Zu den Anforderungen der Erkennbarkeit von Glasflächen an Drehtüren in Schleswig-Holstein

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 22. Juni 2017 – 11 U 109/16

Der Umstand, dass es der Landesgesetzgeber für erforderlich hielt, eine besondere Regelung für Glaselemente zu treffen, zeigt, dass gerade in ihrer Aufmerksamkeit eingeschränkten Nutzer von Gebäuden geschützt werden sollen. Dem hat – so die gesetzgeberische Wertung – der Verkehrssicherungspflichtige durch die Herstellung der leichten Erkennbarkeit der Glasflächen Rechnung zu tragen.(Rn.21)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 04.08.2016 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen geändert und wie folgt gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 22.951,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.10.2014 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in der 1. Instanz trägt die Klägerin 67 %, der Beklagte 33 %. Von den Kosten des Rechtsstreits in der 2. Instanz trägt die Klägerin 61 %, der Beklagte 39 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leistet.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 58.408,78 € festgesetzt

Gründe
I.

1
Die Klägerin macht mit der Klage Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten geltend.

2
Die zu diesem Zeitpunkt 86 Jahre alte Klägerin war vom 08.04. bis zum 11.04.2013 mit ihrem Ehemann Gast im vom Beklagten betriebenen Hotel in X. Sie stürzte am 11.04.2013 gegen 21:45 Uhr bei dem Versuch, das Hotel durch eine gläserne Drehtür zu betreten. Die Klägerin hatte sich der Drehtür aus der Richtung des draußen angebrachten Treppengeländers von der Seite genähert und hierbei übersehen, dass die ebenfalls gläserne Einfassung der Drehtür dort keine Öffnung hatte. Sie stieß deshalb gegen diese Einfassung, wodurch sie stürzte. Dabei erlitt sie schwere Verletzungen, unter anderem eine Beckenfraktur und Verletzungen am Ellenbogen. Sie war wegen der Verletzungen in stationärer Krankenhaus- und anschließender stationärer Rehabilitationsbehandlung. Sie hat mit der Klage ein Teilschmerzensgeld und materiellen Schadensersatz geltend gemacht.

3
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

4
Das Landgericht hat nach Augenscheinseinnahme vom Unfallort und Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Verletzungen der Klägerin die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte keine Verkehrssicherungspflichten verletzt habe. Die durchsichtige Tür im Eingangsbereich sei nicht weiter zu kennzeichnen gewesen, auch nicht durch Anbringung einer Markierung auf Augenhöhe. Die gesamte Drehtüranlage sei erkennbar gewesen. Ein vernünftiger Benutzer habe mit seitlichen Elementen rechnen und sich hierauf durch gesteigerte Sorgfaltsanstrengungen einstellen müssen. Die Anlage warne insgesamt vor sich selbst. Auch das seitliche gläserne Element sei für sich genommen aufgrund der baulichen Gestaltung hinreichend deutlich erkennbar, da es an der Unterseite über einen durchgehenden mehrere Zentimeter breiten weißen Rahmen verfügt habe, der sich von den dunklen Natursteinplatten des äußeren Eingangsbereichs abgesetzt habe. Auch der Blumenkübel an der Einfassung habe ein optisches Hindernis dargestellt. Die Arbeitsstättenverordnung, die eine Markierung der Glasflächen in Augenhöhe vorsehe, sei im Verhältnis des Beklagten zur Klägerin nicht anwendbar. § 38 Abs. 2 LBO Schleswig-Holstein, der eine Kennzeichnung von Glasflächen vorschreibe, greife nicht ein, wenn eine ausreichende Erkennbarkeit schon aufgrund der baulichen Gestaltung gegeben ist. Zudem sei ein Verstoß gegen die Landesbauordnung dem Beklagten nicht vorzuwerfen, da die Türanlage genehmigt worden sei.

