OLG München, Urteil vom 02.02.2012 – 1 U 5333/10
Es ist nicht zu beanstanden, wenn bei bei einer Struma-Operation im Jahre 1994 nicht auch sämtliche zentrale Lymphknoten mit ausgeräumt wurden, da eine derartige Maßnahme im Jahre 1994 weder nach den einschlägigen Leitlinien noch nach der gängigen ärztlichen Praxis oder dem von den Beklagten geschuldeten Facharztstandard erforderlich und geboten war. Der Umstand, dass die Entfernung der zentralen Lymphknoten in späteren Jahren Facharztstandard wurde, ist für den streitgegenständlichen Fall nicht entscheidungserheblich (Rn. 37).
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11.10.2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern die Beklagten nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die Beklagten aus Arzthaftung in Anspruch.
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Bei der am 7.6.1941 geborenen Klägerin wurde am 26.7.1994 ein suspekter Befund der Schilddrüse festgestellt. Am 6.8.1994 suchte die Klägerin daraufhin die Klinik der Beklagten zu 1) zu einer Erstvorstellung auf. Am 5.10.1994 wurde die Klägerin dort stationär aufgenommen und am 6.10.1994 vom Beklagten zu 3) wegen eines malignen Schilddrüsentumors operiert. Eine zusätzliche vorsorgliche Entfernung der zentralen Lymphknoten erfolgte nicht.
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Am 15.2.2001 ergab eine ambulante Untersuchung den dringenden Verdacht auf ein Rezidiv. Dieses wurde am 19.3.2001 in der Klinik der Beklagten zu 1) vom Zeugen Dr. P. entfernt. Dabei kam es zu einer Schädigung des Stimmbandnervs.
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Die Klägerin hat im ersten Rechtszug vorgebracht, dass ihre Erkrankung im Jahr 1994 im Hause der Beklagten zu 1) fehlinterpretiert worden sei. Es hätte schon zeitnah zur Erstvorstellung und nicht erst mit einer Verspätung von etwa sechs Wochen operiert werden müssen. Es wäre in Anbetracht des Schilddrüsenkarzinoms mit ungünstiger Prognose, an dem die Klägerin erkrankt war, erforderlich gewesen, bei der Operation vom 6.10.1994 auch die zentralen Lymphknoten mit zu entfernen.
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Bei der Operation vom 19.3.2001 sei behandlungsfehlerhaft der Nervus recurrens nicht dargestellt und infolge dessen beschädigt worden.
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Die Klägerin macht Schmerzensgeld, einen Haushaltsführungsschaden und Verdienstausfall sowie Gutachterkosten geltend.
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Die Klägerin hat im ersten Rechtszug beantragt:
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1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 66.500 Euro, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1.2.2003 zu bezahlen.
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2. Die Beklagten werden außerdem gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 134.724 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1.2.2003 zu bezahlen.
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3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin jeglichen weiteren, ihr aus der streitgegenständlichen ärztlichen Falschbehandlung noch entstehenden immateriellen und materiellen Schaden zu ersetzen, sofern entsprechende Ersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie haben geltend gemacht, dass die zeitliche Verzögerung zwischen Erstdiagnose und Erstoperation im Jahr 1994 auf das Verhalten der Klägerin zurückzuführen, jedenfalls aber ohne Bedeutung für den weiteren Krankheitsverlauf gewesen sei. Es sei im Jahr 1994 weder in den Leitlinien vorgesehen noch ärztliche Praxis gewesen, vorsorglich ohne konkreten Befund die zentralen Lymphknoten mit zu entfernen. Unabhängig davon sei ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Verbleib der Lymphknoten und dem weiteren Krankheitsverlauf nicht gegeben.
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Die Nervschädigung anlässlich der Operation vom 19.3.2001 sei schicksalhaft eingetreten.
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Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Erholung zweier schriftlicher chirurgischer Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. Am 11.10.2010 hat das Landgericht den Sachverständigen Prof. Dr. K. angehört.
