BGH, Urteil vom 22.06.1982 – VI ZR 251/80 – Klinikdirektoren
Zur Abgrenzung von (subjektiven) Meinungen gegenüber Tatsachenbehauptungen (hier: Bezeichnung eines Verhaltens als „illegal“).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
I. Auf die Revision der Beklagten wird unter ihrer Zurückweisung im übrigen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 19. September 1980 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat.
II. Das Urteil des Landgerichts in Saarbrücken vom 15. Dezember 1978 wird auf die Berufung der Klägerin teilweise geändert:
1. Die Beklagten werden verurteilt, folgendes zu erklären:
Aufgrund der Schrift „Quo vadis Universitas Saraviensis?“ konnte bei dem Leser der Eindruck entstehen, die Klinikdirektoren an den Universitätskliniken in H/S würden hinsichtlich ihrer Verpflichtung zur persönlichen Erbringung kassenärztlicher Leistungen von der Klägerin gegenüber den niedergelassenen Kassenärzten dadurch bevorzugt behandelt, daß letztere von der Klägerin kontrolliert würden, die Klinikdirektoren dagegen nicht. Dieser Eindruck ist unrichtig. Es sollte lediglich die Auffassung der Beklagten zum Ausdruck kommen, daß die bloße Entgegennahme von Erklärungen der Klinikdirektoren, ihre kassenärztlichen Leistungen persönlich erbracht zu haben, und vereinzelte Stichproben keine wirksame Kontrolle durch die Klägerin darstellen.
2. Die Beklagten haben die Behauptung zu unterlassen,
die Klinikdirektoren an den Universitätskliniken in H würden hinsichtlich ihrer Verpflichtung zur persönlichen Erbringung ihrer kassenärztlichen Leistungen von der Klägerin gegenüber den niedergelassenen Kassenärzten bevorzugt behandelt.
3. Die Beklagten haben auf ihre Kosten den erkennenden Teil des Urteils in normaler Schriftgröße mit einer Überschriftszeile in hervorgehobenem Druck binnen einer Frist von einer Woche ab Zustellung des Urteils in der Gesamtausgabe der S Z zu veröffentlichen.
III. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
IV. Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben die Klägerin 9/10, die Beklagten 1/10 zu tragen. Die Kosten der Rechtsmittelzüge fallen zu 3/4 der Klägerin, zu 1/4 den Beklagten zur Last.
Tatbestand
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In den Jahren 1976 und 1977 befaßte sich ein Untersuchungsausschuß des Landtages des Saarlandes auf Antrag der SPD-Opposition u.a. mit den Nebentätigkeiten der leitenden Klinikdirektoren und ihrer Mitarbeiter an den Universitätskliniken im Landeskrankenhaus H, insbesondere mit ihrer Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung (LT-Drucks. 7/297 und 7/756). In den abschließenden Feststellungen des Ausschusses waren sich dessen Mitglieder nicht in allen Punkten einig; die abweichende Mindermeinung wurde von den Mitgliedern der SPD-Landtagsfraktion vertreten, der der Erstbeklagte angehörte. Dieser gab nach Abschluß der parlamentarischen Untersuchung im September 1977 zusammen mit dem zweitbeklagten Vorsitzenden der SPD-Fraktion eine von ihm verfaßte Druckschrift mit dem Titel: „Quo vadis Universitas Saraviensis?“ heraus, in der die Feststellungen des Untersuchungsausschusses unter dem Blickwinkel der Minderheitsmeinung vor allem zur Beteiligung von leitenden Klinikdirektoren an der kassenärztlichen Versorgung und zu den Regelungen im Funktionsbereich Hämodialyse aufgegriffen und die Aufgabe der Kassenarztpraxen zugunsten von poliklinischen Einrichtungen verlangt wurde.
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Nach Auffassung der klagenden Kassenärztlichen Vereinigung verletzt die Druckschrift ihren Ruf. Von den Äußerungen, wegen derer sie von den Beklagten Widerruf, Unterlassung und Urteilsveröffentlichung verlangt hat, sind gegenwärtig nur noch folgende im Streit:
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1. Die Kassenarztpraxen an den Universitätskliniken
seien illegal.
2. Bei den H Professoren finde keine
Kontrolle von seiten der Kassenärztlichen
Vereinigung statt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr insoweit stattgegeben.
