LG Bielefeld, Beschluss vom 22.11.2007 – I Qs 587/07
Die Durchsuchungsanordnung stellt eine erheblich in die Rechte der Betroffenen eingreifende Maßnahme dar. Sie ist nur zulässig, wenn sich gegen den Beschuldigten ein konkret zu beschreibender Tatvorwurf richtet und der Eingriff zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich und verhältnismäßig erscheint. Das Gewicht des Eingriffs erfordert Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausgehen (Rn. 14).
Der Durchsuchungsbeschluss muss zeigen, dass der Ermittlungsrichter die Eingriffsvoraussetzungen selbständig und eigenverantwortlich geprüft hat. Die Bezeichnung der Straftat muss nicht nur in rechtlicher, sondern vor allem in tatsächlicher Hinsicht zumindest so konkret erfolgen, dass keine Zweifel über Ziel und Grenzen der Durchsuchung entstehen können (Rn. 15).
Ein Dritter, bei dem eine Durchsuchung durchgeführt werden soll, muß zumindest so genau informiert werden, dass er Grund und auch Ziel und Zweck der Durchsuchungsmaßnahmen nachvollziehen kann, um diese gegebenenfalls zu akzeptieren oder im Beschwerdeweg anzugreifen (Rn.19).
Eine pauschal gehaltene Darlegung des Tatverdachts (hier: „Der Beschuldigte ist verdächtig, Steuern verkürzt zu haben, § 370 AO.“) ist nicht geeignet, Ziel und Grenzen der Durchsuchung hinreichend zu bestimmen. Eine etwaige mündliche Erläuterung des Tatvorwurfs durch die mit der Beschlagnahme befassten Beamten der Steuerfahndung kann eine ausreichende Darlegung in der richterlichen Anordnung nicht ersetzen (Rn.24).
Tenor
Der angefochtene Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 11.09.2007, Aktenzeichen: 9 Gs 3437/07, wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.
Gründe
I.
1
Mit Beschluss vom 11.09.2007 hat das Amtsgericht Bielefeld unter dem Aktenzeichen 9 Gs 3437/07 „wegen des Verdachts der Umsatzsteuer-Hinterziehung 2001 bis 2005, Einkommenssteuer-Hinterziehung 2001 bis 2005, Gewerbesteuer-Hinterziehung 2001 bis 2005“ durch H. die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin angeordnet.
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Zugleich wurde die „Beschlagnahme“ „sämtlicher Unterlagen und Gegenstände, die die Geschäftsbeziehung zu dem Beschuldigten betreffen und zur Aufklärung der vorgeworfenen Steuerhinterziehung von Bedeutung sein können, nämlich aller Unterlagen, die Aufschluss geben über die tatsächlichen Umsätze und Gewinne aus dem Gewerbebetrieb, insbesondere der gesamten Buchführung mit allen dazugehörigen Belegen, wie Eingangs- und Ausgangsrechnungen, Kassen- und Lohnunterlagen, Bankbelege, Kontoauszüge, Lieferscheine, Kundenlisten, Quittungen, Schriftwechsel, Verträge, elektronische Daten auf Datenträgern, Buchführungskonten“ angeordnet.
3
Begründet hat das Amtsgericht diesen Beschluss wie folgt:
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„Der Beschuldigte ist verdächtig, Steuern verkürzt zu haben, § 370 Abgabenordnung.
5
Er hat mit der/dem von der Durchsuchung Betroffenen Geschäftsbeziehungen unterhalten. Hieraus ist zu schließen, dass sich die umseitig näher bezeichneten Sachen in den zu durchsuchenden Räumen befinden. Die umseitig bezeichneten Sachen können für die Untersuchung von Bedeutung sein und sind daher zu beschlagnahmen, § 94 StPO.
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Die angeordnete Durchsuchung und Beschlagnahme umfasst auch die außerhalb des Tatzeitraumes liegenden Jahre, weil Bankkonten erfahrungsgemäß über mehrere Jahre genutzt werden und daher erwartet werden kann, dass Erkenntnisse und Beweismittel, die Sachverhalte außerhalb des Tatzeitraumes betreffen, geeignet sind, die jetzt zu erforschenden Steuerstraftaten weiter aufzuklären (Hinweis auf Beschluss des BVerfG vom 23.03.1994 – 2 BVR 396/94; Wistra 6/94, 221 ff.).“
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Wegen des weiteren Beschlussinhalts wird auf Bl.59 d.A. verwiesen.
