OLG Köln, Urteil vom 22. August 2007 – 5 U 267/06
Zum Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtsverletzung durch Rettungssanitäter
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 8.11.2006 (25 O 503/02) abgeändert und wie folgt gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
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Am 20.11.1999 gegen 7 Uhr 45 geriet der damals 31-jährige Kläger in eine Auseinandersetzung mit ihm fremden, unbekannt gebliebenen Personen. Er erhielt von einer männlichen Person, ohne dieser hierzu einen Anlass gegeben zu haben, einen heftigen Faustschlag in das Gesicht, wodurch er zu Boden stürzte, mit dem Kopf auf der Straße aufschlug, und mit dem Gesicht nach unten, aus Nase und Mund blutend, bewusstlos liegen blieb. Der Täter und die anderen Beteiligten flüchteten und konnten nicht ermittelt werden.
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Kurze Zeit später traf ein von Passanten alarmierter Rettungswagen des Malteser Hilfsdienstes ein, der im Auftrag der Berufsfeuerwehr der Beklagten den Rettungsdienst versah, und der mit drei Rettungssanitätern, den Zeugen A., C. und T., besetzt war. Diese Zeugen stellten bei dem bewusstlosen Kläger röchelnde Spontanatmung fest. Oberhalb des rechten Auges befand sich ein Hämatom. Die Pupillen zeigten keine Auffälligkeiten, insbesondere keine ungleiche Weite der Pupillen (Anisokorie). Die Zeugen legten den Kläger in leichter Seitenlage auf eine Trage und fixierten den Körper mit einem Fußgurt und mit einem der beiden diagonal über den Oberkörper verlaufenden Brustgurte. Auf die Anlegung des zweiten Brustgurtes verzichteten sie bewusst mit Rücksicht auf die Verletzungen des Klägers. Sodann fuhren bzw. hoben die Zeugen A. und C. die Trage hoch und versuchten, das Fahrgestell der Trage in höchster Stufe einrasten zu lassen. In etwa einem Meter Höhe geriet die Trage dabei aus dem Gleichgewicht und der Kläger stürzte aus dieser Höhe erneut auf die Straße, wobei streitig ist, ob er unmittelbar mit dem Kopf aufschlug, oder zunächst mit der Schulter aufkam und sodann mit dem Kopf auf den Boden gelangte. Der später eintreffende Notarzt stellte nunmehr bei dem Kläger auch das Vorliegen einer Anisokorie der Pupillen fest. Auf Anweisung des Notarztes wurde der Kläger zunächst in das N.-Hospital verbracht. Von dort wurde er etwa eine Stunde später in die Neurochirurgie der Universitätsklinik L. verlegt. Die Untersuchung des Schädels ergab unter anderem eine erhebliche Mittellinienverlagerung des Gehirns, ein subdurales Hämatom, das operativ entlastet werden musste, sowie Frakturen im Bereich des linksseitigen Schädeldaches einerseits, sowie des Nasenbeins, des Jochbeins und der seitlichen sowie inneren rechten Augenhöhlenbegrenzung andererseits.
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In den folgenden Jahren unterzog sich der Kläger zahlreichen medizinischen Eingriffen und Rehabilitationsmaßnahmen. Als Folge der geschilderten Ereignisse sind erhebliche nachteilige Folgen bei dem Kläger, der bis heute nicht berufstätig ist, verblieben. Art und Schwere dieser Folgen sind zwischen den Parteien allerdings streitig.
