Zur Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich der Gewährung eines Gründungszuschusses

SG Mannheim,Urteil vom 23. August 2012 – S 14 AL 2139/12

1. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 Abs. 1 SGB III vor und legt sich die Behörde in einer Eingliederungsvereinbarung auf einen Beruf als Eingliederungsziel fest, der typischerweise selbständig ausgeübt wird, reduziert sich ihr Entschließungsermessen regelmäßig auf Null.

2. Einem Versicherten, der eine Ausbildung zum Golflehrer absolviert hat, die nicht unter das Berufsbildungsgesetz fällt, ist eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu Beginn des Alg-Bezugs unzumutbar (§ 140 SGB III).

3. Die weitere Rechtsverfolgung einer Behörde ist dann missbräuchlich im Sinne des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG, wenn ihr (vor)prozessuales Verhalten einzig und allein auf die Ablehnung einer Sozialleistung gerichtet ist, ohne den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 09.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.06.2012 verurteilt, dem Kläger einen Gründungszuschuss für die Zeit vom 01.03.2012 bis 31.08.2012 zu bewilligen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtliche Kosten zu erstatten.

3. Die Beklagte hat dem Gericht Kosten in Höhe von 300,00 EUR zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung eines Gründungszuschusses nach den Vorschriften des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III).

Mit Schreiben vom 10.04.2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten einen Gründungszuschuss. Er werde am 01.03.2012 eine selbstständige, hauptberufliche Tätigkeit als Fully Qualified PGA Golfprofessinal-Golflehrer im Golfclub H.-H. aufnehmen. Der Gründungszuschuss sei auch zur Sicherung des Lebensunterhalts und der Sozialabsicherung erforderlich. Seine Miete und Nebenkosten würden 385,00 EUR betragen. Der Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung betrage 247,26 EUR, die zusätzliche Altersvorsorge schlage mit 50,00 EUR zu Buche. Für seine Krankenversicherung und die Pflegeversicherung habe er 198,00 EUR bzw. 15,00 EUR aufzubringen. Die Berufshaftpflichtversicherung koste ihn 15,38 EUR. Für die Kfz-Versicherung zahle er 39,23 EUR. Seinem Antrag legte der Kläger einen Business-Plan bei. Des weiteren reichte er eine Stellungnahme zur Tragfähigkeit seiner Existenzgründung einer Steuerberaterin vom 20.03.2012 zu den Akten.

Ausweislich einer am 25.01.2012 erstellten Eingliederungsvereinbarung wurde als Eingliederungsziel die Integration in den Arbeitsmarkt im Umkreis von 100 km als Golflehrer vereinbart. Die Beklagte bot hierzu regelmäßige Beratungen an. Ggfs. könnten auch überbetriebliche Trainingsmaßnahmen erbracht werden. Ausweislich eines am 28.02.2012 erstellten Verbis-Vermerks wurde dem Kläger mitgeteilt, dass er ohne Gründungszuschuss kalkulieren müsse, da es sich um eine Kann-Leistung handele.

Mit Bescheid vom 09.05.2012 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Bewilligung eines Gründungszuschusses ab. Auf dem für den Kläger in Betracht kommenden Arbeitsmarkt bestünden ausreichende Integrationsmöglichkeiten in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Zwar seien berufsfachliche Defizite gegeben, die Beklagte sei jedoch bereit, diese durch die Finanzierung einer Weiterbildungsmaßnahme zu beheben. Der Beklagten seien am 03.05.2012 viele Stellen in verschiedenen Berufen, die für den Kläger in Betracht kämen, gemeldet worden. Stellenangebote in diesem Umfang bestünden bereits seit geraumer Zeit. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich dieses Volumen in absehbarer Zeit nennenswert ändern werde. Mit der Unterstützung durch eine Weiterbildungsförderung bestünde für den Kläger eine günstige Integrationsprognose in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Der Gründungszuschuss könne daher nicht gewährt werden.

