Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.09.2011 – 5 Sa 152/11
Bestreitet der Arbeitnehmer – wie vorliegend – durch substantiiertes Tatsachenvorbringen die Indizwirkung der Fehlzeiten in der Vergangenheit und entbindet er sodann die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht, so ist eine Kündigung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten nur dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber darlegt und beweist, dass bei prognostischer Beurteilung auch in Zukunft mit erheblichen weiteren krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen ist, die zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führen. Fehlzeiten, die die Dauer von 6 Wochen pro Kalenderjahr nicht übersteigen, sind dabei ausgehend von den Bestimmungen der §§ 1 ff. EFZG noch nicht als kündigungsrelevant anzusehen (Rn.34)
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 26.01.2011 – 1 Ca 321/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung der Beklagten beendet worden ist, oder aber fortbesteht.
2
Die 52 Jahre alte, ledige Klägerin ist seit dem 10.07.1978 bei der Beklagten als Maschinenbedienerin beschäftigt. Sie hat zuletzt eine monatliche Bruttovergütung von durchschnittlich 1.900,00 EUR erzielt.
3
In der Vergangenheit weist die Klägerin folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten auf:
4
2005
31 Arbeitstage
2006
34 Arbeitstage
2007
157 Arbeitstage
2008
10 Arbeitstage
2009
41 Arbeitstage
5
Die Beklagte, die ständig mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, hat daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26.02.2010 (vgl. Bl. 4 d. A.) ordentlich zum 30.04.2010 gekündigt.
6
Die Klägerin hat vorgetragen,
7
die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und deshalb unwirksam. Vor allem sei aufgrund ihrer krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit keine negative Gesundheitsprognose gerechtfertigt. Die längere Arbeitsunfähigkeitszeiten zwischen 2005 und 2007 seien auf eine Fußverletzung zurückzuführen gewesen, die zu mehreren Operationen geführt habe. Seit der letzten Operation im Jahr 2007 seien jedoch an diesem Fuß keine Probleme mehr aufgetreten. Diese Krankheitsursache sei vermutlich endgültig beseitigt. Ursache für die längere Fehlzeit im Jahre 2009 sei ein Frauenleiden gewesen, das ebenfalls operativ beseitigt worden sei.
8
Die Klägerin hat beantragt,
9
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 26.02.2010 nicht zum 30.04.2010 beendet worden ist, sondern über den Kündigungszeitraum hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
10
Die Beklagte hat beantragt,
11
die Klage abzuweisen.
12
Die Beklagte hat vorgetragen,
13
die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin hätten sich in den Jahren 2001 bis 2009 – unstreitig – auf insgesamt 358 Arbeitstage addiert. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Klägerin gesundheitlich schwer angeschlagen sei und aufgrund dessen zukünftig erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten aufweisen werde. Dadurch entstünden nicht nur erhebliche Belastungen im betrieblichen Bereich der Zusammenarbeit der Arbeitnehmer untereinander. Vielmehr werde das Unternehmen zusätzlich durch unzumutbar hohe Entgeltfortzahlungskosten belastet. Diese hätten sich in der Vergangenheit auf mehr als 21.000,00 EUR summiert. Auszugehen sei davon, dass sie sich in Zukunft noch wesentlich erhöhen würden.
14
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Medizinischen Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Beweisthemas wird auf den Beweisbeschluss vom 01.09.2010 (Bl. 77 f. d. A.) und wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das schriftlich vorgelegte Sachverständigengutachten (Bl. 83 bis 129 d. A.) Bezug genommen. Der Sachverständige Prof. Dr. Z hat sein schriftliches Gutachten zudem in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 26.01.2011 mündlich erläutert. Insoweit wird zur näheren Darstellung des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf die Sitzungsniederschrift vom 26.01.2011 (Bl. 165 f. d. A.) Bezug genommen.
15
Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat daraufhin durch Urteil vom 26.01.2011 -1 Ca 321/10 – festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26.02.2010 zum 30.04.2010 nicht aufgelöst worden ist. Hinsichtlich Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 170 bis 174 d. A. Bezug genommen.
