Zu den Anforderungen an den Nachweis eines Wildschadens bei vorhandenen Vorschäden am Unfallfahrzeug

AG Marburg, Urteil vom 09.12.2011 – 9 C 1370/10 (82)

Zu den Anforderungen an den Nachweis eines Wildschadens bei vorhandenen Vorschäden am Unfallfahrzeug

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreit hat der Kläger zu tragen das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet

Tatbestand
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Der Kläger macht Ansprüche aus einer Teilkaskoversicherung wegen eines angeblichen Wildunfalls Anfang 2009 geltend. Für sein Fahrzeug …, einen BMW 316i Coupe Baujahr 1995, war im März 2005 der aus Anlage K1 ersichtliche Versicherungsvertrag bei der Beklagten abgeschlossen wurden.

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Seit März 2006 hatte der Kläger folgende Unfälle gehabt:

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08.02.2006 Totalschaden/Frontschaden

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04.01.2007 Parkplatzunfall, Totalschaden, Schaden links, beide Türen, Kilometerstand 26.5875 Gutachten D. G. v. 8.1.07 Bl. 75 ff d.A.

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31.05.2008 Parkplatzunfall Totalschaden linker Kotflügel und Rad, Kilometerstand 29.5235, Gutachten des SV S. v. 16.6.08 Bl. 55 d.A.

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03.12.08 Auffahrunfall vor Ampel, Frontschaden, Kostenvoranschlag Autohaus B.

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Bei dem streitgegenständlichen Wildunfall 2009 wurde das Fahrzeug ausweislich des Gutachtens der D. erneut im Frontbereich beschädigt. Das Fahrzeug ist inzwischen veräußert. Die Parteien streiten um die Eintrittspflicht der Beklagten

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Der Kläger behauptet, Anfang 2009 sei ihm auf der B 255 zwischen N. und W. ein Reh vors Auto gelaufen. Der Wildunfall habe zu dem im Gutachten der D. (Bl. 19 ff und 39 ff) vom 25./26.11.2009 im Einzelnen dargelegte Frontschaden geführt, dessen Beseitigung 2453,63 € netto kosten werde bei einem Wiederbeschaffungswert von 2000 €. Er ist der Ansicht nach § 12 (1) I., 13 (5a) AKB liege ein eintrittspflichtiger Versicherungsfall vor, da es zu einem Unfall mit Haarwild gekommen sei.

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Er behauptet, sämtliche durch die Vorunfälle entstanden Schäden seien jeweils ordnungsgemäß beseitigt worden. Insoweit nimmt er Bezug auf die oben erwähnten Sachverständigengutachten. Er ist ferner der Auffassung, die vertraglich vereinbarte maximale jährliche Laufleistung von 15.000 km mit insgesamt 12.000 km in 4 Jahren nur unerheblich überschritten zu haben. Die Beklagte dürfe sich deshalb nicht auf einen Leistungsausschluss berufen.

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Der Kläger, der die Beklagte vorgerichtlich anwaltlich gemahnt hat, beantragt mit der am 17.01.2011 zugestellten Klage

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die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.02.2010 sowie weitere 229,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.01.2011 zu zahlen

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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen

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Sie bestreitet, dass der streitgegenständliche Schaden auf einen Wildunfall zurückgeht sowie den vom Kläger geltend gemachten Wiederbeschaffungswert. Ferner trägt sie vor, der jetzige Fahrzeugschaden sei identisch mit dem Fahrzeugschaden 2010. Die Fahrzeugfront sei bei Unfällen auch im Jahr 2007 und 2008 beschädigt gewesen. Deshalb lasse sich nicht feststellen, welche konkreten Schäden auf das streitgegenständliche oder vorherige Unfallgeschehen zurück zuführen seien, was zu einem Leistungsausschluss führe. Sie bestreitet, dass die Schäden aus den Vorunfällen sach- und fachgerecht behoben worden sind.

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Ferner beruft sie sich auf einen Obliegenheitsverstoß gemäß § 13 IX AKB. Der Kläger habe die vertraglich vereinbarte Laufleistung um mehr als 20 % überschritten, nachdem der Kilometerstand im Jahr 2006 bei 250352 km und im Jahr 2009 bei 332630 km gelegen habe. Er müsse sich deshalb einen etwaigen Schadensersatzanspruch um 20% kürzen lassen

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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Versicherungsleistung in Höhe von 2000 € gemäß § 1 Satz VVG in Verbindung mit § 12 (1) lit. d1 AKB und § 13 Absatz 5 AKB 2007 ihnen nicht beweisen können.