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Der Kläger hat behauptet, beim Sturz von der Trage mit dem Kopf auf der Straße aufgeschlagen zu sein. Dadurch sei zumindest eine Verschlechterung der nach dem Faustschlag und dem ersten Sturz auf die Straße bestehenden Verletzungen eingetreten. Dies ergebe sich aus der vom Notarzt erstmals festgestellten Anisokorie. Ferner sei erst nach dem Sturz eine Platzwunde an der Stirn festgestellt worden. Er hat die Auffassung vertreten, es sei fehlerhaft gewesen, nur zwei Sanitäter beim Transport in den Rettungswagen einzusetzen. Insbesondere im Hinblick auf die nicht stabile Absicherung hätte zwingend der Zeuge T. mithelfen müssen, um ein Abrutschen des Klägers von der Trage zu verhindern. Es sei auch verfehlt gewesen, zunächst das N.-Hospital anzufahren. Richtigerweise hätte er sofort in die Neurochirurgie der Uniklinik verbracht werden müssen, was zu vermeidbaren Verzögerungen bei der Behandlung geführt habe. Der Kläger hat weiter behauptet, bis heute an erheblichen körperlichen Einschränkungen zu leiden, nämlich einer Resthemiparese rechtsseitig, einer Störung der Feinmotorik mit ataktischem Gangbild, einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung der linken Schulter und vor allem einer erheblichen Minderung seiner kognitiven Fähigkeiten (Konzentrationsschwäche, Affektlabilität, Aggressivität, Ermüdbarkeit und weiteres), die zu einer vollständigen Erwerbsunfähigkeit geführt hätten.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 50.000.- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.3.2002 zu zahlen,
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen materiellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 20.11.1999 zu ersetzen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat bestritten, dass der Kläger bei dem Sturz von der Trage unmittelbar mit dem Kopf aufgeschlagen sei und sich dabei weitere Verletzungen zugezogen habe. Vielmehr sei der Kläger zunächst auf die rechte Schulter gefallen, dann auf den Rücken gerollt, und sei erst dann mit dem Kopf ohne besondere Wucht aufgekommen. Das von Zeugen geschilderte Aufprallgeräusch stamme von der Auflage der Trage. Auch das Auftreten der Anisokorie besage nichts, denn diese benötige zu ihrer Entstehung eine gewisse Zeit und sei daher ohne weiteres dem ersten Sturz zuzuordnen. Es sei nicht fehlerhaft gewesen, den Kläger von nur zwei Sanitätern in den Rettungswagen verbringen zu lassen, denn vorgeschrieben sei grundsätzlich nur eine Besetzung des Rettungswagens mit zwei Rettungssanitätern. Es sei auch nicht falsch gewesen, den Kläger zunächst in das N.-Hospital zu verbringen, da es sich hierbei um ein zur diagnostischen Erstversorgung ausgerüstetes Notfallkrankenhaus gehandelt habe.
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Das Landgericht hat zum Hergang des Geschehens Zeugen vernommen, nämlich die drei Rettungssanitäter sowie drei weitere Zeugen, die sich zur Zeit des Geschehens in der Nähe aufhielten (Zeugen D., Z., N.), ferner den Vater des Klägers. Es hat ferner ein Sachverständigengutachten eingeholt. Mit Urteil vom 8.11.2006 hat es sodann der Klage stattgegeben, wobei ein Schmerzensgeldbetrag von 50.000.- € ausgeurteilt wurde. Die Beklagte hafte aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung für das Verhalten der Zeugen A., C. und T.. Die von dem Erstschädiger in Gang gesetzte Kausalkette sei durch das Fallenlassen des Klägers von der Trage unterbrochen worden, denn damit hätten die Sanitäter in außerordentlich hohem Maße ihre Sorgfaltsanforderungen verletzt. Damit sei hinsichtlich der Kausalität § 830 Abs.1 Satz 2 BGB anwendbar, wonach bei unaufklärbaren Verursachungsbeiträgen zweier unabhängiger Schädiger beide gesamtschuldnerisch für den Schaden aufzukommen hätten. Der Sturz von der Trage sei nach den sachverständigen Feststellungen geeignet gewesen, die schweren Schädigungen des Klägers alleine herbeizuführen. Es sei insofern auch davon auszugehen, dass der Kläger unmittelbar mit dem Kopf aufgeschlagen sei. Dies ergebe sich insbesondere aus der Schilderung des Zeugen N., der das Aufprallgeräusch in einer Weise geschildert habe, dass nur eine knöcherne Schädelverletzung in Betracht komme. Die gegenteiligen Bekundungen der beiden betroffenen Sanitäter seien damit widerlegt. Die Sanitäter hätten schuldhaft gehandelt.
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Mit der hiergegen eingelegten Berufung verfolgt die Beklagte das Ziel vollständiger Klageabweisung weiter. Sie rügt Rechts- und Tatsachenfehler.
