Zum Aufwendungsersatzanspruch wegen Beseitigung herabfallender Früchte von aus dem Nachbargarten

AG Backnang, Urteil vom 31.03.1989 – 3 C 35/89

Auch in ländlichen Gegenden kann es von einem Grundstückseigentümer nicht erwartet werden, daß er mehrmals in der Woche mehrere Stunden aufwendet, um Früchte, die von einem Baum auf dem Nachbargrundstück auf sein Grundstück fallen, einzusammeln (Rn. 25).

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 213,75 nebst 4% Zinsen seit 23.12.1988 zu zahlen.

2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung des Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 500,– abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in … Auf dem Grundstück des Beklagten steht ein großer ca. 60 Jahre alter Mostbirnenbaum, von dem ein Hauptast mehrere Meter in das Grundstück des Klägers hineinragt. Im September/Oktober jeden Jahres fallen erhebliche Mengen Mostbirnen von diesem Ast auf das Grundstück des Klägers über.

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Der Kläger forderte den Beklagten durch Schreiben vom 25.9.1988, 28.9.1988 und erneut durch Schreiben seiner Prozeßbevollmächtigten vom 4.10.1988 auf, die übergefallenen Mostbirnen zu beseitigen. Nachdem eine den Beklagten hierfür gesetzte Frist bis zum 7.10.1988 verstrichen war, ließ der Kläger die übergefallenen Mostbirnen, es handelte sich um 0,75 Kubikmeter, durch ein Gartenbau-Unternehmen beseitigen. Hierdurch entstanden dem Kläger Kosten in Höhe von DM 213,75.

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Der Kläger trägt vor, der Beklagte sei verpflichtet, ihm die entstandenen Aufwendungen zu erstatten.

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Der Kläger beantragt:

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Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 213,75 zuzüglich 10% Zinsen seit Zustellung des Mahnbescheids zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte bringt hierzu vor, der Kläger werde gem. § 911 BGB selbst Eigentümer der Mostbirnen. Er könne daher auch die Kosten ihrer Beseitigung nicht von ihm ersetzt verlangen.

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Der Kläger hat mehrere Lichtbilder vorgelegt, die in Augenschein genommen wurden. Wegen des Beweisergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift, wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist mit Ausnahme der Zinsen begründet.

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Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Aufwendungsersatzanspruch nach den §§ 1004, 812, 818 Abs. 2 BGB. Dazu nun im einzelnen:

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1. Die vom Grundstück des Beklagten überragenden Äste und die davon herabfallenden Früchte beeinträchtigen die Nutzung des im Eigentum des Klägers stehenden Wohngrundstücks in erheblichem Umfang. Wie die vom Kläger vorgelegten Lichtbilder zeigen, ist der Boden während der Tragezeit des Baumes mit Mostbirnen geradezu übersät. Man kann praktisch keinen Schritt tun, ohne auf herumliegende Früchte zu treten. Dadurch wird auch die Nutzung der zum Wohnhaus des Klägers gehörenden Terrasse erheblich beeinträchtigt.

13

Der Zeitaufwand für das Einsammeln der Früchte ist beträchtlich, wie sich der Rechnung Blatt 12 d. A. ohne weiteres entnehmen läßt. Werden die Mostbirnen nicht in kurzen Zeitabständen (alle 1 oder 2 Tage) eingesammelt, so beginnen sie naturgemäß zu faulen und lösen dadurch Geruchsbelästigungen aus. Es ist auch ohne weiteres glaubhaft, daß durch die am Boden liegenden Früchte Wespen und Bienen angezogen werden. Auch dies beeinträchtigt die Nutzung des klägerischen Grundstücks, ohne daß es auf die zwischen den Parteien streitig gebliebene Frage ankommt, ob der Sohn des Klägers unter einer Bienen-/Wespenallergie leidet.

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2. Der Kläger braucht die dargelegte Beeinträchtigung seines Eigentums im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB, die vom Nachbargrundstück des Beklagten ausgeht, nicht hinzunehmen (§ 1004 Abs. 2 BGB):

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a. Allerdings weist der Beklagte zurecht darauf hin, daß der Kläger gem. § 911 BGB Eigentümer der überfallenden Mostbirnen wird. Daraus ergibt sich aber entgegen der Auffassung des Beklagten nicht, daß der Kläger die Beeinträchtigung seines Eigentums, die von den auf seinem Grundstück überragenden Ästen und den davon herabfallenden Mostbirnen ausgeht, hinzunehmen hat.

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Die Vorschrift des § 911 BGB soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers (Protokolle III, Seite 149) Streitigkeiten über die Abholung des Fallobstes vermeiden, indem das Ausschließungsinteresse des Grundstückseigentümers gegenüber dem Verfolgungsinteresse des Baumeigentümers privilegiert wird (Münchener Kommentar/Säcker, § 911 Rdnr. 1). Die Rechte des Grundstückseigentümers sollen durch § 911 BGB somit nicht verkürzt, sondern im Gegenteil erweitert werden.

