OLG Hamm, Urteil vom 01.09.2014 – 5 U 229/13
Zum nachbarrechtlichen Beseitigungsanspruch von großflächige Verschattungen verursachende Bäume auf dem Nachbargrundstück
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das am 26.11.2013 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
1
(§ 540 ZPO)
I.
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Die Kläger sind seit 1990 Bewohner und seit 1994 Eigentümer des Grundstücks N-Str. in N2, bebaut mit einem Reihenhaus-Flachdach-Bungalow mit Wintergarten und Atrium. Die 10 X 10 m große Gartenfläche an der Südseite grenzt an eine öffentliche Grünanlage der Beklagten. Dort stehen im Abstand von 9,00 bzw. 10,30 m von der Grenze entfernt zwei ca. 25 m hohe Eschen, deren Beseitigung die Kläger verlangen.
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Die Kläger haben sich darauf berufen, derartig hoch wachsende Laubbäume seien mit einer Flachdach-Bungalow-Siedlung unverträglich. Der Wuchs der Bäume habe in den letzten Jahren zunehmend dazu geführt, dass der Gartenteil ihres Grundstücks verschattet werde; selbst in den Monaten Juni bis Juli falle Sonnenlicht nur noch in einen sehr schmalen Streifen direkt am Haus. Der übrige Teil des Gartens sei, da verschattet, zum Zwecke der Erholung sowie der Haltung ihrer Bonsaikulturen ungeeignet. Die Verschattung lasse eine zweckbestimmte Nutzung ihres Gartens nicht mehr zu und sei nicht nur ein Problem der Belichtung, sondern auch der klimatischen Regulierung und der „Belüftung“. Die Bungalows seien konzeptionell mit Blick auf eine Sonnenbestrahlung nach Süden ausgerichtet. 1994 sei für sie das explosionsartige Wachstum der Bäume nicht vorhersehbar gewesen. Außerdem seien die Bäume bruchgefährdet, im Herbst werde ihr Grundstück nahezu vollständig mit Eschenlaub eingedeckt.
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Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass der vorgeschriebene Pflanzabstand von 4 m deutlich eingehalten worden sei. Die Kronen der Eschen seien zusammengewachsen und bildeten eine große aufgelockerte Einheit. Nicht die Bepflanzung der Grünanlage habe sich an der Nutzung der angrenzenden Gärten zu orientieren, sondern umgekehrt. Zwar werde das Grundstück der Kläger beschattet, während der Vegetationsperiode erzeugten die Bäume nur einen lichten Schattenwurf, da die gemeinsame Krone aufgelockert und nicht dicht geschlossen sei. Außerhalb dieser Vegetationsperiode lasse die Beschattung deutlich nach. 1994 seien die Bäume rund 15 Jahre alt und ca. 15 m hoch gewesen, und schon zuvor hätten die Kläger als Mieter das kontinuierliche Wachstum der Eschen mitbekommen. Die Bäume seien gesund; ein Beschneiden führe nur für kurze Zeit zu einer Verbesserung der Situation für die Kläger, an den Schnittstellen wüchsen aber in großer Anzahl sog. Wasserreiser heraus, so dass in Kürze die Kronen der Bäume dichter und lichtundurchlässiger als zuvor würden. Werde nur ein Baum beseitigt, sei die Standsicherheit des zweiten Baumes nicht mehr gewährleistet.
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Wegen des weiteren Tatsachenvortrags der Parteien einschließlich der genauen Fassung der erstinstanzlich gestellten Sachanträge nimmt der Senat auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug (Bl. 121 f. GA).
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Das Landgericht hat ein Gutachten nebst ergänzender Stellungnahme des Sachverständigen Dr. X eingeholt, den Sachverständigen ergänzend mündlich angehört und schließlich die Klage abgewiesen.
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Für einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB fehle es an einer Beeinträchtigung. Der mitunter durch Pflanzen verursachte Entzug von Licht sei nicht als Beeinträchtigung des Eigentums zu qualifizieren. Ein Verstoß gegen das NachbarG NRW liege ebenfalls nicht vor, insbesondere sei der Grenzabstand im Sinne des § 41 Abs. 1 Nr. 1 NachbarG NRW eingehalten.