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Mit ihrer (zugelassenen) Revision erstreben die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
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Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann sich die Klägerin gegen die beiden Textstellen, um die es gegenwärtig allein noch geht, mit ihrer Widerrufs- und Unterlassungsklage wehren, weil es sich um unwahre Tatsachenbehauptungen handele, durch die die Klägerin in der Öffentlichkeit unzulässig herabgesetzt werde.
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Das Berufungsgericht erwägt dazu: Den Vorwurf der Illegalität der Kassenarztpraxen an den Universitätskliniken verstehe der unbefangene Leser nach dem Gesamtinhalt der Schrift eindeutig dahin, diese Kassenarztpraxen beruhten auf strafbarem Verhalten, zu dem die Klägerin Beihilfe leiste. Der Leser folgere das aus der Ankündigung des Erstbeklagten im Schlußabsatz des Vorworts der Schrift, er werde zunächst gegen einige Verantwortliche wegen Betrugs, Beihilfe zum Betrug und wegen Untreue Strafanzeige stellen. Diese Äußerung erstrecke sich auch auf die nachfolgenden Textstellen und gebe dem Begriff „illegal“ im Kern dieses Gepräge. Der Vorwurf strafbaren Verhaltens sei unwahr, wie sich aus der Einstellung der Ermittlungsverfahren ergebe, die aufgrund der Strafanzeige des Erstbeklagten u.a. gegen ein Vorstandsmitglied der Klägerin eingeleitet worden seien.
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Unwahr sei auch der Vorwurf, bei den H Professoren finde keine Kontrolle seitens der Klägerin statt. Wie sich aus dem Zusammenhang der Textstelle mit dem vorangehenden Absatz ergebe, sei damit behauptet worden, die H Professoren würden insoweit von der Klägerin gegenüber den niedergelassenen Ärzten privilegiert; jenen werde sofort die Zulassung entzogen, wenn sie Leistungen, die sie nicht persönlich erbracht hätten, abrechneten. Unstreitig finde aber eine solche unterschiedliche Behandlung der genannten Ärztegruppen durch die Klägerin nicht statt.
II.
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Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht durchweg stand.
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1. Ohne Rechtsfehler und von der Revision unbeanstandet nimmt das Berufungsgericht an, daß die Klägerin als juristische Person des öffentlichen Rechts gegen Äußerungen, die in unzulässiger Weise ihr Ansehen in der Öffentlichkeit herabsetzen, in entsprechender Anwendung von § 1004 i.V. mit §§ 823, 824 BGB, §§ 185 ff StGB zivilrechtlichen Ehrenschutz beanspruchen kann. Auch die Passivlegitimation der Beklagten – des Erstbeklagten als Verfasser, des Zweitbeklagten als Mitherausgeber der Druckschrift – ist nicht mehr im Streit.
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Einer Verurteilung der Beklagten steht auch nicht ihre Abgeordnetenindemnität entgegen. Dazu braucht hier nicht der Frage nachgegangen zu werden, ob dieses Privileg für den Saarländischen Landtagsabgeordneten durch Art. 81 der Verfassung des Saarlandes im Bereich des zivilrechtlichen Ehrenschutzes umfassender ausgestaltet sein kann als die bundesrechtlichen Privilegierungen (Art. 46 GG; § 36 StGB), die sich ausdrücklich auf Äußerungen „im Parlament und seinen Ausschüssen“ beschränken, während Art. 81 SaarlVerf auf Äußerungen „in Ausübung des Abgeordnetenmandats“ abhebt. Jedenfalls zielt auch diese Vorschrift, wie der Indemnitätsschutz allgemein, auf die Grundlagen der Parlamentsarbeit, für deren Funktionsbereich die freie Diskussion besonders geschützt werden soll (dazu allgemein BGHZ 75, 384 und Senatsurteil vom 5. Mai 1981 – VI ZR 184/79 = NJW 1981, 2117). Deshalb setzt Art. 81 SaarlVerf, wie die in seinem Absatz 2 aufgeführten Beispiele zusätzlich unterstreichen, nach dem Sinn und den Aufgaben der Vorschrift einen inneren Bezug der Äußerung zur Arbeit im Parlament voraus. Dazu genügt weder, daß die Beklagten Landtagsabgeordnete sind, noch daß sich ihre Äußerungen auf Vorgänge beziehen, die Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchung unter ihrer Mitbeteiligung gewesen sind. Vielmehr muß die Äußerung selbst der Parlamentsarbeit des Abgeordneten, nicht seiner Privatsphäre oder den Funktionen in seiner Partei zuzuordnen sein. Das war schon für Art. 36 WRV anerkannt, an dessen Wortlaut Art. 81 Abs. 1 SaarlVerf angelehnt ist (vgl. Anschütz WRV 12. Aufl. Art. 36 Anm. 2). Dieser innere Bezug fehlt hier. Die Beklagten haben die Informationsschrift nicht in Wahrnehmung von Aufgaben als Parlamentarier, sondern als Bürger und Repräsentanten ihrer Partei veröffentlicht; hierauf erstreckt sich der Indemnitätsschutz nicht (vgl. die genannten Senatsentscheidungen aaO).