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Zunächst habe die Kammer § 830 Abs.1 Satz 2 BGB zu Unrecht für anwendbar gehalten. Es stehe keineswegs fest, dass die Sanitäter einen Beitrag zur Schädigung geleistet hätten, der geeignet sei, den gesamten Schaden herbeizuführen. Der Kläger habe bei Eintreffen der Sanitäter bereits schwere Kopfverletzungen gehabt. Er sei beim ersten Mal überaus heftig und ungebremst mit dem Kopf auf die Straße geschlagen. Es sei nach dem Gutachten zwar unklar, aber ohne weiteres möglich, dass die Verletzungen insgesamt von dem ersten Geschehen herrührten. Die Würdigung der Zeugenaussagen durch die Kammer könne nicht überzeugen. Die Kammer habe den unmittelbaren Augenzeugen nicht geglaubt, dass der Kläger nicht mit dem Kopf auf die Straße aufgeschlagen sei. Dies sei zum einen verfahrensfehlerhaft, da die Zeugen von anderen Richtern vernommen worden seien als denjenigen, die das Urteil gefällt hätten. Es sei zum anderen nicht nachvollziehbar, denn der Nachweis für die Tatsache, dass ein Opfer mit dem Kopf auf die Straße aufschlage, könne nicht mit Aussagen zum Geräusch des Aufschlagens allein geführt werden. Auch in medizinischer Hinsicht sei die Frage der Schadensverursachung nicht erschöpfend aufgeklärt worden, da die Kammer sich zu Unrecht mit einem rein gerichtsmedizinischen Gutachten begnügt habe.
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Ferner sei die Kammer zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Schädigungen durch den Sturz von der Trage nicht den Erstschädigern zuzurechnen seien. Die Kammer habe hier in dem Verhalten der Sanitäter einen groben Behandlungsfehler gesehen, der aber in keiner Weise von den Feststellungen des Sachverständigen getragen werde. Dieser habe sich vielmehr außerstande gesehen, das Missgeschick nach den Kategorien medizinischer Behandlungsfehler zu beurteilen. Ein grober Fehler liege aber nicht vor. Es dürfe beispielsweise nicht erschwerend berücksichtigt werden, dass die Sanitäter überobligationsmäßig mit drei statt zwei Helfern erschienen seien, der Dritte aber bei dem Transport in den Rettungswagen nicht mitgeholfen habe. Jedenfalls hätte die Kammer dem weiter nachgehen müssen.
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Zum Zustand des Klägers habe die Kammer schließlich nicht allein auf die Aussage des Vaters des Klägers abstellen dürfen.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 8.11.2006 die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil und tritt dem Vorbringen der Beklagten unter Vertiefung des eigenen Sachvortrages in jedem Punkt entgegen.
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Wegen aller Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend Bezug genommen auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen.
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Die Akten des gegen den Zeugen A. geführten Strafverfahrens 530 Ds 466/01 AG Köln (das mit einer Einstellung nach § 153a StPO endete), waren zu Informationszwecken beigezogen.
II.
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Die Berufung ist zulässig und in der Sache gerechtfertigt. Dem Kläger steht aus dem streitgegenständlichen Vorfall kein Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagte zu, weil der Kläger den sicheren Nachweis nicht zu führen vermag, dass das Verhalten der Rettungssanitäter und des Notarztes zu einer Schädigung des Klägers geführt hat. Insoweit verbleibende Zweifel gehen nicht zu Lasten der Beklagten.
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Im Einzelnen gilt folgendes:
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1. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der rechtliche Ansatzpunkt für eine etwaige Haftung der Beklagten in Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB zu sehen ist. Die betroffenen Sanitäter waren Beschäftigte beim Malteser Hilfsdienst, der im zu sehen Auftrag der Berufsfeuerwehr mit dem Rettungseinsatz beauftragt worden war. Dies ist zwischen den Parteien nicht streitig. Der Rettungsdienst bei der beklagten Stadt ist damit hoheitlich organisiert, so dass Tätigkeiten im Rahmen des Rettungsdienstes Ausübung hoheitlicher Gewalt sind (BGH NJW 1991, 2954). Dies gilt auch hinsichtlich der Träger eingeschalteter Hilfsorganisationen (OLG München OLGR 2002, 472).