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Mit Urteil vom 11.10.2010, der Klägerin zugestellt am 18.11.2010, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht München I die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 11.12.2010 eingegangene Berufung der Klägerin, die die Klägerin nach Fristverlängerung am 14.2.2011 begründet hat.
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Die Klägerin bringt vor, dass die zeitliche Verzögerung von sechs Wochen entgegen der Einschätzung des Landgerichts, da es sich nicht um einen langsam wachsenden Tumor gehandelt habe, für das Krankheitsgeschehen durchaus von Belang gewesen sei.
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Es sei auch daran festzuhalten, dass die Entfernung der zentralen Lymphknoten bereits 1994 ärztlichem Standard entsprochen habe.
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Es wäre auch erforderlich gewesen, den in der Sonografie des Klinikums G. erkennbaren Schilddrüsenrest nachträglich operativ zu entfernen.
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Insgesamt sei die Klägerin 1994 bei der Beklagten zu 1) grob fehlerhaft behandelt worden.
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Bei der Operation vom 19.3.2001 sei behandlungsfehlerhaft der Stimmbandnerv verletzt worden. Es sei davon auszugehen, dass keinerlei Maßnahmen zu dessen Schonung erfolgt seien. Der Operateur Dr. P. hätte zu seinem operativen Vorgehen vom Landgericht als Zeuge vernommen werden müssen.
22
Vor der Operation vom 19.3.2001 hätte die Klägerin, was unterblieben sei, darüber aufgeklärt werden müssen, dass in Anbetracht der Vorbehandlung aus dem Jahr 1994 ein erhöhtes Risiko einer Verletzung des Stimmbandnervs bestehe.
23
Die Klägerin beantragt unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils vom 11.10.2010:
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1. Die Beklagten und Berufungsbeklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin/Berufungsklägerin ein angemessenes Schmerzensgeld aus der rechtswidrigen und fehlerhaften Behandlung ab 6.9.1994 zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 66.500 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1.2.2003.
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2. Die Beklagten werden außerdem gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Berufungsklägerin 134.724 Euro aus der rechtswidrigen und fehlerhaften Behandlung ab 6.9.1994 zu bezahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
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3. Es wird festgestellt, dass die Berufungsbeklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Berufungsklägerin aus der rechtswidrigen streitgegenständlichen ärztlichen Fehlbehandlung ab 6.9.1994 jeglichen weiteren materiellen und noch entstehenden immateriellen Schaden zu ersetzen, sofern die Ansprüche nicht auf Sozialleistungsträger oder Dritte übergehen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Die Beklagten machen geltend, dass das Landgericht zutreffend davon ausgegangen sei, dass ein Zeitablauf von wenigen Wochen bis zur Operation vom 6.10.1994 mangels Tumorprogredienz für den Krankheitsverlauf belanglos gewesen sei.
30
Das Landgericht sei im Anschluss an den Sachverständigen Prof. Dr. K. auch zu Recht davon ausgegangen, dass eine vorsorgliche Entfernung der zentralen Lymphknoten nach dem Wissensstand des Jahres 1994 nicht angezeigt gewesen sei. Abgesehen davon seien die Lymphknoten der Klägerin ohnehin erwiesenermaßen sowohl 1994 als auch 2001 tumorfrei gewesen.
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Eine Indikation für eine prophylaktische Zweitoperation habe nach der Operation vom 6.10.1994 zu keinem Zeitpunkt bestanden.
32
Der Zeuge Dr. P. sei bei der Operation vom 19.3.2001 kunstgerecht vorgegangen. Die Klägerin sei vor dieser Operation durch die diensthabende Ärztin Dr. W. ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Im Übrigen hätte sich der Klägerin ohnehin kein Entscheidungskonflikt gestellt. Das Komplikationsrisiko der unvermeidbaren Operation sei in jedem Krankenhaus gleich hoch gewesen.
