Zu den Voraussetzungen einer konkludenten Einwilligung in die Ausstrahlung von Filmaufnahmen

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 04.05.2004 – 7 U 10/04

Zu den Voraussetzungen einer konkludenten Einwilligung in die Ausstrahlung von Filmaufnahmen, die den Betroffenen während einer polizeilichen Vernehmung als Beschuldigten zeigen.

Sachverhalt:

Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin, der Produzentin eines deutschlandweit ausgestrahlten Fernsehmagazins, die Unterlassung der Ausstrahlung von Filmaufnahmen, die ihn bei einer polizeilichen Vernehmung wegen des gegen ihn erhobenen Vorwurfs eines Betruges zeigen. Der vernehmende Polizeibeamte war, gefolgt von einem Kamerateam, unangemeldet bei dem Antragsteller erschienen, hatte erklärt, dass das Team ihn begleite und im Übrigen kurz auf den Inhalt eines zuvor in der Lokalzeitung erschienenen Artikels verwiesen, in welchem berichtet worden war, dass ein Kamerateam für eine Fernsehsendung den örtlichen Polizeibeamten für ein paar Tage begleiten werde. Der Antragsteller duldete, dass der Polizeibeamte und das Kamerateam seine Wohnung betraten und dass die Vernehmung, die mit der Eröffnung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe begann, gefilmt wurde. Als ihm im unmittelbaren Anschluss an die Vernehmung von einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin einige Fragen gestellt wurden, beantwortete er diese spontan vor laufender Kamera. Das Landgericht hat eine zuvor erlassene einstweilige Verfügung bestätigt, mit der der Antragsgegnerin verboten wurde, in identifizierbarer Weise über den Antragsteller als Beschuldigten eines Verfahrens wegen Trickbetruges/Trickdiebstahls zu berichten.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 24, vom 24. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten der Berufung nach einem Gegenstandswert von € 20.000,00.

Gründe

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I. Die Antragsgegnerin begehrt mit ihrer Berufung die Abänderung eines Urteils, welches eine einstweilige Verfügung bestätigt hat, mit der ihr untersagt worden ist, in identifizierbarer Weise über den Antragsteller als Beschuldigten eines Ermittlungs-/Strafverfahrens wegen Trickbetruges/Trickdiebstahls zu berichten. Nachdem im Februar 2003 in seiner Wohnung Aufnahmen gemacht worden waren, die den Antragsteller bei der Vernehmung durch einen Polizeibeamten zeigen, hat der Antragsteller erstmals am 1.10.2003 die Antragsgegnerin auffordern lassen, die Sendung nicht auszustrahlen, nachdem er am 29.9.2003 eine Vorschau zu dieser Sendung gesehen hatte, auf der er zu erkennen gewesen war. Die Antragsgegnerin meint, der Antragsteller habe in die Verbreitung der Aufnahmen eingewilligt.

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II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

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Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung der Berichterstattung entsprechend §§ 823 Abs.1, 1004 Abs.1 BGB i.V. m. Art. 1 Abs.1, 2 Abs.1 GG bzw. – bezüglich der Bildberichterstattung – gem. §§ 22 Satz 1, 23 KUG, da diese den Antragsteller in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht am eigenen Bild verletzt.

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1. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, könnte die Ausstrahlung im vorliegenden Fall nur dann rechtmäßig sein, wenn der Antragsteller darin wirksam eingewilligt hätte.

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Eine wirksame Einwilligung liegt indessen nicht vor. Da der Antragsteller nicht ausdrücklich die Einwilligung erklärt hat, käme hier allenfalls eine konkludente Einwilligung in Betracht, sofern das Verhalten des Antragstellers aus der Sicht des Empfängers als Einwilligung aufzufassen war, und wenn ihm Zweck und Umfang der geplanten Veröffentlichung bekannt war.

