OLG Köln, Beschluss vom 01.08.2011 – 19 U 69/11
Derjenige, der eine Gefahrenquelle (hier: in den Straßenverkehr hineinragender Aufsatz an einem Baggerarm) schafft, ist verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung Dritter möglichst zu verhindern. Der Verkehrssicherungspflichtige muss dabei diejenigen Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag. Dabei kann die Verkehrssicherungspflicht über die Anforderungen öffentlich-rechtlicher Vorschriften wie etwa der Straßenverkehrsordnung hinausgehen. Nach diesen Grundsätzen besteht innerhalb einer Straßenbaustelle eine Warnpflicht für solche Gefahren, die ein sorgfältiger Kraftfahrer nicht durch einen beiläufigen Blick zu erfassen vermag (Rn.5).
Tenor
I. Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 14.03.2011 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 10 O 124/10 – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.
Gründe
1
Die Berufung der Beklagten hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Es ist nicht ersichtlich, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Die Sache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
2
1. Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an den Kläger 2.738,67 EUR sowie 316,18 EUR vorgerichtliche Kosten jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2010 zu zahlen. Es hat mit zutreffenden Erwägungen angenommen, dass der Beklagten die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht anzulasten ist, welche diese gemäß § 823 Abs. 1 BGB zum hälftigen Ersatz der Kosten verpflichtet, die dem Kläger in Folge der Kollision seines Fahrzeugs mit dem von der Beklagten im Baustellenbetrieb eingesetzten Bagger entstanden sind. Das Berufungsvorbringen der Beklagten veranlasst nicht zu einer abweichenden Beurteilung der Sach- und Rechtslage.
3
a) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Beklagte durch die Platzierung des Baggers dergestalt, dass dieser mit seinem am Heck angebrachten Metallaufsatz in rechtem Winkel in den Straßenraum hineinragend abgestellt worden ist, eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt hat.
4
Derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, ist verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung Dritter möglichst zu verhindern. Der Verkehrssicherungspflichtige muss dabei diejenigen Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag. Dabei kann die Verkehrssicherungspflicht über die Anforderungen öffentlich-rechtlicher Vorschriften wie etwa der Straßenverkehrsordnung hinausgehen (vgl. KG vom 05.10.2009 – 12 U 195/08 – Rn. 8 f., zitiert nach juris). Nach diesen Grundsätzen besteht innerhalb einer Straßenbaustelle eine Warnpflicht für solche Gefahren, die ein sorgfältiger Kraftfahrer nicht durch einen beiläufigen Blick zu erfassen vermag (vgl. OLG München vom 03.02.1977 – 1 U 4548/76 – Rn. 23, zitiert nach juris; LG Limburg VersR 1993, 497; Hager in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 823 Rn. E 226).
5
An Hand dieser Maßstäbe hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte die Verkehrsteilnehmer durch zusätzliche Sicherungsmaßnahmen vor dem besonderen Verkehrshindernis, dass sie durch die nicht verkehrskonforme Positionierung des Baggers und dessen darum in den Straßenraum hineinragenden Metallaufsatz geschaffen hatte, etwa in Gestalt einer Absperrung des vom Bagger in Anspruch genommenen Straßenbereichs oder einer besonderen Kennzeichnung des Metallaufsatzes hätte warnen müssen. In diesem Zusammenhang hat das Landgericht zutreffend darauf abgestellt, dass sich der am Bagger zwischen den hinteren Rädern angebrachte schwarze Metallaufsatz auf Grund seiner unauffälligen Farbe und seiner Positionierung auch bei Tageslicht kaum vom Straßenbelag abhob und deshalb nur schwer wahrnehmbar war. Sofern die Beklagte im Berufungsverfahren vorbringt, der Metallaufsatz sei farblich deutlich vom Straßenbelag zu unterscheiden, vermag der Senat dies an Hand des vom Kläger bereits in erster Instanz zur Akte gereichten Lichtbilds nicht nachzuvollziehen.
6
Soweit aus Sicht des Klägers wegen der Einrichtung der Baustelle besondere Sorgfalt geboten war, bezog sich dies allein auf solche Gefahren, mit denen nach Art und Gestaltung der Baustelle typischer Weise und auf den ersten Blick zu rechnen war. Hierzu zählte – über den Einsatz eines als solchen vom Kläger wahrgenommenen Baggers hinaus – indes nicht der Umstand, dass der Bagger mit einem den Straßenraum weiter verengenden Metallaufsatz versehen war. Dass ein solcher Aufsatz, wie die Beklagte nunmehr anführt, an jedem Bagger montiert sein mag, ist einem Verkehrsteilnehmer – wie der Senat aus eigener (Un-)Kenntnis zu beurteilen vermag – nicht derart geläufig, dass er sein Fahrverhalten ohne Weiteres darauf einzurichten hätte.
7
b) Nachvollziehbar ist weiter, dass das Landgericht die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht seitens der Beklagten als genauso gewichtig wie das Verschulden des Klägers an der Kollision seines Fahrzeugs mit dem Bagger (§ 254 Abs. 1 BGB) gewertet hat. Dass das Landgericht die – regelmäßig mit 20 % zu bewertende (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Auflage, § 17 StVG Rn. 20) – allgemeine Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs wegen des vom Kläger zu gering gewählten Seitenabstands um 30 % erhöht hat, ist nicht zu beanstanden.
