BAG, Urteil vom 18.04.2012 – 5 AZR 195/11
Ist keine kalendertägliche Arbeitszeit vereinbart, kann der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit kraft seines Weisungsrechts nach billigem Ermessen innerhalb des geltenden Zeitrahmens gemäß § 106 Satz 1 GewO bestimmen. Überstunden werden danach erst dann geleistet, wenn der Rahmen überschritten ist (Rn. 20).
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2010 – 2 Sa 20/10 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Vergütung von Überstunden.
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Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1990 als Fernfahrer im Linienverkehr zu einer Bruttomonatsvergütung von 2.450,00 Euro beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nicht.
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Mit der am 12. März 2009 eingereichten Klage hat der Kläger zunächst Vergütung für 713 Überstunden in der Zeit von November 2006 bis April 2008 verlangt und dabei eine 40-Stunden-Woche zugrunde gelegt. Das Arbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich der Arbeitsstunden stattgegeben, die über 48 Wochenstunden hinausgingen. Dabei hat es Zeiten für die Durchführung der Abfahrtskontrolle und der Fahrzeugpflege sowie für Fahrten von Z nach U bzw. umgekehrt in Abzug gebracht.
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Mit der Berufung hat der Kläger Überstundenvergütung für die an Samstagen, an Sonn- und Feiertagen sowie montags bis freitags über acht Stunden hinaus erbrachten Arbeitsstunden geltend gemacht. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die zweitinstanzliche Klageerweiterung abgewiesen.
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Mit der vom Senat beschränkt zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren mit der Maßgabe weiter, dass er Überstunden auf der Basis einer 48-Stunden-Woche taggenau berechnet. Für 307 Stunden und 46 Minuten begehrt er den von den Vorinstanzen zugrunde gelegten Bruttostundenlohn von 11,79 Euro.
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Der Kläger hat – soweit für die Revision noch von Interesse – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 3.628,37 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. Januar 2008 zu zahlen.
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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Mit dem Kläger sei keine tägliche Arbeitszeit vereinbart worden.
Entscheidungsgründe
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A. Die Revision ist unzulässig, soweit der Kläger weitere Vergütung für Zeiten der Abfahrtskontrolle und der Fahrten von Z nach U iHv. 188,64 Euro brutto geltend macht.
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I. Gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO hat sich die Revisionsbegründung mit den tragenden Gründen des Berufungsurteils auseinanderzusetzen. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (st. Rspr. vgl. BAG 27. Juli 2010 – 1 AZR 186/09 – Rn. 13, NZA 2010, 1446; 19. März 2008 – 5 AZR 442/07 – Rn. 13, AP ZPO § 551 Nr. 65 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 8). Hat das Berufungsgericht über mehrere selbständige Streitgegenstände mit jeweils eigenständiger Begründung entschieden, muss die Revision für jeden Streitgegenstand begründet werden, andernfalls ist sie hinsichtlich des nicht begründeten Streitgegenstandes unzulässig (BAG 15. März 2006 – 4 AZR 73/05 – Rn. 18, AP ZPO § 551 Nr. 63 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 2; 19. April 2005 – 9 AZR 184/04 – zu I 2 der Gründe, AP BErzGG § 15 Nr. 43 = EzA BErzGG § 15 Nr. 14).
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II. Das Berufungsgericht ist in den Entscheidungsgründen den Gründen des arbeitsgerichtlichen Urteils gefolgt. Das Arbeitsgericht wiederum hat die Klage auf Vergütung für Zeiten der Abfahrtskontrolle bzw. der Fahrten von Z nach U, soweit diese fünf bzw. 40 Minuten überstiegen, abgewiesen, weil die Beklagte den Umfang der in Ansatz gebrachten Zeiten substantiiert bestritten habe und der Kläger insoweit beweisfällig geblieben sei. Mit dieser Begründung setzt sich die Revision nicht auseinander.
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B. Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts, das die Klage teilweise abgewiesen hat, zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat keine weitere Überstundenvergütung zu beanspruchen.
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I. Das Berufungsurteil ist nicht bereits deshalb aufzuheben, weil es entgegen § 69 Abs. 3 ArbGG keinen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Tatbestand enthält.
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1. Ein Berufungsurteil muss einen den Anforderungen des § 69 Abs. 3 ArbGG genügenden Tatbestand enthalten. Diese Vorschrift verlangt für Urteile, gegen die die Revision statthaft ist, eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstands. Eine Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil ist nur zulässig, wenn unzweifelhaft kein Rechtsmittel gegeben ist. Das ist angesichts der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht schon der Fall, wenn die Revision vom Landesarbeitsgericht nicht zugelassen worden ist (BAG 24. März 2011 – 2 AZR 170/10 – Rn. 11 mwN, EzA SGB IX § 84 Nr. 8).