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Ebenso entspricht der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts festen Rechtsprechungsgrundsätzen: Mit ihrer Widerrufsklage kann die Klägerin nur Tatsachenbehauptungen bekämpfen, und auch diese nur dann, wenn deren Unwahrheit feststeht. Dagegen kann sie Widerruf von Äußerungen, die auf ihren Wahrheitsgehalt im Beweisweg objektiv nicht überprüft werden können, weil sie nur eine (subjektive) Meinung, ein wertendes Urteil enthalten, nicht verlangen, selbst wenn die in ihnen zum Ausdruck kommende Kritik nicht haltbar ist. Art. 5 Abs. 1 GG, der die freie Meinung gewährleistet, verbietet es, auf diese Weise die Aufgabe einer nur wertenden Kritik mit staatlichen Mitteln – sei es auch vor den Gerichten – zu erzwingen. Ehrverletzenden Meinungsäußerungen kann dagegen mit der Unterlassungsklage begegnet werden. Doch setzt das voraus, daß sich die Beklagten nicht auf ein berechtigtes Interesse an der Wiederholung ihrer Kritik berufen können. Auch diese Interessenabwägung ist an den Wertvorstellungen des Art. 5 Abs. 1 GG auszurichten.
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2. In Anwendung dieser Grundsätze kann dem Berufungsgericht nicht in seinen Ausführungen zu dem Vorwurf der Beklagten gefolgt werden, die Kassenarztpraxen an den Universitätskliniken seien illegal. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts enthält diese Äußerung keine Tatsachenbehauptungen, die einem Widerruf zugänglich wären (a). Gegenüber der Unterlassungsklage können sich die Beklagten insoweit auf ein berechtigtes Interesse an ihrer Kritik berufen (b).
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a) In der Druckschrift ist die beanstandete Textstelle im engen Zusammenhang mit Erwägungen herausgestellt, mit denen die Beklagten unter der Überschrift „Die Freiheit der Wissenschaft eingeschränkt“ ihre von der SPD-Landtagsfraktion schon im Untersuchungsausschuß vertretene These zu erläutern suchen, der Lehr- und Forschungsauftrag der Universitätskliniken und die dazu in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, im Saarländischen Universitätsgesetz vom 7. Juli 1971 und in § 368 n Abs. 2 Satz 3 RVO (in der bis zum Krankenversicherungs- Weiterentwicklungsgesetz vom 28. Dezember 1976 – BGBl I 3871 – geltenden alten Fassung, die weitgehend von § 368 n Abs. 3 Satz 3 RVO n.F. übernommen worden ist) niedergelegten Grundsätze verlangten von der Kassenärztlichen Vereinigung die unmittelbare Beteiligung der Kliniken an der kassenärztlichen Versorgung in der Form von Polikliniken, sie schlössen dagegen deren nur mittelbare Beteiligung durch Zulassung der Professoren zur kassenärztlichen Versorgung nach Maßgabe von § 368 a Abs. 8 RVO wegen des Zuschnitts dieser Beteiligungsform auf die Person des Klinikdirektors als unzulässige Grundrechtsbegrenzung aus (vgl. LT-Drucks. 7/756 S. 33/34).