33
Der Senat hat schriftliche Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 15.9. und 19.10.2011 eingeholt und den Sachverständigen am 26.5. und 22.12.2011 angehört. Am 22.12.2011 wurden die Zeugin Dr. S. und der Zeuge Dr. P. vernommen. Am 26.5.2011 hat der Senat die Klägerin angehört.
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Im Übrigen wird bezüglich des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz auf die Schriftsätze der Klägerin vom 11.2., 9.5., 16.5., 18.8., 21.9., 11.10., 27.10. und 12.12.2011 sowie vom 14.1. und 20.1.2012 sowie auf die Schriftsätze der Beklagten vom 13.4. und 7.9.2011 verwiesen.
Entscheidungsgründe
35
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Den Beklagten fallen weder Behandlungs- noch haftungspflichtige Aufklärungsfehler zur Last.
A.
I.
36
Den Beklagten fällt kein Behandlungsfehler zur Last.
37
1. a) Es ist nicht zu beanstanden, dass bei der Operation vom 6.10.1994 nicht auch sämtliche zentrale Lymphknoten mit ausgeräumt wurden. Eine derartige Maßnahme war, wie der Sachverständige Prof. Dr. K. mehrmals überzeugend dargelegt hat, im Jahre 1994 bei der streitgegenständlichen Strumaoperation weder nach den einschlägigen Leitlinien noch nach der gängigen ärztlichen Praxis oder dem von den Beklagten geschuldeten Facharztstandard erforderlich und geboten. Der Umstand, dass die Entfernung der zentralen Lymphknoten in späteren Jahren Facharztstandard wurde, ist für den streitgegenständlichen Fall nicht entscheidungserheblich. Im Übrigen hat auch Dr. Ke., der Privatgutachter der Klägerin, im Senatstermin vom 26.5.2011 (Seite 5 des Sitzungsprotokolls) bestätigt, dass die Entfernung der zentralen Lymphknoten 1994 noch nicht Facharztstandard war.
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b) Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat weiter dargelegt, dass auch die konkreten Krankheitsumstände der Klägerin keinen Anlass geboten haben, vorsorglich die Lymphknoten mit zu entfernen. Aufgrund der präoperativen Ultraschalluntersuchung gab es keinen Hinweis auf tumorbefallene Lymphknoten. Auch intraoperativ fielen dem Operateur keine verdächtigen Lymphknoten auf.
39
c) Im Übrigen ergäbe sich selbst für den Fall, dass der Senat im Belas- sen der zentralen Lymphknoten einen Behandlungsfehler sähe, keine Haftung der Beklagten. Die Klägerin könnte nicht beweisen, dass sich die unterbliebene Ausräumung der zentralen Lymphknoten nachteilig auf das weitere Krankheitsgeschehen ausgewirkt hat. Eine solche negative Auswirkung käme namentlich dann in Betracht, wenn später ein Krebsbefall von umliegenden Lymphknoten festgestellt worden wäre. Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat überzeugend dargetan, dass dies nicht der Fall war. Bei der Operation vom 9.3.2001 wurden auch die Lymphknoten entfernt. Laut dem histologischen Befund vom 21.3.2001 waren diese tumorfrei. Dies lässt den Rückschluss darauf zu, dass auch 1994 die Lymphknoten nicht tumorbefallen waren. Zwar hat der Sachverständige im Termin vom 22.12.2011 dargelegt, dass es „rein theoretisch“ möglich wäre, dass ein tumorbefallener Lymphknoten von der Krebserkrankung völlig verbraucht wurde und deshalb anschließend nicht mehr auffindbar ist. Der Sachverständige hat jedoch ausdrücklich bestätigt, dass er diese Variante, die einer histologischen Beweisführung, wie der Sachverständige ebenfalls erläutert hat, nicht zugänglich ist, für unwahrscheinlich hält. Soweit Prof. Dr. Pe. in der von der Klägerin mit Schriftsatz vom 20.1.2012 vorgelegten knappen Stellungnahme vom 19.01.2012 einen abweichenden Standpunkt vertritt, bleibt er eine einleuchtende Begründung schuldig. Jedenfalls ist diese von der Klägerin behauptete Variante nicht beweisbar. Der Sachverständige hat im Übrigen auch überzeugend darauf hingewiesen, dass der Krankheitsverlauf wesentlich fulminanter gewesen wäre, wenn im Jahr 1994 eine Lymphknotenmetastasierung vorgelegen hätte.
