Zur Darlegungslast des Mieters zu Mängeln der Mietwohnung

BGH, Urteil vom 03.12.2012 – VIII ZR 181/12

Es liegt auf der Hand, dass die Nutzung einer Dachgeschosswohnung erheblich eingeschränkt ist, wenn über einen Zeitraum von rund einer Woche sämtliche Dachziegel entfernt und über eine Bauschuttrutsche in einen Container zum Abtransport befördert werden. Die eingereichten Lichtbilder belegen zudem, dass der Balkon durch herabgefallenen Schutt in Mitleidenschaft gezogen war und dass das unmittelbar vor den Fenstern ihrer Wohnung aufgebaute Gerüst eine erhebliche Beeinträchtigung darstellte. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Annahme einer Minderung auch nicht entgegen, dass die Beklagte sich während der Dacharbeiten nicht durchgehend in ihrer Wohnung aufgehalten hat (Rn. 17).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 8. Mai 2012 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 399,60 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten verurteilt worden ist. Insoweit wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 1. Dezember 2011 zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 1/10 und die Beklagte zu 9/10 zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist seit Oktober 2006 Mieterin einer preisgebundenen Wohnung der Klägerin in B. . Nach dem Mietvertrag war zusätzlich die jeweils zulässige Miete als vertragliche Miete vereinbart. Zunächst betrug die Miete 446 € zuzüglich 141 € Nebenkostenvorauszahlungen.

2

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2010 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass die im Mietvertrag vorgesehene Abwälzung der Schönheitsreparaturen unwirksam sei und sie im Hinblick darauf nach § 28 Abs. 4 II. BV zu einer Mieterhöhung um 9,41 € je qm, insgesamt 60,80 € monatlich, berechtigt sei; diese Zahlungen wurden von der Beklagten ab Dezember 2010 erbracht. Mit Schreiben vom 19. November 2010 verlangte die Klägerin die um 60,80 € monatlich erhöhte Kostenmiete außerdem rückwirkend ab 1. Dezember 2009.

3

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Mietgebrauch ihrer im Dachgeschoss gelegenen Wohnung durch ein an der Fassade des Gebäudes in der Zeit vom 20. September 2010 bis zum 19. Januar 2011 angebrachtes Gerüst sowie durch die Abdeckung des Daches in der Zeit vom 20. bis 26. September 2010 erheblich beeinträchtigt gewesen und die Miete deshalb im jeweiligen Zeitraum in Höhe von 10 % wegen des Gerüsts und in Höhe von 40 % wegen der Dacharbeiten gemindert sei. Insoweit hat sie die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Erstattung der zunächst gezahlten Miete erklärt.

4

Die Klägerin hat – soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse – Zahlung der Erhöhungsbeträge für den Zeitraum Dezember 2009 bis November 2010, insgesamt 729,60 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten, begehrt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage bis auf einen Teil der Nebenforderung stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision hat zum Teil Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

7

Der Klägerin stehe die erhöhte Kostenmiete für den von ihr geltend gemachten Zeitraum zu. Sie sei berechtigt, einen Zuschlag nach § 28 Abs. 4 II. BV zu verlangen, weil die im Mietvertrag vorgesehene Abwälzung der Schönheitsreparaturen auf den Mieter unwirksam sei und sie deshalb ohne den Zuschlag nicht die volle Kostenmiete erhalte. Die Beifügung einer Wirtschaftlichkeitsberechnung sei entbehrlich, da diese der Beklagten aufgrund eines Vorprozesses bekannt und daher eine Zusatzberechnung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 WoBindG ausreichend gewesen sei. Eine Berechnung und Erläuterung des Betrages sei nicht erforderlich gewesen, da es sich um eine vom Gesetz zugelassene pauschale Erhöhung gehandelt habe.

8

Die Mieterhöhung verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben. Dass die Beklagte zu Beginn des Mietverhältnisses Schönheitsreparaturen durchgeführt habe, könne eine Treuwidrigkeit schon deshalb nicht begründen, weil der von der Klägerin geforderte Zuschlag die Abnutzung der Wohnung während des laufenden Mietverhältnisses abgelten solle, also eine andere Zielrichtung habe.

