KG Berlin, Beschluss vom 04.10.2017 – 13 WF 183/17
Zwar ist ein auf den Ausbruch oder die Verschlimmerung einer psychischen Erkrankung beruhendes Fehlverhalten eines Ehegatten regelmäßig kein tragfähiger Gesichtspunkt, um von dem Erfordernis einer mindestens einjährigen Trennungszeit vor Scheidung abzusehen. Eine unzumutbare Härte im Sinne von § 1565 Abs. 2 BGB kann aber gegeben sein, wenn das auf eine psychische Erkrankung zurückgehende Fehlverhalten des einen Ehegatten bei dem anderen, scheidungswilligen Ehegatten bereits zu schweren gesundheitlichen Folgen wie massive depressive Verstimmungen, Panikattacken oder Suizidgedanken geführt hat, die in einer Tagesklinik behandelt werden müssen und Ursache für dessen Arbeitsunfähigkeit sind.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers werden der am 31. August 2017 erlassene Beschluss über die Versagung von Verfahrenskostenhilfe sowie der in gleicher Sache am 20. September 2017 erlassene Nichtabhilfebeschluss des Amtsgericht Pankow/Weißensee – 16 F 4389/17 – aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gebühren werden nicht erhoben; Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.
Gründe
I.
1
Der Antragsteller wendet sich dagegen, dass das Familiengericht die begehrte Verfahrenskostenhilfe für die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung, die Scheidung seiner Ehe vor Ablauf des Trennungsjahres, mit der Begründung versagt hat, sein Begehren weise nicht die erforderliche Erfolgsaussicht auf, weil er das Vorliegen einer unzumutbaren Härte im Sinne von § 1565 Abs. 2 BGB nicht hinreichend dargetan habe.
II.
2
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 3, 569 ZPO) und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet:
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1. a) Richtig ist, dass die unzumutbare Härte, die gegeben sein muss, damit eine Ehe vor Ablauf des Trennungsjahres geschieden werden kann, sich nicht auf die bloße Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens, sondern auf das Eheband als solches, das “weiter-miteinander-verheiratet-sein”, beziehen muss und dass hieran sehr strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. nur Palandt/Brudermüller, BGB [76. Aufl. 2017], § 1565 Rn. 9; MünchKomm/Weber, BGB [7. Aufl. 2017], § 1565 Rn. 101). Dem Familiengericht ist weiter darin beizupflichten, dass die verschiedenen, von der Antragsgegnerin ausgehenden Umstände – u.a. Zwangsstörungen und Wahnvorstellungen der Antragsgegnerin; die von ihr geäußerten Suiziddrohungen; Nachstellungen durch die Antragsgegnerin; von der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller pauschal ausgestoßene Verwünschungen und Morddrohungen – als solche und für sich genommen (noch) nicht ausreichen, um eine unzumutbare Härte im Sinne von § 1565 Abs. 2 BGB zu begründen. Denn einmal ist anerkannt, dass ein auf dem Ausbruch oder der Verschlimmerung einer psychischen Erkrankung beruhendes Fehlverhalten eines Ehegatten regelmäßig nicht geeignet ist, die Voraussetzungen für eine Scheidung wegen unzumutbarer Härte zu begründen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 5. Oktober 1994 – 9 WF 124/94, FamRZ 1995, 807 [bei juris LS] sowie MünchKomm/Weber, BGB [7. Aufl. 2017], § 1565 Rn. 119; Johannsen/Henrich-Jaeger, Hamm, Familienrecht [6. Aufl. 2015], § 1565 BGB Rn. 79a) und zum anderen stünden dem Antragsteller – wie das Familiengericht zu Recht hervorhebt – grundsätzlich ausreichende Möglichkeiten – angefangen vom schlichten Ignorieren des Fehlverhaltens der Antragsgegnerin bis hin zur Erwirkung von Schutzmaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz gegen sie – zu Gebote, um sich vor Übergriffen der Antragsgegnerin zu schützen: Das vom Antragsteller glaubhaft und substantiiert geschilderte Fehlverhalten der Antragsgegnerin bezieht sich nämlich gerade noch nicht auf das “weiter-miteinander-verheiratet-sein”.
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b) Eine unzumutbare Härte liegt jedoch vor, wenn die Auswirkungen berücksichtigt werden, die das (wohl) auf eine psychische Erkrankung der Antragsgegnerin zurückgehende Fehlverhalten auf den Antragsteller hat: Es ist daran zu erinnern, dass die in § 1565 Abs. 2 BGB genannte Härte sich auf das Empfinden des Ehegatten bezieht, der die vorzeitige Scheidung der Ehe begehrt. Entscheidend ist dessen subjektive Erlebnis- und Empfindungsfähigkeit (vgl. MünchKomm/Weber, BGB [7. Aufl. 2017], § 1565 Rn. 105). Bei der Beurteilung des subjektiven Empfindens des antragstellenden Ehegatten ist ein strenger Maßstab anzulegen. Eine die vorfristige Scheidung rechtfertigende unzumutbare Härte liegt danach nur vor, wenn eine Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr erwartet werden kann und über den Umstand des Scheiterns der Ehe hinaus in der Person des Antragsgegners Gründe vorliegen, die so schwer sind, dass dem Antragsteller bei objektiver Betrachtung nicht angesonnen werden kann, an den Antragsgegner als Ehegatten weiterhin gebunden zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 1980 – IVb ZR 538/80, FamRZ 1981, 127 [bei juris Rz. 16]) und ihm zu seinem Schutz auch nicht abverlangt werden kann, weiterhin, bis zum endgültigen Ablauf des Trennungsjahres mit dem anderen Ehegatten verheiratet zu bleiben (vgl. Johannsen/Henrich-Jaeger, Hamm, Familienrecht [6. Aufl. 2015], § 1565 BGB Rn. 67).