Am 16.05.2012 legte der Kläger zur Niederschrift Widerspruch gegen diesen Bescheid ein. Er habe bereits seine selbstständige Tätigkeit aufgenommen. Das Geschäft laufe gut an. Es sei abzusehen, dass er im Laufe des Jahres 2012 seinen Lebensunterhalt vollständig bestreiten könne. Bis dahin sei er aber auf eine Anschubunterstützung angewiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.06.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Nach § 4 Abs. 1 SGB III habe die Vermittlung in Arbeit Vorrang vor den Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts bei Arbeitslosigkeit. Dieser Vermittlungsvorrang gelte gemäß § 4 Abs. 2 SGB III auch im Verhältnis zu den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, es sei denn, die Leistung sei für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich. Bei der Ausbildung zum Golflehrer handele es sich nicht um einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG). Aus diesem Grund sei der Kläger als ungelernt zu betrachten und im Sinne der Arbeitsvermittlung dem Helferbereich zuzuordnen. Der Arbeitsmarkt für Helfer sei regional wie bundesweit als gut zu bezeichnen. So seien am 03.05.2012 allein bei der Beklagten zahlreiche Stellen in diversen Bereichen gemeldet, für die der Kläger insoweit in Betracht käme. Ein derartiger Kräftebedarf bestünde schon seit geraumer Zeit und werde voraussichtlich auch für die nächste Zeit noch bestehen. Etwaige berufsfachliche Defizite könnten durch entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen beseitigt werden, die zu fördern die Beklagte bereit wäre. Aus diesem Grund sei im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass entsprechende Aussichten auf eine Anstellung bestünden, so dass der Vermittlungsvorrang greife und insoweit das Interesse der Versichertengemeinschaft das Interesse des Klägers an einer Förderung der Selbständigkeit überwiege. Die Umwandlung des Gründungszuschusses in eine Ermessensentscheidung folge der Förderphilosophie des SGB III, die vorsehe, das jeweils am besten passende Instrument für eine Eingliederung in Arbeit zu identifizieren. Ein pauschaler Rechtsanspruch widerspreche diesem Gedanken, da er die Suche nach alternativen Fördermöglichkeiten verhindere.

Mit seiner am 04.07.2012 zum Sozialgericht Mannheim erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Förderungsbegehren fort. Ihm sei mit Bescheid vom 25.01.2012 Arbeitslosengeld für die Dauer von 360 Tagen für die Zeit vom 01.01.2012 bis 30.12.2012 mit einem täglichen Leistungsbetrag in Höhe von 14,17 EUR bewilligt worden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung habe er aus diesem Grund noch einen Restarbeitslosengeldanspruch von mehr als 150 Tagen gehabt. Er habe auch eine selbstständige Tätigkeit hauptberuflich aufgenommen, die seine Arbeitslosigkeit beendet habe. Die Beklagte habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Die Beklagte selbst habe in der Anhörung zum Gesetz über die Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt ausdrücklich erklärt, aufgrund der Ausgestaltung des § 93 SGB III habe der Gründungszuschuss einen quasi Pflichtleistungscharakter und sei nur begrenzt steuerbar. Würden die Voraussetzungen und die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorliegen, sei es wenig realistisch, die Förderung abzulehnen. Die Beklagte lege zwar den Vorrang der Vermittlung in Arbeit für Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nach § 4 Abs. 2 SGB III dar, verkenne dabei jedoch, dass es sich dabei um eine zumutbare Beschäftigung mit Aussicht auf eine dauerhafte Eingliederung handeln müsse, um den Gründungszuschuss abzulehnen, mithin der Vorrang der Vermittlung in Arbeit nicht bestünde, sofern die aktive Arbeitsförderung für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich sei. Der Vorrang der Vermittlung gelte demnach nicht, wenn durch Vermittlungsmaßnahmen nur eine nicht dauerhafte Beschäftigung des Klägers zu erreichen sei, während die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung zu einer dauerhaften Eingliederung führen könnten. Die Einschätzung der Erforderlichkeit könne daher nur den Charakter einer Prognose haben. Die Förderung durch einen Gründungszuschuss würde ihm bessere Perspektiven zur dauerhaften Eingliederung in den Arbeitsmarkt als eine Arbeitsvermittlung im Helferbereich eröffnen. Dies entspreche auch seinen persönlichen Fähigkeiten und Eignungen. Eine Arbeitsvermittlung im Helferbereich würde nicht nur der beruflichen Qualifikation als Golflehrer nicht gerecht, sondern sei auch eine Verschwendung vorhandener Qualifikation. Vor diesem Hintergrund sei für ihn die Bereitschaft der Beklagten unverständlich, etwaige berufliche Defizite bei der Arbeitsvermittlung durch entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen zu beseitigen und diese Weiterbildungsmaßnahmen entsprechend fördern zu wollen. Denn auch bei Fortbildungs- oder Schulungsmaßnahmen handele es sich um Leistungen der aktiven Arbeitsförderung. Die Beklagte habe bei der Auswahl der in Frage kommenden Maßnahmen, also Gründungszuschuss oder Weiterbildungsmaßnahmen für eine Vermittlung im Helferbereich, ihr Ermessen in der Art auszuüben, diejenige Maßnahme auszuwählen, die am geeignetsten sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 09.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.06.2012 zu verurteilen, ihm einen Gründungszuschuss für seine selbständige Tätigkeit als Golflehrer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie legt die Verwaltungsakte vor und verweist auf deren Inhalt sowie die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Die Beteiligten wurden im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 27.07.2012 angehört und haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der SG-Akte Bezug genommen.