8
Am 18.09.2007 wurden aufgrund des vorgenannten Beschlusses in den Geschäftsräumen der Beschwerdeführerin fünf Stehordner mit Buchführungsunterlagen für die Abschlüsse der Jahre 2001 bis 2005 durch Steuerfahnder sichergestellt. Eine vollständige Durchsicht dieser Unterlagen auf beweisrelevantes Material ist bislang auch im Hinblick auf das laufende Beschwerdeverfahren nicht erfolgt.
9
Gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 11.09.2007, Aktenzeichen: 9 Gs 3437/07, hat die Beschwerdeführerin durch ihren Verfahrensbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 23.09.2007 Beschwerde eingelegt mit der Begründung, der angefochtene Beschluss sei bezüglich der Durchsuchung zu unbestimmt und die zu suchenden Beweismittelwürden nicht konkret genug begrenzt. Damit sei der Beschluss rechtswidrig. Zudem unterlägen die Unterlagen, die beschlagnahmt worden seien, gemäß § 97 StPO nicht der Beschlagnahme und seien bereits deswegen herauszugeben. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf die Beschwerdeschrift vom 23.09.2007 Bezug genommen.
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Nachdem das Amtsgericht dieser Beschwerde nicht abgeholfen hat, lag sie nunmehr der Kammer zur Entscheidung vor.
II.
11
Die Beschwerde ist zulässig.
12
Die Durchsuchung dauert noch an, weil die Durchsicht der sichergestellten Unterlagen noch nicht abgeschlossen ist. Die Beschwerdeführerin ist daher durch den angefochtenen Beschluss noch beschwert.
13
Die Beschwerde ist auch begründet.
14
Die Durchsuchungsanordnung stellt eine erheblich in die Rechte der Betroffenen eingreifende Maßnahme dar. Sie ist nur zulässig, wenn sich gegen den Beschuldigten ein konkret zu beschreibender Tatvorwurf richtet und der Eingriff zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich und verhältnismäßig erscheint. Das Gewicht des Eingriffs erfordert Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausgehen.
15
Der Durchsuchungsbeschluss muss zeigen, dass der Ermittlungsrichter die Eingriffsvoraussetzungen selbständig und eigenverantwortlich geprüft hat. Die Bezeichnung der Straftat muss nicht nur in rechtlicher, sondern vor allem in tatsächlicher Hinsicht zumindest so konkret erfolgen, dass keine Zweifel über Ziel und Grenzen der Durchsuchung entstehen können.
16
Damit bedarf es hinreichender tatsächlicher Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs; eine nur schlagwortartige Bezeichnung der Straftat, obwohl eine konkretere Kennzeichnung nach dem Ergebnis der Ermittlungen möglich und dem Zweck der Strafverfolgung nicht abträglich ist, reicht nicht aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.07.2006, in: wistra 2006, Seite 377 m.w.N.).
17
Auch wenn hier an die Bezeichnung der Straftat weniger strenge Anforderungen zu stellen sind als im Fall der Anordnung einer Wohnraumdurchsuchung, muss sie doch zumindest so konkret erfolgen und müssen die Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, so genau angegeben werden, dass kein Zweifel über Ziel und Grenzen der Durchsuchungsmaßnahme entstehen kann. Die Durchsuchungsanordnung muss den Betroffenen in die Lage versetzen, Ausuferungen zu erkennen und ihnen entgegenzutreten.
18
Die Kammer verkennt dabei keineswegs, dass das Steuergeheimnis, § 30 AO, zu wahren ist und Dritten keine vertiefte Auskunft über das hinsichtlich des Beschuldigten vorliegende Ermittlungsergebnis gegeben werden kann.
19
Andererseits muss der Dritte, bei dem eine Durchsuchung durchgeführt werden soll, zumindest so genau informiert werden, dass er Grund und auch Ziel und Zweck der Durchsuchungsmaßnahmen nachvollziehen kann, um diese gegebenenfalls zu akzeptieren oder im Beschwerdeweg anzugreifen (vgl. dazu auch BVerfG, StV 2002, Seite 345 u. Seite 406, jeweils m. w. N.). Die Beschwerdeführerin steht zudem in einem vertraglichen Verhältnis zum Beschuldigten. Sie ist damit auf ein Mindestmaß an Informationen angewiesen, weil sie andernfalls nicht beurteilen kann, ob sie nicht gegenüber dem Beschuldigten eine vertragliche Pflichtverletzung begeht.
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Der angefochtene Beschluss enthält lediglich den pauschalen formelhaften Satz: „Der Beschuldigte ist verdächtig, Steuern verkürzt zu haben, § 370 AO“.
21
Mit dieser Formulierung wird lediglich der Gesetzeswortlaut wiederholt, ohne dass konkrete Angaben über die dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten getätigt werden.
