OLG Köln, Urteil vom 04.10.2011 – 5 U 40/11
Der einen (hier unstreitig vorliegenden) Produktfehler behauptende Geschädigte trägt die Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Fehler und Schaden (hier: Wohnungsbrand) (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 ProdHaftG), bei dem es sich um eine anspruchsbegründende Tatsache handelt (Rn. 4).
Der Umstand, dass es an konkreten Anhaltspunkten für eine andere Schadensursache fehlt, genügt im Streitfall nicht, um auf eine Schadensverursachung durch einen Produktfehler zu folgern.(Rn.14)
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den ihren Prozesskostenhilfeantrag für das erstinstanzliche Verfahren zurückweisenden Beschluss des Landgerichts Bonn vom 14.01.2011 – 15 O 599/04 – wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.
3. Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 14. Januar 2011 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 15 O 599/04 – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Gründe
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I. Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO).
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten aus ererbtem Recht ihrer Mutter gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG, § 823 Abs. 1 BGB die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 50.000 € nicht verlangen.
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Das Landgericht hat mit zutreffender Begründung angenommen, dass sich nicht feststellen lässt, dass einer der Produktfehler des Pflegebetts, nämlich der durch die Kabelführung und die Materialauswahl bedingte unzureichende Schutz der Netzanschlussleitung und der Verbindungsleitungen gegen mechanische Beschädigungen oder der unzureichende Schutz der elektrischen Bauteile gegen Feuchtigkeit, am 18.12.2001 den Brand im Einfamilienhaus X. 6 in C./H. verursacht hat.
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1. Wie die Klägerin nicht in Zweifel zieht, trägt der Geschädigte im Ausgangspunkt die Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Fehler und Schaden (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 ProdHaftG), bei dem es sich um eine anspruchsbegründende Tatsache handelt.
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Eine Beweislastumkehr kann die Klägerin weder aus den in der Berufungsbegründung angeführten Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 26.11.1968 – VI ZR 212/66 (BGHZ 51, 91 ff.) und vom 7.6.1988 – VI ZR 97/87 (BGHZ 104, 323 ff.) noch aus sonstigen Gesichtspunkten herleiten. In dem zuerst angeführten Urteil („Hühnerpestfall“) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Hersteller im Falle der Schädigung einer Person oder einer Sache durch einen Produktfehler beweisen muss, dass ihn hinsichtlich des Fehlers kein Verschulden trifft. Nach dem Urteil vom 7.6.1988 („Limonadenflaschenfall“) kommt für den Beweis, dass ein Produktfehler im Verantwortungsbereich des Herstellers entstanden ist, zugunsten des Geschädigten eine Beweislastumkehr in Betracht, wenn der Hersteller aufgrund der ihm im Interesse des Verbrauchers auferlegten Verkehrssicherungspflicht gehalten war, das Produkt auf seine einwandfreie Beschaffenheit zu überprüfen und den Befund zu sichern, er dieser Verpflichtung aber nicht nachgekommen ist. Vorliegend geht es aber weder um die Frage einer schuldhaften Verkehrssicherungspflichtverletzung noch um die Frage, ob der Produktfehler des Pflegebetts im Verantwortungsbereich der Beklagten verursacht worden ist, sondern darum, ob der erwiesenermaßen aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten herrührende Produktfehler des Pflegebetts den Schaden der Klägerin, mithin den Brand des Hauses, verursacht hat. Auch aus dem den Urteilen vom 26.11.1968 und 7.6.1988 zugrunde liegenden Rechtsgedanken, dass der Verlauf der maßgeblichen Vorgänge im Herrschafts- und Gefahrenbereich einer Partei die Beweislast modifizieren oder ändern kann, ergibt sich nichts zu Gunsten der Klägerin. Der Brand des Hauses hat sich in der ihr als Rechtsnachfolgerin zurechenbaren Sphäre ihrer Mutter ereignet.
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2. Anders als in der Berufungsbegründung geltend gemacht wird, kommen der Klägerin auch die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht zugute.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins nur bei typischen Geschehensabläufen anwendbar, das heißt in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist. Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer bestimmten Tatsache für einen bestimmten Erfolg bei allen Sachverhalten dieser Fallgruppe notwendig immer vorhanden ist; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BGHZ 160, 308 ff. m.w.Nachw.).