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Der Beseitigungsanspruch folge auch nicht aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis i.V.m. § 242 BGB. Ein solcher Anspruch lasse sich wegen der bestehenden nachbarrechtlichen Sonderregelungen nur ausnahmsweise und nur dann herleiten, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheine. Dies sei bei einer ungewöhnlich schweren, nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigung der Fall und könne etwa bei vollständiger Abschattung eines gesamten Grundstücks während des überwiegenden Teils des Tages bestehen. Davon sei hier aber nicht auszugehen. Der Sachverständige komme in seinem Ergänzungsgutachten vom 03.04.2013 zu dem Ergebnis, dass das Grundstück der Kläger in Nord-Süd-Ausrichtung eine Gesamtlänge von 30 m aufweise. Der Sachverständige habe bei der Erstellung seiner Schattenwurf-Tabelle nicht berücksichtigt, dass die Eschen von Dezember bis April kein Laub trügen und deshalb der Kernschatten geringer sei. Dass ab April die Lichtdurchlässigkeit der Baumkrone wieder abnehme, werde durch den veränderten Sonnenstand wieder ausgeglichen. So betrage der Schattenwurf auf dem Grundstück der Kläger am 21.06. zur Mittagszeit nur noch 3,25 m. Zwar sei zu jedem anderen Zeitpunkt der Sonnenstand niedriger, aber mit einer vollständigen Verschattung des Grundstücks sei nur noch zwischen dem 21.09. und Mitte/Ende November zu rechnen, wenn die Baumkrone noch das volle Laub trage.
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Ohne Erfolg bleibe auch das Argument der Kläger, jedenfalls der Gartenbereich werde durch die Eschen für einen Großteil des Jahres vollständig abgeschattet. Die Beeinträchtigung der Nutzbarkeit des Gartens sei keine ungewöhnliche oder unzumutbare Belastung, sondern eine typische und hinzunehmende Folge der zulässigen Bepflanzung der Beklagten. Es sei nicht davon auszugehen und auch nicht vorgetragen, dass der Garten aufgrund des geringen Lichteinfalls gar nicht mehr genutzt werden könne, nach den vorgelegten Lichtbildern könnten z.B. Schattengewächse in dem Garten gedeihen. Es könne von den Klägern eine Anpassung der Nutzung ihres Gartens an die vorhandenen Gegebenheiten erwartet werden, zumal die Eschen 1994 schon vorhanden gewesen seien. Die „Auskühlung“ des Grundstücks sei wiederum eine unmittelbare Folge des geringeren Lichteinfalls und wie dieser hinzunehmen. Letztlich habe die Beklagte die Bäume nicht bewusst angepflanzt, und daher könne auch kein treuwidriges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten angenommen werden.
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Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung rügen die Kläger, dass das Landgericht unzutreffend auf die Fläche des gesamten Flurstücks abgestellt habe; maßgeblich sei nur der Gartenbereich. Rechtsfehlerhaft sei es von den gutachterlichen Feststellungen abgewichen und habe die Nutzbarkeit des Grundstücks in zeitliche Intervalle eingeteilt, als müssten sie sich am Jahreskalender ausrichten und nicht an den tatsächlichen Gegebenheiten des Lichtentzugs und Schattenwurfs vor Ort. Dabei habe das Landgericht die Kernproblematik verkannt und die Ansicht vertreten, auch die vollständige Abschattung des Gartenbereichs sei hinzunehmen. Auch habe es unberücksichtigt gelassen, dass die Eschen im Jahr 1994 aufgrund ihres damaligen geringen Wachstums durch sie nicht bzw. nicht als störend wahrgenommen worden seien und die Beklagte selbst nicht davon ausgehe, dass sie die Eschen planerisch gepflanzt habe, sondern diese sich als Wildsämlinge ausgesät hätten. Sie halten – unter Hinweis auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10.06.2005, Az.: V ZR 251/04 – daran fest, dass der geltend gemachte Beseitigungsanspruch gemäß §§ 1004 Abs. 1 Satz 1, 903 BGB aufgrund des Entzugs von Licht und Schattenwurfs begründet sei. Ihr Interesse betreffe die Nutzung des Gartenbereichs; die Öffnung des Wohnbereichs zum Garten hin mache die Besonderheit des Grundstücks aus. Die Beklagte stehe unter dem Gebot der Rücksichtnahme in Bezug auf die Interessen der Nachbarn, die den Gartenbereich als Kern ihres privaten Nutzungsbereichs auch zweckentsprechend nutzen wollten. Die Eschen seien inzwischen weiter gewachsen, und wegen der bis an die Grenze heranreichenden Kronen reiche der Schattenwurf mehrerer Meter weiter als vom Sachverständigen angenommen. Einzelne Äste ragten inzwischen in ihr Grundstück hinein.