22
Die weiteren Ausführungen, nämlich dass der Beschuldigte mit dem von der Durchsuchung Betroffenen Geschäftsbeziehungen unterhalten habe, so dass sich Unterlagen, Schriftverkehr usw. in den zu durchsuchenden Räumen befänden, die als Beweismittel für das Verfahren von Bedeutung seien, sind nicht geeignet, den Vorwurf der Steuerhinterziehung zu begründen oder zu konkretisieren.
23
Auch der in der Beschlusseinleitung gegebene Hinweis, dass es sich um ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung von Umsatz-, Einkommens- und Gewerbesteuer im Zeitraum 2001 bis 2005 handelt, schafft keine ausreichende Konkretisierung des Vorwurfs im Tatsächlichen.
24
Diese derart pauschal gehaltene Darlegung des Tatverdachts ist nicht geeignet, Ziel und Grenzen der Durchsuchung hinreichend zu bestimmen. Eine etwaige mündliche Erläuterung des Tatvorwurfs durch die mit der Beschlagnahme befassten Beamten der Steuerfahndung kann eine ausreichende Darlegung in der richterlichen Anordnung nicht ersetzen.
25
Dass eine konkrete Darlegung des Tatvorwurfes nicht möglich oder aber dem Zweck der Strafverfolgung abträglich sein soll, ist nicht ersichtlich.
26
Da dem angefochtenen Beschluss damit nicht nur jegliche Begründung des erhobenen Tatvorwurfs fehlt, sondern auch eine ausreichende Konkretisierung des tatsächlichen Vorwurfs entsprechend den §§ 103, 105 StPO überhaupt, liegt ein derart erheblicher Begründungsmangel vor, dass die Kammer in diesem Fall entgegen § 309 Absatz 2 StPO nicht selbst in der Sache entschieden hat. Sie hat die Sache daher unter Aufhebung des Beschlusses im Umfang der Anfechtung an das Amtsgericht zurückverwiesen, um der Betroffenen in der Sache nicht eine Rechtsmittelinstanz zu nehmen (vgl. BGH, NJW 1964, Seite 2119; BGH, NStZ 2003, Seite 273; Löwe-Rosenberg, Kommentar zur StPO, 26. Aufl. 2006, § 34 StPO, Rn 14).
27
Soweit die Beschwerdeführerin sich auch gegen „die am 18.09.2007 vollzogene Beschlagnahme der Steuerunterlagen“ wendet, geht das Rechtsmittel ins Leere, weil eine mit der Beschwerde anfechtbare richterliche Beschlagnahmeentscheidung (noch) nicht vorliegt.
28
Diese kann dem Beschluss vom 11.09.2007 jedenfalls nicht entnommen werden.
29
Ordnet – wie hier – ein Richter gleichzeitig mit dem Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses die Beschlagnahme von Gegenständen an, bevor diese von den Strafverfolgungsbehörden in amtliche Verwahrung genommen und gesichert worden sind, so muss er die Gegenstände so genau bezeichnen, dass keine Zweifel darüber entstehen, ob sie von der Beschlagnahmeanordnung erfasst sind oder nicht. Denn andernfalls würde die Entscheidung, welche Gegenstände unter die richterliche Beschlagnahmeanordnung fallen, entgegen dem Gesetz nicht vom Richter, sondern von den Strafverfolgungsbehörden getroffen (vgl. BVerfG, NStZ 1992, S.92).
30
Die Anordnung des Amtsgerichts in dem vorgenannten Beschluss genügt diesen Anforderungen nicht, weil sich erst aus einer wertenden Prüfung durch die Ermittlungsbehörde ergibt, ob die Unterlage als Beweismittel in Betracht kommt. Sie ist damit zu unbestimmt.
31
Eine nur allgemein gehaltene Beschlagnahmegestattung wie in dem vorliegenden Beschluss, die ohne Benennung konkreter Beweismittel zugleich mit dem Durchsuchungsbefehl ergeht, hat nur die Bedeutung einer Richtlinie für die Durchsuchung und ist noch keine wirksame richterliche Beschlagnahmeanordnung (vgl. dazu Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Auflage 2003, § 98 Rdnr.2, m.w.N.).
32
In solchen Fällen ist eine „Beschwerde“ gegen die Beschlagnahmeanordnung als Antrag nach § 98 Absatz 2 Satz 2 StPO umzudeuten, über den der Ermittlungsrichter zu befinden hat.
33
In diesem Zusammenhang gestattet sich die Kammer den Hinweis, dass eine etwaig rechtswidrige Durchsuchungsanordnung nicht notwendigerweise einer rechtmäßigen Beschlagnahme entgegen stehen muss.
34
Eine Auslagenentscheidung war nicht veranlasst, da eine verfahrensabschließende Entscheidung im Sinne des § 464 Absatz 2 StPO nicht vorliegt.