16
Gegen das ihr am 14.02.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 10.03.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 14.04.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
17
Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor,
aus dem vom Arbeitsgericht eingeholten Gutachten ergebe sich die Bestätigung der von der Beklagten gestellten negativen Gesundheitsprognose. Es sei bei den bestehenden Gesundheitsschäden damit zu rechnen, dass es zu einer chronischen Belastungsreaktion und Krankheit mit der Folge von Arbeitsunfähigkeitszeiten kommen werde. Risikofaktoren insoweit seien das massive Übergewicht der Klägerin wie die Arthrose im Bereich des linken Hüftgelenks und beider Kniegelenke. Hinzu komme ein Bluthochdruck sowie die nach wie vor vorhandene Fußdeformität linksseitig und die Fuß- und Zehendeformität rechtsseitig. Folglich sei das Risiko für das Auftreten von vermehrten Arbeitsunfähigkeitszeiten hoch.
18
Hinsichtlich der weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz vom 14.04.2011 (Bl. 207 bis 214 d. A.) Bezug genommen.
19
Die Beklagte beantragt,
20
das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern, Az.: 1 Ca 321/10, vom 26.01.2011 wird abgeändert und die Klage abgewiesen.
21
Die Klägerin beantragt,
22
die Berufung zurückzuweisen.
23
Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor,
nach dem schriftlich vorgelegten Gutachten sowie nach der Erläuterung des Gutachters in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer in der ersten Instanz sei eine negative Gesundheitsprognose hinsichtlich des weiteren Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses nicht gerechtfertigt. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass der Gutachter in seinem schriftlichen Gutachten von vielen Vermutungen ausgegangen sei, nicht aber von konkret festgestellten akuten Krankheiten. In Zukunft sei eben nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Fehlzeiten von mehr als 30 Arbeitstagen zu rechen.
24
Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Klägerin wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 09.05.2011 (Bl. 225 bis 227 d. A.) Bezug genommen.
25
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.
26
Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 05.09.2011.
Entscheidungsgründe
I.
27
Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II.
28
Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
29
Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche ordentliche krankheitsbedingte Kündigung der Beklagten das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet hat.
30
Denn die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt (§ 1 KSchG).
31
Der Begriff der krankheitsbedingten Kündigung erfasst alle Fallgestaltungen, in denen eine arbeitgeberseitige Kündigung durch eine Erkrankung des Arbeitnehmers motiviert worden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Erkrankung des Arbeitnehmers allein als solche eine Kündigung niemals begründen kann, d. h. nur mit dem Hinweis auf eine aktuelle oder frühere Krankheit kann der Arbeitgeber eine Kündigung sozial nicht rechtfertigen. Die Erkrankung des Arbeitnehmers spielt lediglich insoweit eine Rolle, als die Ursache der Betriebsstörung die Nichtbesetzung des Arbeitsplatzes ist und ggf. Daten für die negative Prognose für die Zukunft liefert. Krankheit ist andererseits auch kein Kündigungshindernis: Eine Kündigung ist deshalb weder allein deswegen unwirksam, weil sie während einer Erkrankung ausgesprochen worden ist, noch hindert eine Erkrankung des Arbeitnehmers den Ablauf der Kündigungsfrist (vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch des Fachanwalts Arbeitrecht, 9. Auflage, 2011, S. 1694 ff.).
32
Krankheitsbedingte Fehlzeiten können deshalb eine Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers dann rechtfertigen, wenn eine negative Gesundheitsprognose zu stellen ist und aufgrund der zu erwartenden Fehlzeiten des Arbeitnehmers in der Zukunft von unzumutbaren betrieblichen oder wirtschaftlichen Belastungen für den Arbeitnehmer für den Arbeitgeber auszugehen ist. Nach der Rechtsprechung des BAG (vgl. z. B. 19.04.2007, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 53 = NZA 2007, 1041 und 08.11.2007, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54 = NZA 2008, 593) ist eine krankheitsbedingte Kündigung zusammengefasst im Rahmen einer dreistufigen Überprüfung nur dann sozial gerechtfertigt, wenn aufgrund objektiver Umstände (insbesondere bisheriger Fehlzeiten) bei einer lang anhaltenden Erkrankung mit einer weiteren Arbeitsunfähigkeit auf nicht absehbare Dauer bzw. bei häufigen Kurzerkrankungen auch weiterhin („Wiederholungsgefahr“) mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten gerechnet werden muss (negative Gesundheitsprognose); die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers führen (erhebliche betriebliche Auswirkungen haben) und sich im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung im Einzelfall eine unzumutbare betriebliche oder wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers ergibt.
