Zur Frachtführerhaftung wegen unrichtiger Verwendung der Frachtpapiere

OLG München, Urteil vom 06.10.2011 – 23 U 687/11

1. Art. 17 CMR findet auch dann Anwendung, wenn es infolge einer unrichtigen Verwendung der dem Frachtführer ausgehändigten Dokumente zu einem Verlust oder einer Beschädigung des Transportguts kommt.

2. Das Verschulden einer vom Frachtführer zur Verzollung eingeschalteten Grenzspedition ist dem Frachtführer nach Art. 3 CMR zuzurechnen.

3. Art. 23 CMR schließt, sofern die Voraussetzungen des Art. 29 CMR nicht vorliegen, die Geltendmachung weiterer Vermögensschäden aus. Insbesondere kann der Hauptfrachtführer die Kosten eines Vorprozesses mit dem Absender nicht im Verhältnis zum Unterfrachtführer als Verzugsschaden geltend machen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 01.12.2010, 1 HK O 742/10 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 23.894,00 Euro nebst 5 % Zinsen hieraus seit 30.10.2009 zu bezahlen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtstreits trägt die Klägerin 3/20, die Beklagte 17/20.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 28.218,14 Euro festgesetzt.


Tatbestand

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I. Gemäß § 540 Abs. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Art. 17 CMR findet keine Anwendung, da Art. 11 Abs. 3 CMR eine Sonderregelung enthalte für die Folgen des Verlustes oder der unrichtigen Verwendung der im Frachtbrief bezeichneten und diesem beigegebenen oder dem Frachtführer ausgehändigten Urkunden. Der Klägerin stehe kein Anspruch zu, da sie eine fehlerhafte Verwendung der übernommenen Papiere nicht nachgewiesen habe.

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Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie ist der Ansicht, ihr stehe ein Anspruch aus Art. 17 Abs. 1 CMR zu, da diese Norm für den Fall des Verlusts des Transportguts die Spezialregelung sei. Zudem liege ein Fehler der Grenzspedition I. vor, den sich die Beklagte gemäß Art. 3 CMR auch zurechnen lassen müsse.

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Die Klägerin verfolgt ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.

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Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

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II. Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet, soweit die Klägerin Zahlung von 23.894 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit 30.10.2009 begehrt. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

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Der Klägerin steht ein Anspruch in Höhe von 23.894 Euro aus Art. 17 CMR zu.

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a) Nach Ansicht des Senats ist Art. 17 CMR (jedenfalls auch) als Anspruchsgrundlage anwendbar, wenn es infolge einer unrichtigen Verwendung der dem Frachtführer ausgehändigten Dokumente zu einem Verlust (bzw. einer Beschädigung) des Transportguts kommt. Insbesondere erscheint es nicht nachvollziehbar, gerade bei der besonders gravierenden Folge des Verlusts oder der Beschädigung des Transportguts Art. 17 CMR nicht anzuwenden (im Ergebnis für eine Anwendung des Art. 17 CMR als lex specialis Jesser-Huß in: Münchener Kommentar zum HGB, 2. Auflage 2009, Art. 11 CMR Rz. 17; Boesche in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 2. Auflage 2009, Art. 11 CMR Rz. 7; Helm in: Staub, HGB, 4. Auflage 2002, Anh VI § 452, Art. 11 CMR Rz. 14; a.A. Koller, Transportrecht, 7. Auflage 2010, Art. 11 CMR Rz. 4; offen gelassen von OLG Düsseldorf, TranspR 1997, S. 422 ff, 423).

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b) Die Beschlagnahme der sieben Colli durch den kroatischen Zoll ist als Verlust zu werten. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der kroatische Zoll die Colli ohne die Auslösung durch die Firma U. in absehbarer Zukunft freigegeben hätte (dafür, dass eine rechtmäßige Beschlagnahme als Verlust zu werten ist: Koller, a.a.O., § 425 HGB Rz. 7; Herber in: Münchener Kommentar zum HGB, 2. Auflage 2009, § 425 Rz. 15).

