Zur Anwaltshaftung bei unzutreffender Beratung über die Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens

OLG Hamburg, Urteil vom 07.02.2020 – 9 U 202/19

Zur Anwaltshaftung bei unzutreffender Beratung über die Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 26.07.2019, Az. 322 O 84/19, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden wie Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin

a) 10.972,09 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.11.2018 sowie

b) vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.02.2019

zu zahlen.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

II. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz als Gesamtschuldner zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 12.320,89 € festgesetzt.

Gründe
A.

1
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

B.

I.

2
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das Landgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 10.972,09 € aus §§ 675, 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 86 Abs. 1 S. 1 VVG und § 128 HGB analog.

3
1. Die Mandanten der Beklagten, die Eheleute T. (im Folgenden: die Mandanten), haben gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 10.972,09 €, weil die Beklagten sie nicht zutreffend über die Erfolgsaussichten der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 06.09.2013 – 322 O 296/12 (das damalige Verfahren im Folgenden: der Vorprozess) aufgeklärt haben.

4
a) Es ist unstreitig, dass zwischen den Mandanten und den Beklagten ein Geschäftsbesorgungsvertrag betreffend die zweite Instanz des Vorprozesses bestand.

5
b) Die Beklagten haben ihre Mandanten nicht zutreffend über die Erfolgsaussichten der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 06.09.2013 im Vorprozess belehrt und damit ihre Pflicht zur umfassenden Beratung ihrer Mandanten verletzt.

6
Der um eine Beratung ersuchte Rechtsanwalt ist zu einer umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung verpflichtet und muss seinen Mandanten vor möglichen Schädigungen bewahren. Bei der Prüfung der Aussichten eines beabsichtigten Prozesses muss der Anwalt vor allem den ihm vorgetragenen Sachverhalt daraufhin überprüfen, ob er geeignet ist, den von dem Auftraggeber erstrebten Erfolg zu begründen. Auf mögliche Bedenken gegen die Erfolgsaussichten einer Klage muss er den Auftraggeber hinweisen. Wenn die Prüfung ergibt, dass die beabsichtigte Klage nahezu sicher oder jedenfalls mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aussichtslos ist, darf der Rechtsanwalt dies nicht verschweigen; er muss vielmehr von sich aus hinreichend deutlich zu dem Grad des Risikos und der Wahrscheinlichkeit des Prozessverlustes Stellung nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 10.03.1988 – IX ZR 194/87, juris Rn. 13). Erscheint nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine beabsichtigte Klage nahezu sicher oder jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit als aussichtslos, so muss der Anwalt auf den damit verbundenen Grad der Gefahr eines Prozessverlustes hinweisen (vgl. BGH, Urteil vom 13.03.1997 – IX ZR 81/96, juris Rn. 11). Bei Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung ist diese klar herauszustellen; von einer völlig aussichtslosen Rechtsverfolgung ist abzuraten (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 23.08.2019 – 7 U 99/18, zitiert nach der unbezeichneten Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.08.2019).

7
Die Beklagten haben das Risiko, im Berufungsverfahren zu unterliegen, zu Unrecht nur als „erheblich“ bezeichnet. Diese Einschätzung wird dem Grad der Gefahr eines Verlustes des Berufungsverfahrens nicht gerecht. Vielmehr hätten die Beklagten die Mandanten mit der gebotenen Deutlichkeit darauf hinweisen müssen, dass das Berufungsverfahren keine Aussicht auf Erfolg hat.