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Beweiserleichterungen kämen der Klägerin nicht zustatten. Ein grober Behandlungsfehler ist in Anbetracht der unter a) und b) genannten Gesichtspunkte ausgeschlossen. Beweiserleichterungen ergäben sich auch nicht, da diese hier nicht anwendbar ist, aus der Rechtsfigur des Befunderhebungsfehlers. Die Entfernung der Lymphknoten wäre nicht aus diagnostischen Gründen, sondern unter therapeutischen Gesichtspunkten – Meidung einer Metastasierung über die Lymphbahnen – erfolgt. Außerdem wäre aus den vorgenannten Gründen ein reaktionspflichtiger Befund – Tumorbefall der Lymphknoten – nicht hinreichend wahrscheinlich, sondern im Gegenteil in hohem Maße unwahrscheinlich.
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2. a) Bei der Operation vom 6.10.1994 wurde die Schilddrüse selbst im richtigen Umfang entfernt.
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Eine vollständige operative Entfernung der Schilddrüse ist, wie der Sachverständige dem Senat erläutert hat, in 98 % der Fälle, weil dies für den Stimmbandnerv zu gefährlich wäre, nicht möglich. Das verbliebene Schilddrüsengewebe wird mit einer Radio-Jod-Therapie entfernt. Zu Beginn der bei der Klägerin anderweitig durchgeführten Radio-Jod-Therapie betrug, wie der Sachverständige dem Senat ebenfalls erläutert hat, der maßgebliche Thyreoglobulinwert 2,6, nach der Therapie lag er unter der damaligen Nachweisgrenze von 1,6. Damit war von einer gelungenen Radio-Jod-Therapie auszugehen.
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Auch Dr. Ke., der Privatsachverständige der Klägerin, hat im Senatstermin vom 26.5.2011 (Seite 5 des Protokolls) das operative Vorgehen vom 6.10.1994 als korrekt eingestuft.
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Dass es einige Jahre später zu einem Weichteilrezidiv gekommen ist, lässt keinen Rückschluss auf einen unzureichenden Resektionsumfang bei der Erstoperation vom 6.10.1994 zu. Bei dieser Operation wurde, histologisch bestätigt, ein T2-Karzinom entfernt. Das bedeutet, dass der Tumor noch innerhalb der Schilddrüsenkapsel lag und diese noch nicht infiltriert beziehungsweise durchbrochen hatte. Das am 9.3.2001 operierte Weichteilrezidiv lag außerhalb der Schilddrüsenkapsel hinter dem Schlüsselbein. Die Gewebeteile, in denen das Rezidiv aufgetreten ist, müssen beim T2-Befund nicht mit entfernt werden. Wenn im Gebiet der Operation vom 6.10.1994 (fehlerhaft) Tumorgewebe zurückgeblieben wäre, hätte sich auch dort und nicht nur außerhalb dieses Operationsgebietes später ein malignes Rezidiv manifestieren müssen. Deshalb überzeugt auch die Erklärung des Sachverständigen Prof. Dr. K., dass mutmaßlich bereits zum Zeitpunkt der Operation vom 6.10.1994 unerkannt und unerkennbar über den Blutweg Krebszellen über das damalige Operationsgebiet hinaus zur Örtlichkeit des späteren Rezidives hin verschleppt worden waren.