5
Gegen die Klageabweisung wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie ist der Ansicht, dass die technischen Regeln für Arbeitsstätten, die vorgeben, dass durchsichtige Türen in Augenhöhe gekennzeichnet werden müssten, auch hier zusätzliche Schutzmaßnahmen erfordert hätten. Der Beklagte habe eine Gefahrenquelle geschaffen, die mit einfachsten Mitteln durch Anbringung eines Markierungsstreifens auf der Glasfläche in Augenhöhe zu beseitigen gewesen sei. Die Fläche des weißen Rahmens sei im Verhältnis zur transparenten Gesamtfläche insgesamt verschwindend gering. Der bepflanzte Blumenkübel stelle keine optische Barriere dar, die den Weg der Klägerin versperrt habe. Die Landesbauordnung, die Unfallverhütungsvorschriften und die Arbeitsstättenverordnung müssten zur Bestimmung des Inhaltes und des Umfangs der dem Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht herangezogen werden. Das Landgericht habe zudem die Augenscheinseinnahme wiederholen müssen, nachdem der erkennende Richter einen anderen Eindruck von der Örtlichkeit gewonnen habe, als der Richter, der die Beweisaufnahme durchgeführt habe.

6
Die Klägerin beantragt,

7
das am 04.08.2016 verkündete Urteil des Landgerichts Lübeck zu ändern und den Beklagten zu verurteilen,

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1. an sie für den Zeitraum vom 11.04.2013 bis zum 08.11.2013 ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz Rechtshängigkeit zu zahlen, wobei der genaue Betrag des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird und hierbei von einem Betrag nicht unter 35.000,00 € ausgegangen werden soll,

9
2. an sie 23.408,78 € zzgl. 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

10
3. an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.879,09 € zzgl. 5 Prozentpunkten Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen

11
Der Beklagte beantragt,

12
die Berufung zurückzuweisen.

13
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

14
Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg.

15
1. Der auf Zahlung eines Teilschmerzensgeldes für den Zeitraum 11.04.2013 bis 08.11.2013 gerichtete Antrag zu 1 ist zulässig. Die Schmerzensgeldforderung ist auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet und deshalb grundsätzlich teilbar. Der bezifferte und für einen genau bezeichneten beschränkten Zeitraum geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch kann deshalb Gegenstand einer Teilklage sein (vgl. BGH NJW 2004, 1243-1245, Juris Rn. 18).

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2. Die Berufung ist in Höhe von 22.951,65 € begründet.

17
Der Beklagte haftet dem Grunde nach wegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung zum einen aus Vertrag gemäß §§ 241 Abs. 2, 280 BGB und daneben auch aus Delikt gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 38 Abs. 2 LBO für die eingeklagten materiellen und immateriellen Schäden.

18
2.1. Der Beklagte hat seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem er den Eingang des Hotels so gestaltete, dass die Drehtür seitlich durch ein Glaselement eingefasst wurde, das in Augenhöhe nicht gekennzeichnet ist.

19
Dass eine solche Kennzeichnung nicht vorhanden war, steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Der Senat hat seine Feststellungen zur örtlichen Gestaltung im Übrigen anhand der von den Parteien vorgelegten Fotos getroffen, hierbei insbesondere die Farbfotos, Anlage zum Protokoll vom 23.06.2016, Blatt 182 der Akte, Bilder 1 und 2.

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Wie Glaselemente an Türen zu gestalten sind, bestimmen öffentlich-rechtliche Bauvorschriften und Unfallverhütungsvorschriften. Diese schreiben eine deutliche Kennzeichnung von Glaselementen vor. So regelt § 38 Abs. 2 LBO, dass Glastüren und andere Glasflächen, die bis zum Fußboden allgemein zugänglicher Verkehrsflächen herabreichen, so zu kennzeichnen sind, dass sie leicht erkannt werden. Bei der Landesbauordnung handelt es sich um ein Schutzgesetz gemäß § 823 Abs. 2 BGB. Aus dieser Vorschrift ergeben sich die vom einzelnen zum Schutz des Verkehrs zu beachtende Sorgfaltsanforderungen bei der baulichen Gestaltung von Glaselementen und -türen. Verkehrssicherungspflichten können dabei auch über diese Anforderungen hinausgehen, im Regelfall regeln diese Vorschriften aber das Minimum der Sorgfaltspflicht. Die Verletzung von Arbeitsschutz- und Bauvorschriften begründet deshalb regelmäßig eine solche der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht und den Vorwurf schuldhaften Verhaltens (vgl. OLG Karlsruhe, Versicherungsrecht 1985, 297; BGH Versicherungsrecht 1967, 133/134; Palandt/Sprau 76. Aufl., § 823 BGB Rn. 51).