8
aa) Gegenstand des Vorprozesses war ein Schadensersatzanspruch der Mandanten als Versicherungsnehmer gegen das Versicherungsmaklerunternehmen, deren Rechtsvorgängerin der T. & P. GmbH eine die Mandanten begünstigende Reisegepäckversicherung (Versicherungsschein vom 17.02.1994, Anlagenkonvolut K19 im Vorprozess) und dem Versicherungsnehmer U. T. eine Familien-Vielschutzversicherung mit einer ihn und die mit ihm in einer häuslichen Gemeinschaft lebenden Personen begünstigende Hausratversicherung (Versicherungsschein vom 10.05.1996, Anlagenkonvolut K19 im Vorprozess) bei der … Allgemeine Versicherungs-AG verschafft hatte. Das Versicherungsmaklerunternehmen sollte dafür haftbar gemacht werden, dass die Rechtsnachfolgerin der … Allgemeine Versicherungs-AG für einen Schaden aufgrund eines Raubüberfalls auf die Mandanten in einem Ferienhaus in Südfrankreich, den sie zuletzt mit 98.383,19 € beziffert hatten, nur 18.602,10 € aus der Reisegepäckversicherung und 9.681,00 € aus der Hausratversicherung zahlte, so dass eine ungedeckte Differenz von 70.100,09 € verblieb. Die zu Gunsten der Mandanten abgeschlossene Reisegepäckversicherung war auf eine Versicherungssumme von 20.000 DM pro Person beschränkt und bezog sich nicht auf Uhren und Schmucksachen aller Art. Bei abhandengekommenen Sachen war der Zeitwert versichert, also der Neuanschaffungspreis abzüglich eines Betrags für Alter, Abnutzung und Gebrauch. Dementsprechend zahlte die Reisegepäckversicherung nur für das von den Versicherungsnehmern angegebene Stehlgut ohne Uhren und Schmuck, soweit es sich um ihr Eigentum und nicht um Eigentum der T. & P. GmbH handelte, und nahm einen Abzug von 10 % unter dem Gesichtspunkt „neu für alt“ vor. Dies ergibt sich aus dem Schreiben der Reisegepäckversicherung vom 05.07.2012 (Anlage K1). In der zu Gunsten der Versicherungsnehmer abgeschlossenen Hausratversicherung war die Außenversicherung auf 10 % der Versicherungssumme von 500.000 DM, höchstens jedoch 20.000 DM, begrenzt (§ 12 Ziff. 6 der Hausrat-Versicherungsbedingungen). Die Hausratversicherung zahlte letzteren Betrag (umgerechnet rund 10.226 €) abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung. Dies ergibt sich aus dem Schreiben der Hausratversicherung vom 30.11.2011 (S. 2 des Anlagenkonvoluts K12 aus dem Vorprozess).

9
bb) Besonders ist dabei zu beachten, dass die Mandanten im Verlauf des Vorprozesses nicht ausreichend zur Höhe des von ihnen behaupteten Schadens vorgetragen hatten. Die Mandanten hatten im Vorprozess nämlich Schadenersatz mit der Behauptung begehrt, das im Vorprozess beklagte Versicherungsmaklerunternehmen habe seine nach Abschluss des Versicherungsvertrags bestehenden Pflichten verletzt. Sie hatten begehrt, so gestellt zu werden, wie sie bei korrekter Beratung gestanden hätten und behauptet, der Abschluss neuer Versicherungsverträge, die ihnen von dem beklagten Versicherungsmaklerunternehmen hätten angeboten werden müssen, hätte einen vollständigen Ersatz der Schäden mit sich gebracht (Bl. 70 d.A. des Vorprozesses). Eine Versicherung mit einer Versicherungssumme von 500.000 € sei ohne eine höhere Prämie möglich gewesen (vgl. Bl. 35 d.A. des Vorprozesses). Das im Vorprozess beklagte Versicherungsmaklerunternehmen hatte dies jedoch bestritten und behauptet, dass bei einer Reisegepäckversicherung Versicherungsschutz mit einer Versicherungssumme von 100.000 € nicht angeboten werde und falls doch, jedenfalls nur gegen eine extrem teure Versicherungsprämie (Bl. 19 d.A. des Vorprozesses). Es hatte weiter darauf hingewiesen, dass das von den Mandaten im Vorprozess als Anlage K13 vorgelegte Angebot eine Hausratversicherung betrifft und keine Reisegepäckversicherung (Bl. 53 d.A. des Vorprozesses).

10
Dementsprechend hatte auch das Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom 30.01.2013 darauf hingewiesen, dass die Klagforderung noch nicht ausreichend dargelegt worden sei (Bl. 60 d.A. des Vorprozesses). Auch zu dem weiteren Vortrag der Mandanten hat es im Beschluss vom 10.04.2013 (Bl. 85 d.A. des Vorprozesses) darauf hingewiesen, dass der Vortrag der Mandanten zur Höhe der bei korrekter Anpassung der Verträge geschuldeten Versicherungsleistung unklar sei. Hierauf hatten die Mandanten lediglich erneut behauptet, bei einer vertragsgemäßen Betreuung seien die entstandenen Schäden versicherbar gewesen (Bl. 95 d.A. des Vorprozesses). Ein Beweisangebot erfolgte erstinstanzlich ebenso wenig wie weiterer Vortrag zur Höhe etwaiger Versicherungsprämien.