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Im Bezugszusammenhang dieser Rubrik ist in dem Vorwurf der „Illegalität der Kassenarztpraxen“ lediglich eine durch die Beurteilungsgrundlagen ergänzte Rechtsauffassung der Beklagten zu universitätsrechtlichen und kassenarztrechtlichen Vorschriften und ihrer Bedeutung für die geübte Beteiligungspraxis zusammengefaßt, die als Äußerung bloßer subjektiver Wertungen falsch oder richtig, nicht aber wahr oder unwahr sein kann und deshalb nach den vorangestellten Grundsätzen nicht einem Widerruf zugänglich ist.
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Für den Funktionsbereich der Hämodialyse, mit dem sich die Druckschrift in einem weiteren Punkt unter der Überschrift „Hämodialyse – Das H Millionending“ besonders befaßt, steht der „Illegalitäts“- Vorwurf ferner in Verbindung mit der im Parlamentarischen Untersuchungsausschuß hervorgetretenen Mindermeinung (aaO S. 41), die sog. Tagesdialyse sei Bestandteil der allgemeinen Krankenhausleistungen der Universitätskliniken und sei zu keiner Zeit von dem Gesamtvertrag nach § 368 a RVO oder der Gesamtvergütung nach § 368 f RVO zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung des Saarlandes erfaßt worden; für ihre Umwandlung zu einer als kassenärztliche Tätigkeit des Klinikdirektors Prof. Dr. J. abzurechnenden Leistung unter dessen Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung für diesen Funktionsbereich Anfang 1972 habe weder eine Rechtsgrundlage noch ein Sachgrund bestanden, zumal Art und Weise der Leistungserbringung durch den Krankenhausträger nicht geändert worden sei; nach Inkrafttreten des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (KHG) und der Bundespflegesatzverordnung (BPflVO) verstoße diese Maßnahme gegen zwingendes Bundesrecht. Auch in diesem Bezugszusammenhang erschöpft sich der „Illegalitäts“- Vorwurf in der schlagwortartigen Bezeichnung lediglich einer durch die mitgeteilten Beurteilungsgrundlagen als solche verdeutlichten Rechtsauffassung, die allein auf subjektiver Bewertung außerstrafrechtlicher Normen beruht.
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Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts könnte sich an dem Charakter des Vorwurfs als Werturteil auch nichts ändern, wenn dem Berufungsgericht darin zu folgen wäre, daß der Durchschnittsleser, dessen Verständnis zugrunde zu legen ist, der Textstelle deshalb einen besonderen Inhalt gibt, weil der Erstbeklagte am Schluß seines „Vorworts“ auf die strafrechtliche Relevanz der Vorgänge hingewiesen und erklärt hat, er werde zunächst gegen einige Verantwortliche Strafanzeige wegen Betrugs, Beihilfe zum Betrug und wegen Untreue stellen. Eine Bewertung des „Illegalitäts“- Vorwurfs am Gesamtinhalt der Druckschrift muß dem Standort gerecht werden, den die beanstandete Textstelle nach Gedankenführung und Stoffgliederung im Gesamttext hat. Die Einflüsse des Vorworts auf das Verständnis des nachfolgenden Textes sind dadurch begrenzt, daß das Vorwort deutlich „vor die Klammer“ einer Vielzahl von Einzelpunkten gesetzt ist, die wiederum durch Überschriften voneinander abgesetzt und in sich gegliedert sind. Das führt zum einen dazu, daß die strafrechtliche Komponente, die der beanstandeten Textstelle nach Auffassung des Berufungsgerichts durch das Vorwort mitgeteilt wird, den „Illegalitäts“-Vorwurf, der dort schon durch außerstrafrechtliche Argumente abgedeckt wird, allenfalls erweitern kann. Schon aus diesem Grunde ginge die Forderung, die Äußerung ohne Einschränkung zu widerrufen, über den Teilaspekt hinaus, der auch nach der Ansicht des Berufungsgerichts den Widerruf stützen könnte. Davon abgesehen wird das Berufungsgericht den insoweit durch Art. 5 Abs. 1 GG gesetzten Maßstäben nicht gerecht, wenn es den Vorwurf der „Illegalität“ allein wegen dieser strafrechtlichen Komponente als Tatsachenbehauptung einstuft und vernachlässigt, daß die Äußerung auch mit dieser Färbung durchweg auf subjektiver Wertung beruht. Auch die Einstufung eines Vorgangs als