Zur ärztlichen Aufklärungspflicht bezüglich des Risikos von Lähmungen bei einer relativ indizierten Operation

OLG Dresden, Urteil vom 27.03.2018 – 4 U 1457/17

1. Eine echte Wahlmöglichkeit, über die der Patient vor einer relativ indizierten Operation aufzuklären ist, stellt die konservative oder rein abwartende Behandlung nur dann dar, wenn begründete Aussicht besteht, dass hiermit mehr als nur eine kurzzeitige Beschwerdelinderung erreicht werden kann.

2. Im Rahmen der Risikoaufklärung ist nur über ein dem Eingriff anhaftendes spezifisches Risiko dauerhafter Lähmungen gesondert aufzuklären; lediglich vorübergehende Lähmungserscheinungen sind mit dem Hinweis auf „Nervverletzungen“ ausreichend beschrieben. Erleidet der Patient nur eine vorübergehende Lähmung, kann er sich daher auch dann nicht auf eine unzureichende Risikoaufklärung berufen, wenn die gebotene Aufklärung über dauerhafte Lähmungserscheinungen unterblieben ist.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 08.09.2017 – Az. 7 O 2686/13 – wird auf ihre Kosten

zurückgewiesen.

II. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leisten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 63.429,- EUR festgesetzt.

Gründe
I.

1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schmerzensgeld und Schadenersatz sowie die Feststellung der Einstandspflicht für alle materiellen Schäden und immaterielle Zukunftsschäden wegen behaupteter Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit einer abdominalen Hysterektomie und einer im Anschluss daran aufgetretenen Femoralisschädigung.

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Wegen des weiteren Sachverhaltes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

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Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich eine Haftung der Beklagten weder auf eine fehlerhafte Aufklärung noch auf ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen stützen lasse. Zwar sei eine Aufklärung über das Risiko von Nervschäden nicht ordnungsgemäß erfolgt, jedoch sei von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen. Aus den Ausführungen der Sachverständigen ergebe sich, dass das Eintreten der Nervschädigung nicht auf einem behandlungsfehlerhaften Vorgehen der Beklagten beruhe. Auch das postoperative Behandlungsgeschehen sei nicht zu beanstanden.

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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie ist der Auffassung, es sei fehlerhaft, dass die Beklagte die Klägerin nicht über alternative konservative Behandlungsoptionen aufgeklärt habe. Auch habe das Landgericht zu Unrecht angenommen, dass der von der Klägerin geschilderte Entscheidungskonflikt nicht plausibel sei. Da die Sachverständigen davon ausgegangen seien, dass die Femoralisschädigung durch die Operation eingetreten sei, müsse entweder einer der diskutierten Schädigungsmechanismen oder ein weiterer unbekannter Mechanismus vorliegen, so dass ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen der Beklagten nicht ohne weitere Beweisaufnahme hätte ausgeschlossen werden dürfen. Schließlich sei auch das postoperative Vorgehen zu beanstanden, da die Beklagte die Femoralisschädigung nicht erkannt und aufgrund eines orthopädischen Konsils ihre Beschwerden fehlerhaft auf ein „Radikulärsyndrom“ zurückgeführt habe. Bei einer früheren Diagnostik nach dem medizinischen Standard unter Einbeziehung eines Neurologen und Einholung eines MRT wäre die Schädigung erkannt worden und hätte eine Behandlung erfolgen können.

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Sie beantragt,

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das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 08.09.2017 abzuändern und

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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen konkrete Bemessung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

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2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 8.429,98 EUR zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

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3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weitere materiellen und die zukünftigen immateriellen Schäden zu ersetzen, welche ihr aus der fehlerhaften Behandlung im November 2012 entstanden sind und/oder noch entstehen werden; immaterielle Schäden dabei nur insoweit, als sie derzeit noch nicht konkret vorhersehbar sind; materielle Schäden, soweit die hierauf gerichteten Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

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4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.006,83 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens.

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Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend verwiesen.

II.

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Die Berufung ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin stehen weder aus einer Aufklärungspflichtverletzung noch aus einem behandlungsfehlerhaften Vorgehen Ansprüche auf Schmerzensgeld, Schadensersatz und auf Feststellung der Einstandspflicht aus § 280 BGB i.V.m. dem Behandlungsvertrag, §§ 823, 831 BGB zu.