11
cc) Beides wäre jedoch im Vorprozess erforderlich gewesen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Versicherungsmakler gem. § 249 Abs. 1 BGB unter Schadensersatzgesichtspunkten verpflichtet sein, den Versicherungsnehmer so zu stellen, wie er bei Abschluss eines anderen Versicherungsvertrags mit adäquatem Versicherungsschutz stehen würde (sog. „Quasideckung“, vgl. BGH, Urteil vom 26.03.2014 – IV ZR 422/12, juris Rn. 19). Die Schadenersatzpflicht mindert sich jedoch in einem solchen Fall um die Differenz zwischen der für die bestehenden Versicherungen gezahlten Prämie und der Prämie für die Versicherung, die bei ordnungsgemäßer Beratung abgeschlossen worden wäre (vgl. BGH, Urteil vom 01.03.1972 – IV ZR 107/70, juris Rn. 21).

12
dd) Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Landgericht im Vorprozess die Klage aus einem anderen Grund abgewiesen hatte, nämlich weil es davon ausging, dass eine schadenersatzbegründende Pflichtverletzung des beklagten Versicherungsmaklerunternehmens nicht gegeben sei (Bl. 123 d.A. des Vorprozesses). Der Senat hat weiter berücksichtigt, dass die Beklagten insbesondere unstreitig auf Unsicherheiten zum Umfang der Betreuungspflichten des beklagten Versicherungsmaklerunternehmens hingewiesen hatten. Dennoch hätte es den Beklagten im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung gegen das Urteil des Landgerichts im Vorprozess oblegen, nicht nur Fehler in der Begründung des Landgerichts aufzuzeigen, sondern auch darzulegen, dass bei richtiger Rechtsanwendung die Klage der Mandanten (und damit auch die Berufung gegen das klagabweisende Urteil) begründet ist. Das bedeutet, dass sie auch zu prüfen hatten, ob und ggfs. in welcher Höhe – eine Pflichtverletzung des beklagten Versicherungsmaklerunternehmens und deren Kausalität unterstellt – die Mandanten einen Schaden schlüssig vorgetragen und unter Beweis gestellt hatten. Ob eine entsprechende Prüfung erfolgt ist, kann dahinstehen, denn jedenfalls die gebotene Aufklärung der Mandanten über die in diesem Punkt bestehenden Risiken haben die Beklagten unstreitig nicht vorgenommen.

13
Zwar ist in diesem Prozess unstreitig, dass die Beklagten die Mandanten darüber aufgeklärt hatten, dass ein erhebliches Risiko bestand mit der Berufung zu unterliegen. Die Beklagten hatten dabei unstreitig auf die folgenden Risiken hingewiesen:

14
– Beweislast hinsichtlich des Überfalls, des gestohlenen Schmucks und seiner Wertigkeit,
– Umfang der Betreuungspflichten des beklagten Versicherungsmaklerunternehmens,
– rechtliche Bewertung bzw. Bedeutung der Infoblätter und ihrer behaupteten Versendung und
– mögliche Zurückweisung neuen Vortrags wegen Verspätung.

15
Eine Aufklärung der Mandanten über das Risiko, im Berufungsverfahren wegen des Fehlens schlüssigen Vortrags zur Höhe des geltend gemachten Schadens zu unterliegen, erfolgte somit unstreitig nicht. Auch der Hinweis auf eine mögliche Zurückweisung neuen Vortrags wegen Verspätung ist nicht hinreichend konkret auf den behaupteten Schaden zugeschnitten, sondern steht als abstrakter Rechtssatz im Raum, ohne dass die Bedeutung für die Erfolgsaussichten der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg aufgezeigt wird. Aus diesem Grund ist auch die Gesamteinschätzung „erhebliches Risiko“ unzutreffend, weil eine Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg tatsächlich keine Aussicht auf Erfolg hatte (so im Ergebnis auch HansOLG Hamburg, Urteil vom 27.09.2018 – 1 U 2/18 für die erstinstanzliche Klage).