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Demgemäß ist bei der Prüfung, ob ein Anscheinsbeweis eingreift, eine typisierende Betrachtung der durch das Schadensereignis angesprochenen Fallgruppe, nicht aber schon – was die Klägerin in der Berufungsbegründung außer Acht lässt – eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. In Fällen, die dem vorliegenden Sachverhalt gleichartig sind, ist nach aller Lebenserfahrung keine sehr große Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Produktfehler Ursache des Brandes ist. Dann kommt es in einem Wohnraum, in dem sich ein mit einer erhöhten Brandgefahr behaftetes elektrisches Produkt befindet, zu einem Brand, kommen für die Entstehung des Brandes durchaus mehrere andere Ursachen ernsthaft in Betracht, vor allem andere typischerweise in einem Wohnraum befindliche Elektrogeräte wie beispielsweise ein Fernseher, eine Unachtsamkeit des Bewohners oder eine Einwirkung von außen.
3.
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Den Vollbeweis gemäß § 286 ZPO hat die Klägerin freilich nicht zu führen vermocht.
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Der Sachverständige Dr. T. und das Landgericht haben in überzeugender Weise angenommen, dass sich nach Untersuchung der noch auffindbaren elektrischen Bauteile des Pflegebetts unter Würdigung aller einzelfallbezogenen Umstände und Indizien nicht feststellen lässt, dass einer der Produktfehler des Pflegebetts den Brand verursacht hat.
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a) Die Untersuchung der noch auffindbaren elektrischen Bauteile des Pflegebetts hat nicht ergeben, dass der Brand von ihnen ausgegangen ist. Die drei elektrischen Stellmotoren sind von außen brandgeschädigt. Die vorgefundenen Bruchstücke der Anschlusskabel der Motoren zeigen keine Spuren von Lichtbogeneinwirkung. Weitere elektrische Bauelemente oder Kabel sind nicht mehr vorhanden (Bl. 584 ff., 669 d.A.).
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b) Andere Brandursachen lassen sich nicht in einer Weise ausschließen, dass der Schluss auf eine Verursachung des Brandes durch einen der Produktfehler des Pflegebetts möglich ist.
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Der Sachverständige Dr. T. hat auf die Möglichkeit eines Defekts der Elektrik des Hauses verwiesen (Bl. 669R d.A.), wenn er auch einen Kabelbrand in der Wand – weil ein Brand unter Putz sofort erstickt wird – für relativ unwahrscheinlich gehalten hat (Bl. 670 d.A.). Ferner hat er ausgeführt, dass theoretisch jemand etwas von außen in den Raum hingeworfen haben könnte (Bl. 670 d.A.). Schließlich hat er erläutert, dass der Brand am Fernseher oder an der Stehlampe entstanden sein könnte, ohne dass er entsprechende konkrete Feststellungen hat treffen können (Bl. 669R d.A.). Die Klägerin weist in diesem Zusammenhang in der Berufungsbegründung mit Recht darauf hin, dass insbesondere das nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. T. bei einer Schädigung der Geräteanschlussleitung des Fernsehers oder der Stehlampe zu erwartende Schadensmuster, nämlich eine starke Brandeinwirkung von der Schadensstelle entlang des Kabels zur Steckdose hin (Bl. 578 f., 669 d.A.), nicht beschrieben und nachweisbar ist. Letztlich ist auch eine Fremdbrandstiftung nicht ausgeschlossen.
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Der sich in den vorstehenden Ausführungen widerspiegelnde, in der Berufungsbegründung herausgestellte Umstand, dass es an konkreten Anhaltspunkten für eine andere Brandursache fehlt, genügt im Streitfall nicht, um auf eine Brandverursachung durch einen der Produktfehler des Pflegebetts zu folgern. Nach den Darlegungen des Sachverständigen Dr. T. fehlt es nämlich gleichfalls an tragfähigen und durchgreifenden Indizien dafür, dass der Brand von einem Produktfehler des Pflegebetts ausgegangen ist. Die unzureichend gegen Feuchtigkeit geschützten elektrischen Stellmotoren sind von außen brandgeschädigt. Das bei einer Schädigung der Geräteanschlussleitung des Pflegebetts zu erwartende Schadensmuster, das heißt eine starke Brandeinwirkung über eine längere Strecke von der Schadensstelle entlang des Kabels zur Steckdose hin (Bl. 578 f., 669 d.A.), liegt nicht vor. Vielmehr finden sich Einbrandspuren in den Holzdielen nur auf einer rundlich begrenzten Fläche (Bl. 578 f., 669 d.A.), die zudem nicht unter dem Pflegebett, sondern vor diesem liegt (Bl. 669R, 670R d.A.). Die punktuelle Brandwirkung kann durch das Herunterfallen eines Gegenstandes, etwa von Textilien oder eines brennenden Holzscheits, entstanden sein (Bl. 578 f., 669 d.A.). Dass am Pflegebett die stärksten Brandeinwirkungen vorhanden sind, bedeutet nicht, dass das Feuer dort ausgebrochen sein muss. Dieser Umstand ist – wie Dr. T. erörtert hat – auch dadurch zu erklären, dass das anderswo entstandene Feuer übergegriffen hat, das Bettzeug sehr gut brannte und der Brand in diesem Bereich durch Zuluft gefördert wurde (Bl. 670 d.A.).