21
Ähnliche Anforderungen stellen Unfallverhütungsvorschriften an die Gestaltung von Glaselementen im Türbereich. Nach der Arbeitsstätten-Regel ASR A A1. 7 sind Türen, die zu mehr als ¾ ihrer Fläche aus einem durchsichtigen Werkstoff bestehen, in Augenhöhe so zu kennzeichnen, dass sie deutlich wahrgenommen werden können. Anhang Nr. 1.5 (3) der Arbeitsstättenverordnung schreibt vor, dass durchsichtige oder lichtdurchlässige Wände, insbesondere Ganzglaswände im Bereich von Arbeitsplätzen oder Verkehrswegen deutlich gekennzeichnet sein müssen.
Die Türanlage fällt in den Anwendungsbereich von § 38 Abs. 2 Satz 1 LBO. Bei der Einfassung der Drehtür handelt es sich um ein Türelement. Dieses reicht auch im Sinne dieser Vorschrift bis zum Boden. Das Gebot der leichten Erkennbarkeit betrifft nicht nur Glastüren und Glasflächen, die völlig rahmenlos bis zum Boden reichen. Feste Glasflächen und Türen, die ganz ohne jeden Rahmen bis zum Boden reichen, sind so selten, dass für die Regelung sonst kaum ein Anwendungsbereich verbliebe. Eine solche Regelung ohne praktischen Anwendungsbereich hat der Landesgesetzgeber nicht gewollt. Zudem spielt es für die Verkehrssicherheit keine entscheidende Rolle, ob eine Fläche völlig rahmenlos ist oder im Verhältnis zur Gesamtfläche schmale Rahmen hat.

22
Das Türelement ist auch nicht leicht erkennbar. Für leichte Erkennbarkeit sorgt nicht schon dessen weißer Rahmen. Dieser macht nur einen kleinen Teil der gesamten Fläche aus. Zudem bestand die Gefahr, dass er als Fortsetzung der ebenfalls im Kontrast zum dunklen Boden hellen horizontalen Einfassung, wohl eine Metallschiene, der von der Drehtür überstrichenen Fläche angesehen würde.

23
Bei der Frage, ob eine bestimmte Sicherungsmaßnahme zumutbar und deshalb geboten ist, ist auch zu berücksichtigen, wie hoch der hiermit verbundene Aufwand ist. Im Einzelfall kann die Vermeidung einer Gefahr geboten sein, obwohl deren Realisierung entweder sehr unwahrscheinlich oder mit nicht besonders gravierenden Folgen verbunden ist, nämlich dann, wenn diese Vermeidung nur sehr geringen Aufwand erfordert. Der Aufwand, den der Beklagte treiben musste, um die Gefahr zu vermeiden, die sich für die Klägerin realisierte, war denkbar gering. Denn hierzu musste der Beklagte den Eingangsbereich nicht umbauen. Vielmehr musste er nur die Glaseinfassung der Drehtür in Augenhöhe mit geeigneter Folie bekleben, die er sogar als Gestaltungselement einsetzen konnte. Die Anforderung an den Beklagten, die Glasfläche deutlicher zu kennzeichnen, führt deshalb auch nicht dazu, dass eine ansehnliche architektonische Gestaltung von Gebäuden mit Glaselementen generell unterbunden würde.

24
Die Glasfläche war auch nicht deshalb leicht zu erkennen, weil der gesamte Eingangsbereich gut erkennbar war. Für die Frage der Verkehrssicherheit kommt es nicht darauf an, ob überhaupt zu erkennen ist, dass eine Türanlage vorhanden ist. Denn eine optisch verborgene Tür wird niemand nutzen wollen. Entscheidend ist, dass derjenige, der durch eine Tür geht, leicht erkennen können muss, wo sich deren Öffnung befindet und ob die Tür geöffnet oder geschlossen ist.

