OLG Köln, Beschluss vom 30.11.2006 – 6 U 220/06
1. Der amtlich bestellte Abwickler einer Rechtsanwaltskanzlei kann den pflichtwidrig seine Mitwirkung verweigernden vormaligen Rechtsanwalt unmittelbar auf Herausgabe des Kanzleiinventars in Anspruch nehmen, ohne sich auf eine vorherige Auskunftsklage verweisen lassen zu müssen. Der Herausgabeantrag ist daher hinreichend bestimmt, wenn er sich dem Gesetzeswortlaut folgend auf die „der früheren Kanzleitätigkeit zugehörigen Gegenstände“ bezieht und Letztere durch Gattungsbezeichnung konkretisiert (Rn.6).
2. Der Abwickler der Kanzlei hat, wenn die Praxis des vormaligen Rechtsanwalts von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens betroffen ist, eine ggü. dem Insolvenzverwalter unabhängige Stellung. Er kann die für die Abwicklung der Kanzlei benötigten Gegenstände und Unterlagen auch dann verlangen, wenn sie vom Insolvenzbeschlag erfasst werden (Rn.9)(Rn.10).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Der Antrag des Verfügungsbeklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens gegen das Urteil des Landgerichts Köln – 8 O 171/06 – vom 17.10.2006 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
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Der Verfügungsbeklagte war Rechtsanwalt. Nachdem über sein Vermögen im Februar 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet und der darauf ausgesprochene Widerruf seiner Anwaltszulassung wirksam geworden war, wurde der Verfügungskläger im April 2006 zum Abwickler der Kanzlei bestellt. Er hat eine einstweilige Verfügung erwirkt, wonach der Verfügungsbeklagte, der die früheren Kanzleiräume inzwischen zu Wohnzwecken nutzt und die in den Räumen befindlichen Computer schon vorher gemischt privat und beruflich genutzt hatte, verpflichtet ist,
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die zu seiner früheren Kanzleitätigkeit gehörenden Gegenstände – insbesondere Aktenregister, Terminkalender, Fristenkalender, Handakten, Computer sowie Buchhaltungsunterlagen – einschließlich des der anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treuguts
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an ihn herauszugeben. Nach Widerspruch hat das Landgericht die einstweilige Verfügung durch Urteil bestätigt (§§ 936, 925 ZPO). Der Verfügungsbeklagte beabsichtigt das Urteil mit der – im Entwurf vorgelegten – Berufung anzugreifen und beantragt, ihm hierfür Prozesskostenhilfe zu gewähren.
II.
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Der Antrag war zurückzuweisen, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO). Die Berufung des Verfügungsbeklagten wäre nach seinem eigenem Vorbringen unbegründet, weil der Senat in der Sache nicht anders entscheiden könnte als das Landgericht.
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1. Der Antragsteller rügt die unzureichende Bestimmtheit des Verfügungstenors und des zu Grunde liegenden Antrags des Verfügungsklägers, ohne in Frage zu stellen, dass für die Bestimmtheit eines Herausgabeantrags einerseits das Interesse des Beklagten an einer möglichst erschöpfenden Verteidigung sowie an klaren und sicheren Wirkungen der Entscheidung und andererseits das ebenso schutzwürdige Interesse des Klägers an einem wirksamen Rechtsschutz abzuwägen ist, wobei unvermeidliche Schwierigkeiten der Vollstreckung hinzunehmen sind (BGHZ 153, 69 = GRUR 2003, 228 = NJW 2003, 668). Entgegen seiner Ansicht ist die vom Landgericht vorgenommene Abwägung nicht zu beanstanden.
