OLG Köln, Urteil vom 22.06.2006 – 12 U 5/06
Zu den Voraussetzungen einer Verantwortlichkeit als Beteiligter eines Kettenauffahrunfalles
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 06.12.2005 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Köln (AZ.: 7 O 239/04) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelfer werden den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
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(von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 313 I a, 540 II ZPO wird abgesehen)
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Die gemäß § 511 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
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Das Landgericht hat aus zutreffenden Erwägungen die Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 5.804,78 ( an den Kläger aus dem Unfallereignis vom 16.11.2003 gemäß § 7 StVG n.F. i.V.m. § 3 Nr.1 und 2 PflVG verurteilt. Den Ausführungen des Landgerichts zur Anwendbarkeit des § 830 I S.2 BGB, mit denen eine Kausalität zwischen der Handlung des Beklagten zu 1. und der Beschädigung des klägerischen Fahrzeuges begründet wurde, schließt sich der Senat an. Die mit der Berufung vorgebrachten Einwendungen rechtfertigen keine Abänderung der Entscheidung.
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Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist auf der Basis der Zeugenaussagen und des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.Ing. I vom 30.04.2005 inzwischen unstreitig davon auszugehen, dass sowohl die Zeugin G mit dem PKW Opel Corsa des Klägers als auch der Zeuge X mit dem PKW Subaru Outback ihre Fahrzeuge noch rechtzeitig hinter dem vorausfahrenden und bis zum Stillstand abgebremsten Fahrzeug der Zeugin L anhalten konnten. Offen geblieben ist, ob der Zeuge M, der sich hinter dem Fahrzeug des Zeugen X befand, selbständig auf dessen Fahrzeug aufgefahren ist und ihn auf das Fahrzeug des Klägers und dieses wiederum auf das Fahrzeug der Zeugin L geschoben hat oder ob der Zeuge M seinerseits einen derart harten Anstoß durch den vom Beklagten zu 1. gesteuerten PKW erhalten hat, dass er auf die Fahrzeuge des Zeugen X und des Klägers geschoben wurde. Eine Klärung dieser Frage ergibt sich weder aus den Zeugenaussagen noch aus dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.Ing. I, der eine exakte Rekonstruktion des Unfallgeschehens wegen fehlender hinreichender Anknüpfungspunkte nicht vornehmen konnte.
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Soweit danach für eine Haftung aus § 7 I StVG n.F., § 823 I BGB nicht festgestellt werden kann, dass durch das Fahrzeug des Beklagten zu 1. ein Schaden an dem klägerischen Fahrzeug zumindest mitverursacht wurde, ist § 830 I S. 2 BGB heranzuziehen, der auch im Bereich der Gefährdungshaftung anwendbar ist und dessen Voraussetzungen vorliegend gegeben sind.
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Die Anwendbarkeit des § 830 I S. 2 BGB erfordert bei jedem Beteiligten ein anspruchsbegründendes Verhalten, wenn von dem Nachweis der Ursächlichkeit abgesehen wird, es muß eine der unter dem Begriff “Beteiligung” zusammengefaßten Personen den Schaden verursacht haben und es muß nicht feststellbar sein, welche von ihnen den Schaden ganz (Urheberzweifel) oder teilweise (Anteilszweifel) verursacht hat (BGH NJW 1996,3205ff). § 830 I S.2 BGB verlangt, dass sämtliche Haftungsvoraussetzungen gegeben sein müssen; lediglich der Kausalitätsnachweis darf fehlen. Bei der Verschuldenshaftung muß daher die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens feststehen, bei der Gefährdungshaftung muß sich das spezifische Risiko der Gefahrenquelle verwirklichen (M/K/Wagner, BGB 4.Auflage § 830 Rn.36). Das anspruchsbegründende Verhalten des Beklagten zu 1. ist in dem eingeräumten Auffahren auf das Fahrzeug des Zeugen M zu sehen. Da ein sog. Kettenauffahrunfall vorlag, in den neben den Fahrzeugen des Klägers und des Zeugen X auch die des Zeugen M und des Beklagten zu 1. verwickelt waren, ist auch das Erfordernis einer Beteiligung des Beklagten zu 1. verwirklicht. Ein Anspruch scheidet entgegen der Auffassung der Beklagten nicht deshalb aus, weil es an einem pflichtwidrigen Verhalten des Beklagten zu 1. im Verhältnis zum Kläger fehlt. Abgesehen davon, dass vorliegend eine Gefährdungshaftung im Raume steht, ist darauf abzustellen, dass die Pflichtwidrigkeit des Beklagten zu 1. jedenfalls feststeht, soweit er auf das Fahrzeug des Zeugen M aufgefahren ist. Es steht lediglich nicht fest, ob dieses pflichtwidrige Verhalten kausal für den Schaden an dem klägerischen Fahrzeug war. Gesichert ist aber, dass entweder durch den Zeugen M oder den Beklagten zu 1. die Fahrzeuge der Zeugin L, des Klägers und des Zeugen X zusammengeschoben wurden. Damit liegt der typische Fall der alternativen Kausalität vor. Würde sowohl die Verhaltensweise des Zeugen M als auch die des Beklagten zu 1. als Handlung einer Person zusammengefasst, so bestünden an der Verantwortlichkeit dieser Person keine Zweifel. Soweit aber nicht aufklärbar ist, welche jeweilige Handlung ursächlich war, entlastet § 830 I S. 2 BGB den Geschädigten von der Verpflichtung des Kausalitätsnachweises.
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Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, eine Haftung könne aus § 830 I S. 2 BGB nicht hergeleitet werden, weil ein Ersttäter, nämlich die Zeugin L, zur Verfügung stehe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes scheidet im Falle des Vorhandensein eines Ersttäters die Anwendbarkeit des § 830 I S.2 BGB aus (u.a. BGH VersR 1976,992; BGH NJW 1996,3205). Dies führt hier aber nicht weiter. Selbst wenn das abrupte Halten der Zeugin L die Kettenreaktion der hinter ihr befindlichen Fahrzeuge ausgelöst haben sollte, so bleibt zunächst die Tatsache, dass es immerhin der Zeugin G und dem Zeugen X gelungen ist, rechtzeitig ohne die Vorderfahrzeuge zu berühren, anzuhalten. Es kann die Beklagten und auch den Zeugen M daher nicht entlasten, dass erst durch das Verhalten der Zeugin L ein Abbremsen der hinter ihr befindlichen Fahrzeuge notwendig wurde. Denn ob auch bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit und des notwendigen Sicherheitsabstandes der Auffahrunfall durch den Zeugen M oder den Beklagten zu 1. nicht hätte vermieden werden können, steht nicht fest. Ein Unabwendbarkeitsnachweis bzw. die in § 7 II StVG n.F. zitierte höhere Gewalt, die einen Schadensersatzanspruch ausschließen könnten, ist nicht gegeben.
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Da die Höhe des geltend gemachten Schadens nicht angegriffen worden ist, ist das erstinstanzliche Urteil in vollem Umfang zu bestätigen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 I, 100 IV, 101 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Veranlassung, die Revision gemäß § 543 Abs. 2 S.1 ZPO zuzulassen, besteht nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Die Haftungsfragen nach § 830 BGB sind, soweit sie für den vorliegenden Rechtsstreit von Bedeutung sind, höchstrichterlich geklärt sind.
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Berufungsstreitwert und Beschwer der Beklagten: 5.804,78 EUR