Zur außerordentlichen Kündigung eines Fitnessstudiovertrages wegen eines im Zuge der Covid-19-Pandemie verhängten Lockdowns

AG Ibbenbüren, Urteil vom 27. November 2020 – 3 C 300/20

Zur außerordentlichen Kündigung eines Fitnessstudiovertrages wegen eines im Zuge der Covid-19-Pandemie verhängten Lockdowns

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 60,58 EUR zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand
1
(ohne Tatbestand gemäß § 313 a ZPO)

Entscheidungsgründe
2
Die Klage ist begründet.

3
Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagte zu auf Zahlung von 60,58 EUR. Hierbei handelt es sich um den Mitgliedsbeitrag für den klägerseits betriebenen Fitnessclub in X betreffend die Monate Juni und Juli 2020.

4
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien trotz der entsprechenden Bestätigung des Klägers nicht zum 31.05.2020, sondern erst mit Ablauf des 31.07.2020 sein Ende gefunden. Der Fitnessclub war in den Monaten März bis Mai 2020 aufgrund entsprechender behördlicher Anordnung wegen der Corona-Pandemie für insgesamt zwei Monate geschlossen. Dies führte im Ergebnis dazu, dass sich die Vertragslaufzeit um zwei Monate verlängert hat.

5
Haben sich Umstände, die zur Grundlage eines Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrages verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Das Fehlen oder der Wegfall der Geschäftsgrundlage führen grundsätzlich nicht zur Auflösung des Vertrages, sondern zur Anpassung seines Inhaltes an die veränderten Verhältnisse. Das maßgebliche Kriterium für die Anpassung ist die Zumutbarkeit. Erforderlich ist eine umfassende Interessenabwägung und anzustreben ist ein optimaler Interessenausgleich bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung (BGH NJW 2012, 373).

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Die Corona-Pandemie fällt in die Kategorie der Störung der sogenannten „großen Geschäftsgrundlage“. Darunter versteht man die dem Vertrag in der Regel zugrundeliegende Erwartung, dass sich die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen nicht grundlegend verändern. Störungen der großen Geschäftsgrundlage sind beispielsweise Krieg, kriegsähnliche Entwicklungen, Währungsverfall und andere grundlegende Änderungen der politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Verhältnisse (Palandt-Grüneberg, § 313, Rn. 5). Dass die Corona-Pandemie in diese Kategorie einzuordnen ist, liegt auf der Hand. Sie hat massive Auswirkungen auf die Durchführung vieler Verträge und konnte in ihrer Tragweite vor 2020 nicht vorausgesehen werden.

7
Unter Berücksichtigung aller Umstände ist es dem Kläger als Fitnessstudiobetreiber nicht zuzumuten, an dem unveränderten Vertrag festzuhalten. Dies würde nämlich zu einem mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden Ergebnis führen (BGHZ 133, 321; BGH NJW 2012, 1718). Der Vertrag zwischen den Parteien ist dadurch gekennzeichnet, dass auf der einen Seite der Kläger der Beklagten die Möglichkeit der Nutzung seines Fitnessstudios eröffnet und auf der anderen Seite die Beklagte hierfür die entsprechenden Mitgliedsbeiträge zahlt. Im Ausgangspunkt trägt jede Vertragspartei das Risiko ihrer geschuldeten Leistung. Die Corona-Pandemie, die Anlass für die behördliche Schließung des Fitnessstudios war, bringt Gesundheits- und Sicherheitsrisiken mit sich, die beide Parteien gleichermaßen betreffen, so dass nicht eine der Parteien allein mit den Folgen zu belasten ist. Vielmehr ist ein solidarisches Handeln der Gesellschaft und eine gerechte Lastenverteilung gefordert. Die Anpassung/Verlängerung des Vertrages ist unter diesen Umständen für die Beklagte zumutbar, weil sie zu einem Vertragsinhalt führt, der einer Überprüfung am Maßstab eines hypothetischen Parteiwillens standhält und den die Parteien in Kenntnis der geänderten Umstände, wenn sie sie vorher gekannt hätten, vereinbart hätten. In dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag hat der Kläger der Beklagten die Möglichkeit eingeräumt, eine Ruhezeit in Anspruch zu nehmen, in der die beiderseitigen Vertragspflichten ausgesetzt sind mit der Folge, dass sich das ordentliche Vertragsende entsprechend der gewährten Ruhezeit zeitlich nach hinten verschiebt. Hätten die Parteien vorausgesehen, dass eine Pandemie entsteht und aufgrund dessen die Nutzung des Fitnessstudios behördlicherseits untersagt werden würde, hätten sie per Vertragsschluss eine entsprechende Ruhezeitregelung auch bei einer solchen Schließungsphase in den Vertrag aufgenommen. Jedenfalls hätte sich die Beklagte dem redlicherweise nicht verschließen können. Auch unter finanziellen Gesichtspunkten ist die entsprechende Vertragsanpassung nach § 313 BGB für die Beklagte zumutbar. In den zwei Monaten während der behördlicherseits angeordneten Schließung des Fitnessstudios konnte sie nicht trainieren und hat auf der anderen Seite auch keine Mitgliedsbeiträge gezahlt. Wäre die Schließung nicht erfolgt, hätte sie trainieren können und Mitgliedsbeiträge zahlen müssen. Genau dies wird nun dadurch hergestellt, dass sich der Vertrag um zwei Monate verlängert. Im Ergebnis hat die Beklagte damit während der gesamten Vertragslaufzeit bis zum 31.07.2020 genau diejenigen Beträge zu zahlen, die sie gezahlt hätte, wenn es die Corona-Pandemie nicht gäbe.

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Zur weiteren Begründung nimmt das Gericht Bezug auf die klägerseits genannten Entscheidungen des Amtsgerichts Torgau und des Landgerichts Würzburg. Diese Entscheidungen hat die Beklagte offensichtlich nicht hinreichend gelesen. Zwar ist ihr zuzugeben, dass die Entscheidungen nicht exakt den gleichen Sachverhalt betreffen, wie denjenigen, der hier zu beurteilen ist. Die Entscheidungsgründe und die Argumentationen in den genannten Urteilen treffen hingegen dieselbe Konstellation wie hier. Soweit die Beklagte hinsichtlich der Entscheidung des Landgerichts Würzburg darauf verweist, im dortigen Fall habe es sich um eine kostenlose Vertragsverlängerung aufgrund der Corona-Pandemie gehandelt, übersieht sie, dass – anders als hier der Kläger – der dortige Fitnessstudiobetreiber während der coronabedingten Schließungszeit die Mitgliedsbeiträge eingezogen hatte. Irrelevant ist, dass die Beklage bereits zum 31.05.2020 ihren Club-Ausweis, Chipkarte etc. zurückgegeben hat. Der Kläger hatte ihr nämlich bereits mit Schreiben vom 14.05.2020 mitgeteilt, dass der Vertrag noch bis zum 31.07.2020 läuft, und ihr alternativ einen Gutschein für einem 2-monatige Trainingszeit in einem Zeitraum ihrer Wahl angeboten.

9
Da sich der Vertrag zwischen den Parteien im Ergebnis aufgrund der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB um zwei Monate verlängert hat, hat die Beklagte die entsprechenden Monatsbeiträge zu entrichten. Diese belaufen sich auf 60,58 EUR. Der Klage war daher stattzugeben.

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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

11
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 ZPO ersichtlich nicht gegeben sind.

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