strafrechtlich relevanter Tatbestand ist prinzipiell keine Tatsachenbehauptung, sondern Werturteil (Senatsurteile vom 17. November 1964 – VI ZR 181/63 = NJW 1965, 294, 295; vom 4. Juni 1974 – VI ZR 68/73 = VersR 1974, 1080, 1081). Anderes gilt, wenn das Urteil nicht als Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorruft. Dafür ist hier keine ausreichende Grundlage vorhanden. Es ginge zu weit, allein deshalb, weil der Erstbeklagte in seinem Vorwort von Betrug und Untreue gesprochen hat, mit dem „Illegalitäts“-Vorwurf, der im übrigen durch Mitteilung der Beurteilungsgrundlagen deutlich als Rechtsauffassung ausgewiesen ist, eine Mitteilung von Umständen zu verbinden, die hier die genannten Strafnormen zu konkretisieren vermöchten. Nicht nur fehlt es dazu an Ansätzen in der Rubrik „Die Freiheit der Wissenschaft eingeschränkt“, sondern auch im Vorwort selbst, das nähere Angaben zum Inhalt der Strafanzeige, insbesondere dazu vermissen läßt, auf welche der nachfolgenden Rubriken sie sich beziehen soll. Auch das Berufungsgericht ist offenbar der Auffassung, daß dem Vorwurf der „Illegalität“ durch das Vorwort nur pauschal der Vorwurf „strafbaren Verhaltens“ vermittelt wird. Bei dieser Sachlage ist aber die Äußerung auch bei diesem Verständnis zu substanzarm, um als wahr oder unwahr eingestuft werden zu können.
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b) Auch der Unterlassungsausspruch kann nicht bestehen bleiben.
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Das Berufungsgericht hat – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – ein schutzwürdiges Interesse der Beklagten an der Wiederholung des Vorwurfs verneint, weil es ihn – zu Unrecht – als unwahre Tatsachenbehauptung gewertet hat, an deren Weiterverbreitung freilich nie, auch nicht im Blick auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit, ein schutzwürdiges Interesse bestehen kann.
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Indes enthält der Vorwurf nach dem zuvor Gesagten keine Tatsachenbehauptung, sondern nur eine subjektive Meinung der Beklagten, die ihnen gemäß Art. 5 Abs. 1 GG in der politischen Auseinandersetzung um Fragen, die – wie hier – die Öffentlichkeit besonders angehen, gestattet sein muß, auch wenn sie dem Ruf der Klägerin abträglich sein kann. Insoweit treffen die Erwägungen zu, aus denen Landgericht und Oberlandesgericht der Klägerin einen Unterlassungsanspruch gegen andere Textstellen der Informationsschrift versagt haben, weil es sich bei diesen nur um wertende Kritik handelt. Auch nachdem der Fragenkomplex im Landtag untersucht und der Rechtsstandpunkt, daß die Kassenarztpraxen unzulässig seien, mehrheitlich abgelehnt worden ist, haben die Beklagten ein schutzwürdiges Interesse daran, ihre Mindermeinung in der Öffentlichkeit auch in Zukunft mit nachdrücklichen Formulierungen zu vertreten. Ob ihre Rechtsauffassung haltbar ist, ist ohne Belang, so lange sich die Kritik nicht als bloße Schmähkritik erweist; davon kann hier auch nach Auffassung des Berufungsgerichts keine Rede sein.
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Anderes gilt auch nicht deshalb, weil die von dem Erstbeklagten angestrengten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren inzwischen eingestellt worden sind. Wie dargelegt, deckt der Vorwurf, die Kassenarztpraxen seien illegal, die Rechtsauffassung der Beklagten schon in ihren außerstrafrechtlichen Erwägungen ab. Die Klägerin kann deshalb nicht schon deswegen, weil sich der strafrechtliche Aspekt erledigt hat, ein Verbot der Kritik schlechthin verlangen, wie sie es fordert, sondern allenfalls, daß in Zukunft die Kritik nicht mehr mit der in Frage stehenden Textstelle des Vorworts verbunden wird. Für ein derart eingeschränktes Unterlassungsgebot ist jedoch ein schutzwürdiges Interesse nicht erkennbar. Nichts ist dafür ersichtlich, daß die Klägerin nach Erledigung der Strafanzeige besorgen müßte, die Beklagten würden den Vorwurf der Illegalität noch einmal in Verbindung mit solcher Ankündigung erheben.
