OLG Koblenz, Urteil vom 15.01.2014 – 5 U 1243/13
Zur Anfechtung eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses wegen Drohung
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 9.08.2013 aufgehoben. Die Zwangsvollstreckung der Beklagten aus der Urkunde des Notars …[A] in …[X] vom 28.01.2013 UR-Nr. 143/2013 wird für unzulässig erklärt. Außerdem hat die Beklagte die vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde an den Kläger herauszugeben.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beklagte vermietet in einem in …[X] gelegenen Gebäude Zimmer an Prostituierte. Dort warf der Kläger am 12.01. und 25.01.2013 Stinkbomben. Es gelang der Beklagten, ihn zu identifizieren, nachdem sie in ihrer Videoüberwachungsanlage gespeicherte Fotos seiner Person ins Internet gestellt hatte.
Der Versuch, den Kläger am 27.01.2013 in seiner Wohnung zur Rede zu stellen, schlug fehl. Danach kam es am 28.01.2013 zu einem Gespräch mit einem Generalbevollmächtigten der Beklagten und nachfolgend zu einem gemeinsamen notariellen Termin, bei dem der Kläger im Hinblick auf die durch sein Verhalten entstandenen Schäden ein auf 12.000 € nebst Zinsen lautendes Schuldanerkenntnis gegenüber der Beklagten unterzeichnete und sich deswegen der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein Vermögen unterwarf. Die Beklagte versprach in derselben Urkunde, die Fotos des Klägers aus dem Internet herauszunehmen und alle über den Kläger gespeicherten Daten unter Verschluss zu halten. Des Weiteren sollten die gegen ihn gestellten Strafanträge zurückgezogen werden, sobald er seine Zahlungszusage erfüllt hatte.
Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger beantragt, die Vollstreckung aus der notariellen Urkunde für unzulässig zu erklären. Das Schuldanerkenntnis stehe in keinem Verhältnis zu dem angerichteten Schaden und sei wucherisch. Unabhängig davon habe er es rechtswirksam angefochten, da er unter Druck gesetzt worden sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen: Der Kläger habe ein deklaratorisches Anerkenntnis abgegeben, das ihm den Einwand, betraglich überfordert worden zu sein, abschneide. Er sei auch nicht in verwerflicher Weise bedroht worden.
Das greift der Kläger mit der Berufung an. Er erneuert seinen Vollstreckungsabwehrantrag und erstrebt ergänzend die Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des gegen ihn geschaffenen Titels. Seiner Ansicht nach vernachlässigt die angefochtene Entscheidung die Zwangslage, in der er sich befunden habe. Dem tritt die Beklagte entgegen. Sie erachtet die Berufung bereits für unzulässig, da es an konkreten Angriffen des Klägers fehle.
II.
Das Rechtsmittel erfüllt entgegen der Auffassung der Beklagten die Zulässigkeitsvoraus- setzungen des § 520 Abs. 3 ZPO, indem es sich gegen das Entscheidungsergebnis des Landgerichts insgesamt wendet und dabei dessen rechtliche Würdigung beanstandet, es sei zu keiner rechtlich relevanten Nötigung des Klägers gekommen (vgl BGH NJW 1997,
1309; BGH MDR 2003, 1130). In der Folge führt es zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zum Zuspruch des Klageverlangens. Der angefochtene Titel hat keinen Bestand, so dass eine Zwangsvollstreckung daraus unzulässig ist (§§ 794 Abs. 1 Nr. 5, 795 S. 1, 767 Abs. 1 ZPO) und seine vollstreckbare Ausfertigung an den Kläger herausgeben werden muss (§ 371 BGB analog).
1. Allerdings stellt die streitige notarielle Urkunde vom 28.01.2013, wie das Landgericht richtig gesehen hat, ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar, indem sie auf die Schadensereignisse vom 12.01. und 25.01.2013 Bezug nimmt und dabei die von der Beklagten geltend gemachte Verantwortlichkeit des Klägers festschreibt (BGH NJW 2008, 1589; Marburger in Staudinger, BGB, 2009, § 781 Rn. 24), Das verwehrt dem Kläger die Möglichkeit, seine in der Urkunde niedergelegte Verpflichtung mit dem Hinweis darauf, ihr fehle der Rechtsgrund, zu kondizieren (vgl. insoweit § 812 Abs. 2 BGB zum konstituitven Schuldanerkenntnis) oder einredeweise abzuwehren (vgl. insoweit § 821 BGB zum konstitutiven Schuldanerkenntnis). Stattdessen obliegt es ihm darzulegen, und, soweit seine Darlegungen bestritten werden, zu beweisen, dass seine Zahlungszusage deshalb nicht durch einen Haftungstatbestand unterlegt ist, weil Einwendungen vorhanden sind, die ihm im Zeitpunkt ihrer Abgabe unbekannt waren (BGH NJW 1958, 1535).