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2. Einem Urteil ohne Tatbestand kann in der Regel nicht entnommen werden, welchen Streitstoff das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Damit ist dem Revisionsgericht eine abschließende Überprüfung verwehrt. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Zweck des Revisionsverfahrens dessen ungeachtet erreicht werden kann, weil der Sach- und Streitstand sich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage ausreichenden Umfang ergibt (BAG 24. März 2011 – 2 AZR 170/10 – Rn. 12 mwN, EzA SGB IX § 84 Nr. 8).
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3. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Berufungsurteil hat auf die Anlage K 12 und auf das erstinstanzlich eingereichte Anlagenkonvolut B 6, aus denen sich die Grundlagen der Berechnung entnehmen lassen, Bezug genommen und in den Entscheidungsgründen die Berechnungsweise des Klägers erläutert.
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II. Der Kläger kann keine Vergütung weiterer Überstunden beanspruchen.
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1. Bei Fehlen einer (wirksamen) Vergütungsregelung verpflichtet § 612 Abs. 1 BGB den Arbeitgeber, Überstunden zusätzlich zu vergüten, wenn deren Leistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.
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2. Doch hat der Kläger nur insoweit Überstunden geleistet, als er mehr als die nach § 21a Abs. 4 ArbZG zulässige Arbeitszeit gearbeitet hat. Dh. als Überstunden sind nur die Arbeitszeiten zu berücksichtigen, die wöchentlich 60 Stunden überschritten oder im Durchschnitt von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen zu einer Überschreitung der 48-Stunden-Woche führten. Dies folgt aus der arbeitsvertraglichen Arbeitszeitregelung der Parteien.
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a) Wie das Arbeitsgericht aufgrund der persönlichen Anhörung des Klägers und des Geschäftsführers der Beklagten festgestellt hat, haben die Parteien anlässlich der Einstellung vereinbart, dass der Kläger die Arbeitsleistung schulde, die arbeitszeitrechtlich erlaubt sei. Durch diese Individualvereinbarung haben die Parteien arbeitsvertraglich die Hauptleistungspflicht des Klägers dahingehend konkretisiert, dass zeitdynamisch das jeweils geltende Arbeitszeitrecht für Kraftfahrer den Umfang der Arbeitspflicht bestimmen sollte. Damit verwiesen die Parteien ursprünglich auf die Arbeitszeitverordnung, ab Juni 1994 auf das Arbeitszeitgesetz und ab September 2006 speziell auf § 21a ArbZG. Eine solche Vereinbarung erfasst nicht nur die tägliche oder wöchentliche Höchstarbeitszeit, sondern auch die gesetzlich vorgegebenen Ausgleichszeiträume. Denn diese sind konstitutiver Bestandteil der öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitregelung und nehmen grundlegenden Einfluss auf das Arbeitsleben. Die mit ihnen verbundene Flexibilisierung ist ein Kennzeichen des Arbeitszeitschutzrechts. Diese Auslegung berücksichtigt zudem das Berufsbild eines Fernfahrers, dessen Arbeitszeit sich an den durchzuführenden Touren orientiert und der seine Arbeitsleistung nicht gleichbleibend an allen Tagen jeder Kalenderwoche erbringt.
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b) Ist keine kalendertägliche Arbeitszeit vereinbart, kann der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit kraft seines Weisungsrechts nach billigem Ermessen innerhalb des geltenden Zeitrahmens gemäß § 106 Satz 1 GewO bestimmen (vgl. BAG 17. Juli 2007 – 9 AZR 819/06 – Rn. 16, AP ZPO § 50 Nr. 17 = EzA TzBfG § 8 Nr. 17; 23. September 2004 – 6 AZR 567/03 – zu IV 1 der Gründe, BAGE 112, 80). Überstunden werden danach erst dann geleistet, wenn der Rahmen überschritten ist. Entgegen der Auffassung des Klägers folgt die Notwendigkeit einer hiervon abweichenden kalendertäglichen Berechnung nicht aus dem Urteil des Senats vom 3. November 2004 (- 5 AZR 648/03 – AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 49), denn vorrangig ist die im jeweiligen Einzelfall vereinbarte Normalarbeitszeit.
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c) Nach § 21a Abs. 4 ArbZG darf bei Straßenverkehrstätigkeiten von Fahrern und Beifahrern die Arbeitszeit 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Sie kann jedoch auf bis zu 60 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von vier Kalendermonaten oder 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten werden. Der Ausgleichszeitraum ist damit kürzer als der in § 3 Satz 2 ArbZG geregelte. Eine kalendertägliche Betrachtungsweise sieht das ArbZG für Fahrer und Beifahrer nicht vor, vielmehr sind die Grenzen des § 3 ArbZG von werktäglich acht bzw. zehn Stunden in die wochenbezogenen Grenzwerte eingeflossen.
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3. Die Vorinstanzen sind zugunsten des Klägers von einem wöchentlichen Ausgleichszeitraum ausgegangen und haben dem Kläger für die darüber hinausgehenden Arbeitsstunden weitere Vergütung zugesprochen. Diese Berechnungsweise begünstigt den Kläger, belässt aber keinen Raum für eine darüber hinausgehende Feststellung vergütungspflichtiger Überstunden.
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C. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.