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Damit der amtlich bestellte Abwickler einer Rechtsanwaltskanzlei seine den Interessen der Mandanten und der Sicherheit des Rechtsverkehrs dienende (Feuerich, BRAO, 5. Aufl., § 55, Rn. 2; Franke / Böhme, AnwBl 2004, 339) Befugnis, die zur Kanzlei gehörenden Gegenstände einschließlich des der anwaltlichen Verwahrung unterliegenden Treuguts herauszuverlangen und darüber zu verfügen (§§ 55 Abs. 3 S. 1, 53 Abs. 10 S. 1 BRAO), effektiv durchzusetzen vermag, kann er den pflichtwidrig (§ 55 Abs. 10 S. 3 BRAO) seine Mitwirkung verweigernden ehemaligen Rechtsanwalt durch einstweilige Verfügung unmittelbar auf Herausgabe in Anspruch nehmen (Feuerich, a.a.O., § 53, Rn. 34 unter Hinweis auf AGH Naumburg, NJW-RR 1995, 1206; Simonsen / Leverenz, BRAK-Mitt. 1995, 224 [225]), ohne sich auf den umständlichen Weg einer Auskunfts- oder Stufenklage verweisen lassen zu müssen. Da ihm vor Inbesitznahme keine genauere Bezeichnung der Gegenstände möglich ist, während dem ehemaligen Praxisinhaber zugemutet werden kann, etwa auftretenden Unsicherheiten des Vollstreckungsverfahrens durch eindeutige Kennzeichnung der zur Kanzlei gehörenden Unterlagen und Einrichtungen zu begegnen, genügt ein Verfügungstenor, der – wie hier – dem Gesetzeswortlaut folgt und zusätzlich die Art der herauszugebenden Gegenstände durch Gattungsbezeichnungen konkretisiert, in jeder Hinsicht den Anforderungen.
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Dies gilt nicht nur für kaum verwechselbare Unterlagen der Kanzlei wie Register, Kalender, Handakten und Buchhaltungsunterlagen, sondern auch für die – teils beruflich und teils privat genutzte – Computeranlage. Durch die Beschränkung des Verfügungstenors auf zur früheren Kanzleitätigkeit gehörende Gegenstände (und Treugut) ist hinreichend klargestellt, dass ausschließlich privat genutztes technisches Gerät des Verfügungsbeklagten – unter Umständen auch Hardware-Komponenten wie Bildschirme, Scanner oder Drucker, die keinen Bezug zur Datenverwaltung der Kanzlei erkennen lassen – nicht herausgegeben werden muss. Ebenso wenig geht es darum, dem Verfügungskläger dauerhaften Besitz an nur teilweise beruflich genutzten Teilen der Computeranlage zu verschaffen. Er muss aber – und dies rechtfertigt eine einstweilige Verfügung mit dem hier in Rede stehenden Tenor – zur Abwicklung der schwebenden Angelegenheiten (§ 55 Abs. 2 BRAO) auf alle sachlichen Hilfsmittel zugreifen und diese für die Zeit der Abwicklung in Besitz nehmen können, die der ehemalige Praxisinhaber für seine Berufsausübung vorhielt (vgl. § 5 BORA). Dazu gehört auch der – unstreitig – zu diesen Hilfsmitteln zählende Computer.
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2. Das Insolvenzverfahren , auf dessen Anhängigkeit sich der Verfügungsbeklagte in zweiter Instanz erstmals berufen will, schließt den geltend gemachten Verfügungsanspruch nicht aus.