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3. Zu Recht hat das Berufungsgericht der Klägerin negatorische Ansprüche gegen den Vorwurf zuerkannt, bei den H Professoren finde keine Kontrolle seitens der Klägerin statt (a). Jedoch kann die Klägerin entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts anstelle eines Widerrufs nur eine Richtigstellung verlangen; ebenfalls ist der Unterlassungsausspruch einzuschränken (b).
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a) In dem Abschnitt der Druckschrift, in dem die beanstandete Textstelle steht, setzen sich die Beklagten u.a. mit der den Kassenärzten durch § 32 Abs. 1 Satz 1 ZulO- Ärzte auferlegten Verpflichtung, die ärztliche Leistung persönlich zu erbringen, und dem Umstand auseinander, daß nach den Feststellungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses Klinikdirektoren ihre kassenärztliche Tätigkeit „weitgehend auf nachgeordnete Ärzte delegiert und sich auf die Wahrnehmung der Oberaufsicht und der Kontrolle sowie eine Besprechung bzw. Intervention in schwierigen Fällen“ beschränkt haben (LT-Drucks. 7/756 S. 18 ff). Dazu heißt es in der Druckschrift:
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„….. Dies führt in Einzelfällen sogar soweit,
daß 3 – 4 nachgeordnete Ärzte in Vollzeitbeschäftigung
in der Kassenarztpraxis ihres Chefs
eingesetzt werden.
Die Klinikchefs melden die von ihren Untergebenen
erbrachten Leistungen als persönlich erbracht an
die Kassenärztliche Vereinigung des Saarlandes.
Die nachgeordneten Ärzte arbeiten, Klinikchefs
kassieren und versichern in jedem Quartal erneut
durch Unterschrift, daß sie die Leistung persönlich
erbracht haben.
Einem niedergelassenen Arzt, der Leistungen abrechnet,
die er nicht persönlich erbracht hat,
würde sofort die Zulassung entzogen.
Bei den H Professoren findet jedoch keine
Kontrolle von Seiten der Landesregierung oder der
Kassenärztlichen Vereinigung statt!
(Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung
Saar, der die persönliche Leistungserbringung
überwachen soll, ist Sanitätsrat Dr. P. …
Er ist auch Kommanditist der B. Kurklinik GmbH & Co. KG.
Weitere Geldgeber und Mitkommanditisten:
Einige der betroffenen H Professoren
nebst Gattinnen.).“
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Die Feststellung des Berufungsgerichts, die beanstandete Textstelle erwecke in dem Kontext, in dem sie stehe, bei dem unbefangenen Leser den Eindruck, die Klägerin bevorzuge die H Professoren vor den niedergelassenen Ärzten hinsichtlich der Kontrolle der persönlichen Leistungserbringung, jene würden kontrolliert, diese nicht, hält sich in den Grenzen tatrichterlicher Würdigung. Die Rügen der Revision sind nicht geeignet, die Würdigung zu erschüttern, daß jedenfalls auch der Privilegierungsvorwurf der beanstandeten Textstelle entnommen werden kann. Insbesondere muß weder der Druckanordnung, noch dem Gesamtzusammenhang der Druckschrift Gegenteiliges entnommen werden. Vielmehr spricht für einen solchen Eindruck ungleicher Behandlung bei der Überwachung zusätzlich, daß durch den Klammerzusatz auf eine wirtschaftliche Interessenverknüpfung zwischen der Klägerin und einzelnen betroffenen Klinikdirektoren hingewiesen worden ist.
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Zutreffend wertet das Berufungsgericht die Aussage in diesem Verständnis als Tatsachenbehauptung, die das Ansehen der Klägerin in der Öffentlichkeit mindert. Seine Feststellung, daß die Behauptung, so verstanden, unwahr ist, greift die Revision nicht an.