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2. Der Senat teilt auch die Auffassung der Kammer, dass der Sturz des Klägers von der Trage auf ein schuldhaftes, amtspflichtwidriges Verhalten der beteiligten Rettungssanitäter zurück zu führen ist. Es oblag den Helfern, die gerade bei einem augenscheinlich schwer Verletzten erforderliche äußerste Sorgfalt walten zu lassen. Wenn die Helfer das Gewicht beim Hochfahren beziehungsweise Anheben der Trage nicht richtig ausbalancieren und dadurch ein Herabrutschen von der Trage ermöglichen, spricht schon ein Anscheinsbeweis dafür, dass sie die erforderliche Sorgfalt missachtet haben. Ein regungsloser Körper muss für Rettungssanitäter grundsätzlich beherrschbar sein, auch wenn es sich um einen schweren Menschen handelt. Dass ein Bewusstloser von der Trage herabrutscht, muss unter allen Umständen verhindert werden. Wenn die hierfür vorgesehenen und ausreichenden Sicherungsgurte nicht vollständig befestigt werden können, weil wichtige Gründe gegeben sind (wie hier die Notwendigkeit, den Verletzten etwas seitlich zu lagern und zugleich eine unbehinderte Atmung sicherzustellen), so ist es zwingend geboten, dass mit größtmöglicher Sorgfalt und Konzentration beim Anheben der Trage vorgegangen wird. Etwa verbleibende Risiken hätten hier gegebenenfalls durch die Hinzuziehung weiterer geeigneter Personen, insbesondere hier des anwesenden dritten Sanitäters, des Zeugen T., beseitigt oder jedenfalls vermindert werden müssen. Wenn ein Schwerverletzter von der Trage herabrutscht, handelt es sich um einen Vorfall, der schlechterdings nicht unterlaufen darf. Geschieht dies dennoch, beruht dies typischerweise auf einem Verschulden bei der Ausführung. Aus den Aussagen der Zeugen C., A. und T. sowohl im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren als auch im Rahmen der Vernehmung vor der Kammer ergibt sich nichts, was den Schluss auf völlige Schuldlosigkeit zuließe. Insbesondere der Zeuge A., der am Kopfende stand, konnte nur bekunden, dass die Trage „irgendwie aus der Balance“ geraten war. Das entlastet ihn allerdings nicht, denn genau das zu verhindern, war seine Aufgabe, erst recht, wenn auf die Anlage des zweiten Brustgurtes wegen der Seitenlage des Klägers verzichtet worden war. Die Einschätzung, dass das Abrutschen von der Trage als fehlerhaft anzusehen ist, wird im Übrigen geteilt von beiden mit der Sache befassten Sachverständigen.
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Ob ein weiterer Amtspflichtverstoß, nunmehr des Notarztes, darin zu sehen ist, dass zunächst das N.-Hospital angefahren wurde und nicht unmittelbar die Neurochirurgie der Uniklinik, hat die Kammer auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung nicht mehr zu entscheiden gehabt. Auch der Senat sieht insoweit von einer weiteren Sachaufklärung ab, weil es mit Rücksicht auf die folgenden Erwägungen darauf nicht ankommt.