Gründe

I.

Die form- und fristgerecht beim zuständigen Sozialgericht erhobene Klage, über die die Kammer nach Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Aufgrund einer Ermessensreduktion auf Null hat der Kläger einen Leistungsanspruch gegen die Beklagte.

II.

1. Gemäß § 93 Abs. 1 SGB III können Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten. Bevor die Bundesagentur für Arbeit jedoch eine Ermessensentscheidung über die Bewilligung eines Gründungszuschusses treffen kann, müssen die Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 SGB III erfüllt sein. Hiernach kommt ein Anspruch auf Gründungszuschuss nur dann in Betracht, wenn

1. bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ein Anspruch auf Arbeitslosengeld, dessen Dauer bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Abs. 3 SGB III beruht, besteht,

2. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachgewiesen wird und

3. der Arbeitnehmer seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit darlegt.

Zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung im Sinne des § 93 Abs. 2 Nr. 2 SGB III ist der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen.

Zu Recht sind sich die Beteiligten im vorliegenden Verfahren darüber einig, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 93 Abs. 2 SGB III erfüllt sind. Der Kläger hatte zum Zeitpunkt der Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit noch einen Arbeitslosengeldrestanspruch von weit über 150 Tagen. Die Tragfähigkeit seiner Existenzgründung hat er durch Vorlage einer Stellungnahme einer Steuerberaterin nachgewiesen. Seine Kenntnisse zur Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit als Golflehrer hat er durch die erfolgreiche Absolvierung einer Ausbildung zum Golflehrer nachgewiesen.

2. Nachdem die Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 Abs. 2 SGB III vorliegen, ergibt sich auf der Rechtsfolgenseite die Ermessensentscheidung der Beklagten. Beim Gründungszuschuss bezieht sich das Ermessen der Verwaltung darauf, ob sie einen Gründungszuschuss bewilligen will (Entschließungsermessen). Der Beklagten wird durch die gesetzliche Regelung des § 93 SGB III allerdings kein freies Ermessen eingeräumt, sondern ein pflichtgemäßes, d. h. rechtlich gebundenes Ermessen (vgl. § 39 SGB I). Missachtet ein Leistungsträger bei seiner Entscheidung die rechtlichen Bindungen, liegt ein Ermessensfehler vor, der der Kontrolle der Sozialgerichte unterliegt.