9

Die Klägerin sei auch zur rückwirkenden Geltendmachung des Zuschlags berechtigt. Zwar greife § 4 Abs. 8 Satz 2 NMV nicht direkt ein, da die Klägerin den Zuschlag im Hinblick auf die unwirksame Abwälzung der Schönheitsreparaturen schon bei Beginn des Mietverhältnisses hätte fordern können und deshalb keine Änderung der laufenden Aufwendungen eingetreten sei. Es liege aber eine vergleichbare Interessenlage vor, wenn für die Vertragsparteien – wie hier – erst nachträglich erkennbar werde, dass der Vermieter die Schönheitsreparaturen zu tragen habe und er die Kosten hierfür im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsberechnung auf den Mieter umlegen könne; dies rechtfertige eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 8 Satz 2 NMV.

10

Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung sei unwirksam, da ihr kein Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Miete zustehe. Die Beklagte habe keine erheblichen Beeinträchtigungen dargelegt, die eine Minderung rechtfertigen könnten. Aus der Aufstellung der Beklagten ergebe sich, dass sie die Beeinträchtigungen nur an zweieinhalb Tagen habe wahrnehmen können und sich die von den Arbeiten ausgehenden üblichen Beeinträchtigungen im Rahmen des Zumutbaren gehalten hätten. Das bloße Vorhandensein eines Gerüsts berechtige im Übrigen ohnehin nicht zur Minderung.

II.

11

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Das Berufungsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin den Kostenzuschlag für den geltend gemachten Zeitraum auch rückwirkend verlangen kann. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht aber eine Minderung der Miete in dem von der Beklagten geltend gemachten Zeitraum verneint und deshalb die von der Beklagten wegen überzahlter Miete erklärte Aufrechnung als unwirksam angesehen.

12

1. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (Senatsurteil vom 24. März 2010 – VIII ZR 177/09, BGHZ 185, 114 Rn. 12 ff.) geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Vermieter preisgebundenen Wohnraums einen Zuschlag nach § 28 Abs. 4 II. BV für Schönheitsreparaturen verlangen kann, wenn sich herausstellt, dass die im Mietvertrag vorgesehene Abwälzung der Schönheitsreparaturen auf den Mieter nicht wirksam ist und der Vermieter deshalb angesichts seiner Verpflichtung zur Ausführung der Schönheitsreparaturen einen geringeren Betrag als die Kostenmiete erhält.

13

a) Entgegen der Auffassung der Revision war das auf Zahlung dieses Zuschlags gerichtete Mieterhöhungsbegehren der Klägerin nicht im Hinblick auf eine von der Beklagten durchgeführte und noch nicht abgewohnte Anfangsrenovierung treuwidrig und deshalb unzulässig. Der Zuschlag nach § 28 Abs. 4 II. BV dient dazu, die in unregelmäßigen Abständen – je nach Fälligkeit der Schönheitsreparaturen – anfallenden Kosten zeitanteilig auf die Mietzeit zu verteilen; hieran ändert sich durch eine vom Mieter durchgeführte Anfangsrenovierung nichts. Mit dem Zuschlag werden entgegen der Auffassung der Revision nicht die Kosten der Anfangsrenovierung abgegolten, sondern die seither eintretende Abnutzung, die eine spätere erneute Renovierung erforderlich machen wird und deren anteilige Kosten durch den pauschal berechneten Zuschlag abgedeckt werden sollen. Entgegen der Auffassung der Revision hat die Klägerin die Beklagte auch nicht durch eine unwirksame Renovierungsklausel zur Vornahme der Anfangsrenovierung veranlasst, denn eine Verpflichtung zu einer Anfangsrenovierung war der Beklagten nicht auferlegt.

14

b) Zutreffend hat das Berufungsgericht ferner angenommen, dass die Klägerin ihr Mieterhöhungsbegehren ausreichend begründet hat. Da die Erhöhung lediglich den (pauschalen) Zuschlag nach § 28 Abs. 4 II. BV betraf, bedurfte es keiner Vorlage einer Wirtschaftlichkeitsberechnung über die im Übrigen unveränderte Grundmiete. Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, dass die Klägerin den gesetzlich zulässigen pauschalen (Höchst-)Betrag ansetzen durfte, ohne zu erläutern, warum sie nicht einen unterhalb dieser Grenze liegenden Betrag gewählt hatte; anderenfalls hätte die Klägerin entgegen dem Zweck der Pauschalierung konkrete Berechnungen anstellen müssen.