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Die Kläger beantragen,
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das angefochtene Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 26.11.2013 (1 O 307/12) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die beiden Eschen, die sich an der Südseite ihres Grundstücks (##### N2, N-Str., Flur X, Flurstück X – wie Anlage 1 zur Klageschrift) in einem Abstand von 9 m bzw. 10,30 m auf der im Eigentum der Beklagten stehenden öffentlichen Grünanlage befinden, zu beseitigen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Zutreffend habe das Landgericht als Beurteilungsmaßstab das gesamte Grundstück der Kläger zugrunde gelegt und nicht eine von diesen willkürlich bestimmte Teilfläche. Werde auf eine Teilfläche des Grundstücks abgestellt, bestehe die Gefahr, dass sich stets ein Beseitigungsanspruch aus § 242 BGB ergäbe, da nahezu jedes Grundstück irgendwo eine Teilfläche habe, die ständig abgeschattet werde. Dass die Kläger die Eschen im Jahre 1994 als nicht störend empfunden hätten, sei für die rechtliche Beurteilung nicht relevant. Selbst wenn man schwerpunktmäßig auf den Gartenbereich abstelle, sei kein Beseitigungsanspruch gegeben, da keine außergewöhnliche Beeinträchtigung durch die streitbefangenen Eschen bestehe. Zu berücksichtigen sei, dass ein Garten naturgemäß hauptsächlich im Sommer genutzt werde. Zutreffend habe der Gutachter ermittelt, dass um die Mittagszeit am 21.06. der Schattenwurf nur 13,25 m betrage. Berücksichtige man, dass der Abstand zwischen den beiden Eschen und der Grundstücksgrenze 10 m betrage, ergebe sich somit nur ein ca. 3,25 m breiter Streifen, der vollständig abgeschattet werde.
II.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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1. Die Kläger können den geltend gemachten Beseitigungsanspruch nicht mit Erfolg auf § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB stützen.
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a) Der Grundbesitz N-Str. in N2, dessen Verschattung die Kläger rügen, steht unstreitig im Eigentum der Kläger.
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b) Bei dem Entzug von Licht – was die Verschattung zur Folge hat – handelt sich um eine sogenannte negative Immission. Es geht hierbei um Fälle, in denen jemand sein Grundstück innerhalb seiner Grenzen benutzt und dadurch zugleich dem angrenzenden Grundstück gewisse Vorteile entzieht, insbesondere erwünschte natürliche Einflüsse davon fernhält. Solche negativen Einwirkungen stellen nach der herrschenden Meinung keine Eigentumsbeeinträchtigung dar, weil der Störer mit ihnen die Grenzen seines eigenen Grundstücks nicht überschreitet (vgl. zum Streitstand: Gursky in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2012, § 1004, Rn. 65; Baldus in: MünchKomm BGB, 6. Aufl. 2013, § 1004, Rn. 124 ff.). So liegt der Fall hier. Die streitbefangenen Eschen, die für den Entzug von Licht verantwortlich sind, stehen auf dem Grundstück der Beklagten, und von ihnen gehen keine positiv die Grundstücksgrenze überschreitenden, sinnlich wahrnehmbaren Wirkungen aus.
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Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem von den Klägern zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10.06.2005, Az.: V ZR 251/04 (abgedruckt in: NJOZ 2005, 3210). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Bundesgerichtshof bereits in früheren Entscheidungen die Ansicht vertreten hat, dass negative Einwirkungen nicht nach § 1004 BGB abgewehrt werden könnten, da es sich nicht um von außen kommende, die Grenze überschreitende aktive Einflüsse handele (vgl. Urteil des BGH v. 11.07.2003, Az.: V ZR 199/02, NJW-RR 2003, 1313; Urteil des BGH v. 22.02.1991, Az.: V ZR 308/89, NJW 1991, 1671). Zwar findet sich in dem Urteil vom 10.06.2005 der folgende Passus:
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„Dabei kann dahinstehen, ob ein durch hohe Hecken verursachter Entzug von Licht und andere so genannte negative Einwirkungen zu den nach § 1004 I BGB abwehrfähigen Beeinträchtigungen zählen (bislang verneinend: Senat, BGHZ 113, 384 [386] = NJW 1991, 1671 = LM § 242 [D] BGB Nr. 125; BGH, NJW-RR 2003, 1313 = NZM 2003, 727 = WM 2004, 231, 232, vgl. aber auch Wenzel, NJW 2005, 241 [247]).“
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Dem lässt sich aber nur entnehmen, dass der Bundesgerichtshof es offen lässt, ob der Entzug von Licht zu den nach § 1004 Abs. 1 BGB abwehrfähigen Beeinträchtigungen zählt.