a. Die Ermessensentscheidung der Beklagten ist gerichtlich allerdings nur auf sogenannte Ermessensfehler überprüfbar. Im Einzelnen sind folgende Ermessensfehler zu unterscheiden (nach Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 7 Rdnr. 19, 23): Bei einem Ermessensnichtgebrauch bzw. einer Ermessensunterschreitung macht die Behörde von dem ihr zustehenden Ermessen keinen Gebrauch. Das ist der Fall, wenn sie irrtümlich davon ausgeht, sie sei zwingend zum Einschreiten verpflichtet (vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 1997, 677 f.). Bei einer Ermessensüberschreitung wählt die Behörde eine Rechtsfolge, die in der Ermächtigungsgrundlage nicht vorgesehen ist. Von einem Ermessensfehlgebrauch ist auszugehen, wenn sich die Behörde bei ihrer Entscheidung nicht ausschließlich vom Zweck der Ermessensvorschrift leiten lässt, sondern sich auf sachfremde Erwägungen stützt. Möglich ist auch, dass die Behörde die vom Gesetz für maßgeblich gehaltenen Gesichtspunkte nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt oder gegen Grundrechte verstößt. Bei einer Ermessensreduzierung kann das Ermessen der Verwaltung im Einzelfall derart eingeschränkt sein, dass nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei ist. In diesem Fall spricht man von einer Ermessensreduktion auf Null (vgl. BVerwG DVBl 1998, 145; BVerwG NJW 1998, 3728; BVerwG NVwZ 2002, 730, 732; BVerwG NJW 2003, 601). Sie hat zur Folge, dass ausnahmsweise aus einer Ermessensentscheidung eine gebundene Entscheidung wird (Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 7 Rdnr. 24 f.). Begehrt der Bürger einen Verwaltungsakt, dessen Erlass im Ermessen der Behörde liegt, führt eine Ermessensreduktion auf Null dazu, dass ein Anspruch auf den begehrten Verwaltungsakt besteht. Indiz für eine Ermessensreduktion auf Null ist z. B. eine Gefährdung von Gesundheit oder Leben (Lemke JA 2000, 150; BVerwG NJW 2003, 601).

b. Die vorliegende Entscheidung der Beklagten leidet an gravierenden Ermessensfehlern. Die einzig ermessensfehlerfreie Entscheidung ist im vorliegenden Fall die Gewährung eines Gründungszuschusses an den Kläger.

Soweit sich die Beklagte auf den in § 4 Abs. 2 SGB III geregelten Vorrang der Vermittlung im Verhältnis zu den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung beruft, geht sie zunächst von einem fehlerhaften Ausgangspunkt aus. Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger deshalb in eine Helfertätigkeit, gemeint ist wohl eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, verweisbar ist, weil er keine Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) absolviert hat. Zutreffend ist zwar, dass die Ausbildung zum Golflehrer nicht den Vorschriften des BBiG unterfällt, allerdings gilt dies auch für eine Vielzahl anderer Ausbildungen, wie z. B. die Ausbildung zum Krankenpfleger oder ein Studium. Würde die Auffassung der Beklagten zutreffen, könnte sie sich die Vorhaltung eines Hochschulteams bzw. Team akademische Berufe sparen, da diese Zielgruppe, würde man der Auffassung der Beklagten folgen, sämtlich in Helfertätigkeiten vermittelbar wäre.

Richtigerweise regelt § 140 SGB III die zumutbaren Beschäftigungen. Gemäß § 140 Abs. 3 SGB III ist aus personenbezogenen Gründen eine Beschäftigung einer arbeitslosen Person insbesondere nicht zumutbar, wenn das daraus erzielte Arbeitsentgelt erheblich niedriger ist als das der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrunde liegende Arbeitsentgelt. Diese Vorschrift kann zur Überzeugung der Kammer jedoch für einen Arbeitslosen, der gerade seine Ausbildung abgeschlossenen hat, nur eingeschränkt gelten, da Grundlage der Bemessung des Arbeitslosengeldes lediglich dessen Ausbildungsentgelt wäre. Vielmehr muss in diesen Fällen auch die Vorschrift des § 140 Abs. 1 SGB III berücksichtigt werden. Hiernach sind einer arbeitslosen Person alle ihrer Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen zumutbar, soweit allgemeine oder personenbezogene Gründe der Zumutbarkeit einer Beschäftigung nicht entgegenstehen. Aus personenbezogenen Gründen ist es einer Person, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen hat, nicht zumutbar, schon vom Beginn der Arbeitslosigkeit an auf allgemeine Helfertätigkeiten verwiesen zu werden.