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Zwar hat der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme den Eintritt des Versicherungsfalles nachgewiesen. Gemäß § 12 (1) lit. d1 AKB 2007 tritt der Versicherungsfall nämlich bei einem Zusammenstoß des in Bewegung befindlichen Fahrzeuges mit Haarwild im Sinne von § 2 Absatz 1 Nr. 1 des Bundsjagdgesetzes ein. Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen D. R., dem Beifahrer des Klägers, hat am 22.11.2009 auf der Fahrt von Köln nach Marburg ein Zusammenstoß mit einem erwachsenem Reh, das dabei getötet worden sei, stattgefunden. Die Polizei sei verständigt worden, ebenso der Wildaufseher. Letzteres hat der Jagdaufseher des Reviers W., der Zeuge R. K., glaubhaft in seiner schriftlichen Zeugenaussage bestätigt. Ausweislich des Sachverständigengutachten der D. vom 26.11.2009 (dort Seite 2 oben) befanden sich Haare am beschädigten Fahrzeug, wurden gesichert und archiviert. Im Ergebnis hält deshalb das Gericht den Wildunfall für nachgewiesen.

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Grundsätzlich kann der Kläger danach die Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes ersetzt verlangen und -wenn das Fahrzeug repariert worden ist- auch ohne Abzug des Restwertes (§ 13 Abs.5a AKB 2007). Es kann dahinstehen, ob das Fahrzeug nach dem streitgegenständlichen Unfall ordnungsgemäß repariert worden ist, der Wiederbeschaffungswert, wie vom D. -Gutachten veranschlagt, 2000 € beträgt oder niedriger anzusetzen ist. Ferner braucht nicht geklärt zu werden, ob ein etwaiger Ersatzanspruch des Klägers gemäß § 13 Abs 9 AKB 2007 um einen Selbstbehalt in Höhe von 20 % zu kürzen ist, weil die vertraglich vereinbarte maximale jährliche Laufleistung überschritten war und eine Gefahrerhöhung stattgefunden hatte.

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Denn der Kläger kann nicht nachweisen, dass der streitgegenständliche Unfallschaden gerade auch das behauptete Unfallereignis zurückzuführen ist, sein Fahrzeug nach den Vorunfällen jeweils vollständig fachgerecht instand gesetzt worden ist. Liegen Vorschäden vor, hat der Geschädigte grundsätzlich darzulegen, welcher Art die Vorschäden waren, welche Reparaturmaßnahmen nach den Vorunfällen und vor dem streitgegenständlichen Schadensereignis durchgeführt worden, um diese Vorschäden zu beseitigen und diese ordnungsgemäß beseitigt worden sind (OLG Düsseldorf aaO, KG Berlin aaO). Der Ersatzanspruch des Klägers ist nämlich dann ausgeschlossen, selbst wenn die Schäden zum behaupteten Unfallereignis (Wildunfall) kompatibel sind (OLG Düsseldorf Schaden- Praxis 2010, 259; KG Berlin Urteil vom 29.06.2009 Az. 12 U 146/ 08; KG Berlin vom 12.11.2009 12 U 9/09).

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Diesen Beweis hat der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht führen können.

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Beim streitgegenständlichen Unfall wurden beschädigt: beide Nebelscheinwerfer, Kühlerziergitter, Motorhaube, Frontverkleidung, Kühler (S.4. Gutachten DEKRA vom 26.11.09, Bl. 42 d.A:). Beim Unfall am 8.1.06 war ebenfalls ein Frontschaden entstanden. Das anlässlich des nachfolgenden Unfalls erstellte Gutachten der D. vom 8.1.07 gibt insoweit an: „Fachgerecht beseitigter Vorschaden“. Inwieweit für diese Qualifizierung über eine bloße Sichtprüfung hinaus Feststellungen getroffen wurden, lässt das Gutachten D. nicht erkennen.

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Denselben Vorschaden nimmt der Sachverständige S. in seinem Gutachten vom 16.6.08 (Unfall vom 31.5.08) auf (S. 4, Bl. 58 d.A.), in dem er aufführt: „Soweit ohne weitergehende Untersuchung erkennbar, folgende reparierte Vorschäden: Diverse beseitigte Vorschäden, insbesondere im Frontbereich und seitlich links“. Er hat schriftlich ausgesagt, am Fahrzeug hätten damals nur Sichtprüfungen ohne Demontagearbeiten stattgefunden. Es sei nicht auszuschließen, dass die reparierten Vorschäden fachgerecht beseitigt gewesen seien. Um hierzu aber eine genaue Feststellung treffen zu können, wären zum damaligen Zeitpunkt aufwendige Untersuchungen notwendig gewesen (z.B. in Verbindung mit Demontagearbeiten, Schichtdickenmessung, besichtigen von unten). Diese hätten nicht stattgefunden. Soweit in seinem Gutachten von „diversen beseitigten Vorschäden“ und die Rede gewesen sei, lasse dies auf Nachlackierungen in anderen Bereichen schließen, ohne dass er heute noch Einzelheiten in soweit erinnere.