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2. Der Beseitigungsanspruch ergibt sich auch nicht aus §§ 1004, 906 BGB analog.
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Der Bundesgerichtshof hat bereits in seinem Urteil vom 11.07.2003 entschieden, dass eine analoge Anwendung der §§ 906, 1004 BGB in Fällen wie dem vorliegenden ausscheide. Das Gesetz enthalte hinsichtlich der sogenannten negativen Einwirkungen keine Lücke, sondern belasse es insoweit bewusst bei der Freiheit des Grundstückseigentümers, seine Sache im Rahmen der Gesetze nach Belieben zu benutzen (§ 903 BGB), solange er die Grenzen zu dem Nachbargrundstück nicht durch das Zuführen unwägbarer Stoffe überschreite (vgl. Urteil des BGH v. 11.07.2003, Az.: V ZR 199/02, NJW-RR 2003, 1313).
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3. Der geltend gemachte Beseitigungsanspruch steht den Klägern auch nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nicht zu.
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a) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Rechte und Pflichten von Grundstücksnachbarn insbesondere durch die Vorschriften der §§ 905 ff. BGB und die Bestimmungen der Nachbarrechtsgesetze der Länder eine ins Einzelne gehende Sonderregelung erfahren. Auch auf sie ist der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) anzuwenden; daraus folgt für den Nachbarn die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, deren Auswirkungen auf den konkreten Fall man unter dem Begriff des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zusammenfasst. Eine solche Pflicht ist zwar mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderreglungen eine Ausnahme und kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kann die Ausübung gewisser aus dem Eigentum fließender Rechte aber ganz oder teilweise unzulässig werden (vgl. Urteil des BGH v. 11.07.2013, Az.: V ZR 199/02, NJW-RR 2003, 1313; Urteil des BGH v. 06.07.2001, Az.: V ZR 246/00, NJW 2001, 3119; Olzen in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 241, Rn. 399 ff.).
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b) Damit stellt sich die Frage, in welchem Umfang durch auf dem Nachbargrundstück stehende Bäume dem Grundstück der Anspruchsteller Licht entzogen werden muss, um einen Anspruch auf Beseitigung der Bäume nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses bejahen zu können. Diese Frage ist höchstrichterlich bisher nicht entschieden worden.
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aa) Der Senat hat in seinem Urteil vom 28.09.1998, Az.: 5 U 67/98 (recherchiert über juris) angenommen, dass ein Beseitigungsanspruch hinsichtlich von auf dem Nachbargrundstück stehenden Bäumen, die einen Lichtentzug verursachen, nur in gravierenden Ausnahmefällen überhaupt in Betracht komme, etwa bei vollständiger Abschattung eines gesamten Grundstücks während des überwiegenden Teils des Tages (vgl. hierzu auch: Urteil des OLG Saarbrücken, Az.: 8 U 77/06, BeckRS 2007, 01483; Urteil des OLG Düsseldorf v. 18.09.2000, Az.: 9 U 67/00, NVwZ 2001, 594). An dieser Rechtsprechung, die einen strengen Maßstab zugrunde legt, hält der Senat fest.
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bb) Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nicht vorliegen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme werden die Kläger nicht in schwerem und unerträglichem Maße in ihren Eigentümerbefugnissen beschränkt. Auch ist ein treuwidriges Verhalten der Beklagten nicht zu erkennen.