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3. Es ist nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere des eingeholten Sachverständigengutachtens, nicht mehr aufklärbar, ob überhaupt und inwieweit der Sturz von der Trage für die schwere Schädigung des Klägers ursächlich war. Erst recht gilt dies für eine etwaige (allenfalls geringfügig denkbare) Verzögerung einer spezifisch neurochirurgischen Behandlung. Sowohl der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beauftragte Sachverständige Prof. Dr. T. als auch der in erster Instanz eingesetzte Prof. Dr. S. haben eindeutig ausgeführt, dass die unterschiedlichen Verletzungen keiner konkreten Verletzungshandlung eindeutig zuzuordnen gewesen seien. Es sei danach ohne weiteres möglich, dass der Kläger bereits bei Eintreffen der Rettungssanitäter alle schweren Verletzungen, insbesondere die Hirnschädigungen, erlitten habe. Der Kläger war mit Sicherheit bereits sehr schwer verletzt. Jedenfalls war er unstreitig bewusstlos und blutete insbesondere aus der Nase stark (er lag in einer Blutlache). Der erste Verletzungsvorgang war tendenziell eher gefährlicher als der zweite. Der rund 1,90 m große und rund 90-95 kg schwere Kläger schlug aufgrund eines Faustschlages in das Gesicht mit hoher Wucht und – so die Zeugen sowohl gegenüber der Polizei als auch im Rahmen der erstinstanzlichen Vernehmung – ungebremst mit dem Kopf auf die Straße. Hieraus hat der Sachverständige Prof. Dr. T. geschlossen, dass eine Zuordnung der unterschiedlichen Verletzungen durchaus in der Weise denkbar sei, dass die Verletzungen im Bereich des rechten Auges und des Nasenbeins von einem heftigen Faustschlag stammen könnten, und die Verletzungen des linksseitigen Schädelknochens, wo sich auch das gefährliche subdurale Hämatom fand, auf das Aufschlagen auf der Straße. Er hat festgehalten, dass sich letztlich die Herkunft der schwerwiegenden subduralen Blutung nicht rekonstruieren lasse, und dass feststehe, dass der Kläger schon aufgrund des vorliegenden hohen Blutverlustes schwer geschädigt gewesen sein müsse. Auch der Sachverständige Prof. Dr. S. hat ausgeführt, es lasse sich nicht beurteilen, ob die schwere linksseitige Verletzung auf den ersten oder auf den zweiten Sturz auf die Straße zurückzuführen sei.
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Gleiches gilt nach Auffassung beider Sachverständiger hinsichtlich des Auftretens einer Anisokorie. Den vom Kläger vermuteten Zusammenhang zwischen dem Feststellen einer Anisokorie erst durch den Notarzt (also erst im Anschluss an den zweiten Sturz) und der Ursache dafür haben beide Sachverständige nicht zu bestätigen vermocht. Nach Prof. Dr. T. war das Auftreten der Anisokorie lediglich ein Indiz dafür, dass es jedenfalls zu diesem Zeitpunkt zu schwerwiegenden Schädigungen gekommen sein dürfte. Er hat sich aber nicht in der Lage gesehen, den Schluss zu ziehen, dass erst der zweite Sturz zu gravierenden Schädigungen geführt haben könne. Auch der Sachverständige Prof. Dr. S. konnte insoweit keine nähere Zuordnung treffen.
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Auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen ergibt sich hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs keine weitergehende Klärung. Insoweit haben die Sachverständigen, insbesondere Prof. Dr. S., zwar festgestellt, dass dann, wenn der Kläger bei seinem Sturz von der Trage erneut unmittelbar mit dem Kopf auf die Straße aufgeschlagen sein sollte und er deshalb ein weiteres Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben sollte, dies mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ zu einer zusätzlichen, sicherlich erheblichen Komplikation des bestehenden Zustandes geführt habe. Allerdings sahen sich auch insoweit die Sachverständigen außerstande, das Ausmaß einer solchen Komplikation in irgendeiner Weise näher zu konkretisieren oder gar einen prozentualen Anteil dafür anzugeben. Eine von den Medizinern angenommene zusätzliche Komplizierung, die nicht eindeutig abgrenzbar ist, und die zudem nur mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, nicht aber mit Sicherheit anzunehmen ist (an anderer Stelle spricht der Sachverständige Prof. Dr. S. in diesem Zusammenhang sogar nur von einem „Indiz“), und die zudem auf der ungesicherten Annahme beruht, dass der Kläger tatsächlich in heftiger Weise auf den Kopf gefallen ist, reicht in rechtlicher Hinsicht nicht aus, um einen notwendigen Kausalzusammenhang, für dessen Vorliegen volle richterliche Überzeugung gefordert ist, zu begründen.