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1. a) Entgegen der Ansicht der Berufung ist der Beklagten nicht anzulasten, dass sie die Klägerin über in Betracht kommende konservative Therapieoptionen nicht aufgeklärt hat. Um das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu wahren, dem stets die Entscheidung darüber zusteht, ob und in welchem Umfang er einen ihm angeratenen ärztlichen Heileingriff mit den damit verbundenen Chancen und Risiken für seinen Körper und seine Gesundheit zustimmen will, muss der Arzt diesen zwar über alternativ zur Verfügung stehende Behandlungsmöglichkeiten aufklären, wozu auch die Möglichkeit gehört, von einer Operation zunächst abzusehen und die Entwicklung weiter zu beobachten (vgl. etwa OLG Naumburg, MDR 2008, 745). Je weniger dringlich sich der Eingriff – nach medizinischer Indikation und Heilungsaussicht – in zeitlicher und sachlicher Hinsicht für den Patienten darstellt, desto weitgehender ist das Maß und der Genauigkeitsgrad der Aufklärungspflicht. Dabei ist bei einer nur relativ indizierten Operation regelmäßig auch eine gleichzeitige Aufklärung über die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung oder des Nichtstuns geboten (OLG Hamm, Urteil vom 15. Dezember 2017 – I-26 U 3/14 –, Rn. 31, juris; vgl. Geis/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. Rdn. C9 m.w.N.). Auch bei einer nur relativen Indikation setzt dies aber voraus, dass das Abwarten eine echte Wahlmöglichkeit darstellt (Senat, Beschluss vom 14.2.2018 – 4 U 82/18; Urteil vom 29.3.2012 – 4 U 1609/11 – juris). Dies war hier nicht der Fall. Die Klägerin befand sich nach ihrem eigenen Vortrag seit Jahren wegen ihrer chronischen Unterbauchbeschwerden in Behandlung ihrer Gynäkologin; die von dieser angewandten konservativen Therapien brachten aber nur kurzzeitig Linderung. Zudem waren die Beschwerden im Vorfeld der Operation progredient. Ihre Gynäkologin hatte die Klägerin daher ausdrücklich zur Beratung über operative Therapiemöglichkeiten in die Sprechstunde der Beklagten überwiesen. Auch der Sachverständige Prof. Dr. T. hat im Gutachten vom 23.1.2017 bestätigt, dass konservative Therapieoptionen ausgeschöpft waren und hat vor diesem Hintergrund sowohl die Indikation als auch die Aufklärung unbeanstandet gelassen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die konservative Behandlung hier keine echte Behandlungsalternative mehr darstellte und die Klägerin zudem über die Option, diese gleichwohl fortzuführen, bereit vor dem hier streitgegenständlichen Aufklärungsgespräch hinreichend informiert und aufgeklärt war. Sie hat sich nach dem in den Behandlungsunterlagen vermerkten Beratungstermin im Hause der Beklagten am 11.10.2012 nicht sofort für eine Operation entschieden, sondern erst nach einer weiteren Rücksprache mit ihrer Gynäkologin und ausreichender Bedenkzeit.

