AG München, Urteil vom 25.03.2015 – 424 C 27079/14
1. Die bloße Zerrüttung des Mietverhältnisses rechtfertigt keine Vertragskündigung, wenn dem Mieter kein Fehlverhalten nachgewiesen werden kann.(Rn.36)
2. Anzeigen des Mieters bei den Behörden sind vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, wenn sie nicht in Schädigungsabsicht zulasten des Vermieters erfolgen.(Rn.39)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist für den Beklagten hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gemäß Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert des Verfahrens beträgt € 8.567,28.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Räumung des Mietobjekts aufgrund verhaltensbedingter Kündigung.
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Am 03.02.1998 hat der Beklagte von der Rechtsvorgängerin der Klägerin die streitgegenständliche Wohnung in der … angemietet.
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In der Folgezeit hat die Klägerin das Anwesen erworben und ist daher auf der Vermieterseite in das Mietverhältnis eingetreten.
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Mit Schreiben vom 29.07.2014 hat die Klägerin das Mietverhältnis außerordentlich zum 31.12.2014, hilfsweise ordentlich zum 31.03.2015 jedenfalls zum nächstmöglichen Zeitpunkt gekündigt.
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Die Kündigung wurde mit mietvertraglichen Pflichtverletzungen begründet. Die Kündigung wurde zum einen auf Zahlungsverzug des Beklagten gestützt. Hierzu führte die Klägerin in der Kündigungserklärung Zahlungsrückstände aus dem Jahr 2002, 2004 und 2005 an.
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Des Weiteren hält die Klägerin dem Beklagten in der Kündigungserklärung vor, eine Vielzahl von angeblichen Mängeln und diesbezügliche Minderungsrechte behauptet zu haben, obwohl ihm diese tatsächlich nicht zustanden.
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Auch hätte er in der Sache mehrmals die gerichtliche Auseinandersetzung gesucht.
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Die Kündigung wird von Seiten der Klägerin weiterhin darauf gestützt, dass der Beklagte unberechtigte Anzeigen gegen die Klägerin wegen nicht zutreffender Vorwürfe im Zusammenhang mit Zweckentfremdung von Wohnraum beim Amt für Wohnen und Migration getätigt hätte. Auch hätte der Beklagte sie wegen ungenehmigter Nutzungsänderung von Wohnraum und gewerblich vermietete Appartements beim Referat für Stadtplanung und Bauordnung angezeigt.
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Als weiteren Kündigungsgrund führt die Klägerin an, dass der Beklagte die Fenster in der streitgegenständlichen Wohnung nicht ordnungsgemäß handhaben würde. Auch habe er keine Wartung am Durchlauferhitzer durchgeführt.
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Die Klägerin trägt vor, der Beklagte habe sowohl vorgerichtlich als auch im Rahmen der gerichtlichen Verfahren (in etwa 432 C 31457/13 des Amtsgerichts München) immer wieder nicht zutreffende Mängel behauptet. Der Vortrag des Beklagten sei daraufhin auch am 20.06.2014 im genannten Verfahren stattgefundenen Ortstermin nicht bestätigt worden. Die vom Beklagten geltend gemachten Minderungsansprüche seinen deshalb unberechtigt. Auch habe er immer wieder weitere unberechtigte Klagen gegen die Klägerin erhoben, und dabei unsubstantiierte Behauptungen aufgestellt.
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Hinsichtlich der Anzeigen des Beklagten beim Amt für Wohnen und Migration hätte das Amt ein Bußgeldverfahren gegen die Klägerin eingeleitet. Es sei jedoch dann ein sogenannter Negativbescheid erlassen worden und lässt keine Zweckentfremdung festgestellt worden.
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Weiter sei eine Vorschussklage 463 C 27372/13 beim Amtsgericht München eingereicht worden, die unberechtigt sei.
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass die bei den Behörden eingereichten Anzeigen durch den Beklagten in Schädigungsabsicht erfolgt seien und eine gravierende mietvertragliche Pflichtverletzung darstellten. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass die Anzeigen lediglich zur Wahrung seiner Rechte erfolgten, da bei beiden Anzeigen die maßgeblichen Vorschriften nicht drittschützend seien.
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Die Klagepartei führt an, dass das gesamte Verhalten des Beklagten eine Nötigung der Klagepartei darstelle mit dem Ziel, die Klägerin zur Zahlung einer Geldsumme für den Auszug des Beklagten zu bewegen. Es lege deshalb eine berechtigtes Interesse der Klagepartei an einer Beendigung des Mietverhältnisses vor, da der Beklagte seine mietvertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Ein Festhalten der Klagepartei am Vertrag sei dieser nicht zuzumuten.