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2. Zweifel bestehen hier bereits daran, ob der Antragsteller überhaupt ein Verhalten zum Ausdruck gebracht hat, welches aus objektiver Sicht als Einwilligungserklärung zu bewerten ist. Voraussetzung hierfür ist nämlich, dass ihm bekannt war, dass er die Aufnahmen und deren Ausstrahlung nicht hinnehmen musste, d.h., dass seine Einwilligung für die Veröffentlichung überhaupt erforderlich war. Das Kamerateam erschien bei ihm unangemeldet und in Begleitung eines Polizeibeamten, der dem Antragsteller eröffnete, dass er wegen eines Ermittlungsvorgangs gegen ihn komme und auf dessen Frage nach den Begleitern lediglich mit einem Satz auf einen zuvor erschienenen Zeitungsartikel hinwies. In dieser Konstellation erscheint es zweifelhaft, ob dem Antragsteller überhaupt klar war, dass er dem Team den Zutritt verweigern konnte, oder ob er nicht vielmehr annahm, die Aufnahmen seien von der Polizei genehmigt und daher – ebenso wie die spätere Ausstrahlung – von ihm zu dulden.

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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der späteren Frage des Antragstellers nach dem Sendetermin. Diese Frage zeigt lediglich, dass er wusste, dass eine Veröffentlichung geplant war, nicht aber dass er damit sein Einverständnis geben wollte.

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Auch das weitere Verhalten des Antragstellers, welches aus der als AG 1 eingereichten ungekürzten Rohfassung des gefilmten Materials ersichtlich ist, lässt nicht zwingend auf die konkludente Erklärung einer Einwilligung schließen. Zwar hat der Antragsteller im Anschluss an seine polizeiliche Vernehmung auf spontan gestellte Fragen des Teams vor laufender Kamera geantwortet. Ob er damit eine Einwilligung in die spätere Ausstrahlung erklären wollte, ist nicht ohne weiteres zu unterstellen. Zwar wird regelmäßig dann von einer wirksamen konkludenten Einwilligung in die Wiedergabe auszugehen sein, wenn der Betroffene einem Fernsehteam ein Interview gibt. Hier wurde indessen kein förmliches Interview mit ihm vereinbart oder durchgeführt, sondern es wurden im Anschluss an die Vernehmung unvermittelt und formlos Fragen zur Sache an ihn gerichtet, die er – im Beisein des Polizisten – spontan beantwortete. Ob der Antragsteller hierbei an die spätere Ausstrahlung dachte und hiermit sein Einverständnis geben wollte, ist zumindest zweifelhaft.

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3. Selbst wenn man dem Verhalten des Antragstellers einen Erklärungsinhalt im Sinne einer stillschweigenden Einwilligung entnehmen sollte, wäre diese Einwilligung deshalb unwirksam, weil dem Antragsteller Zweck, Art und Umfang der geplanten Sendung nicht bekannt war. Wie das Landgericht zutreffend unter Verweis auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt vom 8.5.1990 (GRUR 1991, 49f) ausgeführt hat, ist Voraussetzung für die Wirksamkeit einer stillschweigenden Einwilligung, dass dem Einwilligenden Art, Umfang und Zweck der Veröffentlichung bekannt war (vgl. auch Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl. Rn. 7.37; Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 834). Dies mag ausnahmsweise dann nicht gelten, wenn der Betroffene erkennbar keinerlei Interesse an dem Zweck der Aufnahme hat (so insbes. Soehring, Presserecht, 2. Aufl. Rn. 19.46). Eine Bekanntmachung der beabsichtigten Verwendung ist Voraussetzung für die Wirksamkeit einer stillschweigenden Einwilligung des Betroffenen aber jedenfalls dann, wenn dieser im Umgang mit Medien unerfahren ist und wenn der Beitrag Vorgänge betrifft, deren Veröffentlichung für den Betroffenen unangenehm ist. Je weitergehend die geplante Veröffentlichung die Privatsphäre des Betroffenen betrifft, desto klarer muss er über Verwendung und Art des Beitrags aufgeklärt worden sein, wenn seine Duldung der Aufnahmen als wirksame stillschweigende Einwilligung bewertet werden soll.