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b) Da sich im Gebiet der Operation vom 6.10.1994 kein Rezidiv gebildet hat, könnte die Klägerin, selbst wenn der Senat davon ausginge, dass seinerzeit fehlerhaft Schilddrüsengewebe belassen wurde, auch nicht nachweisen, dass dies für das im Jahr 2001 operierte Rezidiv ursächlich war. Vielmehr ist dies aus den unter a) genannten Gründen in hohem Maße unwahrscheinlich.
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3. a) Eine prophylaktische Nachoperation war im Jahr 1994 nicht veranlasst. Zwar hat die im Klinikum G. nach der dortigen Radio-Jod-Therapie gefertigte bildgebende Diagnostik ergeben, dass noch Schilddrüsengewebe verblieben war. Es war auch nicht auszuschließen, dass dieses tumorbelastet ist. Dennoch hat der Sachverständige im Hinblick auf dieses relativ geringe Restrisiko und die erhebliche Gefährdung des Stimmbandnervs durch eine Nachoperation die Auffassung vertreten, dass eine solche nicht indiziert beziehungsweise sogar behandlungsfehlerhaft gewesen wäre.
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b) Im Übrigen könnte die Klägerin ohnehin nicht beweisen, dass die unterbliebene Entfernung des Restschilddrüsengewebes das im Jahr 2001 operierte Rezidiv verursacht hat. Vielmehr ist dies, da das Rezidiv nicht und ausschließlich nicht in dem Bereich aufgetreten ist, in dem noch Schilddrüsengewebe verblieben war, in hohem Maße unwahrscheinlich. Eine Nachresektion des verbliebenen Schilddrüsengewebes hätte, wie der Sachverständige Prof. Dr. K. erläutert hat, nicht die Gewebeteile betroffen, wo das Rezidiv aufgetreten ist.
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4. a) Der Senat lässt es dahingestellt sein, aus welchen Gründen sich im Herbst 1994 die Operation um etwa sechs Wochen verzögert hat. Selbst wenn dies auf Umständen beruhen sollte, die die Behandlungsseite und nicht die Klägerin zu vertreten hat, liegt in dieser Verzögerung in Anbetracht der jahrelangen Vorgeschichte jedenfalls kein Behandlungsfehler.
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Prof. Dr. R., der Privatgutachter der Klägerin, hat in der Stellungnahme vom 3.3.2010 (Anlage K25 zum Schriftsatz der Klägerin vom 15.3.2010) ausgeführt: „Die Wartezeit bis zur Operation (6 Wochen) war angesichts einer stets langsamen, schleichenden Progredienz von differenzierten Schilddrüsentumoren vertretbar und stellt keine schuldhafte Verzögerung dar“.
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b) Selbst wenn der Senat davon ausginge, dass die Beklagten verpflichtet gewesen wären, die Klägerin sechs Wochen früher zu operieren, könnte die Klägerin nicht beweisen, dass die verzögerte Operation ursächlich für das im Jahr 2001 aufgetretene Rezidiv war. Der Sachverständige hat bereits in den erstinstanzlich erstatteten Gutachten darauf hingewiesen, dass die vorgelegten Befunde erkennen lassen, dass der am 6.10.1994 operierte Tumor in einem Zeitraum von vier Jahren (1990 bis 1994) sich nur von drei auf vier Zentimeter vergrößert hatte. Daraus hat der Sachverständige plausibel und überzeugend abgeleitet, dass es sich um einen langsam wachsenden Tumor gehandelt hat und sich deshalb eine Verzögerung von sechs Wochen nicht ausgewirkt hat.
51
c) Der Erholung eines onkologischen Zusatzgutachtens bedarf es deshalb nicht.
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5. Die Operation vom 19.3.2001 wurde kunstgerecht durchgeführt. Die Schädigung des Stimmbandnervs ist schicksalhaft eingetreten.
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a) Der Operateur, der Zeuge Dr. P., hat bei der Operation vom 19.3.2001 die geforderte Vorsicht walten lassen, um eine Schädigung des Stimmbandnervs im Rahmen des Möglichen zu vermeiden.