2. Es ist dem Kläger jedoch unbenommen, das deklaratorische Schuldanerkenntnis anzufechten und auf diese Weise zu vernichten. Eben das ist im vorliegenden Fall geschehen. Damit ist die Beklagte gehindert, aus der notariellen Urkunde zu vollstrecken.
a) Der Kläger hat innerhalb des Rechtsstreits die Anfechtung wegen Drohung erklärt und dazu erläutert, er sei insbesondere durch die Veröffentlichung seiner Fotos im Internet hochgradig unter Druck gesetzt worden. Mit dieser Erklärung, die den inhaltlichen Anforderungen des § 143 Abs. 1 BGB (vgl. dazu Ellenberger in Palandt, BGB, 73. Aufl., § 143 Rn. 3) genügte und innerhalb der Frist des § 124 BGB erfolgte, ist das am 28.01.2013 gegebene Zahlungsversprechen hinfällig geworden (§ 142 Abs. 1 BGB); denn der Anfechtungstatbestand des § 123 Abs. 1 BGB ist erfüllt.
b) Das streitige deklaratorische Schuldanerkenntnis wurde durch unzulässig ausgeübten Zwang veranlasst. Dieser Zwang ging von der – möglicherweise nicht wörtlichen, aber nach den Umständen zumindest konkludent vermittelten – Ankündigung der Beklagten aus, die laufende Veröffentlichung der Fotos des Klägers erst dann zu beenden, wenn dieser die notarielle Verpflichtungserklärung abgab. Ein entsprechender Zusammenhang wird aus dem Urkundstext selbst deutlich, demzufolge die Herausnahme der Fotos aus dem Internet als Gegenleistung zum Schuldanerkenntnis des Klägers ausgestaltet wurde. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Beklagte zum Ausdruck gebracht hätte, auch ohnedies – nämlich im Sinne einer eigenständigen, von jeder Verknüpfung mit dem Verhalten des Klägers freien Vorleistung – zu einem solchen Schritt bereit zu sein. Ein dahingehendes, nach außen gerichtetes Signal gibt auch die in ihrem nachgereichten Schriftsatz aufgestellte Behauptung, sie sei willens gewesen, die Verbreitung der Aufnahmen mit der Entdeckung des Klägers zu beenden, nicht zu erkennen. Von daher besteht kein Anlass, deshalb die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Das gilt umso mehr, als die Behauptung angesichts des gegenläufigen tatsächlichen Verhaltens der Beklagten der Plausibilität entbehrt.
Indem die Beklagte die notarielle Zahlungszusage des Klägers durch den Hinweis auf die ansonsten fortdauernde Publikation der Fotos herbeiführte, übte sie eine widerrechtliche Drohung aus, weil die Veröffentlichung gegen das Gesetz verstieß und unabhängig von jedwedem Entgegenkommen des Klägers hätte beendet werden müssen (vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 73. Aufl., § 123 Rn. 16). Die Publikation war gemäß § 22 KunstUrhG verboten und damit ohne Weiteres zu unterlassen. Die Vorschrift gestattet die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung von Bildnissen einer Person nur mit deren Erlaubnis, an der es im vorliegenden Fall fehlte.
c) Es bedarf keiner Auseinandersetzung mit der Auffassung des Landgerichts, die Beklagte habe ein legitimes Interesse daran gehabt, “denjenigen ausfindig” zu machen, “der die Stinkbomben im Bordell zerplatzen ließ”, “nicht zuletzt, um weitere Anschläge zu vermeiden”. Selbst wenn man darin – was aus der Sicht des Senats freilich eher fern liegt – primär einen Rechtfertigungsgrund gemäß § 227 BGB oder § 34 StGB (zu dessen Anwendung im Zivilrecht vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 73. Aufl., § 227 Rn. 10) sähe, war für einen solchen Rechtfertigungsgrund jedenfalls kein Raum mehr, nachdem die Beklagte die Identität des Klägers ermittelt hatte und dessen Urheberschaft feststand. Diese Situation war bei der Errichtung der notariellen Urkunde längst eingetreten.
3. Die Hinfälligkeit der am 28.01.2013 durch den Kläger vernommenen Verpflichtungen und das damit einhergehende Vollstreckungsverbot für die Beklagte impliziert, dass sie die ihr erteilte vollstreckbare Ausfertigung der notariellen Urkunde an den Kläger herausgeben muss. Dessen dahingehende Berechtigung leitet sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 371 BGB her und ergänzt den Klageanspruch aus § 767 Abs. 1 ZPO (BGHZ 127, 146, 148) in zulässiger (§ 533 ZPO) Weise.
4. Nach alledem dringt die Berufung des Klägers durch, so dass dem Klagebegehren stattzugeben ist. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision fehlen.