BGH, Urteil vom 19.01.2010 – VI ZR 33/09
Zu den Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises bei der Feststellung von Brandursachen (hier: Brand einer Scheune nach dem Hantieren mit einem Feuerzeug) (Rn.8)(Rn.11)(Rn.13)(Rn.14)(Rn.15).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Gera vom 7. Januar 2009 aufgehoben.
Die Berufungen der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Rudolstadt – Zweigstelle Saalfeld – vom 15. November 2007 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Am 30. Mai 2006 parkte die Klägerin ihren PKW in der Nähe einer Feldscheune. Diese geriet gegen 15 Uhr in Brand und stand gegen 15:22 Uhr vollständig in Flammen. Der Brand beschädigte auch das Fahrzeug der Klägerin. Die beiden damals elf Jahre alten Beklagten hatten sich kurz vor Ausbruch des Feuers in der Scheune befunden und mit einem Feuerzeug hantiert, das sie dort gefunden hatten. Die Klägerin hat behauptet, die Beklagten hätten den Brand verursacht, und hat diese deshalb auf Ersatz des ihr entstandenen Schadens in Anspruch genommen.
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Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufungen der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht führt aus: Die Klägerin habe nicht das Vorliegen eines typischen Geschehensablaufes nachgewiesen, in Ansehung dessen es nach den Regeln des Lebens und nach der Erfahrung typischerweise zur Entstehung des streitgegenständlichen Scheunenbrandes gekommen sei. Als zur Begründung der Annahme eines Anscheinsbeweises dienender Sachverhalt sei aufgrund der übereinstimmenden Angaben der beiden Beklagten im Rahmen ihrer informatorischen Anhörungen lediglich festzustellen, dass die Beklagte zu 1, gemeinsam mit der Beklagten zu 2 in der Scheune stehend, das handelsübliche Feuerzeug kurzzeitig dergestalt betätigt habe, dass eine Flamme erzeugt worden sei. Dass bzw. wie diese Flamme mit brennbarem Material in Verbindung geraten sei, sei auch unter Berücksichtigung des Inhaltes der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft nicht festzustellen gewesen. Wenn auch generell das Hantieren mit offenem Feuer in einer mit Stroh, Heu etc. gefüllten Feldscheune, zudem im Mai, unzweifelhaft ein gefahrträchtiges Tun darstelle und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sei, die Entstehung eines Brandes herbeizuführen, so sei jedoch vorliegend zu berücksichtigen, dass die Klägerin als Geschädigte für das Vorliegen eines Anscheinsbeweises ein Geschehen darzulegen und zu beweisen habe, das nach der allgemeinen Lebenserfahrung regelmäßig und üblicherweise einen Brand zur Folge habe. Dies sei der Klägerin im Ergebnis jedoch nicht gelungen, da das vorliegend allein festzustellende kurzzeitige, einmalige Entzünden eines handelsüblichen Feuerzeuges in einer mit Stroh u.a. brennbaren Materialien gefüllten Scheune ohne Berührung mit brennbarem Material und ohne Hinzutreten weiterer Umstände eben nicht regelmäßig und üblicherweise zur Brandentfachung führe. Der nach dem Ergebnis der informatorischen Anhörungen der Beklagten, der Beweisaufnahme durch sachverständige Beratung sowie Beiziehung der polizeilichen Ermittlungsakte festzustellende Geschehensablauf rechtfertige die Annahme eines Anscheinsbeweises für die Inbrandsetzung der Feldscheune infolge des Betätigens des Feuerzeuges durch die Beklagte zu 1 nicht. Denn als Ausgangspunkt für den typisierten Geschehensablauf sei vorliegend gerade nicht ein allgemeines „Spielen mit dem Feuer in einer Scheune“ zugrunde zu legen, sondern der konkret im Einzelfall festgestellte Sachverhalt, also das einmalige Entzünden eines Feuerzeuges durch eine stehende Person „mitten in der Luft“. Dieses aber sei, im Gegensatz zu dem unbewiesenen „Spielen“ mit offenem Feuer, nicht geeignet, als Anscheinsbeweis für die Entstehung des Scheunenbrandes zu dienen, weil bei lebensnaher Betrachtung alles dagegen spreche, dass durch einen solchen Vorgang die Inbrandsetzung einer Scheune erfolge.
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Soweit man einen Anscheinsbeweis bejahen wollte, sei es den Beklagten allerdings nicht möglich, diesen zu entkräften. Denn ernsthaft in Betracht zu ziehende andere Ursachen für die Brandentstehung seien von den Beklagten entweder bereits nicht hinreichend dargelegt (betreffend die sich auf dem Gelände der Agrargenossenschaft gegen 15:00 Uhr aufhaltenden drei erwachsenen Personen sowie eine mit dem Linienbus nach B. fahrende männliche Person) oder aber nicht bewiesen worden (betreffend in der Scheune aufhältige und rauchende Jugendliche/Kinder).