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(1) Ohne Erfolg rügen die Kläger, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Nutzbarkeit des Grundstücks in zeitliche Intervalle eingeteilt, als müssten sie sich am Jahreskalender ausrichten und nicht an den tatsächlichen Gegebenheiten des Licht- und Schattenwurfs vor Ort. Das Landgericht hat nach Ansicht des Senats zu Recht darauf hingewiesen, dass die Eschen ihr Laub gewöhnlich Mitte/Ende November verlieren und bis zum Einsetzen des Wachstums der Blätter Anfang April kein Laub tragen. Denn es ist durchaus von Belang, ob die Verschattung das ganze Jahr über besteht oder vielleicht nur für ein paar Monate des Jahres. Das auf Seite 7 des Gutachtens des Sachverständigen Dr. X vom 10.02.2013 abgebildete Foto 2 zeigt die streitbefangenen Eschen im Winter. Da sie unbelaubt sind, kann durch ihr Astwerk ohne Weiteres Licht dringen. So hat auch die Klägerin im Senatstermin angegeben, dass man im Winter die Sonne durch die Bäume sehe.
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(2) Zu Recht werfen die Kläger allerdings die Frage auf, ob für die Bewertung des Umfangs der Beeinträchtigung durch die Eschen auf das gesamte Grundstück abzustellen ist oder nur auf den Gartenbereich. Zwar hat der Senat in dem vorzitierten Urteil ausgeführt, dass ein Anspruch aus § 242 BGB nur in gravierenden Ausnahmefällen überhaupt in Betracht komme, etwa bei vollständiger Abschattung eines gesamten Grundstücks während des überwiegenden Teils des Tages. Dabei sind nach Ansicht des Senats aber auch die vorhandenen baulichen Gegebenheiten auf dem betroffenen Grundstück zu berücksichtigen. Der hier streitbefangene Grundbesitz ist mit einem Reihenhaus bebaut, was bedeutet, dass an den Seiten des Hauses weder Licht einfällt noch ein Gartenstreifen vorhanden ist. Wie anschaulich die Flurkarte auf Seite 4 des schriftlichen Gutachtens vom 10.02.2013 zeigt, verfügt das Haus auf der Vorderseite über einen nur sehr kleinen Streifen Vorgarten. Ein größerer Gartenbereich, hier mit einer Fläche von 10 X 10 m, befindet sich im Süden des Grundbesitzes, angrenzend an das im Eigentum der Beklagten stehende Grundstück. Zwar gibt es auch ein Atrium. Hierzu hat die Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Senat aber nachvollziehbar und unbestritten erläutert, dass sie die Größe desselben auf 4 X 4 m im Quadrat schätze. In dem Atrium befinde sich an der Nordseite zur Straße hin ein Kellerschacht. Das Atrium werde bereits durch die eigenen Mauern verschattet. Angesichts dieser baulichen Gegebenheiten kann man die Kläger, denen es in der Sache um die Nutzung ihres Gartens geht, nicht darauf verweisen, dass es auf ihrem Grundbesitz andere Flächen – als den Garten im südlichen Bereich ihres Grundstücks – gebe, wo sie sich im Freien aufhalten könnten.
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(3) Ohne Erfolg rügen die Kläger weiter, das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass sie die Eschen im Jahr 1994 aufgrund ihres damaligen geringen Wachstums nicht bzw. nicht als störend wahrgenommen hätten und die Beklagte selbst nicht davon ausgehe, dass sie die Eschen planerisch gepflanzt habe, sondern diese sich als Wildsämlinge ausgesät hätten.
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Dass die Kläger die Eschen im Jahr 1994 nicht als störend empfunden haben bzw. ihr Störungspotential nicht erkannt haben mögen, ist nicht von Belang. Denn es ist im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu überprüfen, ob eine gravierende und nicht mehr hinzunehmende Beeinträchtigung der Kläger in ihrer Eigentumsnutzung vorliegt. Selbst wenn es sich bei den Eschen um Wildsämlinge handelt, spricht dieser Umstand eher für die Beklagte, der, wenn sie die Bäume nicht angepflanzt und somit eine Beschattung des Grundstücks der Kläger nicht selbst herbeigeführt hat, ein treuwidriges Verhalten nicht vorgeworfen werden kann.
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(4) Aufgrund der schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. X und dem Ergebnis seiner Anhörung, insbesondere im Senatstermin vom 01.09.2014, geht der Senat davon aus, dass eine nicht mehr hinzunehmende Beschattung des Gartenbereichs des Grundstücks der Kläger nicht vorliegt.
