LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.04.2007 – L 5 B 473/07 AS ER
Zum Anspruch auf Übernahme der Kosten einer mehrtägigen Klassenfahrt
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.
Gründe
1
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2007 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht Berlin hat diesen vielmehr zu Recht auf den am 14. Februar 2007 bei Gericht gestellten Antrag vorläufig verpflichtet, die Kosten für eine fünftägige Klassenreise nach London für D W in der tatsächlich anfallenden Höhe von 347,00 € und nicht nur in Höhe von 260,00 € zu übernehmen.
2
Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Dies ist vorliegend aus den erstinstanzlich dargelegten Gründen, auf die der Senat nach eigener Prüfung Bezug nimmt (§ 142 Abs. 2 Satz 2 SGG), der Fall. Insbesondere ist vorliegend ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Senat sieht es nicht nur als überwiegend wahrscheinlich, sondern als sicher an, dass das Gericht den Antragsgegner in der Hauptsache verpflichten wird, die Kosten für die Klassenreise für D W in der tatsächlich entstandenen Höhe zu übernehmen. Denn nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) sind Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen nicht von der Regelleistung umfasst. Vielmehr werden sie gemäß Satz 2 der Vorschrift gesondert erbracht. Bereits dieser Gesetzeswortlaut enthält keinerlei Hinweis darauf, dass der Antragsgegner, der das Vorliegen einer Klassenfahrt im Sinne der Norm nicht in Abrede stellt, zu einer irgendwie gearteten Begrenzung der Kosten berechtigt wäre. Eine solche Berechtigung kann auch nicht aus dem Rundschreiben I Nr. 38/2004 der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz folgen. Die Anspruchsgrundlagen und den Leistungsumfang bestimmt der Gesetzgeber, nicht aber die Verwaltung, solange dieser nicht ein entsprechender Beurteilungs- oder Ermessensspielraum eingeräumt bzw. sie zu bestimmten Regelungen ausdrücklich ermächtigt wird. Dies aber ist hier offensichtlich nicht der Fall.
3
Im Übrigen liefe eine entsprechende höhenmäßige Begrenzung der für Klassenfahrten zu übernehmenden Kosten auch dem erklärten Willen des Gesetzgebers zuwider. Dieser hat in der amtlichen Begründung (BT-Drucks. 15/1514, 60) zu dem – soweit hier wesentlich – wortgleichen § 31 Abs. 1 Nr. 3 des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches ausgeführt:
4
„Absatz 3 Satz 1 ermächtigt die Träger der Sozialhilfe, die Leistungen für die Erstausstattungen für Wohnung und Kleidung zu pauschalieren, und konkretisiert die Ermittlung des Pauschalbetrages. Die Regelung entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den einmaligen Leistungen, wonach Pauschalierungen nur zulässig sind, wenn die Pauschalen zumindest auf „ausreichenden Erfahrungswerten“ beruhen. Für mehrtägige Klassenfahrten sind dagegen keine Pauschalen vorgesehen. Da die Regelung nur Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen umfasst, sollen die tatsächlichen Kosten übernommen werden, um eine Teilnahme zu gewährleisten. Damit wird auch dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass Schulfahrten ein wichtiger Bestandteil der Erziehung durch die Schulen sind.“
5
Für § 23 SGB II gilt Entsprechendes (vgl. BT-Drucks. 15/1749, 33).
6
Vor diesem Hintergrund gehen die vom Antragsgegner angestellten Vergleiche zum Bundessozialhilferecht jedenfalls an der aktuellen Gesetzeslage vorbei. Die von ihm zitierten, angeblich seine Rechtsauffassung stützenden Entscheidungen anderer Landessozialgerichte sind bereits teilweise nicht aufzufinden, im Übrigen befassen sie sich mit der hier entscheidenden Rechtsfrage nicht (so LSG Nordrhein-Westfalen, L 1 AS 19/06 vom 21.03.2007).
7
Der Senat hat daher keinen Zweifel, dass ein Leistungsanspruch aus § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 SGB II und nicht nur ein Anspruch auf darlehensweise Gewährung des Restbetrages in Höhe von 87,00 € aus § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II (so aber Bescheid vom 19. Februar 2007) besteht. Allerdings spricht zu seiner Überzeugung viel dafür, dass es sich hierbei nicht um einen Anspruch der Antragstellerin, sondern einen solchen ihres Sohnes handelt, den sie als seine gesetzliche Vertreterin für ihn verfolgt. Das Rubrum müsste daher wohl korrigiert werden, worauf der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens jedoch im Interesse der Beschleunigung verzichtet.
8
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
9
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).