II.
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Die Revision hat Erfolg. Da die Beklagte zu 1 in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Bekanntgabe des Termins nicht vertreten war, ist über ihre Revision antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, §§ 557, 331 ZPO. Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 81 f.).
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Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten aus §§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB zu.
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1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin im Wege des Anscheinsbeweises bewiesen, dass die Beklagten den Brand verursacht haben.
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a) Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Tatbestand nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist (Senatsurteil BGHZ 163, 209, 212). Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Beweis des ersten Anscheins grundsätzlich auch bei der Feststellung von Brandursachen in Betracht kommen kann (vgl. Senatsurteile vom 29. Januar 1974 – VI ZR 53/71 – VersR 1974, 750; vom 18. Oktober 1983 – VI ZR 55/82 – VersR 1984, 63 f.; BGH, Urteile vom 9. November 1977 – IV ZR 160/76 – VersR 1978, 74, 75; vom 28. Februar 1980 – VII ZR 104/79 – VersR 1980, 532; vom 12. Mai 1993 – IV ZR 120/92 – VersR 1993, 1351; vom 6. März 1991 – IV ZR 82/90 – VersR 1991, 460, 461; OLG Düsseldorf, r+s 1993, 138 f.; OLG Hamm, VersR 2000, 55, 56 f.; OLG Köln, VersR 1994, 1420; OLG Rostock, OLGR 2008, 736 f.). Im Wege des Anscheinsbeweises kann gegebenenfalls von einem bestimmten eingetretenen Erfolg auf die Ursache geschlossen werden (Senatsurteile vom 22. Mai 1979 – VI ZR 97/78 – VersR 1979, 822, 823; vom 3. Juli 1990 – VI ZR 239/89 – VersR 1991, 195; vom 5. November 1996 – VI ZR 343/95 – VersR 1997, 205, 206). Dieser Schluss setzt einen typischen Geschehensablauf voraus (Senatsurteil vom 5. November 1996 – VI ZR 343/95 – aaO, m.w.N.). Typizität bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings nur, dass der Kausalverlauf so häufig vorkommen muss, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (Senatsurteil vom 5. November 1996 – VI ZR 343/95 – aaO; BGH, Urteil vom 6. März 1991 – IV ZR 82/90 – aaO, S. 461 f.).
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b) Mit Recht beanstandet die Revision, dass das Berufungsgericht einen typischen Geschehensablauf mit der unzutreffenden Begründung verneint habe, das Betätigen des Feuerzeuges sowie die Entzündung der Flamme in der Scheune reichten hierfür nicht aus.
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aa) Das Berufungsgericht stellt fest, dass der Brand der Scheune nach den Feststellungen des Sachverständigen sowohl in technischer wie in zeitlicher Hinsicht durch das Hantieren der Beklagten mit dem Feuerzeug verursacht worden sein kann. Allerdings trifft es ersichtlich keine Feststellungen zum konkreten Geschehensablauf. Darauf kommt es für die Frage, ob ein Anscheinsbeweis greift, aber auch nicht an.
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In Fällen, in denen – wie hier – darum gestritten wird, ob ein an sich schadensträchtiges Verhalten einen entstandenen Schaden tatsächlich ausgelöst hat, soll der Anscheinsbeweis dem Geschädigten den Kausalitätsbeweis erleichtern. Steht das zur Herbeiführung des Schadens geeignete Verhalten des in Anspruch genommenen fest und ist der entstandene Schaden eine typische Folge eines solchen Verhaltens, greift zunächst der Anscheinsbeweis und es ist Sache des in Anspruch genommenen, den Anschein durch die Behauptung und den Beweis konkreter Tatsachen zu entkräften. Die Funktion dieser Beweiserleichterung, den Anspruchsteller vom Vortrag konkreter – ihm zumeist unbekannter – Einzelheiten des Kausalverlaufs zu entlasten, würde nicht unbeträchtlich entwertet, wenn dem Anspruchsteller abverlangt würde, als Teil des typischen Lebenssachverhalts vorzutragen und zu beweisen, dass bestimmte Einzelheiten, welche die Gegenseite zum Kausalverlauf vorträgt, unrichtig seien. Der Anscheinsbeweis unterscheidet sich von Feststellungen nach allgemeinen Beweisregeln gerade dadurch, dass der konkrete Geschehensablauf nicht festgestellt zu werden braucht, weil von einem typischen Hergang ausgegangen werden kann, solange nicht von dem Gegner Tatsachen bewiesen werden, die den Anschein entkräften (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 1974 – VI ZR 53/71 – aaO).
