Zum anzuwendenden Recht bei unbekannten Schadensort bei einem multimodalen Transport

OLG München, Urteil vom 06.11.2013 – 7 U 1298/13

Kann bei einem multimodalen Transport nicht gemäß § 452 a HGB festgestellt werden, dass das Schadensereignis auf der Seestrecke eingetreten wäre,  ist von einem unbekannten Schadensort auszugehen; die Anwendung des Seefrachtrecht kommt dann nicht in Betracht, es  verbleibt vielmehr bei der Anwendung des allgemeinen Frachtrechts (Rn. 13).

Die unwiderlegliche Verlustvermutung greift, wenn nach § 424 Abs. 1 HGB ein weiterer angemessener Zeitraum, mindestens aber (beim hier grenzüberschreitenden Transport) dreißig Tage verstrichen sind, ohne dass das Transportgut am Zielort angekommen ist.2. Die Verlustvermutung des § 424 Abs. 1 HGB greift, wenn mindestens 30 Tage verstrichen sind, ohne dass das Transportgut am Zielort angekommen ist (Rn. 16).

Unterlässt es der Frachtführer  über ca. einen Monat hinweg entgegen § 419 Abs. 1 HGB in Verbindung mit § 418 HGB, hinsichtlich des mit der Verweigerung des Weitertransports  gegebenen Beförderungshindernisses Weisungen seitens des Absenders  einzuholen, wurzelt die Nichtab- bzw. -Rücklieferung, bezogen auf das Verhältnis zwischen Absender und Frachtführer, primär in der Einflusssphäre des Frachtführers (Rn. 18).

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27.2.2013 (Az.: 10 HK O 15859/12) wird zurückgewiesen.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen. Die Streithelferin trägt ihre Kosten selbst.

4. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

1

Die Klägerin macht gegen den Beklagten den Ersatz von Transportschäden geltend.

2

Die Klägerin beauftragte den Beklagten im Frühjahr 2012 mit dem Transport von 35 gebrauchten PKW von Haar (Deutschland) nach Misurata (Libyen). Der Beklagte seinerseits beauftragte wiederum die Streithelferin mit dem Seetransport des Transportguts von Triest nach Misurata. Die Streithelferin schiffte das Transportgut zunächst ein, setzte es aber im Gioia Tauro (Italien) wieder an Land. Als Grund gab die Streithelferin gegenüber dem Beklagten an, nach libyschem Recht sei die Anlandung und der Import der fraglichen PKW in Libyen wegen ihres Alters nicht möglich. Der Verbleib des Transportguts ist unklar; es ist jedenfalls weder in Misurata angekommen noch an die Klägerin zurück geliefert worden.

3

Die Klägerin hat beantragt,

4

(1) den Beklagten zur Zahlung von 29.856,80 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Kosten zu verurteilen;

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(2) festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin freizustellen von allen Zahlungsansprüchen der [Streithelferin] wegen Equipment-Demurrage, Lagergeld, Seefrachten sowie allen Schadensersatzforderungen aus dem streitgegenständlichen Transportauftrag, den der Beklagte der [Streithelferin] über 7 Container á 5 KFZ – im Rahmen des Transportvertrags der Klägerin mit dem Beklagten von Haar bei München nach Misurata/Libyern – erteilt hat, gem. Rechnung vom 25.5.2012, Rechnungsnummer …;

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(3) festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle Schäden zu ersetzen, die der Klägerin an den vom Beklagten zu Transport übernommenen PKW gem. Ladeliste … [im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils mit Fahrgestellnummer aufgelistet] durch transportbedingte Beschädigung und/oder transportbedingten Verlust und/oder transportbedingte verspätete Ablieferung entstanden sind oder künftig noch entstehen.

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Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

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Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Es hat lediglich hinsichtlich des Klagantrags (2) die Feststellung der Verpflichtung zur Freistellung von Schadensersatzansprüchen abgelehnt und den Ausspruch zu Klagantrag (3) mit der Einschränkung versehen, dass die Ersatzpflicht nur im Haftungsrahmen des § 431 HGB besteht. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen.

9

Mit seiner zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt der Beklagte sein erstinstanzliches Klagabweisungsbegehren weiter. Ferner beantragt der Beklagte nunmehr widerklagend, die Klägerin zu verurteilen, den Beklagten von allen Ansprüchen der [Streithelferin] freizustellen, die dieser aus dem Unterfrachtvertrag mit dem Beklagten aufgrund der fehlenden Importfähigkeit der in sieben Containern geladenen Fahrzeuge, insbesondere durch die Ausladung in G. Tauro und Rückführung nach Antwerpen, zustehen. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Berufung und die Abweisung der Widerklage.

B.

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Zu Recht hat das Landgericht der Klage im wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten erweist sich damit als unbegründet.

I.

11

Im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht von der Geltung allgemeinen deutschen Frachtrechts (§§ 407 ff. HGB) ausgegangen.