16
ee) Dem entspricht es, dass das Oberlandesgericht Hamburg im Vorprozess die Berufung der Mandanten zu Recht mit dem Argument zurückgewiesen hat, die Mandanten hätten für eine Versicherung, die den von den Mandanten geltend gemachten Schaden vollen Umfangs ausgeglichen hätte, über einen langen Zeitraum höhere Beitragszahlungen gehabt. Sie hätten aber weder dargelegt, noch sei sonst ersichtlich, wie sich diese höheren Beitragszahlungen auf den Schaden ausgewirkt hätten (Bl. 207 d.A. des Vorprozesses).

17
Zu Unrecht argumentieren die Beklagten, das Hanseatische Oberlandesgericht habe im Vorprozess mündlich verhandelt und dabei den Mandanten ausführlich befragt, was bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Berufung nicht erforderlich gewesen wäre. Der Rückschluss von der Verfahrensführung des 7. Zivilsenats im Vorprozess auf die Erfolgsaussichten der Berufung ist jedoch nicht zulässig. Vielmehr kann die (Ermessens-)Entscheidung des 7. Zivilsenats gegen eine Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege gemäß § 522 Abs. 2 ZPO auch andere Beweggründe haben kann – wie etwa den, dass eine mündliche Verhandlung wegen der Bedeutung der Sache für die Parteien für geboten erachtet wird, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.08.2016 – I-28 U 57/15, juris Rn. 36).

18
ff) Der Umstand, dass die Mandanten bei der Klägerin rechtsschutzversichert waren, führt nicht zu einer Verschiebung des Maßstabs für die Pflichtverletzung. Die vertraglichen Pflichten eines Anwalts gegenüber seinem Mandanten werden nicht dadurch modifiziert oder gar eingeschränkt, dass der Mandant rechtsschutzversichert ist (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 16.02.2006 – 5 U 271/05, juris Rn. 20; OLG Hamm, Urteil vom 23.08.2016 – I-28 U 57/15, juris Rn. 17 OLG Stuttgart, Urteil vom 13.08.2019 – 12 U 48/19, zitiert nach der unbezeichneten Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.08.2019).

19
c) Die Pflichtverletzung der Beklagten war für den nunmehr geltend gemachten Schaden kausal.

20
Wie sich ein Mandant bei vertragsgerechter Beratung verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die der Mandant nach § 287 ZPO zu beweisen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmen sich in Fällen der Rechts- und Steuerberaterhaftung Beweiserleichterungen für den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden zu Gunsten des Mandanten nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises. Zu Gunsten des Mandanten ist zu vermuten, dieser wäre bei pflichtgemäßer Beratung den Hinweisen des Rechtsanwalts gefolgt, sofern im Falle sachgerechter Aufklärung aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätte. Eine solche Vermutung kommt hingegen nicht in Betracht, wenn nicht nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit bestanden hätte, sondern nach pflichtgemäßer Beratung verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht gekommen wären, die unterschiedliche Vorteile und Risiken in sich geborgen hätten (vgl. BGH, Urteil vom 10.05.2012 – IX ZR 125/10, juris Rn. 36). Vorausgesetzt wird also ein Sachverhalt, der nach der Lebenserfahrung auf Grund objektiv deutlich für eine bestimmte Reaktion sprechender Umstände einer typisierenden Betrachtungsweise zugänglich ist. Dies ist anzunehmen, wenn bei zutreffender rechtlicher Beratung vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus allein eine Entscheidung nahegelegen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 06.12.2018 – IX ZR 176/16, juris Rn. 23). Die auf anderem Gebiet und auch zur Anlageberatung ergangene Rechtsprechung, wonach zu Lasten des Anlageberaters eine zur Beweislastumkehr führende widerlegbare tatsächliche Vermutung bestehe, dass der Schaden bei pflichtgemäßer Aufklärung nicht eingetreten wäre, findet für die Rechts- und Steuerberaterhaftung keine Anwendung; sie kann in diesem Bereich nicht mit dem besonderen Schutzzweck der Aufklärungspflicht gerechtfertigt werden und führt nicht zu einer angemessenen Risikoverteilung zwischen rechtlichem Berater und Mandanten (vgl. BGH a.a.O.).