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Damit kann schon aufgrund der Aussage des Zeugen S. keine sichere Feststellung dahingehend getroffen werden, dass tatsächlich alle Front- Vorschäden ordnungsgemäß beseitigt worden sind, da nur eine Sichtprüfung stattgefunden hatte.

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Der Zeuge C., Mitarbeiter des Autohauses B., der das Fahrzeug nach dem Unfall vom 03.12.2008 in Augenschein nahm und einen Kostenvoranschlag erstellte, konnte sich in seiner schriftlichen, die Zeugenaussage vorweg nehmenden, Darstellung vom 14.07.2011 nicht erinnern, ob an dem BMW Vorschäden vorhanden gewesen seien oder nicht. Der Kläger hat letztlich auf die Vernehmung des Zeugen verzichtet.

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Damit steht also nicht fest, dass die Frontschaden vom 8.2.06, 3.12.08 bzw. der Schaden vom 31.05.2008, bei dem neben dem Kotflügel vorn links auch angrenzende Karosserieteile verzogen und Anbauteile im Frontbereich beschädigt waren, bis zum streitgegenständlichen Unfall im November 2009 tatsächlich ordnungsgemäß beseitigt worden waren.

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Auch der vom Kläger darüber hinaus für jeweils ordnungsgemäß durchgeführte Reparaturen benannte Zeuge M., sein Onkel, hat im Ergebnis keinen Beweis für die fachgerechte vollumfängliche Reparatur sämtlicher identischer Vorschäden erbracht. Nach seiner glaubhaften Aussage hat er das Fahrzeug mehrfach repariert, insbesondere die Fahrzeugfront. Dabei habe er auch Altteile verwendet nämlich einmal aus 2 Blechen eines gemacht. Dies seien nach dem Ampelunfall der Fall gewesen (= Auffahrunfall vom 03.12.2008). Bei dem Unfall davor (wohl 31.05.2008) sei nur das Frontblech links beschädigt gewesen. Das Blech habe aus 2 „Nieren“, also teilen, bestanden, von denen er beim ersten Mal nur eines ausgetauscht habe, das andere habe aufgehoben. Bei dem weiteren Unfall, als dem Kläger jemand rückwärts vor einer Ampel gegen die Front gefahren sei, habe er dann das alte Blech verwendet und aus 2 Blechen eines gemacht. Lackschäden habe er jeweils einfach mit der Sprühdose ausgeglichen. Insoweit kann von einer fachgerechten Reparatur wohl kaum die Rede sein. Ein Kotflügel sei zu keinem Zeitpunkt ausgetauscht worden. Der Zeuge selbst sprach von „anständigem Schäden flicken“, nicht von ordnungsgemäßen Reparaturen. Eine Fahrwerksvermessung habe er technisch nicht durchführen können, auch beschädigte Scheinwerfer habe er nicht ausgetauscht, er habe lediglich die Halterung fest genietet. Damit wurden jedenfalls durch den Zeugen M. in keinem all die jeweils von den Gutachtern aufgelisteten Reparaturmaßnahmen, die allein eine fachgerechte Reparatur darstellen, durchgeführt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass der Kläger nicht einen Beleg für die Anschaffung von Originalersatzteilen vorgelegt hat, was Mindestanforderung für eine ordnungsgemäße Reparatur gewesen wäre.

27
Da ausweislich des Schadensgutachtens vom 26.11.2009 durch den Wildunfall beide Nebelscheinwerfer, die Kühlerziergitter, diverse Luftführungen, Halter und Anbauteile gebrochen, die Motorhaube, die Frontverkleidung und die Vorwand eingedrückt/ gestaucht und der Kühler eingedrückt worden sind, besteht zumindest Teilidentität mit vorangegangenen Schäden. Dass die Schäden aus den letzten streitgegenständlichen Unfall vollständig auf den Zusammenstoß mit dem Wild zurückzuführen sind, ihre Entstehung allein dadurch bedingt war und sämtliche teilidentische Vorschäden ordnungsgemäß beseitigt waren, hat der Kläger nicht bewiesen.

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Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO abzuweisen. Die Entscheidung wird die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711.

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