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bb) Bezogen auf den Streitfall nimmt das Berufungsgericht zu Recht an, das Hantieren mit offenem Feuer in einer mit Stroh, Heu etc. gefüllten Feldscheune stelle unzweifelhaft ein gefahrträchtiges Tun dar und sei nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet, die Entstehung eines Brandes herbeizuführen. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass die Beklagten seinerzeit mit dem Feuerzeug in der Scheune hantierten, dass dabei eine offene Flamme erzeugt wurde und dass in unmittelbarer zeitlicher Folge die Scheune in Brand stand. Anhaltspunkte für andere Brandursachen sind nach den Ausführungen des Berufungsgerichts entweder nicht substantiiert vorgetragen oder jedenfalls nicht beweisbar. Das Berufungsgericht meint, dies spiele nur insoweit eine Rolle, als es um die von den Beklagten darzulegende und zu beweisende Entkräftung des Anscheinsbeweises gehe.
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Das ist indes unrichtig. Bereits bei der Bestimmung des typischen Lebenssachverhalts darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass für andere Ursachen als die, die der Geschädigte vorgetragen hat, keine Anhaltspunkte bestehen. Dementsprechend hat der erkennende Senat entschieden, dass dann, wenn bei einem bestimmten Erfolg für eine Ursache feste Anhaltspunkte bestehen, die diese Ursache als möglich erscheinen lassen, während für andere in Frage kommende Ursachen solche Anhaltspunkte tatsächlicher Art völlig fehlen, der Beweis des ersten Anscheins für die erste Ursache spricht (vgl. BGHZ 11, 227, 230; Senatsurteil BGHZ 172, 1, 6). Kommt der in Anspruch Genommene als Verursacher eines schädigenden Erfolgs in Betracht, ist von dem festgestellten Erfolg aus rückblickend auch zu fragen, welche Anhaltspunkte für das Vorhandensein etwaiger anderer möglicher Ursachen bestehen (vgl. BGHZ 11, 227, 230; Senatsurteile BGHZ 114, 284, 290; 163, 209, 212 f.). Denn wenn eine gefährliche Handlung in Frage steht, die allgemein geeignet sein kann, den schädigenden Erfolg herbeizuführen, und wenn dieser Erfolg in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Vornahme der gefährlichen Handlung eingetreten ist, kann bei der Beantwortung der Frage, ob eine den Anscheinsbeweis rechtfertigende typische Situation vorlag, nicht unberücksichtigt bleiben, ob konkrete Anhaltspunkte für eine andere Ursache ersichtlich sind.
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cc) Der vom Anspruchsteller vorzutragende typische Lebenssachverhalt beschränkt sich danach in Fällen der vorliegenden Art darauf, dass es nach dem Hantieren mit einem feuergefährlichen Gegenstand in einer extrem brandgefährdeten Umgebung zur Entwicklung offenen Feuers gekommen ist, in unmittelbarer zeitlicher Folge ein Brand ausgebrochen ist und konkrete Anhaltspunkte für eine andere Brandursache fehlen. Es obliegt dann dem in Anspruch Genommenen, Umstände vorzutragen und zu beweisen, die den Anschein entkräften. Dies ist im Streitfall den Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gelungen.
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2. Die Revision ist danach begründet. Da keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, kann der erkennende Senat selbst in der Sache entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Wenn das Berufungsgericht die den Anscheinsbeweis begründenden Tatsachen rechtsfehlerfrei festgestellt und allein die Grundsätze des Anscheinsbeweises verkannt hat, kann das Revisionsgericht selbst die rechtliche Schlussfolgerung daraus ziehen und die Ursächlichkeit bejahen (Senatsurteil vom 28. Februar 1980 – VII ZR 104/79 – aaO). Die Höhe des entstandenen Schadens ist unstreitig.
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Allerdings macht die Revisionserwiderung geltend, die Beklagte zu 2 hafte schon deshalb nicht, weil sie nach den im Berufungsurteil wiedergegebenen Äußerungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung das gefundene Feuerzeug lediglich zunächst betätigt habe, ohne eine Flamme zu erzeugen. Das Berufungsgericht meint in anderem rechtlichen Zusammenhang, bei diesem Sachverhalt handele es sich nicht um ein gemeinsames Spielen in einer Scheune mit offenem Feuer. Für die Frage der Mithaftung ist darauf jedoch nicht abzustellen. Nach dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Sachverhalt waren beide Kinder an der Schaffung der Brandgefahr beteiligt. Die Beklagte zu 2 war bei dem gefährlichen Tun der Beklagten zu 1 nicht etwa nur anwesend, sondern hat, indem sie das Feuerzeug zunächst selbst ausprobierte und es sodann der Beklagten zu 1 zur weiteren Betätigung überließ, selbstständig zu dem schädlichen Erfolg beigetragen, was ihre Haftung begründet (vgl. Senatsurteile BGHZ 111, 282, 284 f. und vom 23. Februar 1988 – VI ZR 151/87 – VersR 1988, 800 f.; OLG Hamm, OLGR 1998, 284 f.; OLG Oldenburg, NJW-RR 2004, 1671 f.).
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Da die Klage demnach begründet ist, sind die Berufungen der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts zurückzuweisen.