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In seinem Gutachten vom 10.02.2013 wie auch seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.04.2013 hat der Sachverständige eine Schattenwurf-Tabelle vorgelegt. Für den 21.03. hat er einen Schattenwurf von 1,24 m je m Höhe der Eschen angegeben. Da die Eschen 25,00 m hoch seien, ergebe sich ein Schattenwurf von 31,00 m und angesichts des Abstands der Eschen zum Grundstück der Kläger von 10,00 m ein Schattenwurf auf dem Grundstück der Kläger von 21,00 m. Für den 21.09. hat der Sachverständige den Schattenwurf je m Höhe der Eschen mit 1,23 m angegeben. Angesichts der Höhe der Eschen von 25,00 m ergebe sich ein Schattenwurf von 31,25 m, davon 21,25 m auf dem Grundstück der Kläger. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ist der Gartenbereich der Kläger zu diesen Zeitpunkten damit vollständig verschattet.
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Für den 21.06. hat der Sachverständige den Schattenwurf mit 0,53 m je m Höhe der Eschen angegeben und damit einen Schattenwurf auf dem Grundstück der Kläger von 3,25 m. Im Senatstermin haben die Kläger ein Foto mitgebracht, das am 26.06.2014 um 13.25 Uhr gemacht wurde (Bl. 201 GA). Die Klägerin hat hierzu erläutert, dass sie die Breite des Streifens vor dem Wintergarten, der sich noch in der Sonne befinde, mit ca. 2 m schätze. Hierzu hat der Sachverständige erläutert, dass aufgrund der Kronenbreite die Sonneneinstrahlung nicht in der Mitte des Baumes auf die Krone treffe, sondern einige Meter näher an der Grundstücksgrenze. Deshalb könne es gut sein, dass im Juni – wie von den Klägern angegeben – nur ein etwa 2 m breiter Streifen des Gartens nicht im Schatten liege.
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Ausgehend von diesen Daten, insbesondere vom 21.06., hat der Sachverständige überzeugend erläutert, dass ab dem 21.06. eine Reduzierung der Sonnenflächen stattfinde. Er gehe davon aus, dass ab Anfang August eine vollständige Beschattung des Gartenbereichs eintrete. Dies entspricht den Angaben der Klägerin im Senatstermin, die erklärt hat, dass der Gartenbereich ab Anfang August komplett verschattet sei. Die gleichen Erwägungen sind aber auch für den Zeitraum vor dem 21.06. anzustellen, so dass für den Zeitraum bis Mitte Mai ebenfalls von einer vollständigen Verschattung auszugehen ist. Aber auch für den Zeitraum der sogenannten vollständigen Verschattung ist zu berücksichtigen, dass die Sonne morgens und nachmittags – wie die Klägerin im Senatstermin erläutert hat – für eine kurze Phase durchkomme und die Phase nachmittags eine Stunde betrage.
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An den Angaben des Sachverständigen zum Schattenwurf der Eschen hat sich auch zwischenzeitlich nichts geändert. Auf Bitten des Senats hat der Sachverständige den Grundbesitz der Kläger kurz vor dem Senatstermin – nämlich am 27.08.2014 – noch einmal aufgesucht. Im Senatstermin hat er erklärt, dass sich die Höhe der Eschen bis heute nicht grundlegend geändert habe, sie betrage ca. 25 m.
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Wie eingangs bereits ausgeführt, ist weiter zu berücksichtigen, dass die Eschen – wie der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2013 ausgeführt hat – Mitte/Ende November ihre Blätter verlieren und erst Anfang April das Wachstum der Blätter wieder einsetzt bis dann im Juni das Blattwerk wieder voll ausgebildet ist. Es liegt dann zwar – entsprechend den vorstehend aufgeführten Schattenwürfen – eine vollständige Verschattung im Sinne eines flächendeckenden Schattenwurfs vor. In diesem Zeitraum fällt aber Sonnenlicht durch das unbelaubte Astwerk.
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Unter Berücksichtigung aller vorstehend erörterter Umstände reicht der Umfang der Verschattung nicht aus, um einen derart gravierenden Eingriff in die Nutzung des Eigentums der Kläger anzunehmen, dass eine Korrektur nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses geboten erscheint. Dabei hat der Senat in die Bewertung mit eingestellt, dass die Eschen auf dem Grundstück der Beklagten grundsätzlich eine zulässige und vom Gesetz nicht verbotene Nutzung des auch verfassungsrechtlich geschützten Eigentums darstellen.
III.
41
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.