Zum Beseitigungsanspruch des Nachbarn gegen das Eindringen von Langwanzen auf sein Grundstück

OLG Köln, Urteil vom 09.01.1991 – 13 U 243/90

1. Die Wahl der geeigneten Maßnahme zur Verhinderung von Immissionen, die von einem Grundstück ausgehen, ist dem verpflichteten Grundstückseigentümer vorbehalten.

2. Das Eindringen von Langwanzen – Insekten mit einer Größe von zwischen 3 und 15 mm – auf ein anderes Grundstück stellt eine „ähnliche Einwirkung“ im Sinne von BGB § 906 Abs 1 dar und kann einen Beseitigungsanspruch nach BGB § 1004 Abs 1 auslösen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 1.8.1990 – 4 0 104/90 – abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, das Eindringen von Langwanzen von ihrem Grundstück in A, M hang, auf das Grundstück der Klägerin M hang 3 – 5 zu verhindern.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe
1
Die Berufung der Klägerin, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken bestehen, ist begründet.

2
Entgegen der in dem angefochtenen Urteil geäußerten Ansicht des Landgerichts hat die Klägerin gemäß § 1004 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassen der vom Grundstück der Beklagten auf das Grundstück der Klägerin erfolgenden Einwirkungen, die darin liegen, daß vom Grundstück der Beklagten auf das Grundstück der Klägerin massenhaft sogenannte Langwanzen fliegen und dort in die Häuser eindringen.

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Dabei konnte – entsprechend dem mit der Berufung gestellten Hauptantrag – die Beklagte allerdings nur verurteilt werden, das Eindringen von Langwanzen von ihrem Grundstück auf das Grundstück der Klägerin zu verhindern. Welche Maßnahmen die Beklagte in Erfüllung dieser Verpflichtung durchzuführen hat, war nicht auszusprechen. Dies muß dem Zwangsvollstreckungsverfahren vorbehalten bleiben (vgl. Palandt-Bassenge, BGB, 49. Aufl. 1990, § 1004 BGB Anm. 5 a, dd). Es sind mehrere geeignete Maßnahmen denkbar, wie mechanische, biologische oder chemische Bekämpfung. Letztendlich ist auch nicht auszuschließen, daß ein Fällen der von den Langwanzen befallenen Birken erforderlich ist, um deren Brutstätten auf dem Grundstück der Beklagten endgültig zu vernichten.

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Die Wahl der geeigneten Maßnahme muß aber zunächst der Beklagten überlassen bleiben, die hierüber im Rahmen des ihr zustehenden Entscheidungsspielraums zu befinden hat.

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Langwanzen sind Insekten mit einer Größe von zwischen 3 und 15 mm (siehe Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl. (1990), Stichwort „Langwanzen“). Sie stellen damit Kleintiere dar, deren Eindringen auf ein anderes Grundstück eine „ähnliche Einwirkung“ im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB darstellt, hinsichtlich der ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB bestehen kann (vgl. Palandt-Bassenge, § 906 BGB Anm. 2 b, ee; § 1004 BGB Anm. 2 a, aa). Die Möglichkeit eines Beseitigungsanspruches nach § 1004 Abs. 1 BGB ist, was Bienen (siehe RGZ 141, 406; BGHZ 16, 366 und OLG Köln, RdL 68, 46) und insbesondere Fliegen (siehe RGZ 160, 381; LG Stuttgart, RdL 67, 49) betrifft, allgemein anerkannt. Für Langwanzen kann nichts anders gelten.

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Es muß auch davon ausgegangen werden, daß vom Grundstück der Beklagten auf das Grundstück der Klägerin massenhaft Langwanzen übertreten. Zwar ist schriftsätzlich bestritten, daß der Langwanzenbefall vom Grundstück der Beklagten ausgeht. Im Hinblick auf die Ausführungen der Vertreter der Beklagten im Termin vor dem Senat, die das Vorhandensein der Langwanzen auf dem Grundstück der Beklagten grundsätzlich eingeräumt haben, ist dieses Bestreiten aber nicht weiter beachtlich. Es wäre auch nicht erklärlich, daß – wie sich aus dem von der Klägerin vorgelegten Schreiben der Beklagten vom 16.3.1989 ergibt – die Beklagte Auskünfte von insgesamt 4 sachkundigen Personen bzw. Behörden eingeholt hat, um Bekämpfungsmöglichkeiten der Langwanzen zu erfahren, wenn solche Langwanzen auf ihrem Grundstück gar nicht existierten.