15

c) Dem Berufungsgericht ist schließlich auch darin beizupflichten, dass die Klägerin den Zuschlag rückwirkend für den Zeitraum ab 1. Dezember 2009 verlangen kann (§ 4 Abs. 8 Satz 2 NMV). Ob bei dem Zuschlag, den der Vermieter für die nicht wirksam abgewälzten Schönheitsreparaturen verlangt, eine „Änderung von laufenden Aufwendungen“ gegenüber der ursprünglichen Wirtschaftlichkeitsberechnung vorliegt, hat der Senat schon im Rahmen des § 8a Abs. 3 WoBindG, § 4 Abs. 1 Satz 1 NMV 1970 offen gelassen (Senatsurteil vom 24. März 2010 – VIII ZR 177/09, aaO Rn.18). Diese Frage bedarf auch im Rahmen des § 4 Abs. 8 Satz 2 NMV 1970 keiner Entscheidung, da auch hier zumindest eine analoge Anwendung geboten ist. Denn nach dem Zweck der Kostenmiete ist der hier gegebene Fall, dass die Aufwendungen von vornherein (zunächst unerkannt) höher als die Kosten waren, ebenso zu behandeln wie eine nachträgliche Erhöhung der laufenden Aufwendungen.

16

2. Zu Recht beanstandet die Revision jedoch, dass das Berufungsgericht die Beeinträchtigungen des Mietgebrauchs durch das während eines Zeitraums von vier Monaten an der Fassade des Hauses angebrachte Gerüst und die rund eine Woche andauernden Dacharbeiten als unerheblich angesehen und deshalb gemeint hat, der Beklagten stehe mangels einer Minderung der Miete auch kein Rückforderungsanspruch wegen einer eingetretenen Überzahlung zu.

17

Das Berufungsgericht überspannt die an die Darlegung eines Mangels zu stellenden Anforderungen, wenn es den detaillierten und durch Lichtbilder veranschaulichten Vortrag der Beklagten über die Mietmängel für unsubstantiiert hält. Es liegt auf der Hand, dass die Nutzung einer Dachgeschosswohnung erheblich eingeschränkt ist, wenn über einen Zeitraum von rund einer Woche sämtliche Dachziegel entfernt und über eine Bauschuttrutsche in einen Container zum Abtransport befördert werden. Die von der Beklagten eingereichten Lichtbilder belegen zudem, dass ihr Balkon durch herabgefallenen Schutt in Mitleidenschaft gezogen war und dass das unmittelbar vor den Fenstern ihrer Wohnung aufgebaute Gerüst eine erhebliche Beeinträchtigung darstellte. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Annahme einer Minderung auch nicht entgegen, dass die Beklagte sich während der Dacharbeiten nicht durchgehend in ihrer Wohnung aufgehalten hat.

III.

18

Das Berufungsurteil kann somit bezüglich der Entscheidung zur Aufrechnung keinen Bestand haben, es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat entscheidet in der Sache selbst, da es keiner weiteren Feststellungen bedarf (§ 563 Abs. 3 ZPO). Unter Berücksichtigung einer geschuldeten Miete von 522 € zuzüglich Nebenkosten (laut Mietvertrag monatliche Vorauszahlungen in Höhe von 141 €), der erheblichen Beeinträchtigungen während der vom 20. bis 26. September 2010 andauernden Dacharbeiten und der (geringeren, aber nicht unerheblichen) Beeinträchtigungen durch das unmittelbar vor den Fenstern der Wohnung aufgebaute Gerüst bis zum 19. Januar 2011 hält der Senat die von der Beklagten angesetzte Minderungsquote, aus der sich ein Betrag von rund 330 € ergibt, für angemessen, so dass nach der Aufrechnung von der Klageforderung lediglich ein Betrag von 399,60 € verbleibt. Bezüglich des darüber hinausgehenden Betrages ist deshalb die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. Die weitergehende Revision ist bezüglich des Zahlungsantrags zurückzuweisen.

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