21
Speziell für die Fälle rechtsschutzversicherter Mandanten ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass nach der Erteilung einer Deckungszusage (solange diese ohne falsche Angaben erlangt wurde) kein Anscheinsbeweis eingreift, wenn zumindest geringe Erfolgsaussichten bestehen. Denn auch für einen vernünftig handelnden Mandanten würde bei Vorliegen einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung das Wagnis einer nur gering oder wenig Erfolg versprechenden Prozessführung als eine solche Chance erscheinen, dass er sie ergreift (vgl. KG, Urteil vom 23.09.2013 – 8 U 173/12, juris Rn. 11 im Ansatz auch OLG Hamm, Urteil vom 18.02.2016 – 28 U 73/15, juris Rn. 121). Dies gilt allerdings nicht, wenn die beabsichtige Rechtsverfolgung aussichtslos ist. Vielmehr besteht nach der Rechtsprechung dann ein Anscheinsbeweis dafür, dass der Mandant den Anspruch nicht verfolgt hätten, wenn der Rechtsanwalt ihm pflichtgemäß davon abgeraten hätte (vgl. OLG Hamm a.a.O. Rn. 123 HansOLG Hamburg, Urteil vom 27.09.2018 – 1 U 2/18). Denn wenn die beabsichtige Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat, liegt keine erforderliche Leistung des Rechtsschutzversicherers im Sinne von § 125 VVG vor, so dass kein Anspruch auf Rechtsschutz besteht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.07.2016 – I-9 U 102/14, juris Rn. 64 HansOLG Hamburg, Urteil vom 27.09.2018 – 1 U 2/18 OLG Frankfurt, Urteil vom 23.08.2019 – 7 U 99/18, zitiert nach der unbezeichneten Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.08.2019).

22
So liegt der Fall auch hier. Nach § 125 VVG und § 1 der Versicherungsbedingungen der Klägerin (Anlage K11 der beigezogenen Akte 329 O 186/17 = 1 U 2/18), die unstreitig in den Rechtsschutzversicherungsvertrag mit den Mandanten einbezogen waren, bestand Versicherungsschutz nur für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Mandanten erforderlichen Leistungen. Die Einlegung einer Berufung, die wie vorstehend aufgezeigt keine Aussicht auf Erfolg hatte, ist jedoch keine für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Mandanten erforderliche Leistung. Deshalb bestand für die Mandanten, hätten die Beklagte sie ordnungsgemäß über die Aussichtslosigkeit der Berufung informiert, nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit, nämlich das Absehen von der Einlegung der Berufung.

23
Es liegt insofern nach der Auffassung des Senats ein Sachverhalt vor, der einer typisierenden Betrachtungsweise zugänglich ist. Dabei verkennt der Senat nicht, dass es durchaus Fälle gibt, in denen der Versicherungsnehmer durch die langjährige Zahlung von Versicherungsprämien die Möglichkeit erwirbt, auch bei nur geringen Erfolgsaussichten seine Rechte mit Deckung der Rechtsschutzversicherung geltend zu machen. Im Falle des Fehlens von Erfolgsaussichten kann vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters bei zutreffender rechtlicher Beratung nur eine Entscheidung in Betracht kommen, nämlich das Absehen von der Rechtsverfolgung.

24
Die Beklagten können sich nicht mit Erfolg auf die Entscheidungen des Kammergerichts vom 23.09.2013 – 8 U 173/12 und des OLG Jena vom 05.07.2019 – 4 U 359/18 juris Rn. 119 berufen. Wie vorstehend ausgeführt befassen sich diese Entscheidungen nur dem Fall einer geringen Erfolgswahrscheinlichkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung. Mit dem hier vorliegenden Fall einer aussichtslosen Rechtsverfolgung befassen sich diese Entscheidung nicht.

25
d) Das Verschulden der Beklagten wird gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. Entlastende Umstände sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Das Verhalten des Beklagten zu 2) ist der Beklagten zu 1) gemäß § 278 Abs. 1 BGB zurechenbar.