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Dass die Darstellung eines Ermittlungsverfahrens wegen Betruges unter voller Namensnennung des Beschuldigten dessen Ansehen in der Öffentlichkeit erheblich herabzusetzen geeignet ist, liegt auf der Hand. Dies gilt insbesondere auch für die Bildberichterstattung über eine polizeiliche Einvernahme, in welcher die Reaktion des Beschuldigten auf die Eröffnung der Tatvorwürfe gezeigt wird. Um trotzdem ein stillschweigendes Einverständnis mit der Veröffentlichung derartiger Vorgänge, die nach der Gesetzeslage geheim sind, annehmen zu können, hätten die Mitglieder des von der Antragsgegnerin beauftragten Teams dem Antragsteller zunächst erklären müssen, um welche Art der Sendung es sich handelte und insbesondere dass er auf den Bildern identifizierbar zu erkennen sein würde.

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Eine derartige Aufklärung des Antragstellers hat nicht stattgefunden. Einziger Hinweis auf den Zweck der Anwesenheit des Teams ist die sehr kurze Anmerkung des Polizeibeamten A. zu Beginn des Besuchs, dass das Team seine Arbeit begleite, verbunden mit der Frage, ob der Antragsteller „es in der Zeitung gelesen“ habe. Auch wenn der Antragsteller diese Frage bejahte, ist nicht anzunehmen, dass er sich in diesem Moment über die Art der Aufzeichnung und den Inhalt der anschließenden Sendung im Klaren war, insbesondere auch darüber, dass man ihn darin als Beschuldigten wiedererkennen würde. Wie viele Tage oder Wochen vorher der als Anlage AG 2 eingereichte Artikel in der Lokalzeitung erschienen war, ist nicht dargetan. Ob der Antragsteller diesen Artikel ausführlich gelesen und noch genau in Erinnerung hatte, ist nicht bekannt. Selbst wenn er ihn gelesen hatte, ist nicht anzunehmen, dass dies gerade im Hinblick auf eine mögliche eigene Betroffenheit geschehen war. Im Übrigen legt die Überschrift des Artikels lediglich nahe, dass der Polizeibeamte („Dorfsheriff“) im Rampenlicht stehen solle, nicht aber, dass in der Sendung auch die jeweiligen Beschuldigten erkennbar gezeigt werden sollten.

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Entgegen der Meinung der Beklagten ist es auch nicht allgemein bekannt, dass Augenbalken oder andere, insbesondere elektronische Formen der Unkenntlichmachung nur dann verwendet werden, wenn der Abgebildete ausdrücklich der Veröffentlichung widersprochen hat. Ob eine solche Praxis, die eine Umkehr des in §§ 22,23 KUG vorgegebenen Regel-Ausnahmeverhältnisses darstellte, existiert, kann daher dahinstehen.

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Weiter ist nicht als allgemein bekannt vorauszusetzen, dass Maßnahmen zur Anonymisierung regelmäßig bereits bei Anfertigung der Aufnahmen getroffen werden. Es ist deshalb nicht anzunehmen, dass der Antragsteller jedenfalls während der Aufnahmen wusste, dass er in der Sendung erkennbar gezeigt werden sollte.

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Da auch für die Mitglieder des Kamerateams zu erkennen war, dass der Antragsteller, der von dem Besuch offensichtlich überrascht war, keine näheren Informationen über die geplante Sendung hatte, war auch für sie das Verhalten des Antragstellers nicht als eine wirksame Einwilligung in die geplante Veröffentlichung aufzufassen.

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Das Erfordernis der konkreten Aufklärung als Voraussetzung einer konkludenten Einwilligung stellt auch keinen unzulässigen Eingriff in die Pressefreiheit dar. Vielmehr würde der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes des Betroffenen unangemessen verkürzt, wenn die Duldung von Filmaufnahmen in Unkenntnis von deren Verwendungszweck als stillschweigend abgegebene Einwilligung in die Veröffentlichung bewertet würde, die er einwilligungslos nicht hinnehmen müsste.

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4. Zu Unrecht rügt die Antragsgegnerin schließlich, dass das Landgericht eine Erstbegehungsgefahr angenommen hat. Ausweislich des als Anlage AG 5 eingereichten Schreibens vom 1.10.2003 hat sich die Antragsgegnerin geweigert, dem Unterlassungsverlangen des Antragstellers nachzukommen und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie weiterhin eine Ausstrahlung der Sendung beabsichtigt.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO.

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