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Die Klägerin beantragt:
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Der Beklagte wird verurteilt, die Wohnung in der … bestehend aus 2 Zimmern, 1 Küche, 1 Bad, 1 WC, 1 Kellerabteil zum 31.03.2015 im geräumten Zustand an die Klagepartei herauszugeben.
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Der Beklagte beantragt:
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Klageabweisung.
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Der Beklagte führt an, Pflichtverletzungen oder Kündigungsgründe seien aus seinem Verhalten heraus nicht ersichtlich. Es sei mietvertragliches Recht und Pflicht des Beklagten auf Mietmängeln hinzuweisen. Er nehme insoweit lediglich seine Rechte war.
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Hinsichtlich der behaupteten Mietrückstände führt der Beklagte aus, dass diese bereits Jahre zurück legen. Der letzte behauptete Rückstand aus dem Jahr 2005 sei in zwischen beinahe fast 10 Jahre her. Diese seien nur Einzelfälle während einer sehr langen Vertragsdauer von nunmehr beinahe 17 Jahren gewesen. Auf Mahnungen hin sei schon nach klägerischen Vortrag stets geleistet worden. Eventuell vorhandene gewesene Mietrückstände wären selbstverständlich ausgeglichen worden.
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Bezüglich des Durchlauferhitzers führt der Beklagte aus, dass dessen Wartung nicht Pflicht des Mieters, sondern grundsätzlich Pflicht des Vermieters ist.
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Hinsichtlich der Fenster trägt der Beklagte vor, dass diese mangelhaft seien und bestreitet, dass er diese nicht ordnungsgemäß gehandhabt hätte.
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Hinsichtlich der Anzeigen bei Behörden durch den Beklagten trägt dieser vor, dass der Beklagte diesbezüglich nicht in Schädigungsabsicht gehandelt habe, es sei Recht jeden Bürgers vermutete Missstände den Behörden mitzuteilen. Es sei dem Beklagten hiermit nicht auf die Verhängung eines Ordnungsgeldes, sondern auf eine friedliches normales Zusammenleben in einer Wohnanlage angekommen.
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Schließlich könne es dem Beklagten nicht zum Nachteil gereichen, wenn er seine Rechte als Mieter wahrnimmt. Dies müssen in einem Rechtsstreit selbstverständlich auch dann gelten, wenn der Beklagte dazu gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen muss.
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Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien führten nicht zu einer derartig starken Zerrüttung des Verhältnisses der Mietparteien, dass eine Kündigung gerechtfertigt wäre.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Hauptverhandlung vom 04.03.2015 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von ihr angemieteten Wohnung nach § 546 Abs. 1 BGB. Das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis wurde durch Kündigung vom 29.07.2014 gemäß § 543 Abs. 1 BGB nicht rechtwirksam beendet.
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Die Kündigungserklärung entsprach zwar gemäß § 568 Abs. 1 BGB geforderten Schriftform und gab auch in ausreichender Weise gemäß § 569 Abs. 4 BGB die Kündigungsgründe an.
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Die Kündigung ist aber weder als fristlose als auch fristgerechte Wohnkündigung nach §§ 543, 573 BGB wirksam.
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Die von der Klägerin gerügten Mietrückstände betrugen für das Jahr 2001 DM 2.616,00, für den Monat Juli 2002 wurde keine konkrete Summe genannt; in einem Schreiben vom 10.11.2004 wurden € 1.244,65 angemahnt; in einem Schreiben vom 21.02.2005 wurde ein Mietrückstand von € 177,20 gerügt. Es ist schon unklar für welche Monate genau die Mietrückstände gerügt wurden.
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Auch wurden bis auf das Jahr 2001 jeweils Summen genannt, die für einen fristlosen Kündigungsgrund nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 a BGB nicht ausreichen.
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Jedenfalls blieb jedoch von Klägerseite der Vortrag des Beklagten, die Mietrückstände seien jeweils nach Mahnung sofort ausgeglichen worden, unbestritten, sodass selbst wenn im Jahr 2001 ein Mietrückstand bestanden hätte, der 2-Monatsmieten erreicht hat, eine Heilung im Sinne von § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB eingetreten wäre.
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Ein fristloser Kündigungsgrund liegt hier nicht vor. Auch eine fristgerechte Kündigung ist nach Interessenabwägung nicht möglich. Hier spielt insoweit noch eine Rolle, dass der letzte Zahlungsrückstand zum jetzigen Zeitpunkt bereits 10 Jahre zurück liegt und unstreitig der Mietvertrag von dem Beklagten 10 weitere Jahre lang unbeanstandet erfüllt worden ist.