12

1. Die Anwendung deutschen Sachrechts auf das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien ergibt sich aus Art. 5 Abs. 1 Rom I. Beide Parteien haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und auch der Übernahmeort des Transportguts lag in Haar bei München und damit im Inland. Ob – wie die Streithelferin meint – auf das Verhältnis zwischen dem Beklagten und der Streithelferin britisches Recht anzuwenden ist, kann dahin stehen; denn dies spielt für das verfahrensgegenständliche Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten, welches vom Rechtsverhältnis zwischen dem Beklagten und der Streithelferin streng zu unterscheiden ist, keine Rolle.

13

2. Anzuwenden ist ferner allgemeines Frachtrecht und nicht Seefrachtrecht. Zwar liegt zwischen den Parteien ein multimodaler Frachtvertrag im Sinne von § 452 HGB vor, da die Beförderung teils per Bahn und teils per Schiff erfolgen sollte. Es kann allerdings nicht gemäß § 452 a HGB festgestellt werden, dass das Schadensereignis auf der Seestrecke eingetreten wäre; vielmehr ist von einem unbekannten Schadensort auszugehen. Damit verbleibt es bei der Anwendung allgemeinen Frachtrechts.

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Ein multimodaler Transport ist dadurch gekennzeichnet, dass die einzelnen Teilstrecken nahtlos in einander übergehen, d.h. jeder Ort und Zeitpunkt zwischen Absendeort und bestimmungsgemäßem Empfangsort einer bestimmten Teilstrecke zuzuordnen ist. So gehört etwa die Zwischenlagerung in einem Seehafen, wobei die Ware in der Obhut des Seefrachtführers verbleibt, zweifellos zur Seestrecke. Vorliegend wurden die fraglichen Container aber nicht zur Zwischenlagerung in Gioia Tauro vom Schiff genommen (am 12.6.2006, vgl. Anlage B 1), sondern die Streithelferin weigerte sich, die Container in den Zielhafen Misurata zu bringen, weil sie wegen des Alters des Transportgutes Probleme beim Import befürchtete (vgl. den umfangreichen e-mail-Verkehr zwischen der Beklagten und der Streithelferin ab 4.6.2012, Anlagen KB 4 ff.). Damit endete der bestimmungsgemäße Transport in Richtung des Bestimmungsortes und somit auch die Seestrecke als Teilstrecke des bestimmungsgemäßen Transportes. In diesem Zeitpunkt war das Transportgut zweifelsfrei noch vorhanden. Das weitere Schicksal der Ware lässt sich dem Parteivortrag und den vorgelegten Anlagen nicht sicher entnehmen; teils ist dort von einem Rücktransport nach Triest, teils von einem Verbringen nach Antwerpen die Rede, wobei auch, wenn einer dieser Fälle zutreffen sollte, das fragliche Datum bzw. der Zeitraum und das Transportmedium offen bleiben. Der Beklagte und die Streithelferin, die sich auf den Schadenseintritt auf der Seestrecke berufen und hierfür darlegungs- und beweispflichtig sind (§ 452 a Abs. 1 S. 2 HGB), haben dies hiernach schon nicht hinreichend dargelegt oder sogar bewiesen. Der Senat muss daher von einem unbekannten Schadensort ausgehen.

II.

15

Auf der Basis des allgemeinen deutschen Frachtrechts erweist sich die Klage in dem vom Landgericht zuerkannten Umfang als begründet.

16

1. Die Haftung des Beklagten ergibt sich im Ansatzpunkt aus § 425 Abs. 1 HGB. Denn es ist vom Verlust des Transportguts auszugehen, wie sich aus der unwiderleglichen Verlustvermutung des § 424 Abs. 1 HGB ergibt. Das Transportgut wurde nach den nicht angegriffenen landgerichtlichen Feststellungen am 23./24.5.2012 vom Beklagten in Haar übernommen, sollte am 2.6.2012 in Triest eingeschifft werden und eine Woche später, also etwa am 10.6.2012 in Misurata eintreffen. Die Verlustvermutung greift daher, wenn nach § 424 Abs. 1 HGB ein weiterer angemessener Zeitraum, mindestens aber (beim hier grenzüberschreitenden Transport) dreißig Tage verstrichen sind, ohne dass das Transportgut am Zielort angekommen ist. Diese Mindestfrist hätte daher um den 10.7.2012 geendet. Wenn das Landgericht die Mindestfrist maßvoll überschreitet und den genannten Zeitraum bis Ende Juli 2012 andauern lässt, ist hiergegen aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Da das Transportgut bis Ende Juli 2012 nicht in Misurata angekommen ist, wird dessen Verlust unwiderleglich vermutet.

17

2. Ein Mitverschulden im Sinne von § 425 Abs. 2 HGB muss sich die Klägerin nicht anrechnen lassen. Dabei kann die zwischen den Parteien streitige Frage, ob das vom Kläger stammende Transportgut wegen seines Alters in Libyern nicht anlande- und importfähig war, letztlich dahin stehen. Selbst wenn man dies unterstellt, hat sich ein solcher Mangel des Transportguts nicht auf den Eintritt der Verlustvermutung ausgewirkt; insoweit fehlt es am Zurechnungszusammenhang.