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b) Über die allgemeinen Operationsrisiken, die der Klägerin nach ihrem eigenen Bekunden in ihrer Anhörung vor dem Landgericht zudem bewusst waren, ist sie durch den Zeugen D. ausreichend aufgeklärt worden. Der Zeuge hat im Aufklärungsgespräch auf das Risiko von operationsbedingten Nervverletzungen hingewiesen. Zwar hat der Zeuge in diesem Zusammenhang das Auftreten von Lähmungserscheinungen als Folge einer solchen Nervverletzung nicht gesondert erwähnt; ein haftungsbegründendes Aufklärungsversäumnis liegt hierin unter den konkreten Umständen des Einzelfalls jedoch nicht. Die Risikoaufklärung „im Großen und Ganzen“ erfordert, dass der Patient allgemeinverständlich über die möglichen Folgen des Risikoeintritts aufgeklärt wird, ohne dass ihm aber alle denkbaren medizinischen Risiken exakt oder in allen möglichen Erscheinungsformen dargestellt werden müssten (BGH VersR 2010, 1220, Tz. 11; BGH VersR 2011, 223, 224, Tz. 7 – zitiert nach juris). Eine Nervschädigung kann je nach betroffenem Nerv ein breites Spektrum möglicher Folgen von einer vorübergehenden Schmerzempfindung, einer kurzfristigen Lähmung oder einem Taubheitsgefühl bis hin zu chronischen, unbeherrschbaren Schmerzen oder andauernder Lähmung nach sich ziehen. Der bloße Hinweis auf „Nervschädigungen“ vermittelt dem Patienten als medizinischem Laien daher grundsätzlich keine allgemeine Vorstellung von den mit dem Eingriff verbundenen Gefahren (BGH, Urteil vom 14. März 2006 – VI ZR 279/04 – juris). Auf welche der mit der Therapie verbundenen Risiken im Rahmen des Aufklärungsgespräches hingewiesen werden muss, hängt zum einen von dem konkreten Eingriff und dessen spezifischem Risiko einer Nervverletzung, daneben jedoch auch maßgeblich von der Bedeutung ab, die dieses Risiko für die Entschließung des Patienten haben kann. Bei einer besonders schweren Belastung für seine Lebensführung ist deshalb die Information über ein Risiko für die Einwilligung des Patienten auch dann von Bedeutung, wenn sich das Risiko nur sehr selten verwirklicht (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 11). Bei der Aufklärung über die Risiken einer abdominalen Hysterektomie ist es mithin nicht erforderlich, auf alle möglichen Folgen einer Verletzung aller im Operationsgebiet liegenden Nerven in allen möglichen Schweregraden und Erscheinungsformen einzugehen, sondern nur auf solche, die sich für die Lebensführung des Patienten als besonders schwerwiegend darstellen. Besonders gravierend in diesem Sinne sind aber nur dauerhafte Lähmungen mit erheblichen Funktionsausfällen, nicht hingegen kurzfristige oder vorübergehende Lähmungserscheinungen. Einen entsprechenden Hinweis auf das Auftreten von dauerhaften Lähmungen als mögliche Folge von Nervschädigungen hat der Zeuge nicht erteilt. Dies hat sich hier jedoch nicht ausgewirkt. Denn bei der Klägerin ist zwar eine Nervschädigung eingetreten, die damit einhergegangenen Lähmungserscheinungen waren aber nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Z. nur vorübergehend und haben sich in der Zwischenzeit bis auf eine leichte Unsicherheit im Gangbild, eine geringfügige Abschwächung bei der Hüftbeugung und Kniestreckung und eine Hypästhesie im Versorgungsgebiet des Nervs zurückgebildet. Diese verbliebenden Folgeerscheinungen stellen keine besonders schwerwiegende Belastung für die Lebensführung der Klägerin dar und sind mit dem Hinweis auf Nervverletzungen ausreichend beschrieben. Hat sich aber – wie hier – ein Risiko verwirklicht, über das aufgeklärt werden musste und tatsächlich aufgeklärt worden ist, so spielt es regelmäßig keine Rolle, ob bei der Aufklärung auch andere Risiken der Erwähnung bedurften. Vielmehr kann aus dem Eingriff keine Haftung hergeleitet werden, wenn der Patient in Kenntnis des verwirklichten Risikos seine Einwilligung erteilt hat ((BGH, Urteil vom 15. Februar 2000 – VI ZR 48/99 –, BGHZ 144, 1-14).