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Zwischen den berufsrechtlich bestimmten Obliegenheiten des Abwicklers und den Aufgaben des Insolvenzverwalters kann allerdings ein Spannungsverhältnis bestehen, dessen Auflösung differenzierter Betrachtung bedarf (vgl. zu einer vergütungsrechtlichen Fallgestaltung etwa BGH, ZIP 2005, 1742 = NZI 2005, 681). So wird zwar einerseits die grundsätzliche Frage, ob die freiberufliche Praxis eines Rechtsanwalts überhaupt Bestandteil der Insolvenzmasse und vom Insolvenzbeschlag umfasst sein kann (§ 35 InsO), zunehmend bejaht (vgl. nur Schick, NJW 1990, 2359 [2360]; Franke / Böhme, a.a.O.; Feuerich, a.a.O., § 55, Rn. 35; Henssler / Prütting / Schaich, BRAO, 2. Aufl., § 55, Rn. 23; MünchKommInsO / Lwowski, § 35, Rn. 155 f., 507; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 35, Rn. 47 m.w.N.; anders Simonsen / Leverenz, a.a.O. [229], die zwischen der auf persönlichem Vertrauen beruhenden Anwaltskanzlei und den zur Praxis gehörenden Vermögenswerten unterscheiden). Andererseits ist jedoch unbestritten, dass das vom Abwickler zu wahrende Berufsgeheimnis als höherwertiges, persönlichkeitsbezogenes Recht auch gegenüber dem Insolvenzverwalter des früheren Rechtsanwalts besteht und durch dessen Verwaltungs- und Verfügungsrecht (§ 80 InsO) nicht berührt wird. Obwohl dem Abwickler nur die anwaltlichen, keine sonstigen Befugnisse des ehemaligen Praxisinhabers zustehen (§ 55 Abs. 2 S. 3 BRAO), ist die Fortführung laufender Mandatsverhältnisse einschließlich der Einziehung und Auskehrung von Fremdgeldern (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH, a.a.O.) allein seine Aufgabe; er ist dabei keinen Weisungen des Insolvenzverwalters unterworfen und darf von diesem – ebenso wie vom ehemaligen Praxisinhaber – nicht in seiner Tätigkeit beeinträchtigt werden (Schick, a.a.O.; Simonsen / Leverenz, a.a.O. [229 f.]; Franke / Böhme, a.a.O. [341]; Feuerich, a.a.O.; Henssler / Prütting / Schaich, a.a.O., Rn. 25; MünchKommInsO / Lwowski, a.a.O., Rn. 156).
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Angesichts dieser eigenverantwortlichen, vom Insolvenzverwalter unabhängigen Stellung des Abwicklers kann offen bleiben, inwieweit die einzelnen hier vom Verfügungskläger herausverlangten Gegenstände ohnehin unpfändbar sind und damit aus dem Insolvenzbeschlag herausfallen (§ 36 Abs. 1 S. 1 InsO i.V.m. § 811 Abs. 1 Nr. 5 und 7 ZPO). Denn auch soweit es sich um Bestandteile der Insolvenzmasse handeln sollte, ist er für die Dauer seiner Bestellung berechtigt und obliegt es ihm, darüber wie über alle anderen für die Abwicklung der Kanzlei benötigten Gegenstände, Güter, Unterlagen und Einrichtungen zu verfügen und ihre Herausgabe an sich zu verlangen.
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Ebenso wenig wie an der Sachbefugnis des Verfügungsklägers fehlt es an der Passivlegitimation des Verfügungsbeklagten. Allerdings kann der Abwickler einer Kanzlei seine gegenüber dem ehemaligen Praxisinhaber bestehenden Rechte notfalls auch gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen (Simonsen / Leverenz, a.a.O. [230]; Feuerich, a.a.O., § 55, Rn. 36). Ist aber der ehemalige Praxisinhaber – wie hier unstreitig der Verfügungsbeklagte – weiterhin unmittelbarer Besitzer der herausverlangten, für die Abwicklung benötigten Gegenstände, steht seiner direkten Inanspruchnahme durch den Abwickler im Wege einstweiligen Rechtsschutzes nichts entgegen. Ob die Gegenstände nach der Abwicklung (oder dem Ablauf der Bestellung des Verfügungsbeklagten zum Abwickler) an ihn oder an den Insolvenzverwalter zurückzugeben sind, ist nicht zu entscheiden.
III.
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Der nur für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist ist gegenstandslos.
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Da Berufung bisher nicht eingelegt, sondern lediglich unter Vorlage eines Berufungsentwurfs Prozesskostenhilfe beantragt worden ist, entfällt eine Kostenentscheidung.