Zum Vorliegen verjährungshemmender Verhandlungen

Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 14.01.2014 – 4 W 40/13

Verjährungshemmende Verhandlungen über den Anspruch i.S.v. § 203 BGB setzen nicht voraus, dass die Verhandlungen darauf abzielen, die Ansprüche zu realisieren. Vielmehr kann es im Einzelfall genügen, wenn sich der Anspruchsinhaber Ansprüchen berühmt, um seine Verhandlungsposition in Bezug auf ein anderes Interesse zu stärken.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 10. Juli 2013 – 1 O 86/12 – aufgehoben, soweit das Landgericht den auf die Widerklageanträge zu 1) – 3) gerichteten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen hat. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Beklagte plante, eine Ferienanlage in Südfrankreich zu errichten, und beabsichtigte, ein Hausanwesen zu erwerben, welches durch einen Neubau erweitert werden sollte. Zum Zwecke der Finanzierung nahm sie Verhandlungen mit der Klägerin auf. Bei diesen Verhandlungen wurde über ein Gesamtfinanzierungsvolumen von 1,3 Millionen gesprochen, womit sowohl der Erwerb der Immobilie als auch die Umbaumaßnahmen finanziert werden sollten. Während das Darlehen für den Erwerb der Immobilie mit Darlehensvertrag vom 23./25.10.2007 bewilligt wurde und auch zur Auszahlung kam, lehnte die Klägerin die Finanzierung des Umbaus mit Schreiben vom 20.3.2008 ab. Die Mitarbeiterin der Klägerin, die hatte die Beklagte zuvor davon in Kenntnis gesetzt, dass die Klägerin weitere Sicherheiten für erforderlich halte. Mit Schreiben vom 17.3.2009 kündigte die Klägerin das Darlehen und stellte eine Forderung von 846.325,64 EUR fällig. Die Klägerin verwertete zwischenzeitlich die von der Beklagten gestellten Sicherheiten. Auch das Anwesen in Frankreich wurde zwangsversteigert.

2

Mit der vorliegenden negativen Feststellungsklage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass der Beklagten im Zusammenhang mit der Gewährung eines Darlehens und weiteren Darlehensverhandlungen zur Finanzierung des Grundbesitzes der Beklagten in Südfrankreich keine Schadensersatzansprüche zustehen.

3

Die Beklagte hat Prozesskostenhilfe für die Durchführung einer Widerklage beantragt.

4

Sie hat hierzu behauptet, die Finanzierung von Kauf und Umbau seien in einem Kreditantrag beantragt worden. Die Gesamtfinanzierung sei ihr zugesagt worden. Die Zeugin habe ihr vor Unterzeichnung des notariellen Kaufvertrags in Frankreich erklärt, der Kredit für den Neubau sei eine reine Formsache. Hierbei habe sie verschwiegen, dass sie den Kreditantrag von 27.9.2007 nicht korrekt ausgefüllt habe und daher dem Vorstand nur die Finanzierung des Kaufs der Immobilie, nicht aber einen Kreditantrag über 1,35 Millionen EUR vorgelegt habe. Die Klägerin habe gewusst, dass der Kauf der Immobilie ohne den Umbau keinen Sinn gemacht hätte.

5

Durch die unzulässige Zwangsverwaltung von Immobilien in Deutschland und Frankreich sei ihr ein bezifferter Schaden in Höhe von 1.130.120 EUR entstanden (Widerklageantrag zu 1). Darüber hinaus sei die Klägerin verpflichtet, der Beklagten den Schaden zu ersetzen, der durch die Versteigerung des Immobilienbesitzes in, den Verkauf von Immobilien in und sowie durch die fehlende Fertigstellung des Neubaus der Ferienanlage in, Frankreich, entstanden sei. Bezüglich der Einzelheiten der Widerklage wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 26.4.2013 (GA III Bl. 335 ff.) Bezug genommen.

6

Die Klägerin hat hinsichtlich der mit der Widerklage in Leistungs- und Feststellungsantrag geltend gemachten Schadensersatzansprüche die Einrede der Verjährung erhoben.

7

Mit Beschluss vom 10.7.2013 hat das Landgericht den Antrag der Beklagten, ihr für die Widerklage Prozesskostenhilfe zu bewilligen, abgewiesen und hierbei die Auffassung vertreten, dass die Rechtsverfolgung der Beklagten hinsichtlich der Widerklageanträge zu 1-3) jedenfalls deshalb keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besitze, weil die geltend gemachten Schadensersatzansprüche verjährt seien. Hinsichtlich der Widerklageanträge zu 4) und 5) bestehe kein Rechtsschutzinteresse, nachdem die Zwangsversteigerung der Immobilie erfolgt sei. Hinsichtlich des Widerklageantrags zu 5) fehle es überdies an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. Hinsichtlich des Widerklageantrags zu 6) sei das Widerklagevorbringen unschlüssig, da es an einer nachvollziehbaren Begründung fehle.