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Hinsichtlich des Vortrags der Klagepartei, dass der Beklagte das Fenster falsch gehandhabt habe und dieses nicht gewartet habe, fehlt es schon am schlüssigen Vortrag, der einen Kündigungsgrund begründen könnte. Auch bei Nachfrage durch das Gerichts in der mündlichen Hauptverhandlung vom 04.03.2015 blieb unklar, in wie weit hier ein Fehlverhalten des Beklagten vorgelegen haben soll.
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Soweit die Klagepartei in der Kündigungserklärung die Anzeige unberechtigter Mängel und das Suchen gerichtlicher Auseinandersetzungen anführt, bleibt festzustellen, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien durch jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen mit Sicherheit belastet ist. Für einen Kündigungsgrund ist es aber zusätzlich zu einer Zerrüttung des Mietverhältnisses Voraussetzung, dass ein Fehlverhalten von Seiten des Beklagten vorliegt. Ein solches kann nicht darin gesehen werden, dass er auf gerichtlichen Wege seine Rechte geltend macht und diese auch vehement durch Einreichen von Rechtsmitteln gegen Entscheidungen und das Behaupten von Mängeln vertritt.
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Dass in einem gerichtlichen Verfahren konträre Auffassungen bestehen und von Mieterseite Mängel behauptet werden, die der Vermieter nicht als gegeben sieht, entspricht einem üblichen Vorgang. In einem Rechtsstreit besteht gerade die Möglichkeit, solche Frage durch mehrere Instanzen hinweg von Gerichten klären zu lassen. Insoweit hat der Beklagte hier seine berechtigten Interessen wahrgenommen, dies kann keiner Kündigung rechtfertigen (vgl. Schmidt-Futterer, § 543, Rdnr. 190). Ein das Maß der Wahrnehmung berechtigtere Interessen übersteigendes Fehlverhalten des Beklagten – wie etwa ein versuchter Prozessbetrug – wurde von der Klageseite nicht substantiiert dargetan.
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Hier ist insbesondere festzustellen, dass von den Gerichten die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien durchaus teilweise zu Gunsten von Klagepartei und auch Beklagtenpartei entschieden wurden.
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Soweit die Klageseite die Strafanzeigen von Seiten des Beklagten bei Behörden als Kündigungsgrund anführt, ist zunächst festzustellen, dass solche Anzeigen eine erhebliche Vertragsverletzung im Sinne von § 543 bzw. § 573 BGB darstellen können. Für die Annahme einer Pflichtverletzung reicht allerdings die bloße Anzeige durch den Beklagten nicht aus. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Anzeige im Rahmen der Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte erfolgt ist; bei der Abwägung der Interessen ist insbesondere Art. 10 EMRK, das Recht der Freiheit zur Meinungsäußerung zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere, wenn der Anzeigenerstatter mit der Anzeige auf Missstände aufmerksam machen will, deren Beseitigung im öffentlichen Interesse liegt (vgl. Schmidt-Futterer, § 543 Rdnr. 193).
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Unabhängig davon ob die Vorschriften, die der Anzeige zu Grunde lagen, drittschützender Charakter zukommt, kann die Klagepartei hier nicht nachweisen, dass der Beklagte mit Schädigungsabsicht gehandelt hat. Die von ihm angeführten Gründe, es sei ihm um das allgemeine Wohl und ein friedliches Miteinander in der Wohnanlage gegangen, kann die Klagepartei nicht entkräften. Insbesondere stehen hier keine Möglichkeiten zur Verfügung, den Beklagten eine reine Schädigungsabsicht zu unterstellen. Es ist auch nicht vorgetragen, dass die Anzeige nicht auf wahren Tatsachen beruht habe. Eine Anzeige aufgrund erfundener Tatsachen liegt also nicht vor. Dass das Amt für Wohnen und Migration dann letztendlich ein Negativbescheid erlassen hat, lässt keinen ausreichenden Rückschluss auf die Absicht des Beklagten zum Zeitpunkt der Anzeigenerstattung zu.
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Auch die Gesamtheit der eingeführten Gründe der Klägerin kann entgegen ihrer Auffassung keine ordentliche Kündigung begründen.
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Wie schon ausgeführt, kann von Seiten der Klagepartei hier kein ausreichendes Fehlverhalten des Beklagten im Rahmen einer Interessenabwägung vorgetragen werden.
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Bezüglich des behaupteten Fehlverhaltens im Rahmen einer ordentlichen Kündigung würde es – die Zahlungsrückstände ausgenommen – auch an der nach Gesetz erforderlichen Abmahnung fehlen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß § 41 GKG festgesetzt.