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c) Dass eine derartige Situation gegeben ist, hat der Antragsteller indessen mit einem für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe ausreichendem Maß dargetan; seinen Vortrag zugrunde gelegt, besteht zwar keine Gewissheit, aber nach der gebotenen summarischen Prüfung eine hinreichende Aussicht, dass sein Vortrag Erfolg haben wird (vgl. Dürbeck/Gottschalk, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe [8. Aufl. 2016], Rn. 459f.): Das ergibt sich aus den ganz erheblichen, massiven Auswirkungen, die das krankheitsbedingte Fehlverhalten der Antragsgegnerin für den Antragsteller hatte bzw. weiter hat und vor denen er sich letztlich, wie der Verlauf zeigt, auch nicht wirksam schützen kann. Das Verhalten der Antragsgegnerin hat bei ihm – dem von ihm vorgelegten Gutachten seines behandelnden Psychologen, Herrn …, B…, vom 19. Mai 2017 zufolge – zur Herausbildung einer schweren depressiven Verstimmung im Rahmen einer neurotischen, psychogenen Depression mit Panikattacken bei Erinnerung/Flashbacks an belastende Erlebnisse mit der Antragsgegnerin geführt. Seine Arbeitsfähigkeit wird dadurch, wie der Therapeut ihm bescheinigt, stark eingeschränkt; sie soll nur noch “grenzwertig gegeben” sein und es soll bei ihm das deutliche Risiko einer unmittelbaren akuten psychotischen Dekompensation bestehen; es sei zu befürchten, dass sich sein Zustand bei weiterem, ungehinderten Verlauf gravierend und dramatisch verschlimmern könnte. Der ausführlichen Darstellung des behandelnden Therapeuten sollen die festgestellten Symptome dadurch weiter unterhalten werden, dass für den Antragsteller, solange er von der Antragsgegnerin nicht geschieden ist, noch kein “sicherer Ort” im Sinne einer Traumabewältigung erreicht sei. Auch der Hausarzt weist in seinem Attest vom 23. August 2017 daraufhin, dass das Fehlverhalten der Antragsgegnerin beim Antragsteller zu “Panikattacken von jetzt auf gleich mit Herzrasen und ständiger Angst [führe], das ihm etwas angetan wird”; die Angst beherrsche inzwischen sein ganzes Leben und manchmal fange er einfach an zu zittern, fühle einen Druck über der Brust und habe “Gedanken, sich selbst etwas anzutun”. Er soll nicht mehr zu Hause leben, sondern bei Freunden übernachten und aus vier Taschen leben, in denen er all‘ sein Hab und Gut verstaut haben soll. Tatsächlich wurde der Antragsteller von seinem Hausarzt für die Zeit vom 7. August 2017 bis zum 8. September 2017 erneut (Folgebescheinigung) arbeitsunfähig krankgeschrieben. Er soll – ein Nachweis fehlt freilich – aufgrund seines psychischen Zustandes inzwischen in eine Tagesklinik eingewiesen worden sein (Beschwerdeschrift vom 18. September 2017, dort S. 2; VKH 31). Damit hätte sich die Prognose des behandelnden Therapeuten bestätigt, bei ungehindertem Verlauf würde sich der Zustand des Antragstellers gravierend verschlimmern. Bei dieser Sachlage liegen, insgesamt betrachtet, aber tatsächlich in der Person der Antragsgegnerin Gründe vor, die so schwer sind, dass dem Antragsteller objektiv nicht zugemutet werden kann, weiterhin an die Antragsgegnerin als Ehefrau gebunden zu sein. Die Beschwerde ist von daher begründet.
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2. An einer abschließenden Entscheidung sieht sich der Senat gehindert, weil das Familiengericht – von seinem Standpunkt her folgerichtig – sich in dem ablehnenden Beschluss allein zu den Erfolgsaussichten der vom Antragsteller beabsichtigten Rechtsverfolgung geäußert hat, aber noch nicht zur Frage seiner Bedürftigkeit (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO): Tatsächlich hat das Familiengericht den Antragsteller mit Schreiben vom 7. Juli 2017 aufgefordert, sich zu bestimmten Punkten ergänzend zu äußern und die entsprechenden Belege vorzulegen. Dazu gehört u.a. der Nachweis über die behauptete Zahlung von Unterhalt bzw. den Kosten der früheren Ehewohnung, der Erläuterung, was es mit dem zweiten Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 599,20 € auf sich hat (Schreiben vom 1. August 2017) sowie eine durch Nachweise unterlegte Darlegung, dass aufgrund des vorgelegten Darlehensvermittlungsvertrages tatsächlich ein Darlehen gewährt wurde, welches regelmäßig zurückgeführt wird: Damit ist die Frage der Bedürftigkeit weiterhin ungeklärt, so dass dem Senat eine abschließende Entscheidung verwehrt ist. Vielmehr ist der angegriffene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung an das Familiengericht zurückzuverweisen.
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3. Gebühren sind nicht zu erheben (KV FamGKG Nr. 1912); Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu erstatten (§ 127 Abs. 4 ZPO).