8

Hiergegen hat die Beklagte mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 19.7.2013, eingegangen am 18.7.2013, sofortige Beschwerde eingelegt.

9

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einer Verjährung der Schadensersatzansprüche ausgegangen sei. Das Landgericht habe verkannt, dass sich die Parteien über die mit der Widerklage geltend zu machenden Schadensersatzansprüche jedenfalls bis ins Jahr 2011 in Verhandlungen befunden hätten. Auch enthalte der abgeschlossene Darlehensvertrag vom November 2007 eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung mit der Folge, dass die Antragstellerin den Kreditvertrag mit Schreiben vom 6.1.2017 wirksam widerrufen habe. Nach der Erklärung des Widerrufs sei die Klägerin verpflichtet, die Zahlungen, die sie seitens der Beklagten erhalten habe, zurückzuerstatten. Sie habe daher auch keine Rechtsgrundlage mehr für ihre Vollstreckungsmaßnahmen.

10

Mit Beschluss vom 25.11.2013 (GA IV Bl. 714 ff.) hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Saarländischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

11

A. Die gem. § 127 ZPO form- und fristgerecht eingelegte, mithin zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten, über die gem. § 568 Abs. 1 ZPO das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter entscheidet, hat teilweise Erfolg: Soweit das Landgericht die Einrede der Verjährung hinsichtlich der mit der Widerklageanträge zu 1) – 3) geltend gemachten Schadensersatzansprüche für durchgreifend erachtet hat, hält die angefochtene Entscheidung einer Rechtskontrolle nicht stand.

12

1. Allerdings ist das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass den Wideranträgen zu 1-3) Schadensersatzansprüche aus §§ 280, 311 BGB wegen behaupteter Aufklärungspflichtverletzung bzw. der Verletzung einer Finanzierungszusage zu Grunde liegen. Diese Ansprüche unterliegen der Regelverjährung des § 195 BGB, deren Lauf aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung mit Abschluss des Jahres 2008 begann: Dass die Beklagte im Verlauf des Jahres 2008 i.S.v. § 199 Abs. 2 Nr. 2 BGB Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangte, folgt mit Klarheit daraus, dass die anwaltlich vertretene Beklagte bereits im Jahr 2008 mit ihrem Schadensersatzbegehren an die Klägerin herantrat.

13

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist nach dem vorläufigen Beurteilungsmaßstab des PKH-Prüfungsverfahrens davon auszugehen, dass sich die Parteien gemäß § 203 Satz 1 BGB bis Mitte des Jahres 2011 in Verhandlungen über den Anspruch befanden, so dass die Verjährung zum Zeitpunkt des Eingangs des PKH-Antrags (am 21.5.2013) noch nicht abgelaufen war. Da die Verjährung mit Eingang des PKH-Antrags gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB einer erneuten Hemmung unterlag, sind die Ansprüche bislang noch nicht verjährt.

14

a) Der Begriff »Verhandlungen« i.S.v. § 203 S. 1 BGB ist weit auszulegen. Sie werden im Regelfall dadurch initiiert, dass der Gläubiger einen Anspruch geltend macht und klarstellt, worauf er ihn stützen will. Anschließend genügt jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, sofern der Schuldner dies nicht sofort und erkennbar ablehnt. Verhandlungen schweben schon dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die die Annahme gestatten, dass der Erklärende sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruches oder dessen Umfang einlasse. Demgegenüber ist es nicht erforderlich ist, dass dabei Vergleichsbereitschaft oder die Bereitschaft zum Entgegenkommen signalisiert wird oder gar Erfolgsaussicht besteht (BGHZ 182, 76, 80 f.; vgl. Urt. v. 1.2.2007 – IX ZR 180/04, NJW-RR 2007, 1358 Tz. 32; Urt. v. 26.10.2006 – VII ZR 194/05, NJW 2007, 587 Tz. 10; Urt. v. 17.2.2004 – VI ZR 429/02, NJW 2004, 1654; Palandt/Ellenberger, BGB, 72. Aufl., § 203 Rdnr. 2; Peters/Jacoby in: Staudinger, Neubearbeitung 2009, § 203 Rdnr. 7 ff., MünchKomm (BGB)/Grothe, 6. Aufl., § 203 Rdnr. 5).