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c) Ohne dass es hierauf – da noch andere alternative Brandursachen als der Fernseher und die Stehlampe in Betracht kommen – ankommt, hat es das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise nicht als erwiesen angesehen, dass die Anschlussleitungen des Fernsehers und der Stehlampe am 18.12.2001 nicht in die vorhandenen Steckdosen eingesteckt gewesen sind.
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Den entsprechenden Angaben der Klägerin im Termin vom 7.12.2011 musste es schon deshalb keinen Glauben schenken, weil die Klägerseite das Vorhandensein eines Fernsehers und sonstiger Elektrogeräte im Wohnraum am 18.12.2001 zunächst vollständig in Abrede gestellt hat. Nachdem der Sachverständige A. Reste eines Fernsehers und einer Stehlampe vorgefunden hat, belegt der ursprüngliche Vortrag der Klägerseite, dass sichere und zuverlässige Erinnerungen an den Zustand am 18.12.2001 nicht vorhanden sind. Die in der Berufungsbegründung von der Klägerin erhobene Rüge, dass das Landgericht im vorliegenden Zusammenhang einen Beweisantritt übergangen habe, ist nicht schlüssig. Auf das Zeugnis von N. O. hat die Klägerin sich in dem von ihr angeführten Schriftsatz vom 26.9.2005 ausschließlich für ihre später fallen gelassene Behauptung berufen, dass es einen Fernseher im Brandzeitpunkt nicht gegeben habe (vgl. Bl. 113 d.A.). Soweit sie nunmehr den behaupteten Nichtanschluss des Fernsehers und der Stehlampe an das Stromnetz durch das Zeugnis von N. O. unter Beweis stellt, ist der Beweisantritt gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ZPO nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen, unter denen neue Angriffs- und Verteidigungsmittel ausnahmsweise zu berücksichtigen sind, sind nicht dargetan. Insbesondere hat das Landgericht entgegen der in der Berufungsbegründung vertretenen Auffassung keine Hinweispflicht gemäß 139 ZPO verletzt. Es lag für alle Verfahrensbeteiligten von Anfang an auf der Hand, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits unter anderem auf die Frage ankam, ob andere Brandursachen als ein Produktfehler des Pflegebetts in Betracht kamen oder ob dies nicht der Fall war. Die Klägerin hat selbst zu diesem Gesichtspunkt vorgetragen.
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4. Von der Einholung eines weiteren Gutachtens hat das Landgericht gemäß § 412 Abs. 1 ZPO zu Recht abgesehen.
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Insbesondere ergab sich die Notwendigkeit zur Einholung eines weiteren (Ober-) Gutachtens nicht aus den Widersprüchen zwischen den Ausführungen der Sachverständigen Dr. T. und A.. Soweit der Sachverständige A. das Heizgerät selbst als Brandursache diskutiert, eine Brandverursachung durch die Netzanschlussleitungen des Heizgeräts und des Pflegebetts erwogen und die Einbrandstelle im Dielenboden als Brandausbruchsstelle angesehen hat, gebührt der hiervon abweichenden Beurteilung des Sachverständigen Dr. T. der Vorrang. Diese stützt sich jeweils auf eine für einen Laien nachvollziehbare, schlüssige Begründung. Zur – seiner Ansicht nach ausgeschlossenen – Brandverursachung durch das Heizgerät selbst hat Dr. T. auf die erhebliche Entfernung zwischen Heizgerät und Einbrandstelle verwiesen, die aus den von der Polizei gefertigten Fotos ableitbar ist (Bl. 576, 670R). Gegen eine Brandverursachung durch die Netzanschlusskabel streitet, wie bereits dargelegt, das Fehlen des bei deren Schädigung zu erwartenden Schadensmusters (Bl. 578, 669 d.A.). Ferner hat Dr. T. für den Fall, dass der Brand an der Einbrandstelle im Dielenboden entstanden sein sollte, darauf hingewiesen, dass alle zunächst liegenden Gegenstände stark brandgeschädigt sein müssten (Bl. 577 dA.). Dies trifft nach den von der Polizei gefertigten Fotos für den Sessel und die Couch nicht zu, die sich nahe der Einbrandstelle befanden.
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II. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO). Sie ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten.
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III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren war zurückzuweisen, weil die Berufung aus den vorstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat, § 114 ZPO. Gleiches gilt für die sofortige Beschwerde mit der die Klägerin sich gegen den ihren erstinstanzlichen Prozesskostenhilfeantrag zurückweisenden Beschluss des Landgerichts wendet.