25
Die Verkehrsicherungspflichtverletzung entfällt auch nicht deshalb, weil der Beklagte davon ausgehen durfte, dass ein vorsichtiger Mensch sich nach seinen Möglichkeiten aufmerksam verhält und schon aus Eigeninteresse Vorsorge für den Schutz der eigenen Gesundheit trifft, sich also stets vorsichtig der Tür nähert. Der Verkehrssicherungspflichtige muss nicht zugunsten der Nutzer tätig werden, wo Gefahren ohne weiteres erkennbar und beherrschbar sind. Zwar hat auch der Fußgänger bei der Benutzung einer Drehtür besondere Sorgfalt anzuwenden. Der Nutzer muss darauf achten, dass er die Drehtür an ihrer Öffnung betritt und nicht gegen die rotierenden Türflügel stößt. Gerade wegen der angezeigten erhöhten Aufmerksamkeit auf das Drehelement besteht aber die Gefahr, dass einzelne Details übersehen werden. Wer sich auf die Rotation der Drehflügel konzentriert, kann Einfassungen, wie sie hier vorhanden waren, übersehen. Darüber hinaus kann vom Benutzer nicht erwartet werden, stets seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf die Tür zu richten. Es ist vielmehr üblich, dass sich Fußgänger einer Tür nähern, während sie sich im Gespräch befinden, sich örtlich orientieren oder aus anderen Gründen abgelenkt sind. Außerdem ist damit zu rechnen, dass auch Kinder, Sehbehinderte und alte Menschen eine solche Tür benutzen. In Hotel- und Gastronomiebetrieben ist es zudem nicht unüblich, dass Gäste in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit durch Alkoholkonsum eingeschränkt sind. Auf all dies muss sich der Verkehrssicherungspflichtige einstellen. Der Umstand, dass es der Landesgesetzgeber für erforderlich hielt, eine besondere Regelung für Glastüren und Glaselemente zu treffen, zeigt, dass gerade in ihrer Aufmerksamkeit eingeschränkte Nutzer von Gebäuden geschützt werden sollen. Dem hat -so die gesetzgeberische Wertung- der Verkehrssicherungspflichtige durch die Herstellung der leichten Erkennbarkeit der Glasflächen Rechnung zu tragen.
Erhöht wurde die Gefahr eines Unfalls hier zudem durch Besonderheiten der Wegeführung. Dies ist auf den von den Parteien vorgelegten Fotos der Unfallstelle erkennbar. Die Außentreppe, die auf die Drehtür zuführt, ist wesentlich breiter als die Tür selbst. Weil die Treppe ganz am linken Rand ein Geländer hat, werden ältere oder gehbehinderte Hotelgäste, die sich auf das Geländer stützen wollen, typischerweise nicht mittig – also dort, wo der Zugang ist – auf die Drehtür zugehen, sondern von der linken Seite aus. Auf dem Foto Nr. 1 derjenigen Fotos, die die Klägerin im Termin vom 23.06.2016 überreicht hat, ist zu sehen, dass man dann, wenn man das Geländer erst beim letzten Pfosten verlässt, sich sogar zunächst wieder zurück in Richtung Treppe begeben muss, um dann erst dort nach einer weiteren, diesmal nach links gerichteten Kurve in der Mitte des Eingangsbereichs die Drehtür zu betreten. In dieser Situation macht auch der auf den Fotos sichtbare Pflanzkübel, der sich an der rechten Seite des Glaselements befindet, nicht ausreichend deutlich, dass direkt rechts davon, also dort wo es die Klägerin versuchte, die Drehtür noch nicht betreten werden kann.

26
2.2. Das Verschulden des Beklagten wird durch die Pflichtverletzung indiziert. Der Beklagte ist nicht deshalb entschuldigt, weil er möglicherweise nicht über den Inhalt der Landesbauordnung informiert war, auch nicht deshalb, weil die zuständige Behörde sein Hotel genehmigt hat. Der Verkehrssicherungspflichtige wird durch die baurechtliche Genehmigung einer Anlage nicht von der eigenen Pflicht zur Prüfung der Verkehrssicherheit befreit. Jedenfalls soweit der Bauherr bei einer für ihn erkennbaren Gefahrenlage keine Abhilfe schafft, kann er sich auch nicht darauf berufen, dass er mit der Planung und Bauleitung einen bewährten Architekten beauftragt hat (vgl. BGH MDR 1994, 889). Die Gefahrenlage war für den Beklagten erkennbar. Dass im Gehbereich nicht gekennzeichnete Glasflächen vorhanden waren, war offen ersichtlich.