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Einer Haftung der Beklagten wegen eines Aufklärungsfehlers steht zudem der von der Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung der Klägerin in die Operation entgegen. Hiervon ist auch das Landgericht zutreffend ausgegangen, Zweifel an dessen Beweiswürdigung im Sinne des § 529 ZPO kann die Berufung nicht erwecken. Auch für den Senat erschließt sich aus der persönlichen Anhörung der Klägerin vor dem Landgericht nicht, dass sie sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte. Hiervon ist dann auszugehen, wenn der Patient bei einer Abwägung der Chancen und Risiken des ärztlichen Eingriffs ernsthaft vor der Frage gestanden hätte, ob er zustimmen soll oder nicht. Die Darlegung des Entscheidungskonflikts muss plausibel und nachvollziehbar sein, wobei maßgebend auf die Situation des konkreten Patienten abzustellen ist, dem ein persönlicher Entscheidungsspielraum bleibt; wie sich ein „vernünftiger“ Patient verhalten hätte, ist demgegenüber nicht entscheidend (BGH NJW 2007, 2774; NJW 1994, 799; OLG Brandenburg NJW-RR 2000, 398; vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., C IV Rdnr. 138). Im Vorfeld des streitgegenständlichen Eingriffs hatte die Klägerin hier indes bereits zweimal bestehende Unterbauchbeschwerden operativ behandeln lassen (Adnektomie 1993, Appendektomie und Spaltung eines Tuboovarialabzesses 2001), ohne dass dies zu einer nachhaltigen Besserung geführt hätte, wie sich aus den beigezogenen Behandlungsunterlagen ihrer Gynäkologin ergibt, die bei nahezu jedem Besuch Unterbauch- bzw. Verwachsungsbeschwerden beschreibt, und auch unter anderem am 07.11.2011 notiert hat, dass die Schmerzen heftiger werden. Hieraus wird deutlich, dass die über Jahre progredienten Beschwerden bei der Klägerin zu einem erhöhten Leidensdruck geführt hatten, so dass nur eine operative Intervention als erfolgversprechende und dauerhafte Lösung naheliegend erschien. Gegen einen plausiblen Entscheidungskonflikt spricht zudem, dass die Klägerin im Aufklärungsgespräch mit dem Zeugen D. unstreitig über der Gefahr von Organverletzungen oder Embolien, Infektionen und Wundheilungsstörungen aufgeklärt wurde, die ebenso schwerwiegende Folgen für die Lebensführung haben können wie eine Nervverletzung. Wieso sie gleichwohl gerade das Risiko einer Nervschädigung zum Anlass genommen hätte, sich die Operation nochmal zu überlegen, die übrigen Gefahren aber bedenkenlos in Kauf genommen hätte, hat sie nicht nachvollziehbar erklären können.

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2. Die Klägerin hat einen der Beklagten anzulastenden Behandlungsfehlers nicht beweisen können.

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a) Aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T. ergibt sich zwar, dass die Schädigung des nervus femoralis im Zusammenhang mit der Operation eingetreten ist. Der Fehlschlag einer ärztlichen Behandlungsmaßnahme reicht aber ebenso wenig wie der Eintritt eines Schadens für eine Haftung des Arztes aus, ein Anscheinsbeweis kommt im Arzthaftungsrecht nur in wenigen Ausnahmefällen in Betracht. Dabei ist es unerheblich, welcher der von den Sachverständigen in Betracht gezogenen sieben theoretisch möglichen Schädigungsmechanismen hier tatsächlich zur Verletzung des nervus femoralis geführt hat, denn der Sachverständige Prof. T. konnte in keinem Fall ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen feststellen. Die Klägerin kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf Beweiserleichterungen unter dem Gesichtspunkt eines Lagerungsschadens berufen, denn der Sachverständige Prof. Dr. T. konnte zum einen nicht feststellen, dass die Schädigung des N. femoralis auf die Lagerung zurückzuführen ist und hat zum anderen eingeschätzt, durch die Lagerung in Rückenlage und die Einhaltung ihrer selbst gesetzten Standardprozeduren habe die Beklagte alles ihr Mögliche getan, um einen solchen Lagerungsschaden zu vermeiden. Macht aber ein Patient Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen fehlerhafter Lagerung bei einer Operation und daraus abgeleiteter Nervschädigungen geltend, scheidet eine Haftung aus, auch wenn die richtige Lagerung als sog. voll beherrschbares Risiko in die Beweislast der Behandlerseite gestellt wird, wenn diese nachweist, dass sämtliche Sicherungsmaßnahmen getroffen wurden (OLG Koblenz, Beschluss vom 02. Dezember 2016 – 5 U 1144/16 –, juris; Urteil vom 22. Oktober 2009, 5 U 662/08; OLG München, Urteil vom 15. März 2012, 1 U 3064/11, KHE 2012,/22 OLG Koblenz).