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Soweit die Kammer sich die Überzeugung gebildet hat, dass tatsächlich der Kläger unmittelbar mit dem Kopf auf der Straße aufgeschlagen ist, begegnet dies aus Sicht des Senats im Übrigen erheblichen Bedenken. Die Kammer hat den beiden Augenzeugen, nämlich den Zeugen C. und A., die eindeutig bekundeten, dass der Kläger auf die rechte Schulter gefallen sei und nicht heftig mit dem Kopf aufgeschlagen sei, nicht geglaubt. Da diese Zeugenvernehmung aber in vollständig anderer Kammerbesetzung durchgeführt worden war, beruhte diese Würdigung nicht auf einem eigenen unmittelbaren Eindruck, was mit dem Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit nicht vereinbar ist (BGH NJW 2000, 1420). Der Senat hat auch erhebliche Zweifel, ob die noch so plastische Schilderung eines bloßen Aufprallgeräusches durch einen Zeugen, der sich zudem in einiger Entfernung vom Geschehen befand und das Geschehen nicht beobachten konnte, geeignet ist, eine verlässliche Grundlage für die Schlussfolgerung zu schaffen, dass ein Mensch mit dem Kopf aufgeschlagen sei und dabei einen Schädelbruch erlitten habe.
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Da aber selbst dann, wenn der Kläger mit dem Kopf aufgeschlagen sein sollte, sich hinreichend sichere Erkenntnisse über die Anteile, die die jeweiligen Verletzungshandlungen nach sich gezogen haben können, nicht gewinnen lassen, besteht für den Senat kein Anlass, insoweit die Beweisaufnahme zu wiederholen. Es besteht auch kein Anlass, zu dieser Frage ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, insbesondere das eines Neurochirurgen. Dass dieser zu einem klar abgrenzbaren Schadensbild, das mit Sicherheit nur dem zweiten Sturz zuzuordnen wäre, kommen könnte, ist nach den Ausführungen beider Rechtsmediziner schlechterdings nicht zu erwarten.
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Gänzlich ungewiss ist schließlich auch, ob und inwieweit sich ein irgendwie gearteter Schaden durch eine verzögerte neurochirurgische Behandlung ergeben haben kann. Hierzu konnte der Sachverständige Prof. Dr. S. lediglich feststellen, dass generell die Heilungschancen umso besser seien, je früher eine Entlastungsoperation am Gehirn stattfinde. Eine exaktere Bestimmung dieser Chancen sei allerdings nicht möglich. Hierzu ist zu berücksichtigen, dass der Kläger ausweislich des Notaufnahmeprotokolls der Uniklinik L. um 9 Uhr eingeliefert wurde (also rund 75 Minuten nach dem Unfall), dass aber zuvor der Kläger erst im N.-Hospital intubationspflichtig geworden ist (was nach Aussage des Zeugen A. die Verlegung erforderlich machte), und dass notwendige Untersuchungsmaßnahmen ebenso erforderlich waren wie eine etwaige Vorbereitung einer Operation, die auch dann angefallen wären, wenn der Kläger sofort in die Uniklinik verbracht worden wäre. All dies hat erheblichen Einfluss auf den Umfang einer Verzögerung, falls überhaupt von einer solchen auszugehen sein sollte, und begründet umso mehr, dass eine klare Zuordnung zu dadurch etwa entstandenen Schäden unmöglich ist.
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Zusammengefasst bedeutet dies: Welche Verletzungen der Kläger durch den Schlag und den anschließenden Sturz auf das Pflaster davon getragen hatte, ist ungeklärt und unaufklärbar. Es ist möglich, dass nach dem ersten Sturz bereits alle Hirnschäden eingetreten waren, es ist ebenso möglich, dass die schwersten Schäden erst mit dem zweiten Sturz entstanden sind, und es ist möglich, dass der zweite Sturz oder eine etwa verzögerte Operation die Folgen des ersten verschlimmert hat.
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4. Die bestehenden Kausalitätszweifel gehen zu Lasten des Klägers. Es gibt keine rechtliche Möglichkeit, die bestehenden Kausalitätszweifel der Beklagten anzulasten.