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2.3. Bei der Bemessung des Teilschmerzensgeldes ist ein Mitverschulden der Klägerin nach § 254 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen. Die Glasfläche war -wenn auch nicht leicht- grundsätzlich erkennbar. Wer sich einer Drehtür nähert, muss schon wegen der beweglichen Teile besonders vorsichtig sein. Dies gilt besonders dann, wenn die gesamte räumliche Situation eine gewisse Unübersichtlichkeit aufweist. Auch war die Situation für die Klägerin nicht neu oder überraschend, denn sie war schon drei Tage zuvor angereist. Der Senat bewertet den Anteil des Mitverschuldens der Klägerin allerdings geringer als den des Beklagten, nämlich mit einem Drittel. Aus den oben genannten Gründen muss der Benutzer einer Tür nicht ständig besonders aufmerksam sein.

28
Zu Gunsten des Beklagten ist zu berücksichtigen, dass seinerseits nur leichte Fahrlässigkeit vorliegt.

29
Allerdings sind die Verletzungsfolgen erheblich. Die hierzu vom Landgericht eingeholten schriftlichen Gutachten haben die Darstellung der Klägerin im Wesentlichen bestätigt. Nach dem Sachverständigengutachten des Facharztes für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. … vom 17.03.2015 war die Klägerin für 8 Wochen fast völlig immobil. Sie erreichte erst ab Juni 2013 eine eingeschränkte Mobilität, bei der sie sich im Krankenhaus bewegen konnte. Sie war auf Gehstützen an gewiesen. Die Verletzung der Klägerin am Ellenbogen musste zudem operativ versorgt werden. Diese erheblichen Beeinträchtigungen im Zeitraum bis zum 08.11.2013 rechtfertigen ein hohes Schmerzensgeld. Insbesondere lang andauernde Bettlägerigkeit beeinträchtigte die Lebensqualität der Klägerin offenkundig ganz erheblich. Auf die Einwendungen des Beklagten gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. Y vom 20.05.2015 hinsichtlich der Verletzungsfolgen war kein ergänzendes Gutachten einzuholen. Diese Einwendungen betreffen die langfristigen Folgen des Unfalls. Inwieweit das Gangbild der Klägerin auch jetzt noch durch den Unfall verändert ist, ist unerheblich, da nur für einen begrenzten Zeitraum Schmerzensgeld verlangt wird. Auf die Frage, ob die Klägerin vor dem Unfall bereits einen Gehstock benutzt hat und nicht beschwerdefrei war, sowie auf die Frage, inwieweit ihre Gesundheit nach Abschluss der Rehabilitationsbehandlung vollständig wiederhergestellt war, kommt es ebenfalls nicht weiter an. Denn es steht fest, dass die Klägerin jedenfalls vor dem Unfall nicht bettlägrig war und sich auch außerhalb einer Behandlungsstation bewegen konnte. Der Senat hält unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Drittel für die streitgegenständlichen knapp 7 Monate nach dem Unfall ein Schmerzensgeld von 14.000,00 € für gerechtfertigt.

30
2.4. Hinsichtlich der geltend gemachten materiellen Schadensersatzpositionen ist die Klage nicht vollständig begründet.

31
Unproblematisch ersatzfähig sind die Rettungswagenkosten in Höhe von 821,59 €.

32
Kosten für einen Ambulanzflug von L zum Flughafen nach K zur Behandlung in einer Rehabilitationsklinik in B in Höhe von 9.950,00 € sind ebenfalls erstattungsfähig. Nach dem Sachverständigengutachten vom 17.03.2015 des Arztes Dr. … verbot sich ein Liegendtransport mit einem Auto wegen der instabilen Beckenfraktur und der sich daraus ergebenden Gefährdung der umliegenden Gewebe wie Gefäß- und Nervenbahnen. Ein Liegendtransport über mehrere 100 km erscheine abwegig. Diese Schlussfolgerungen des Sachverständigen überzeugen angesichts der erheblichen Verletzung ohne weiteres. Die Klägerin durfte auch einen Transport aus ihrem Urlaubsort in Anspruch nehmen. Sie war nicht gehalten, die Zeit bis zum Ende der Rehabilitation an der Ostseeküste zu verbringen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil Besuche durch ihren Ehemann dann erheblich erschwert gewesen wären.

33
Der durch eine entsprechende Rechnung der Klinik belegte Eigenanteil der Behandlungskosten der Klinik in Höhe von 2.230,88 € ist erstattungsfähig, da er durch den Unfall verursacht worden ist. Soweit die Klägerin darüber hinaus weitere Behandlungskosten geltend macht, ist ihre Darstellung unsubstantiiert. Die Klägerin trägt nicht vor, wofür diese Kosten im Einzelnen angefallen sind. Die medizinische Notwendigkeit dieser Aufwendungen und mithin die Ursächlichkeit des Unfalls hierfür ist für den Senat nicht ersichtlich.