26
Das Argument, die Rechtsschutzversicherung habe im Schreiben vom 02.10.2013 (Anlage K10) eine Deckungszusage und ihr Einverständnis mit der Einlegung der Berufung erteilt, entlastet die Beklagten nicht. Denn das Vertragsverhältnis des Mandanten zu seinem Anwalt ist von dem des Mandanten zum Rechtsschutzversicherer zu unterscheiden. Die Rechtsschutzversicherung wird nicht als Erfüllungsgehilfe des Versicherungsnehmers in dessen Pflichtenkreis aus dem mit dem Anwalt geschlossenen Vertrag tätig. Die Deckungszusage gab den Beklagten daher nicht das Recht, bei der Prüfung, ob das Auslösen von Verfahrenskosten zur Erreichung des vom Mandanten angestrebten Rechtsschutzziels geeignet und angemessen ist, beim Versicherungsnehmer einen geringeren Sorgfaltsmaßstab anzulegen als bei einem Mandanten ohne Rechtsschutz (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 20.11.2018 – 6 U 19/18, juris Rn. 39).

27
e) Ein eigenes Mitverschulden der Mandanten im Sinne von § 254 BGB kommt nicht in Betracht, weil ihnen die Prüfung der Erfolgsaussichten der Berufung nicht oblag (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 23.08.2019 – 7 U 99/18, zitiert nach der unbezeichneten Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.08.2019).

28
Es kann dahinstehen,

29
– ob die Klägerin vor Erteilung der Deckungszusage eine Pflicht zur sorgfältigen Prüfung der Sach- und Rechtlage traf (vgl. OLG Jena, Urteil vom 05.07.2019 – 4 U 359/18, juris Rn. 133 und 136; siehe auch Weinbeer, AnwBl 2020, 26 (31), die jedoch beide verkennen, dass sich eine Prüfpflicht – wenn überhaupt – nur auf die Voraussetzungen der Einstandspflicht aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag beziehen kann und daher gerade keine vollständige Prüfung der Sach- und Rechtslage in Bezug auf die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung erforderlich ist) und

30
– ob die Klägerin bei der Erteilung der Deckungszusage und eines etwaigen Einverständnisses im Schreiben vom 02.10.2013 (Anlage K10) gegen diese Pflicht verstoßen hat, weil sie eine Deckungszusage für und evtl. ihr Einverständnis mit der Durchführung eines erkennbar aussichtslosen Berufungsverfahrens erteilt hat.

31
Denn selbst wenn zugunsten der Beklagten davon ausginge, dass beides der Fall gewesen ist, müssten sich die Mandanten ein entsprechendes Mitverschulden nicht gemäß §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB zurechnen lassen. Denn die klagende Rechtsschutzversicherung ist nicht als Erfüllungsgehilfin der Mandanten im Pflichtenkreis des mit den Beklagten geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrages tätig geworden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.08.2016 – I-28 U 57/15, juris Rn. 43; OLG Bamberg, Urteil vom 20.11.2018 – 6 U 19/18, juris Rn. 39; OLG Frankfurt, Urteil vom 23.08.2019 – 7 U 99/18, zitiert nach der unbezeichneten Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.08.2019).

32
f) Die Höhe des den Mandanten durch die Durchführung des aussichtslosen Berufungsverfahrens entstandenen Schadens beläuft sich unstreitig auf insgesamt 10.972,09 € und setzt sich aus den folgenden Einzelpositionen zusammen:

33

34
Der Umstand, dass die Mandanten rechtsschutzversichert waren und die Klägerin sie (zunächst) im Rahmen der erteilten Deckungszusage von den genannten Schäden freigehalten hat, führt nicht zum Entfall des Schadens. Durch Ansprüche gegen einen Dritten zur Kompensation des Schadens wird der Schadensersatzanspruch selbst weder ausgeschlossen noch reduziert (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.2014 – X ZR 105/13, juris Rn. 16). Andernfalls würde der Grundgedanke des § 255 BGB, dass der Anspruch gegen den Dritten den Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger nicht beeinflusst, in sein Gegenteil verkehrt (vgl. BGH, Urteil vom 15.04.2010 – IX ZR 223/07, juris Rn. 34). Entgegen der Auffassung der Beklagten (und dem von ihnen zitierten Aufsatz von Weinbeer, AnwBl 2020, 26 (31)) entfällt der Schaden der Mandanten daher nicht aufgrund des von der Klägerin gewährten Deckungsschutzes aus der Rechtsschutzversicherung.