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c) Die Haftung der Beklagten ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 2 CMR ausgeschlossen. Die Beklagte trägt gemäß Art. 18 Abs. 1 CMR die Beweislast, dass die Beschlagnahme nicht auf Umständen beruht, die die Beklagte nicht vermeiden und deren Folgen die Beklagte nicht abwenden konnte. Diesen Beweis hat die Beklagte nicht geführt:

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Nach dem Vortrag der Beklagten hatte der Fahrer S. sämtliche erforderlichen Unterlagen ursprünglich erhalten. Die Eur.1 und die Pro Forma-Rechnung dazu seien in dem weißen, an die Empfängerin M. adressierten Umschlag enthalten gewesen (s. Schriftsatz der Beklagten vom 22. April 2010, S. 2, Bl. 21 der Akten; Schriftsatz der Beklagten vom 12. August 2011, S. 2, Bl. 116 der Akten). Die anderen Unterlagen (CMR-Frachtbrief, 2 ATA-Carnets, zwei weitere Pro-Forma-Rechnungen) befanden sich, ebenso wie der weiße Briefumschlag, unstreitig in dem großen gelben Kuvert. Damit steht fest, dass der Fahrer S. jedenfalls ursprünglich sämtliche erforderlichen Unterlagen erhalten hatte. Anweisungen bezüglich des weißen Kuverts hat der Fahrer S. nicht erhalten, wie nunmehr auch die Beklagte unstreitig gestellt hat (Schriftsatz vom 12. August 2011, S. 2, Bl. 116 der Akten).

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Bei der Verzollung in Bregana hingegen waren nach der Aussage des Zeugen S. in dem weißen Umschlag lediglich noch Pro Forma-Rechnungen, aber kein Eur.1 Formular (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2010, S. 5, Bl. 67 der Akten). Auf welche Weise das Eur.1 Formular abhanden gekommen ist, ist unklar. Diese Unklarheit geht zu Lasten der Beklagten.

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Zudem liegt ein Verschulden der Spedition I. vor, das sich die Beklagte gemäß Art. 3 CMR zurechnen lassen muss.

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Der Zeuge S. hat der Spedition I. den großen gelben Umschlag übergeben. In diesem war – offen – der CMR-Frachtbrief 019708 (Anlage C 4 zu dem von der Beklagten vorgelegten Schriftsatz vom 25. Juni 2009 im Verfahren 1 HK O 527/09 vor dem LG Würzburg) enthalten. Auf diesem Frachtbrief sind als Dokumente aufgeführt „2 x Carnets ATA“, „1 x EUR 1“, „3 x Proforma Rechnungen“. Des Weiteren werden als Transportgut aufgelistet „1 Collo Stahlbaubühne komplett“, „6 Colli Steuerschränke“, „1 Alukiste“ und „1 Container Werkzeug“. Die Spedition I. hätte daher ohne Weiteres anhand des Frachtbriefs feststellen können, dass eine Anmeldung auch bezüglich der 7 Colli erforderlich war und insoweit nicht alle notwendigen Papiere (jedenfalls nicht offen in dem gelben Umschlag) vorlagen. Die Spedition I. hätte daher nicht einfach auf die Anmeldung der 7 Colli verzichten dürfen, sondern hätte den Zeugen S. auf die fehlenden Papiere hinweisen müssen. Damit hätte letztlich für die Klägerin bzw. deren Auftraggeberin, die Firma U., die Möglichkeit bestanden, die fehlenden Papiere noch zu beschaffen und somit die Beschlagnahme durch den kroatischen Zoll zu vermeiden. Daher ist auch unerheblich, ob die fehlenden Papiere (wie nach Aussage des Zeugen S. die Proforma-Rechnung) in dem weißen, an M. adressierten Umschlag enthalten waren. Auch ohne diesen Umschlag zu öffnen, hätte die Spedition I. feststellen können, dass weiteres Transportgut anzumelden war und die insoweit erforderlichen Papiere (jedenfalls nicht offen) vorlagen.