33
Daraus folgt:
34
Bestreitet der Arbeitnehmer – wie vorliegend – durch substantiiertes Tatsachenvorbringen die Indizwirkung der Fehlzeiten in der Vergangenheit und entbindet er sodann die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht, so ist eine Kündigung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten nur dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber darlegt und beweist, dass bei prognostischer Beurteilung auch in Zukunft mit erheblichen weiteren krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen ist, die zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führen. Fehlzeiten, die die Dauer von 6 Wochen pro Kalenderjahr nicht übersteigen, sind dabei ausgehend von den Bestimmungen der §§ 1 ff. EFZG noch nicht als kündigungsrelevant anzusehen (vgl. BAG, a. a. O.).
35
Das Arbeitsgericht hat insoweit zutreffend angenommen, dass es der Beklagten vorliegend nicht gelungen ist, nachzuweisen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung gesundheitlich derart geschädigt war, dass in der Zukunft mit Fehlzeiten von mehr als 13 % bzw. mehr als sechs Wochen pro Jahr zu rechnen war. Zwar hat der Sachverständige Prof. Dr. Z in seinem schriftlichen Gutachten (vgl. Bl. 126 d. A.) ausgeführt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung basierend auf den vergangenen Arbeitsunfähigkeitszeiten 2009 und bezogen auf das Jahr 2009 davon auszugehen war, „dass in Zukunft erhöhte Arbeitsunfähigkeitszeiten auftreten, da eine nachhaltige Reduktion der Arbeitsunfähigkeitszeiten nach den durchgeführten Operationen des linken Fußes sich nicht verzeichne ließe“. In der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor der Kammer in der ersten Instanz am 26.01.2011 hat der Gutachter jedoch ausgeführt, es lasse sich nicht mit Sicherheit vorher sagen, ob die Klägerin zukünftig im Durchschnitt an mehr als 10 Prozent der Arbeitstage krankheitsbedingt fehlen werde. Wenn er bei Beantwortung der Beweisfrage formuliert habe, dass davon auszugehen sei, in Zukunft würden erhöhte Arbeitsunfähigkeitszeiten auftreten, so habe er damit lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass wahrscheinlich infolge der bei der Klägerin vorhandenen Risikofaktoren davon auszugehen sei, dass sie mehr Fehlzeiten aufweisen werde, als der normale Durchschnitt von drei bis fünf Prozent im Betrieb der Beklagten. Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass nach diesen Ausführungen des Sachverständigen nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der hier streitgegenständlichen Kündigungserklärung derart gesundheitlich geschädigt war, dass zukünftig mit krankheitsbedingten Fehlzeiten im kündigungsrechtlich relevanten Umfang zu rechnen war.
36
Auch das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts.
37
Denn es enthält zum einen keinerlei neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen, die ein abweichendes Ergebnis nahe legen würden. Im Übrigen besteht es in der Bezugnahme auf einzelne Passagen des vom Arbeitsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens, das das Arbeitsgericht aber, wie dargelegt, zutreffend abweichend beurteilt hat. Von daher sind weitere Ausführungen nicht veranlasst, ebenso wenig Überlegungen zu der Frage, ob überhaupt mit erheblichen betrieblichen Auswirkungen von rechtlich relevanten Fehlzeiten zu rechnen wäre sowie zu der vorliegend im Hinblick auf die Betriebszugehörigkeit der Klägerin besonders nahe liegenden Frage, ob im Rahmen einer abschließenden Interessenabwägung tatsächlich das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das der Klägerin an dessen Fortsetzung überwiegen würde.
38
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
39
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.
40
Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.