18

Wie sich aus dem bereits zitierten e-mail-Verkehr zwischen der Beklagten und der Streithelferin ab 4.6.2012 (Anlagen KB 4 ff.) ergibt, verweigerte die Streithelferin den Weitertransport, weil sie das Transportgut in Libyen nicht für anlande- bzw. importfähig hielt. Dem gegenüber bestand die Beklagte über mehrere Wochen auf dem Weitertransport, ohne dass die Klägerin in die Diskussion aktiv involviert wurde. Soweit ersichtlich, wurde die Klägerin erstmals mit Schreiben vom 8.8.2012 (Anlage BK 23) mit der Problematik befasst, und zwar seitens der Streithelferin und nicht – wie zu erwarten gewesen wäre – durch ihren Vertragspartner, den Beklagten. Der Beklagte hat es also über ca. einen Monat hinweg entgegen § 419 Abs. 1 HGB in Verbindung mit § 418 HGB unterlassen, hinsichtlich des mit der Verweigerung des Weitertransports durch die Streithelferin gegebenen Beförderungshindernisses Weisungen seitens der Klägerin einzuholen. Die Nichtab- bzw. -rücklieferung wurzelt daher, bezogen auf das Verhältnis zwischen Klägerin und Beklagten, primär in der Einflusssphäre des Beklagten. Hierdurch wird der Zurechnungszusammenhang zwischen einer – unterstellten – Nichtimportierbarkeit des Transportguts in Libyen und dem vermuteten Verlust des Transportguts unterbrochen; die Klägerin muss sich ein Mitverschulden nicht anrechnen lassen.

19

Soweit der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr pauschal behauptet hat, dass die Klägerin zeitnah von allen Problemen bei der Verschiffung informiert gewesen sei, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Durch die Anlagen belegen lässt sich eine Information der Klägerin – nicht durch den Beklagten, sondern durch die Streithelferin – erst am 8.8.2012. Die Benennung des Zeugen K. X. erfolgte ersichtlich ins Blaue hinein. Der Beklagte führt nicht aus, wie und wann die Klägerin informiert worden sein soll. Das Vorbringen der Beklagten ist daher nicht geeignet, die (insbesondere rechtzeitige) Erfüllung der Pflicht zur Einholung von Weisungen auszufüllen, und damit unschlüssig. Insoweit vermag das Beweisangebot keinen wenigstens im Kern konkretisierten, schlüssigen Sachvortrag zu ersetzen, so dass die Einvernahme des Zeugen auf eine Ausforschung des Sachverhalts hinauslaufen würde und daher unterbleiben muss. – Dahin stehen kann somit die Frage, ob das diesbezügliche Beklagtenvorbringen (wofür einiges spricht, da schon das Landgericht im angegriffenen Urteil auf die unterbliebene Einholung von Weisungen abgestellt hat) als verspätet zurückzuweisen wäre.

20

3. Die einzelnen Posten der Klageforderung erweisen sich damit in dem vom Landgericht zuerkannten Umfang als ersatzfähig.

21

Der in Ziff. 1 des Urteils zuerkannte Aufwendungsersatz (Frachtkosten, Zölle) ergibt sich aus §§ 425, 432 HGB. Die zuerkannten vorgerichtlichen Kosten rechtfertigen sich unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes und werden von § 432 HGB erfasst (“sonstige Kosten”).

22

Dies gilt letztlich auch für den Freistellungsausspruch in Ziff. 2 des Urteilstenors, der sich auf Demurrage, Lagergeld und Seefrachten bezieht, welche von § 432 HGB erfasst werden. Ob die Klage auf Freistellung von Schadensersatzansprüchen zu Recht abgewiesen wurde, bedarf keiner Entscheidung, da der Beklagte hierdurch nicht beschwert wird und die Klägerin keine Berufung eingelegt hat.

23

Der Feststellungsausspruch in Ziff. 3 der angegriffenen Urteils folgt aus §§ 425, 429, 431 HGB. Zu Recht hat das Landgericht auf die Haftungshöchstbeträge des § 431 HGB abgestellt, da qualifiziertes Verschulden des Beklagten im Sinne von § 435 HGB nicht ersichtlich ist.

C.

24

Nach den vorstehenden Darlegungen erweist sich die mit der Berufungsbegründung erhobene Widerklage als unbegründet. Dem Beklagten steht kein Anspruch auf Freistellung von Ansprüchen der Streithelferin zu. Denn die fraglichen Kosten wurden nicht durch die – hier unterstellte – Nichtimportfähigkeit des Transportguts in Libyen, sondern durch die inkorrekte Sachbehandlung des Beklagten verursacht, der es wie dargestellt insbesondere unterlassen hat, Weisungen seitens der Klägerin einzuholen.

D.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, 101 ZPO.

26

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

27

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr die Umstände des Einzelfalls.

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