Der Verweis der Beklagten auf Helfertätigkeiten ist vorliegend auch aus anderen Gründen abwegig. Mit dem Kläger wurde in einer Eingliederungsvereinbarung als Eingliederungsziel (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 SGB III) die Tätigkeit als Golflehrer vereinbart. Diese Vereinbarung hat zumindest ermessenslenkende Wirkung. Im vorliegenden Fall führt sie dazu, dass die Beklagte den Kläger während der Laufzeit der Eingliederungsvereinbarung primär nicht auf Helfertätigkeiten verweisen kann. Bei ihrer Ermessensausübung hat die Beklagte diesen Aspekt gänzlich außer Betracht gelassen. Die Vereinbarung führt zur Überzeugung der Kammer im vorliegenden Fall dazu, dass die einzig ermessensfehlerfreie Entscheidung die Bewilligung eines Gründungszuschusses für die Aufnahme einer hauptberuflichen selbstständigen Tätigkeit als Golflehrer ist. Die Beklagte führt im Übrigen ihre Berufung auf den Vermittlungsvorrang selbst ad absurdum, da sie dem Kläger sowohl im Ausgangs-, wie auch erneut im Widerspruchsbescheid eine Weiterbildungsmaßnahme in Aussicht stellte. Eine Weiterbildungsmaßnahme ist jedoch ebenso eine Maßnahme der aktiven Arbeitsförderung wie der Gründungszuschuss. Warum für eine Weiterbildungsmaßnahme im Unterschied zum Gründungszuschuss kein Vermittlungsvorrang gelten soll, vermochte die Beklagte nicht zu erklären. Des weiteren ist die Beklagte mit keinem Wort darauf eingegangen, dass gem. § 4 Abs. 2 aE SGB III der Vermittlungsvorrang dann nicht gilt, wenn die Leistung der aktiven Arbeitsförderung für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich ist. Es liegt vorliegend auf der Hand, dass die Vermittlung des Klägers in eine Helfertätigkeit nicht von Dauer wäre. Im Gegensatz dazu bietet die Bewilligung eines Gründungszuschusses die besten Aussichten für eine dauerhafte Integration des Klägers in den Arbeitsmarkt, da er einerseits in seinem erlernten Beruf tätig werden kann. Andererseits werden Golflehrer, ebenso wie Tennislehrer, typischerweise selbstständig tätig, so dass im vorliegenden Fall eine dauerhafte Eingliederung des Klägers in den Arbeitsmarkt nur mit Hilfe eines Gründungszuschusses gelingen kann. Zu Guter Letzt sei darauf hingewiesen, dass die Beklagte in ihrer schriftlichen Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages (Ausschussdrcks. 17(11)594, S. 60) zu Recht davon ausging, dass der Gründungszuschuss bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 Abs. 2 SGB III eine quasi Pflichtleistung darstellt und eine Ablehnung wenig realistisch ist. Ausnahmen sind lediglich dann denkbar, wenn der Gründungszuschuss nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung erforderlich ist, weil die selbstständige hauptberufliche Tätigkeit einen derart hohen Gewinn abzuwerfen erwarten lässt, dass ein Gründungszuschuss nicht erforderlich ist. Dies ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

c. Für die Kammer ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, dass die Beklagte Ermessenserwägungen anstellen könnte, die dazu führen, dass sie rechtmäßigerweise die Bewilligung eines Gründungszuschusses ablehnen kann, so dass dem Kläger im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null ein Leistungsanspruch gegen die Beklagte auf Bewilligung eines Gründungszuschusses zusteht. Der Anspruch des Klägers besteht vom Beginn der selbständigen Tätigkeit am 01.03.2012 bis zum 31.08.2012 (§ 94 Abs. 1 SGB III).

