Unterbliebene Einladung eines Wohnungseigentümers zur Eigentümerversammlung: Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse

BGH, Urteil vom 20.07.2012 – V ZR 235/11

Die unterbliebene Einladung eines Wohnungseigentümers zu einer Eigentümerversammlung führt regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit der in der Versammlung gefassten Beschlüsse, nicht aber zu deren Nichtigkeit.(Rn.5)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 9. September 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

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Der Beklagte ist als Eigentümer einer Garage Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Diese verlangt von ihm die Zahlung der Wohngeldrückstände aus den Jahresabrechnungen für die Wirtschaftsjahre 2002/2003 bis 2009/2010 sowie die Zahlung des Hausgeldes gemäß den Wirtschaftsplänen 2008/2009 und 2009/2010. Die Beschlussfassung über die jeweiligen Jahresabrechnungen und Wirtschaftspläne erfolgte in den Eigentümerversammlungen vom 8. Januar 2007, 25. April 2007, 13. Juni 2008 und 12. Mai 2009. Der Beklagte, der an keiner der Versammlungen teilgenommen hatte, war nicht eingeladen worden, weil die Verwalterin irrtümlich annahm, Garageneigentümer gehörten nicht zum Kreis der zu ladenden Wohnungseigentümer.

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Das Amtsgericht hat die Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft auf Zahlung der rückständigen Beträge in Höhe von insgesamt 2.759,77 € abgewiesen. Ihre Berufung ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt sie ihr Begehren weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.


Entscheidungsgründe

I.

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Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die den Hausgeldforderungen zugrunde liegenden Beschlüsse aufgrund der fehlenden Ladung des Beklagten zu den Eigentümerversammlungen nichtig. Zwar sei die Ladung nur versehentlich unterblieben. Dies ändere aber nichts daran, dass das Recht zur Teilnahme an der Versammlung zum Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte gehöre und die Nichtladung daher ein Verstoß gegen unverzichtbare Rechtsvorschriften sei.

II.

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Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Beschlüsse der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht nichtig.

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1. Nach der Rechtsprechung des Senats führt die Nichteinladung einzelner Wohnungseigentümer regelmäßig nur zur Anfechtbarkeit der in der Versammlung gefassten Beschlüsse, nicht aber zu deren Nichtigkeit. Ein Beschluss ist im Sinne von § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG nur dann nichtig, wenn er gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann. Solche unabdingbaren Rechtsvorschriften ergeben sich entweder aus den zwingenden Bestimmungen und Grundsätzen des Wohnungseigentumsgesetzes oder aus den Normen des übrigen Privat- oder öffentlichen Rechts, namentlich aus §§ 134, 138 BGB und § 56 Satz 2 ZVG. Hierzu gehören nicht die in § 24 WEG für die Einberufung einer Eigentümerversammlung enthaltenen Formvorschriften, weil diese dispositiv sind und durch Vereinbarung abgeändert werden können (Senat, Beschluss vom 23. September 1999 – V ZB 17/99, BGHZ 142, 290, 294).

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2. Die überwiegende Meinung hat sich dem – u.a. auch aufgrund von Praktikabilitätserwägungen – angeschlossen und teilweise ergänzt, dass ausnahmsweise Nichtigkeit zu bejahen sei, wenn der einzelne Wohnungseigentümer vorsätzlich und gezielt von der Mitwirkung in der Wohnungseigentümergemeinschaft ausgeschlossen werden soll. Eine solche bewusste Umgehung des Mitwirkungsrechts komme einem Ausschluss des Wohnungseigentümers an der Mitverwaltung gleich (BayOblG, NZM 2005, 630, 631; OLG Köln, NZM 2004, 793; OLG Zweibrücken, ZMR 2004, 60, 62; OLG Celle, ZWE 2002, 276, 277; Staudinger/Bub, BGB [2005], § 24 WEG Rn. 158; MünchKomm-BGB/Engelhardt, 5. Aufl., § 24 WEG Rn. 17; Timme/Steinmeyer, WEG, § 23 Rn. 133; Riecke in Riecke/Schmid, WEG, 3. Aufl., § 24 Rn. 57; Palandt/Bassenge, BGB, 71. Aufl., § 24 WEG Rn. 14; Weitnauer/Lüke, 9. Aufl., § 23 Rn. 16; Elzer in Jennißen, WEG, 2. Aufl., § 24 Rn. 53; ders., ZWE 2010, 233, 235 f.).

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3. Nach anderer Ansicht führt die – gleich aus welchem Grund – unterbliebene Ladung eines Wohnungseigentümers zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse. Die Nichtladung nehme dem Wohnungseigentümer die Möglichkeit, sich an der Willensbildung in der Versammlung zu beteiligen; dies verletze sein unverzichtbares Teilnahmerecht und greife in den Kernbereich der Mitgliedschaft ein. Der ohne Mitwirkung des Nichtgeladenen gefasste Beschluss könne deshalb wegen Verstoßes gegen eine unverzichtbare Rechtsvorschrift nicht gemäß § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG bestandskräftig werden (Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl, § 23 Rn. 172; Merle/Becker, Festschrift für Deckert, S. 231, 246 f.; Bonifacio, NZM 2011, 10 ff.; Suilmann, Beschlussmängelverfahren im Wohnungseigentumsrecht, S. 34).

8

4. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung (BGHZ 142, 290, 294) fest. Die unterbliebene Ladung eines Wohnungseigentümers führt nur in ganz besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen zur Nichtigkeit der in der Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse, etwa wenn der Wohnungseigentümer in böswilliger Weise gezielt von der Teilnahme ausgeschlossen werden soll. Ein solcher Ausnahmefall liegt hingegen nicht vor, wenn die Ladung nur irrtümlich unterblieben ist. So verhält es sich hier. Der Verwalter hatte den Beklagten zwar bewusst nicht zur Eigentümerversammlung geladen; dies beruhte aber auf einem bloßen Rechtsirrtum, da er fälschlich annahm, Garageneigentümer zählten nicht zu dem Kreis der Wohnungseigentümer und seien daher nicht zu laden. Ein solcher Fehler führt nicht zur Nichtigkeit der in der Versammlung gefassten Beschlüsse.

III.

9

Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Zwar sind aufgrund der eingetretenen Bestandskraft der den Jahresabrechnungen und Wirtschaftsplänen zugrunde liegenden Beschlüsse die hiergegen erhobenen Einwendungen des Beklagten unbeachtlich. Das Berufungsgericht hat jedoch – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die die Prüfung der Frage erlauben, ob die von der Klägerin konkret geltend gemachten Zahlungsbeträge der Hauptforderungen sowie die Nebenforderungen berechtigt sind.

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