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b) Auf dieser Grundlage kann daher die Klägerin von den Beklagten zwar Widerruf und Unterlassung der Behauptung sowie die Veröffentlichung des erkennenden Teils des Urteils verlangen. Jedoch läßt das Berufungsgericht außer acht, daß diese negatorischen Behelfe nur wegen eines Teilaspekts der beanstandeten Aussage gerechtfertigt sind und daher auf diesen beschränkt werden müssen. Die inkriminierte Textstelle selbst ist umfassender auf Kritik an fehlender Überwachung der persönlichen Leistungserbringung gerichtet; die Behauptung einer Bevorzugung der Klinikdirektoren vor den niedergelassenen Ärzten kommt in ihr selbst nicht unmittelbar zum Ausdruck. Der Widerrufs- und Unterlassungsausspruch des Berufungsgerichts, der die Textstelle losgelöst aus ihrem Textzusammenhang zum Inhalt hat, geht erheblich über das schutzwürdige Anliegen der Klägerin hinaus. So gefaßt muß der Widerruf den Eindruck erwecken, als habe die Klägerin die Klinikdirektoren ordnungsmäßig kontrolliert. Dazu kann die Klägerin die Beklagten nicht verpflichten. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuß hat sogar einstimmig festgestellt, daß die Kontrollen der Klinikdirektoren durch die Klägerin ebenso wie die Aufklärung über die Pflichten des Kassenarztes unzureichend waren. Es heißt dazu in dem Bericht (aaO S. 35):
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„Ein pauschaler Hinweis der Kassenärztlichen
Vereinigung Saar auf die gesetzlichen Pflichten
eines Kassenarztes reicht ebensowenig aus, wie
die Beschränkung der Kontrolle auf die Abgabe
einer Erklärung, daß die mit der Abrechnung
geltend gemachten Leistungen persönlich erbracht
werden. Insoweit ist die Kassenärztliche Vereinigung
Saar der ihr gegenüber ihren Mitgliedern
obliegenden Aufklärungs- und Kontrollpflicht
nicht mit genügendem Nachdruck nachgekommen.“
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Bei dieser Sachlage kann sich die Klägerin weder mit der Widerrufs- noch der Unterlassungsklage gegen den Vorwurf der Beklagten wehren, die H Professoren (nahezu) nicht kontrolliert zu haben. Davon geht ersichtlich auch das Berufungsgericht aus, das insoweit auf die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil verweist. Daß den Abrechnungen eine Erklärung beigefügt werden mußte, in der die Klinikdirektoren die persönliche Leistungserbringung zu versichern hatten, konnten die Beklagten vernachlässigen, da der Vorwurf nicht die formale Seite der Kontrolltätigkeit, sondern eine materiell als solche zu bezeichnende Überwachung zum Gegenstand hatte, die – von einzelnen Stichproben abgesehen – unstreitig nicht stattgefunden hat, obwohl dazu schon angesichts der Verhältnisse an den Universitätskliniken besonderer Anlaß bestand.
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Sonach ist die beanstandete Textstelle nicht schlechthin, sondern nur in jenem Teilaspekt unwahr, der den Lesern durch den Kontext, in dem sie steht, vermittelt wird. Bei dieser Sachlage kann die Klägerin nicht ihren Widerruf schlechthin, sondern nur eine Richtigstellung des Behaupteten verlangen (BGHZ 31, 308, 318; Senatsurteile vom 20. Juni 1961 – VI ZR 222/60 = LM GG Art. 5 Nr. 7; vom 6. April 1976 – VI ZR 246/74 = GRUR 1976, 651, insoweit in BGHZ 66, 182 nicht abgedruckt). Diese Einschränkung bedeutet eine Verurteilung nicht zu etwas anderem, sondern nur zu „weniger“, als die Klägerin verlangt hat, und kann von dem Revisionsgericht selbst vorgenommen werden.
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Entsprechend ist das Unterlassungsbegehren der Klägerin auf die Teilaussage zu beschränken, die Klinikdirektoren an den Universitätskliniken würden hinsichtlich ihrer Verpflichtung zur persönlichen Erbringung ihrer kassenärztlichen Leistungen von der Klägerin gegenüber den niedergelassenen Kassenärzten bevorzugt behandelt. Nur insoweit ist die Behauptung unwahr und steht den Beklagten deshalb ein berechtigtes Interesse an ihrer Wiederholung nicht zur Seite.