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Der Zeuge Dr. P. hat bei seiner Einvernahme am 22.12.2011 glaubhaft und glaubwürdig bekundet, dass er sich an die Behandlung der Klägerin, da es zu einer Komplikation und anschließend zu einem Rechtsstreit gekommen ist, noch erinnern kann.
55
Der Zeuge hat weiterhin bekundet, dass er intraoperativ davon ausgegangen ist, in sicherer Entfernung vom Stimmbandnerv zu operieren. Der Zeuge, der im Jahr 2001 über eine jahrzehntelange chirurgische Berufserfahrung verfügte und seinerzeit etwa 400 Schilddrüsenoperationen im Jahr durchgeführt hat, hat auch angegeben, dass er es in seiner chirurgischen Praxis noch nicht erlebt hat, dass der Stimmbandnerv aufgrund von durch eine Voroperation verursachten Gewebeveränderungen seine Lage so sehr verändert hätte, dass er in das Operationsgebiet des Zeugen vom 19.03.2001 geraten wäre. Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat bestätigt, dass der Zeuge Dr. P. davon ausgehen durfte, dass er nicht in dem Gebiet operiert, in dem der Stimmbandnerv verläuft. Der Sachverständige hat auch die Einschätzung des Zeugen für richtig befunden, dass die gerade bei einer Zweitoperation besonders risikobelastete intraoperative Freipräparierung des Stimmbandnervs in Anbetracht des Umstandes, dass dieser aller Voraussicht nach nicht im Operationsgebiet verläuft, unverhältnismäßig riskant gewesen wäre.
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b) Der Sachverständige hat auch den Standpunkt des Zeugen Dr. P. bestätigt, dass das Neuromonitoring-Gerät, da es kein Nervensuchgerät ist sondern der Identifizierung bereits freigelegter Strukturen dient, hier, da keine Freilegung des Stimmbandnervs erfolgt ist (und zu erfolgen hatte), nicht zum Einsatz kommen konnte.
57
c) Soweit der Sachverständige beanstandet hat, dass im Operationsbericht des Zeugen Dr. P. nicht niedergelegt wurde, aus welchem Grund der Stimmbandnerv nicht frei präpariert worden war, lässt es der Senat dahingestellt sein, ob der Standpunkt der Beklagten, dass etwas, was nicht durchgeführt wurde, auch nicht dokumentiert werden muss, zutreffend ist. Denn selbst wenn der Senat insoweit von einem Dokumentationsfehler ausgeht, ist die Dokumentationslücke durch die glaubhafte und glaubwürdige Aussage des Zeugen Dr. P. geschlossen. Der Zeuge hat erläutert, warum er von einer Freilegung des Stimmbandnervs abgesehen hat (oben a)).
58
Der Zeuge hatte bei seiner Einvernahme auch angegeben, was erklären mag, dass der Operationsbericht in diesem Punkt relativ kurz gefasst ist, dass ihm zum Zeitpunkt von dessen Abfassung noch nicht bekannt war, dass die Klägerin eine Stimmbandlähmung erlitten hat.
59
d) Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob der Zeuge Dr. P., da dieser atypisch verlaufen ist, den Stimmbandnerv intraoperativ unmittelbar verletzt hat oder ob es sich um eine sekundäre Stimmbandschädigung durch Koagulationshitze, Druck, Hämatom oder Intubation handelt.
II.
60
Den Beklagten fällt kein haftungspflichtiger Aufklärungsfehler zur Last.