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Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil es sich um eine Beeinträchtigung durch Naturkräfte handelt. Zwar kann die Haftung eines Grundstückseigentümers für die von seinem Grundstück auf ein Nachbargrundstück ausgehenden Einwirkungen dann ausgeschlossen sein, wenn sie ausschließlich durch das Wirken von Naturkräften ausgelöst worden und weder auf eine von Menschenhand vorgenommene Veränderung des Grundstückes noch auf dessen wirtschaftliche Nutzung zurückzuführen ist. Eine Haftung besteht jedoch dann, wenn der Eigentümer durch Eingriffe in das Grundstück die Gefahr erhöht oder kanalisiert hat, die Beeinträchtigung damit zumindest mittelbar auf seinen Willen zurückzuführen ist (so BGH NJW 85, Seite 1773, 1774).

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So ist in der zuletzt genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes zwar die Haftung eines Grundstückseigentümers – allerdings aus dem Haftungsgrund der Verkehrssicherungspflicht § 823 BGB – verneint worden, von dessen unbebautem, felsigem Hanggrundstück sich infolge eines Gewitters Brocken gelöst hatten und auf ein Nachbargrundstück gerollt waren. Andererseits sind aber die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 1004 Abs. 1 BGB für den Fall bejaht worden, daß durch das Halten einer Schafherde, bzw. durch Hühnerhaltung auf einem Grundstück Fliegen angelockt wurden, die dann in Massen auf das Nachbargrundstück herüberflogen (so RGZ 160, 381 und LG Stuttgart RdL 1967, 49). Auch ist eine Haftung gemäß § 1004 Abs. 1 BGB für den Fall bejaht worden, daß Wurzeln angepflanzter Bäume auf ein Nachbargrundstück übergetreten sind und dort einen Kanal beschädigten (so BGH NJW 1989, 1032).

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In die Reihe der letztgenannten Fälle ist auch die Beeinträchtigung des Grundstücks der Beklagten durch die vom Grundstück der Klägerin ausgehenden Langwanzen einzuordnen.

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Nach Ansicht des Senates ist diese Beeinträchtigung nicht ausschließlich auf das Wirken von Naturkräften sondern jedenfalls mittelbar auch auf den Willen der Beklagten zurückzuführen. Bei den Bäumen handelt es sich nicht um wildgewachsene Bäume sondern um solche, die von der Beklagten angepflanzt worden sind. Durch die Anpflanzung der Bäume hat die Beklagte mit zur Schaffung der Gesamtumstände beigetragen, die zu der massenhaften Vermehrung der Langwanzen geführt haben. Ohne die Bäume würde es an der für die Vermehrung der Langwanzen erforderlichen Brutstätte fehlen, so daß eine Vermehrung in unmittelbarer Nähe des Grundstücks der Klägerin unterblieben wäre.

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Die Beklagte hat es auch in der Hand, eine Vermehrung der Langwanzen auf ihrem Grundstück und dadurch ein weiteres Übertreten der Langwanzen von ihrem Grundstück auf das Grundstück der Klägerin zu verhindern. Sie kann gegen die Langwanzen mit chemischen, möglicherweise auch mit mechanischen oder biologischen Mitteln vorgehen. Sie kann als letztes Mittel auch die von ihr angepflanzten Bäume wieder fällen.

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Die Klägerin ist auch nicht gemäß § 906 BGB verpflichtet, das Übertreten der Langwanzen auf ihr Grundstück zu dulden.

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Die Beeinträchtigung durch die Langwanzen stellt eine wesentliche Beeinträchtigung dar. Die Langwanzen überwintern nicht nur in der Wärmedämmung der Häuser der Klägerin sondern dringen in die Häuser ein und belästigen dort in erheblichem Maße deren Bewohner. Das Eindringen geschieht nicht nur durch offenstehende Fenster oder durch Ritzen sondern nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Klägerin im Termin vor dem Senat zwischenzeitlich sogar durch die Kanalisation der Häuser. Es kann aber den Bewohnern der Häuser nicht zugemutet werden, in ihren Wohnungen keine Fenster mehr zu öffnen bzw. die in der Wohnung befindlichen Abflußleitungen ständig geschlossen zu halten.

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Das massenhafte Vorkommen der Langwanzen ist schließlich auch nicht ortsüblich, da unstreitig ein solches Massenvorkommen bislang nur in verschiedenen Gebieten der Ukraine, nicht jedoch im A Raum beobachtet worden ist.

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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Ziffer 10, 713 ZPO.

16
Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer für die Beklagte: 10.000,– DM.

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