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a) Dies gilt zunächst für den Gesichtspunkt eines sogenannten groben Behandlungsfehlers. Es ist im Bereich der ärztlichen Behandlung seit langem anerkannt, dass zugunsten des Patienten hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität Beweiserleichterungen bis hin zur Kausalitätsvermutung eingreifen, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt (grundlegend BGHZ 85, 212; std. Rspr.), also ein Fehler, der einen klaren und eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse bedeutet und der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (aus jüngerer Zeit etwa BGH NJW 2001, 2795 f.). Diese Grundsätze sind jedoch auf Fälle wie den vorliegenden, soweit es um das Handeln der Rettungssanitäter geht, nicht anwendbar. Zwar können, wie in der Rechtsprechung verschiedentlich geschehen, auch Maßnahmen oder Unterlassungen von nichtärztlichem Personal als grobe Behandlungsfehler aufgefasst werden (so etwa für das Handeln von Hebammen oder von allgemeinem Pflegepersonal eines Krankenhauses vgl. BGH NJW 2000, 2737; OLG München VersR 1997, 977; OLG Celle VersR 1999, 487). Erforderlich ist aber stets, dass es sich um ein im eigentlichen Sinne medizinisches Vorgehen handelt, um eine „Behandlung“ im medizinischen Sinne. Der Transport eines Verletzten, der wie hier (noch) nicht unter ärztlicher Leitung steht, sondern erst der Zuführung zur medizinischen Behandlung dient, ist demnach nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Der Fall ist nicht anders zu sehen als der, dass ein Feuerwehrmann einen Verletzten aus dem brennenden Haus zu retten versucht, und ihn dabei selbst verletzt, etwa von der Leiter fallen lässt. Eine Durchbrechung der allgemeinen Kausalitätsregeln, die die Lehre vom groben Behandlungsfehler bedeutet, muss Ausnahmecharakter haben und eng verstanden werden. Die Rechtfertigung der Beweiserleichterungen wegen groben Fehlers beruht auf den besonderen Beweisproblemen, die der medizinische Eingriff verursacht. Wo der medizinische Bereich nicht betroffen ist, kommt eine Anwendung nicht in Betracht.
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Soweit die Entscheidung des Notarztes in Rede steht, den Kläger nicht sofort in die neurochirurgische Abteilung der Uniklinik verbringen zu lassen, spricht zwar nichts gegen die Anwendbarkeit der genannten Kausalitätsregeln. Allerdings kommt insoweit ein grober Behandlungsfehler von vornherein nicht in Betracht. Dass es sich bei dem N.-Hospital um ein Krankenhaus handelt, das mit einer Notfallambulanz ausgestattet ist und das für die Aufnahme von Unfallopfern im hier betroffenen Bereich (G.-platz in L.) das zuständige Unfallkrankenhaus darstellt, ist von dem Kläger nicht bestritten. Es ist aber allgemein bekannt (jedenfalls aber dem auf Arzthaftungsfälle spezialisierten Senat bekannt), dass die Besatzungen von Rettungswagen grundsätzlich gehalten sind, zunächst das für sie zuständige Krankenhaus anzufahren. Anhaltspunkte dafür, dass das N.-Hospital für eine suffiziente Erstversorgung offenkundig ungeeignet gewesen sei, gab es nicht. Dafür dürfte allein die Tatsache, dass das N.-Hospital nicht über eine neurochirurgische Abteilung verfügt, nicht ausreichen. Schwer kopfverletzte Patienten sind keineswegs nur dort zu behandeln. Der Zustand des Klägers war gewiss so, dass er auf Kopfverletzungen auch schwerwiegenderer Art schließen ließ, aber er war aus Sicht des Notarztes alles andere als klar und eindeutig. In erster Linie ging es darum, einen schwer verletzten bewusstlosen Patienten dem zunächst erreichbaren Krankenhaus zuzuführen. Hinzu kommt, dass die Entscheidung zur Verlegung in die Uniklinik ausweislich der Aussage des Zeugen A. erst gefallen war, nachdem der Kläger im N.-Hospital intubationspflichtig geworden, mithin eine besondere Komplikation aufgetreten war. Unter diesen Umständen kann nicht die Rede sein von einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln und gesicherte medizinische Erkenntnisse und von einem Verhalten des Notarztes, das schlechterdings unverständlich war. All dies lässt sich mit hinreichender Sicherheit bereits den Ausführungen des Sachverständigen Prof. S. entnehmen.