35
Auch eine Berücksichtigung der Leistungen aus der Rechtsschutzversicherung im Wege der Vorteilsausgleichung kommt nicht in Betracht. Vielmehr haben sich die Mandanten diese Vorteile durch die Leistung von Versicherungsprämien erkauft. Zudem soll durch die Rechtsschutzversicherung der Mandant begünstig werden, nicht der Schädiger (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 20.11.2018 – 6 U 19/18, juris Rn. 42; OLG Frankfurt, Urteil vom 23.08.2019 – 7 U 99/18, zitiert nach der unbezeichneten Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.08.2019).

36
g) Die Haftung der Beklagten zu 1) ergibt sich aus § 128 HGB analog, wobei die Beklagten wie Gesamtschuldner haften.

37
2. Nachdem die Klägerin den Mandanten unstreitig die Kosten des Berufungsverfahren in Höhe von jedenfalls 10.972,09 € ersetzt hat, ist der Schadenersatzanspruch der Mandanten gegen die Beklagten gemäß § 86 Abs. 1 S. 1 VVG auf die Klägerin übergegangen.

38
3. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 02.10.2013 (Anlage K10) erteilte Deckungszusage und das in diesem Schreiben erklärte Einverständnis mit der Durchführung des Rechtsmittelverfahrens stehen einer Haftung der Beklagten nicht entgegen.

39
a) Im Verhältnis der Parteien dieses Rechtsstreits haben die Deckungszusage und ein etwaiges Einverständnis der Beklagten keine direkten Auswirkungen. Die Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers stellt ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis des Rechtsschutzversicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer dar. Die Deckungszusage hat keinen Einfluss auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Rechtsanwalt. Sie begründet auch keine Einwendungen des Rechtsanwalts gegenüber dem Rechtsschutzversicherer bei auf diesen übergegangenen Regressansprüchen des Versicherungsnehmers (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.09.2018 – 4 U 104/18, juris Rn. 5; OLG Frankfurt, Urteil vom 23.08.2019 – 7 U 99/18, zitiert nach der unbezeichneten Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 29.08.2019).

40
b) Es ist der Klägerin auch nicht nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verwehrt, trotz ihrer ursprünglichen Deckungszusage und des etwaigen Einverständnisses Schadenersatzansprüche gegen die Beklagten geltend zu machen. Die Rechtsschutzversicherung ist keine Schadensversicherung zugunsten des vom Versicherungsnehmer beauftragten Rechtsanwalts. Das Risiko, wegen einer anwaltlichen Pflichtwidrigkeit zur Rechenschaft gezogen zu werden, kann ein Rechtsanwalt daher nicht mit Hinweis auf eine zuvor erteilte Deckungszusage auf den Rechtsschutzversicherer seines Mandanten abwälzen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.08.2016 – I-28 U 57/15, juris Rn. 57). Zweck der Deckungszusage ist es nicht, dem Rechtsanwalt Sicherheit darüber zu verschaffen, dass er für seine Leistungen auch bezahlt wird (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 10.10.2018 – 13 U 750/18, juris Rn. 9). Nichts anderes gilt für ein etwaiges von der Klägerin erklärtes Einverständnis mit der Durchführung des Berufungsverfahrens. Auch ein solches Einverständnis würde seine Wirkung nur im Verhältnis der Klägerin zu den Mandanten entfalten, nicht aber die Beklagten entlasten.

II.

41
Die zulässige Anschlussberufung des Beklagten ist unbegründet. Die Beklagten haben unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten für die Abwehr der von der Klägerin aus übergegangenem Recht geltend gemachten Ansprüche, insbesondere ergeben sich solche Ansprüche nicht aus §§ 280, 311 BGB und §§ 823, 826 BGB. Vielmehr hat die Klägerin – wie vorstehend ausgeführt – gegenüber den Beklagten begründete Ansprüche geltend gemacht.

III.

42
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

43
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

44

45


46
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung.

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