21
b) Auch das postoperative Behandlungsgeschehen führt nicht zu einer Haftung der Beklagten. Nach den Ausführungen des neurologischen Sachverständigen Prof. Z. trägt der Vorwurf der Klägerin, die Beklagte habe zunächst fehlerhaft allein die Diagnose eines akuten Radikulärsyndroms gestellt und eine Läsion des nervus femoralis differentialdiagnostisch nicht zeitnah in Betracht gezogen, zwar die Feststellung eines (einfachen) Diagnosefehlers. Es fehlt allerdings am erforderlichen Nachweis der Kausalität dieses Behandlungsfehlers für eine verzögerte Behandlung und einen der Klägerin günstigeren Behandlungsverlauf.

22
Beweiserleichterungen kommen der Klägerin nicht zugute. Weder stellt die Unterlassung der Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler dar noch hätte sich ein so gravierender Befund als hinreichend wahrscheinlich ergeben, dass sich seine Verkennung (BGH NJW 1996, 1589) oder die Nichtreaktion auf ihn als fundamental fehlerhaft darstellen würde (BGH NJW 1999, 860). Einer Bewertung des Diagnosefehlers als fundamental steht den gutachterlichen Ausführungen von Prof. Dr. Z. zufolge entgegen, dass anamnestisch bei der Klägerin bereits seit langem Rückenbeschwerden bestanden, die Abgrenzung zu weiteren, bei den bestehenden Beschwerden in Betracht kommenden Diagnosen in einem solchen Fall aber generell schwierig sei und häufig erst mit einer elektrophysiologischen Diagnostik gelinge. Unerheblich ist hierfür, dass die Beklagte keinen Neurologen, sondern einen Orthopäden zur Abklärung der postoperativen Beschwerden der Klägerin hinzugezogen hat. Entscheidend ist allein, ob der hinzugezogene Arzt die zur Behandlung der Beschwerden medizinisch gebotenen Maßnahmen veranlasst hat. Der Sachverständige Prof. Z. hat hierzu ausgeführt, es sei aus neurologischer Sicht gut vertretbar gewesen, auch nach der Diagnose einer Femoralisläsion zunächst den Spontanverlauf abzuwarten und die Behandlung mittels Physiotherapie und Elektrostimulation, die hier einzig in Betracht gekommen wäre, einstweilen zurückzustellen. Dies entspricht der Erfahrung des langjährig mit Arzthaftungssachen befassten Senats in vergleichbaren Fällen. Die Empfehlung des konsiliarisch hinzugezogenen Orthopäden, den weiteren Verlauf abzuwarten und erst bei Beschwerdepersistenz einen Neurologen hinzuzuziehen sowie eine MRT-Untersuchung durchzuführen, entspricht exakt dieser Einschätzung und stellt sich demnach nicht als fehlerhaft dar. Selbst wenn also eine zeitigere Befunderhebung stattgefunden hätte und eine frühzeitigere Diagnose der Femoralisschädigung gelungen wäre, hätte dies nach Einschätzung des Sachverständigen keine frühzeitigere Behandlung geboten. Bei dieser Sachlage stellt sich aber das Unterlassen von weiteren Behandlungsmaßnahmen nicht als grob behandlungsfehlerhaft dar. Kam als Behandlungsoption nach Einschätzung des Sachverständigen Prof. Z. ohnehin einzig eine physiotherapeutische Beübung in Betracht, so ist zudem zu berücksichtigen, dass die Beklagte derartige Maßnahmen umgehend veranlasst hat. Ausweislich der Behandlungsunterlagen hat die Klägerin bereits am 08.11.2014 sowohl eine Reizstrombehandlung als auch Physiotherapie erhalten; diese Therapie ist auch an den Folgetagen fortgeführt worden. Auch eine frühere Diagnose des später festgestellten Bauchdeckenhämatoms, das der Sachverständige Prof. Z. als wahrscheinliche Ursache der Beschwerden der Klägerin ansieht, hätte keine zwingende therapeutische Konsequenz gehabt. Auch in diesem Fall hätte sich an der allgemeinen Empfehlung, zunächst abzuwarten, bzw. bloß physiotherapeutische Maßnahmen anzuordnen, nichts geändert. Schon gar nicht wäre eine Hämatom-Ausräumung geboten gewesen. Das Hämatom ist hier nach Einschätzung des Sachverständigen Prof. Z. vielmehr leitliniengerecht mit Gerinnungshemmern therapiert worden. Hiergegen wendet sich auch die Berufung nicht.

III.

23
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben. Die Streitwertfestsetzung folgt den gestellten Anträgen.

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