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b) Entgegen der Annahme der Kammer ist § 830 Abs.1 Satz 2 BGB auf einen Fall wie den vorliegenden nicht anwendbar. Nach dieser Norm haften alle Schädiger gemeinschaftlich, wenn nicht zu ermitteln ist, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat, wobei sowohl „Urheberzweifel“ als auch „Anteilszweifel“ von dieser Vorschrift erfasst sind. Zwingende Voraussetzung ist allerdings in jedem Fall, dass nicht einer der Beteiligten für den ganzen Schaden allein verantwortlich ist (BGHZ 67, 14; NJW 1999, 2895). Die bloße Ungewissheit, ob möglicherweise ein weiterer Beteiligter zusätzlich verantwortlich ist, genügt nicht. Insbesondere gilt, dass dann, wenn haftungsrechtlich der ganze Schaden (auch der Folgeschaden durch einen späteren Schädiger) dem Ersttäter zuzurechnen ist, Zweifel hinsichtlich des Beitrags des Zweiten nicht zu dessen Haftung führen. Genauso liegt der Fall aber hier. Der oder die Ersttäter, nämlich der oder die Schläger, die den Kläger zunächst angegriffen und verletzt haben, haften für den gesamten Schaden. Das Geschehen um die Rettungssanitäter ist dieser Person respektive diesen Personen zuzurechnen, denn sie haben auch das Folgegeschehen im Sinne adäquater Kausalität verursacht. Adäquat kausal sind alle Möglichkeiten eines Schadenseintritts, die nicht so entfernt sind, dass sie nach der Erfahrung des Lebens vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden können; sie dürfen nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegen (RGZ 152, 401; BGH NJW-RR 2001, 887). Ein Fehlverhalten Dritter unterbricht den Kausalzusammenhang in der Regel nicht. Nur bei ganz außergewöhnlich grobem Fehlverhalten Dritter, das sogar noch den Normalfall der groben Fahrlässigkeit übertrifft, entfällt der Zurechnungszusammenhang.
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Von einem derartigen ganz außergewöhnlich groben Fehlverhalten kann allerdings nicht ausgegangen werden. Es geht um den typischen Fall eines Augenblicksversagens. Die Rettungssanitäter wollten den ersichtlich schwer verletzten Kläger möglichst schnell in den Rettungswagen bekommen. Der Zeuge A. hat dabei das Gleichgewicht im Hinblick auf das Ausbalancieren der Trage verloren. Dies mag darauf beruhen, dass ein kleiner Moment der Unaufmerksamkeit vorgelegen hat, oder, dass er wegen Unerfahrenheit oder Überschätzen der eigenen Kräfte der Situation nicht in dem Maße gewachsen war, wie es zu fordern war (was beides keine Entschuldigung bedeutet). Es kann auch darauf beruhen, dass der Zeuge C. eine unbedachte Bewegung gemacht hat, die den Zeugen A. unvermittelt getroffen hat. Keine dieser Möglichkeiten stellt indes ein Fehlverhalten dar, das als besonders schwere Verletzung der normal üblichen Sorgfalt anzusehen ist, schon gar nicht ein Verhalten, dessen Vorwerfbarkeit noch schwerer wiegen würde und das den Kausalzusammenhang zum schädigenden Erstverhalten abreißen ließe. Dass die Zeugen den weiteren Brustgurt nicht anlegten, begründet, wie der Sachverständige Prof. Dr. S. ausgeführt hat, überhaupt keinen Schuldvorwurf; es war vielmehr aus medizinischer Sicht geboten. Auch der Umstand, dass die Zeugen versuchten, zu zweit den Transport in den Rettungswagen zu bewerkstelligen, rechtfertigt keinen derart erhöhten Schuldvorwurf, der für die Unterbrechung der Kausalität ausreichen könnte, denn es entspricht der Üblichkeit, dass ein Rettungswagen mit nur zwei Kräften besetzt ist.
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Sofern in der Entscheidung des Notarztes, den Kläger zum N.-Hospital zu verbringen, tatsächlich ein Behandlungsfehler liegen sollte, würde dies den Kausalzusammenhang erst recht nicht unterbrechen können und in keinem Fall zur Anwendung von § 830 Abs.1 Satz 2 BGB führen.
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5. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs.1 ZPO nicht vorliegen. Ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung sind nicht berührt. Von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofs weicht der Senat nicht ab.
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Streitwert: 150.000.- €