61
1. Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat dargelegt, dass sich bei der Klägerin im Jahr 2001 infolge der Vorbehandlung, insbesondere der Voroperation vom 6.10.1994 und der dadurch verursachten Verwachsungen und Verklebungen, das Risiko, dass eine erneute Operation zur Verletzung des Stimmbandnervs führt, von 1% bei der Erstoperation auf etwa 10 bis 20 % erhöht hatte. Über dieses erhöhte Risiko musste die Klägerin vor der Operation vom 19.3.2001 aufgeklärt werden. Die Klägerin selbst hat im Senatstermin vom 26.5.2011 angegeben, dass sie keine konkrete Erinnerung an das Aufklärungsgespräch hat. Da die Beklagten für die ordnungsgemäße Aufklärung beweispflichtig sind und der Senat die von den Beklagten diesbezüglich als Zeugin benannte aufklärende Ärztin Dr. W. nicht vernommen hat, unterstellt der Senat zugunsten der Klägerin, dass die Klägerin über das vorgenannte erhöhte Risiko nicht aufgeklärt wurde.
62
2. Dennoch ergibt sich keine Haftung der Beklagten. Es steht fest, dass sich für die Klägerin, selbst wenn sie über das erhöhte Risiko einer Verletzung des Stimmbandnervs aufgeklärt worden wäre, kein Entscheidungskonflikt eröffnet hätte. Die Krebsoperation vom 19.3.2001 war absolut indiziert. Der bösartige Tumor musste, wenn die Klägerin mittel- und längerfristig weiterleben wollte, entfernt werden. Auf den Vorhalt des Senats im Termin vom 26.5.2011, dass die streitgegenständliche Operation auch bei Kenntnis des erhöhten Risikos für den Stimmbandnerv deshalb alternativlos war, hat die Klägerin, was nicht in allen Einzelheiten protokolliert wurde, zunächst nur geantwortet „keine Ahnung“. Nach einem im Flüsterton geführten Zwiegespräch mit ihrer Rechtsanwältin hat die Klägerin noch hinzugefügt, dass sie im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung zur Operation in eine andere Klinik gegangen wäre. Abgesehen davon, dass diese nachgeschobene Begründung wenig authentisch erscheint, vermochte die Klägerin ohnehin nicht anzugeben, was in einer anderen Klinik anders und besser gewesen sein könnte. Im Schriftsatz vom 14.1.2012 hat die Klägerin die Behauptung, dass sie sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung anderweitig hätte operieren lassen, wiederholt. Eine solche Behauptung begründet jedoch, soweit, was hier der Fall ist, nicht dargetan oder ersichtlich ist, dass in einer anderen Klinik das Risiko einer Verletzung des Stimmbandnervs nennenswert geringer gewesen wäre, keinen Entscheidungskonflikt. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass ex ante das Risiko einer Verletzung des Stimmbandnervs bei jedem operierenden Facharzt gleich hoch war. Dies gilt erst Recht in Anbetracht der deutlich überdurchschnittlichen Berufserfahrung des Operateurs Dr. P.
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Die Beklagten haben den fehlenden Entscheidungskonflikt der Klägerin mit Schriftsatz vom 13.4.2011 gerügt. Entgegen der Einschätzung der Klägerin ist der Senat nicht verpflichtet, diese Rüge als verspätet zurückzuweisen. Vielmehr sieht der Senat dazu, da diese den Rechtsstreit nicht im Geringsten verzögert hat, keinen Anlass.
64
Im Übrigen wurde ausweislich des landgerichtlichen Urteils von der Klägerin erstinstanzlich ohnehin keine Aufklärungsrüge erhoben. Mithin hatten die Beklagten erstinstanzlich auch keinen Anlass, den fehlenden Entscheidungskonflikt der Klägerin zu beanstanden.
III.
65
Anlass ein Obergutachten zu erholen besteht nicht. Der Sachverständige Prof. Dr. K., der dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren als kompetenter Gutachter bekannt ist, hat die Ergebnisse seiner Begutachtung ausführlich, anschaulich und überzeugend begründet. Er hat sich eingehend mit den von der Klägerin vorgelegten Privatgutachten auseinandergesetzt. Dass die Klägerin den Standpunkt des gerichtlichen Sachverständigen in entscheidenden Punkten nicht teilt, gibt keine Veranlassung zur Erholung eines Obergutachtens gemäß § 412 ZPO ab.
B.
66
1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
67
2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
68
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.