrigen hat die Antragstellerin auch einen Anordnungsgrund, dass heißt die besondere Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, nicht glaubhaft gemacht. Denn die Klassenfahrt wird erst am 24.06.2012 und damit in gut 5 Monaten beginnen, so dass der Antragstellerin die Durchführung des Widerspruchsverfahrens, insbesondere unter Berücksichtigung der Dreimonatsfrist des § 88 Abs. 2 SGG, zuzumuten ist. Auch die pauschale Behauptung des Vaters der Antragstellerin, dass der Antragsgegner „erfahrungsgemäß Anträge über Jahre hinweg unbearbeitet liegen und gesetzte Fristen permanent fruchtlos verstreichen lasse“ vermag die besondere Eilbedürftigkeit nicht zu rechtfertigen. Vielmehr hätte die Antragstellerin den Antragsgegner auf die Frist des § 88 Abs. 2 SGG hinweisen können und für den Fall, dass der Antragsgegner tatsächlich nicht innerhalb dieser Frist über den Widerspruch entscheiden wird, zum Einen Mitte April Untätigkeitsklage erheben und sodann auch parallel um gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen können. Mit einer gerichtlichen Entscheidung über einen entsprechenden Eilantrag wäre dann in jedem Fall noch vor Beginn der Klassenfahrt zu rechnen gewesen.

29 Nach alledem war der Antrag mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes abzulehnen.

4.

30 Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

5.

31 Diese Entscheidung ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG endgültig, da in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Denn die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zur Auszahlung eines Betrages in Höhe von 50,00 Euro, dieser Betrag liegt unterhalb der Berufungssumme gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.

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