8
Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme kann zu Lasten des Klägers nur davon ausgegangen werden, dass dieser einen Abstand von geringfügig unter 50 cm zu den Hinterreifen des Baggers eingehalten hat. In erster Instanz hat die Beklagte das Vorbringen des Klägers, der Metallaufsatz des Baufahrzeugs habe mehr als einen Meter über die Rückstrahler des Fahrzeugs hinausgeragt, lediglich einfach bestritten. Eine konkrete Behauptung zu dem vom Kläger zu gering gewahrten Seitenabstand hat sie indessen, wie dies für den prozessual erheblichen Vortrag eines gravierenden Mitverschuldens des Klägers prozessual geboten gewesen wäre, nicht aufgestellt. Der Zeuge E hat das Maß, in dem der Metallaufsatz über die Hinterräder hinausgeragt hat, auf höchstens 50 cm geschätzt, ohne indessen einen geringeren Abstand angeben zu können. Einen Abstand von etwa 50 cm zwischen dem Metallaufsatz und den Hinterrädern sowie die allenfalls geringe Unterschreitung eines entsprechenden Seitenabstands gesteht der Kläger nunmehr zu. Sofern die Beklagte im Berufungsverfahren den Überstand mit höchstens 20 bis 30 cm bemisst, ist sie mit diesem neuen Vorbringen gemäß den §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen und belegt das vom Kläger vorgelegten Lichtbild einen solchen Abstand nicht. Ist aber dem zu Folge davon auszugehen, dass der Kläger einen Seitenabstand von etwa 50 cm zu den Hinterrädern des Baggers gewahrt hat, so kann die Veranschlagung eines hälftigen Mitverschuldensanteils des Klägers auch unter Berücksichtigung, dass dieser den Bagger in einem größeren Abstand hätte umfahren können, nicht als rechtsfehlerhaft zu gering bewertet werden. Insoweit ist auch zu beachten, dass der Bagger nach Aussage des Zeugen L abgestellt war, als der Kläger diesen passierte, und deshalb bei der Wahl des Sicherheitsabstands nicht mit einer Fortbewegung des Baugeräts gerechnet werden musste.
9
Sofern die Beklagte dem Kläger eine überhöhte Geschwindigkeit anlastet, lässt sich nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht feststellen, dass eine Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs von mehr als den im Baustellenbereich zulässigen 30 km/h zur Kollision beigetragen hat. Sofern der Zeuge L ausgesagt hat, der Kläger sei mit seinem Auto über die vor dem Baustellenbereich liegende Kreuzung hinweggeschossen und habe erst später angehalten, hat der Zeuge keine konkrete Wahrnehmungen zur tatsächlichen Geschwindigkeit des Klägers zum Zeitpunkt der Kollision geschildert. Gleiches gilt für den Zeugen E1, der lediglich seine Einschätzung von einer zügigen Fahrt des Klägers über die Kreuzung wiedergegeben hat. Gegen eine überhöhte Geschwindigkeit des Klägers spricht im Übrigen, dass dieser den Bagger nach Aussage des Zeugen L in einer Fahrzeugkolonne passiert hat und sein Pkw deshalb keine deutlich höhere Geschwindigkeit als die voranfahrenden Fahrzeuge aufgewiesen haben kann. Dann aber bedarf es keiner Entscheidung mehr, ob eine Fahrt des Klägers mit einer Geschwindigkeit von mehr als 30 km/h zur Kollision mit dem – vom Kläger nach eigenen Angaben nicht verspätet, sondern gar nicht wahrgenommenen – Metallaufsatz des Baggers beigetragen haben kann.
10
c) Dem zu Folge ist die Entscheidung des Landgerichts, die Beklagte zur Erstattung von 50 % der dem Kläger entstandenen Vermögenseinbußen zu verurteilen, nicht zu beanstanden. Dass sich die ersatzfähigen Schäden des Klägers auf insgesamt 5.477,34 EUR nebst 316,18 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten belaufen, hat das Landgericht im Einzelnen nachvollziehbar ausgeführt und wird von der Beklagten nicht mehr in Frage gestellt. Der Zinsanspruch folgt unter Verzugsgesichtspunkten aus den §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1 ZPO.
11
2. Als rechtsfehlerfrei stellt sich die Entscheidung des Landgerichts auch insoweit dar, als dieses gemäß § 96 ZPO die durch den Beweisaufnahmetermin vom 22.02.2011 zusätzlich entstandenen Kosten der Beklagten auferlegt hat. Jene Kosten sind allein deshalb entstanden, weil die Beklagte behauptet hat, der Bagger habe zum Zeitpunkt der Kollision parallel zur Fahrbahn gestanden und folglich nicht in die Fahrbahn hineingeragt. Demgegenüber war eine Beweisaufnahme zur genauen Länge des Überstands des Metallaufsatzes oder zur Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit seitens des Klägerfahrzeugs mangels diesbezüglich konkreten Vortrags der Beklagten nicht geboten. Vielmehr ist das Landgericht von einem den Schadensersatzanspruch hälftig mindernden Mitverschulden des Klägers im Hinblick auf den zu geringen Seitenabstand ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 04.10.2010 bereits vor Erlass des Beweisbeschlusses ausgegangen.
12
3. Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme – auch zur Frage der Durchführung des Berufungsverfahrens – innerhalb der ihr gesetzten Frist.