Der Klage war nach dem Gesagten stattzugeben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 105 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 193 Abs. 1 Satz 1, § 192 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 184 Abs. 2 SGG.

Das Gericht hält es in Ausübung seines Ermessens für angebracht, der Beklagten Missbrauchskosten gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG aufzuerlegen. Denn sie hat den Rechtsstreit fortgeführt, obwohl sie vom Kammervorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung vor Augen geführt bekam und auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist.

Die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung ist anzunehmen, wenn ein Rechtsstreit trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit geführt oder weitergeführt wird (Bundesverfassungsgericht, 26.11.1985, 2 BvR 851/84; Groß, in Lüdtke, SGG, § 192 Rdnr. 10). Die Missbräuchlichkeit im vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens am Vermittlungsvorrang gemäß § 4 Abs. 2 SGB III festgehalten hat, obgleich die Berufung auf den Vermittlungsvorrang im folgenden Fall völlig aussichtslos ist. Wie oben ausgeführt, hat sich die Beklagte selbst den Weg zur Berufung auf den Vermittlungsvorrang verbaut, indem sie dem Kläger Weiterbildungsmaßnahmen angeboten hat, obgleich es sich bei Weiterbildungsmaßnahmen ebenso wie beim Gründungszuschuss um eine Maßnahme der aktiven Arbeitsförderung handelt. Des weiteren hat sie eklatant verkannt, dass mit dem Kläger im Rahmen der Eingliederungsvereinbarung als Eingliederungsziel die Aufnahme einer Tätigkeit als Golflehrer im Umkreis von 100 km vereinbart wurde. Die vom Kläger nunmehr aufgenommene selbstständige Tätigkeit erfüllt genau diese Kriterien. Letztlich hat sie gegenüber dem Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales selbst eingeräumt, dass die Versagung eines Gründungszuschusses bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 SGB III wenig realistisch ist. Bei einem solchen nicht mehr nachvollziehbaren und unbegründeten Fortsetzen des Prozesses sind Missbrauchskosten zu verhängen. Das Verhalten der Beklagten legt den Schluss nahe, dass es im vorliegenden Fall einzig und allein um die Ablehnung eines Gründungszuschusses ging, ohne dass den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung getragen wurde.

Durch die missbräuchliche Fortführung des Rechtsstreits und der notwendig gewordenen, schriftlichen Entscheidung der Kammer, sind dem Gericht und damit der Staatskasse vermeidbare Kosten, etwa in Form allgemeiner Gerichtshaltungs- und Personalkosten, ursächlich entstanden. Bei der Höhe der auferlegten Kosten hat die Kammer berücksichtigt, dass die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung das Privileg der staatlich finanzierten Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens entfallen lässt (vgl. LSG Baden-Württemberg, 10.05.2011 – L 13 AS 3170/10). Die Kammer hat sich bei der Schätzung der der Beklagten aufzuerlegenden Kosten gemäß § 202 SGG i.V.m. § 282 Zivilprozessordnung (ZPO) daran orientiert, dass allein für das Absetzen des schriftlichen Urteils als Zeitaufwand mindestens 1,5 Richter-Arbeitsstunden anzusetzen sind. Die Richter-Arbeitsstunde wurde bereits 1986/1987 vorsichtig auf 350,00 DM bis 450,00 DM = 178,95 EUR bis 230,08 EUR) geschätzt. Vor diesem Hintergrund hielt es die Kammer für angebracht, einen Betrag von 300,00 EUR festzusetzen. Letztlich sei auch darauf hingewiesen, dass die Verhängung von Missbrauchskosten gemäß § 192 SGG kein subjektives Element in Form von Verschulden (mehr) erfordert.

Dieser Beitrag wurde unter Sozialrecht abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.