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Dieses Unterlassen ist der Beklagten gemäß Art. 3 CMR auch zuzurechnen: Die Verzollung oblag der Beklagten als Frachtführerin. Die von ihr als Unterfrachtführer eingesetzte Firma J. hat wiederum ihrerseits die Spedition I. als Verzollungsbüro eingeschaltet. Dass das Verzollungsbüro nicht der „Ausführung der Beförderung“, sondern nur der Durchführung der Verzollung diente, ist ohne Belang (vgl. OLG München, VersR 1982, S. 264, 265; Koller, a.a.O., Art. 3 CMR Rz. 3).

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d) Der Anspruch der Klägerin bemisst sich gemäß Art. 23 Abs. 1 CMR nach dem Wert des beschlagnahmten Transportguts. Dieser beträgt unstreitig 23.894 Euro. Der Haftungshöchstbetrag nach Art. 23 Abs. 3 CMR ist nicht erreicht.

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e) Die Klägerin hat gemäß Art. 27 Abs. 1 CMR einen Anspruch auf Verzinsung ab 30.10.2009, allerdings nur in Höhe von 5 % (vgl. dazu BGH, NJW-RR 2004, S. 833, 834; Boesche in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 2. Auflage 2009, Art. 27 CMR Rz. 8).

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III. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Insbesondere kann die Klägerin weder die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 891,80 Euro noch die Kosten des Vorprozesses in Höhe von 4.324,14 Euro verlangen.

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Zwar war nach früherer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Ersatz eines Verzugsschadens nach §§ 286, 280 Abs. 1, 2 BGB durch Art. 23 CMR nicht ausgeschlossen. Insbesondere hat der Bundesgerichtshof dem Hauptfrachtführer die Möglichkeit eröffnet, die Kosten des Vorprozesses (mit dem Absender) im Verhältnis zum Unterfrachtführer als Verzugsschaden geltend zu machen (s. dazu BGH NJW-RR 2001, S.170 ff; so auch Jesser- Huß in Münchener Kommentar zum HGB, 2. Auflage 2009, Art. 27 CMR Rz. 22; Boesche in Ebenroth/Boujong,/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, 2. Auflage 2009, Art. 27 CMR Rz. 9). An dieser Rechtsprechung hält der Bundesgerichtshof jedoch nicht fest. Vielmehr geht der Bundesgerichtshof in seiner neueren Entscheidung vom 01.07.2010 (NJW-RR 2011, S. 117, 119) davon aus, dass Art. 23 CMR – sofern die Voraussetzungen des Art. 29 CMR nicht vorliegen – eine abschließende Regelung für Vermögensschäden darstellt. Insbesondere wird ein Anspruch auf Ersatz der Kosten des Vorprozesses vom Bundesgerichtshof nunmehr ausdrücklich ausgeschlossen. Dieser Ansicht schließt sich der Senat an.

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Anhaltspunkte für ein vorsatzgleiches Verschulden i.S. des Art. 29 Abs. 1, 2 CMR sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Klägerin kann daher keinen weiteren Vermögensschaden und mithin keinen Verzugsschaden aus §§ 286, 280 Abs. 1,2 BGB geltend machen.

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Bezüglich der von der Klägerin geltend gemachten Kosten des Vorprozesses in Höhe von 4.324,14 Euro würde es zudem auch nach der bislang von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretenen Ansicht bereits an den Voraussetzungen der §§ 286, 280 Abs. 1, 2 BGB fehlen: Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin die Beklagte bereits vor Klageerhebung am Landgericht Würzburg in Verzug gesetzt hat: Das von der Klägerin als Anlage K 8 vorgelegte Mahnschreiben datiert vom 23.10.2009 und wurde erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Landgericht Würzburg versandt. Im Übrigen hat die Klägerin lediglich vorgetragen, dass eine außergerichtliche Einigung mit der Beklagten nicht möglich gewesen sei (Klageschrift vom 25.01.2010, S. 7, Bl. 7 der Akten). Eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung der Beklagten i.S. des § 286 Abs. 2 Ziff. 3 BGB ist darin noch nicht zu sehen.

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IV. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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V. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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