34
Hotelkosten für die Besuche ihres Ehemannes in T, S und B in Höhe von 5.113,78 € sind überwiegend nicht erstattungsfähig. Zwar können Krankenbesuche naher Angehöriger als eigener Schaden des Verletzten geltend gemacht werden. Derartige Besuche sind zu den Heilungskosten zu rechnen (vgl. BGH Versicherungsrecht 1985, 784-786, Juris Rn. 20). Allerdings ist nicht erkennbar, wieso die Klägerin sich in Baden in erheblicher Entfernung von ihrem Wohnort hat behandeln lassen. Auch im Raum D dürfte es Kliniken geben, die die Klägerin hätten behandeln können. Kosten für Übernachtungen und Mahlzeiten des Ehemannes anlässlich der Krankenbesuche wären dann nicht angefallen.

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Ersatzfähig sind aber Übernachtungskosten für die Übernachtungen im Zeitraum 15.04.2013 bis 18.04.2013 an der Ostseeküste in der Nähe der X-Klinik in N, in der die Klägerin gelegen hat. Dieser Anspruch besteht allerdings nicht in der geltend gemachten Höhe. Hier ist auffällig, dass dem Ehemann der Klägerin mit beiden Rechnungen vom 18.04.2013 Kosten für eine Übernachtung am 17.04.2013 in Höhe von jeweils 235,00 € berechnet worden sind. Der Senat schätzt, dass im Jahr 2013 in der Nähe von N angemessene Einzelzimmer für 100,00 € pro Nacht verfügbar waren. Die Osterferien waren zu dieser Zeit in allen Bundesländern beendet. Für 4 Nächte können damit 400,00 € verlangt werden.

36
Aus diesem Grund können auch die geltend gemachten Fahrtkosten in Höhe von 2.197,80 € für Fahrten von nach, die der Ehemann durchgeführt hat, nicht verlangt werden. Der Senat kann auch über die unten genannte Pauschale keine fiktiven Fahrtkosten für Klinikbesuche im Raum D ansetzen, da nicht ersichtlich ist, wie weit die Klägerin von einer geeigneten Rehabilitationseinrichtung entfernt wohnt. Auch eine Schätzung im Rahmen des § 287 ZPO kann nicht erfolgen, da die Klägerin keine greifbaren Anhaltspunkte vorgetragen hat und die Schätzung damit „völlig in der Luft hängen“ würde (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 31. Aufl., § 287 Rn. 4).

37
Der Senat schätzt, dass an weiteren Aufwendungen und Auslagen wegen der Verletzung mindestens 25,00 € angefallen sind. Auch dieser Betrag kann deshalb als Teil des materiellen Schadensersatz verlangt werden.

38
2.5. Der klägerische Schadensersatzanspruch besteht mithin in Höhe von 22.951,65 €:

39
Rettungswagenkosten 821,59
Flugtransport 9.950,00
Eigenanteil Krankenhaus 2.230,88
Übernachtungskosten Ehemann 4 Nächte 400,00
Pauschale 25,00
Zwischensumme 13.427,47
Abzuziehender Mitverschuldensanteil 1/3 4.475,82
Rest 8.951,65
Schmerzensgeld 14.000,00
Summe 22.951,65

40
Wegen der weiteren geltend gemachten Schäden war die Klage abzuweisen.

41
3. Der Anspruch auf die Rechtshängigkeitszinsen folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

42
4. Ersatz für die behaupteten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin nicht verlangen. Diese konnten allenfalls nach einem Gegenstandswert von bis zu 25.000 € berechnet werden. Auf das Bestreiten des Beklagten hat die Klägerin im Übrigen nicht bewiesen, dass sie diese Kosten bislang überhaupt beglichen hat. Sie könnte deshalb derzeit allenfalls Freistellung von diesen Kosten verlangen.

43
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative ZPO:

44
Streitwert 1. Instanz

68.408,78

Unterliegen Klägerin

45.457,13

Quote

66,45

Streitwert 2. Instanz

58.408,78

Unterliegen Klägerin

35.457,13

Quote

60,71

45
6. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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