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Es lag allerdings außerhalb der Vorstellungswelt des Gesetzgebers, daß der Eigentümer des Nachbargrundstücks die überfallenden Früchte nicht als Geschenk, sondern als Belästigung empfinden könnte.

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So liegen die Dinge aber hier:

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Der Kläger hat, wie er glaubhaft darlegt, keine sinnvolle Verwendung für die überfallenden Mostbirnen. Auch das Interesse des Beklagten an den Früchten seines Mostbirnenbaumes ist gering, wie sich aus seiner mangelnden Bereitschaft, die überfallenden Mostbirnen regelmäßig selbst einzusammeln, ergibt. Beide Parteien betrachten die große Fruchtbarkeit des Mostbirnenbaumes offensichtlich keineswegs als Segen, sondern als lästige Begleiterscheinung.

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Unter diesen Umständen kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger dadurch, daß die Mostbirnen in sein Eigentum übergehen, für die erheblichen Beeinträchtigungen entschädigt wird, die von den Früchten ausgehen. Weil § 911 BGB aber, wie dargelegt wurde, dem Grundstückseigentümer privilegieren soll, kann dieser Vorschrift kein Ausschluß weitergehender Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung oder Schadensersatz entnommen werden. Daß die herüberfallenden Früchte Eigentum des Klägers werden, ändert schließlich auch nichts daran, daß die von ihnen verursachte Beeinträchtigung seines Eigentums letztlich vom Grundstück des Beklagten ausgeht.

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b. Es kann auch nicht argumentiert werden, der Kläger habe die überragenden Äste zu dulden und müsse daher auch Beeinträchtigungen, die von den herüberfallenden Früchten ausgehen, hinnehmen.

22

Nach § 910 Abs. 2 BGB, der auch im Rahmen des § 1004 Abs. 1 BGB anzuwenden ist (Landgericht Saarbrücken NJW RR 1988, Seite 1341; Harsch, Wohnungswirtschaft u. Mietrecht 1984, Seite 56) kann der Eigentümer die Beseitigung überragender Zweige nicht verlangen, wenn sie die Nutzung seines Grundstücks nicht oder jedenfalls nicht wesentlich beeinträchtigen. Davon kann hier keine Rede sein. Das Eigentum des Klägers wird, wie dargelegt wurde, in erheblichem Ausmaß beeinträchtigt.

23

c. Das Selbsthilferecht des Grundstückseigentümers nach § 910 BGB schließt den Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB grundsätzlich nicht aus (BGH NJW 1973, Seite 703).

24

d. Der Beseitigungsanspruch des Klägers bezüglich der auf sein Grundstück überragenden Zweige und Äste ist auch nicht gemäß § 23 Abs. 1 des Gesetzes über das Nachbarrecht in Baden-Württemberg beschränkt. Die überragenden Äste beeinträchtigen die Nutzung eines Wohngrundstücks, so daß der Beseitigungsanspruch gemäß § 23 Abs. 2 des Gesetzes über das Nachbarrecht uneingeschränkt besteht.

25

e. Die Beeinträchtigung, die von den überragenden Ästen und den davon herabfallenden Früchten ausgeht, überschreitet auch den Rahmen dessen, was ein Grundstückseigentümer gemäß § 906 Abs. 2 BGB als ortsüblich hinzunehmen hat. Auch in ländlichen Gegenden kann es von einem Grundstückseigentümer nicht erwartet werden, daß er mehrmals in der Woche mehrere Stunden aufwendet, um Früchte, die von einem Baum auf dem Nachbargrundstück überfallen, einzusammeln.

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Nach alledem ist der Kläger berechtigt, vom Beklagten gemäß § 1004 Abs. 1 BGB Beseitigung der dargelegten Beeinträchtigung zu verlangen.

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3. Der Kläger hat den Beklagten mehrfach erfolglos zum Zurückschneiden der Äste und zum Einsammeln der Früchte aufgefordert. ERst nach Verstreichen einer hierfür gesetzten Frist hat der Kläger ein Gartenbau-Unternehmen mit dem Einsammeln der Birnen beauftragt, wodurch ihm Aufwendungen in Höhe von DM 213,75 entstanden sind. Diese Aufwendungen hat der Beklagte dem Kläger zu erstatten.

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Der Kläger hat nämlich den Beklagten insoweit von der ihm gemäß § 1004 Abs. 1 BGB obliegenden Verpflichtung zur Beseitigung einer Eigentumsstörung befreit (so BGHZ 97, Seite 231, 232; Oberlandesgericht Düsseldorf NJW 1986, Seite 2648). Dies gilt auch bei Ersatzvornahme durch Dritte (Palandt/Bassenge, § 1004, Anm. 5 a, cc). Der Beklagte hat nicht vorgetragen, daß er mit einem geringeren Betrag hätte auskommen können. Der Kläger war selbstverständlich nicht verpflichtet, die Mostbirnen selbst einzusammeln.

29

4. Der Kläger hat einen Verzugsschaden, der über die gemäß §§ 291, 288 BGB zuzubilligenden Prozeßzinsen hinausgeht, nicht dargelegt. Insoweit war die Klage abzuweisen; im übrigen war sie begründet.

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5. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 92 Abs. 2, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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