15

b) Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Voraussetzungen wurden im vorliegenden Sachverhalt Verhandlungen i.S.v. § 203 S. 1 BGB geführt:

16

aa) Es steht außer Streit, dass die Parteien beginnend mit dem Jahr 2009 in einen intensiven Dialog eintraten. Diese, teilweise unter Beteiligung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten geführten Gespräche dienten – worauf das Landgericht im Abhilfebeschluss zutreffend hingewiesen hat – primär dem Ziel, das von der Beklagten geplante Projekt durch Fremdfinanzierung zu realisieren und nach einer erfolgreichen Umschuldung Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Klägerin abzuwenden, die der Beklagten nach Fälligstellung des gekündigten Darlehens drohten. Gleichwohl waren diese Verhandlungen nicht allein auf die Möglichkeiten einer Umschuldung durch Drittfinanzierung beschränkt. Vielmehr führte die Beklagte zur Stärkung ihrer Verhandlungsposition mit Nachdruck auch die mit der Widerklage verfolgten Schadensersatzansprüche in die Verhandlungen ein. Dies ist etwa mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 24.4.2009 (GA IV Bl. 692 f.) geschehen, in dem die Beklagte die Aufrechnung mit ihren Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Anspruch auf Rückzahlung der gewährten Darlehen erklärte. Mit Schreiben vom 10.6.2009 (GA IV Bl. 695 ff.) unterbreitete die Beklagte einen Vergleichsvorschlag, der als Gegenleistung der Beklagten u.a. ausdrücklich vorsah, dass die Beklagte die ihr zustehenden Schadensersatzansprüche als abgegolten betrachte, die die Beklagte mit 300.000 – 450.000 EUR bezifferte. Diese Verhandlungen mit dem Ziel einer Umschuldung wurden noch bis zu einem Gesprächstermin am 31.5.2011 fortgeführt.

17

bb) Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass die Klägerin, die sich auf die Verhandlungen einließ, auch die Gegenforderungen in ihre Erwägungen einbezog, ob und gegebenenfalls auf welche Weise sie dem Begehren der Beklagten nähertreten könne. Dieser Zusammenhang reicht jedoch aus, um auch die Gegenforderungen in die Verhandlungen einzubeziehen. Dieses weite Verständnis kommt im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck: Nach der Formulierung (§ 203 S. 1 BGB) reicht es aus, dass nicht der Anspruch selber, sondern die den Anspruch begründenden Umstände den Gegenstand der Verhandlungen bilden. Demnach wird der gesamte Lebenssachverhalt der den Anspruch begründenden Umstände in seiner Gesamtheit zum Gegenstand der Verhandlungen, solange nicht eine Seite bestimmte einzelne Ansprüche ausdrücklich als nicht verhandelbar deklariert (Peters/Jacoby, aaO, § 203 Rdnr. 14). Davon wäre im zur Entscheidung stehenden Sachverhalt etwa dann auszugehen, wenn die Klägerin dem Ansinnen der Beklagten auf Gegenrechnung mit Schadensersatzforderungen entgegengetreten wäre und mit Klarheit zum Ausdruck gebracht hätte, dass sie das Entgegenkommen der Beklagten in Gestalt eines Forderungsverzichts keinesfalls als „Gegenleistung“ akzeptiere.

18

cc) Ein solcher Sachverhalt ist jedoch nicht ersichtlich. Insbesondere reicht es nicht aus, dass die Klägerin bereits im Jahr 2008 das Bestehen von Schadensersatzansprüchen abgelehnt hatte. Diese Sichtweise verkennt, dass auch ein Schuldner, der das Bestehen der Schuld bestreitet, ein nachvollziehbares Interesse daran haben kann, forensische Risiken zu vermeiden, die ihm aus einer gerichtlichen Geltendmachung der vermeintlichen Ansprüche drohen. Dies berücksichtigend kann auch eine Verzichtserklärung des vermeintlichen Gläubigers, die diese Risiken ausschließt, Motivation dafür sein, dem vermeintlichen Gläubiger im Rahmen einer Gesamtbereinigung einer Geschäftsbeziehung auf einem anderen Feld entgegenzukommen.

19

3. Da das Landgericht die Erfolgsaussichten der Widerklageanträge zu 1-3) ausschließlich unter dem rechtlichen Aspekt der Verjährung geprüft hat, sieht sich der Senat zu einer abschließenden Bescheidung des Prozesskostenhilfeantrags außerstande. Dem Landgericht wird Gelegenheit gegeben, die Voraussetzungen des § 114 ZPO im wiedereröffneten Verfahren in umfassender Hinsicht zu prüfen.

20

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist anzumerken, dass der Senat zur Beschleunigung des Verfahrens davon Abstand genommen hat, der Klägerin vor einer Sachentscheidung förmliche Gelegenheit zur Stellungnahme auf den Schriftsatz der Gegenseite vom 9.1.2014 zu gewähren, nachdem die dort vorgetragenen rechtlichen und tatsächlichen Aspekte den vorliegenden Beschluss nicht tragen.

21

4. Soweit das Landgericht hinsichtlich der Widerklageanträge zu 4-6) die Erfolgsaussichten der Klage verneint und den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgewiesen hat, lassen die Ausführungen des Landgerichts, die unangefochten geblieben sind, keine Rechtsfehler erkennen.

22

B. Eine Kostenerstattung war nicht veranlasst. Eine Kostenerstattung findet nicht statt (§ 127 Abs. 4 ZPO).

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