SG Augsburg, Urteil vom 02.12.2013 – S 8 U 57/13
Skiunfall bei einer Tagung von Vermögensberatern nicht versichert. (Rn.18)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er am 15. April 2012 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
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Der 1958 geborene Kläger ist als selbstständiger Handelsvertreter für ein Unternehmen im Bereich Vermögensberatung (im Folgenden: Unternehmen) tätig und unterhält bei der Beklagten eine freiwillige Versicherung. Das Unternehmen veranstaltete durch den Direktionsleiter vom 13. bis 15. April 2012 eine Tagung in den Tiroler Alpen für alle Vermögensberater der Direktionsgemeinschaft SüdOst 3. Auf dem Tagungsprogramm war für Samstag- und Sonntagvormittag als “Teambildungs-Workshop” Skifahren aufgeführt. Der Kläger hielt außerdem einen Vortrag am Samstagnachmittag, 14. April 2012. Beim Skifahren am 15. April 2012 stürzte der Kläger und zog sich eine Klavikulafraktur links zu, die osteosynthetisch versorgt wurde.
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Den weiteren Angaben des Klägers bzw. des Unternehmens zufolge bestand die Direktionsgemeinschaft aus 100 Mitarbeitern, von denen zehn an der Tagung teilnahmen. Die Veranstaltung sollte der Teambildung und dem Ideenaustausch dienen.
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Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 25. Juli 2012 die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, weil das Skifahren während der Tagung der privaten Sphäre zuzurechnen und daher eine unversicherte Tätigkeit sei. Dienstliche Belange hätten dafür allenfalls eine unwesentliche Bedeutung gehabt.
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Im Widerspruch wurde auch geltend gemacht, mit der Veranstaltung seien gezielt Skifahrer angesprochen worden. Das Skifahren sei fest eingebundener pädagogischer Bestandteil des Mitarbeiter-Führungstrainings gewesen. Es seien zunächst theoretische Kenntnisse vermittelt worden, die dann beim Skifahren praktisch umgesetzt worden seien. Der Kläger habe die Teilnehmer dabei auch angeleitet, so auch am Unfalltag.
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Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2013 zurückgewiesen.
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Dagegen hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 1. März 2013 Klage zum Sozialgericht Augsburg erheben lassen. Über die Widerspruchbegründung hinaus ist noch vorgetragen worden, am Unfalltag habe der Kläger die anderen Teilnehmer zuerst in der Benutzung des Lifts unterwiesen und dann den “Pflug” vorgemacht. Als Vorausfahrender habe er die Übung vorgegeben, die dann von den anderen quasi als Lehrer abzuarbeiten gewesen sei. Damit sei jeder als Führungskraft und als Teil der Gruppe zum Einsatz gekommen. Bei der Übung “Wedeln” sei der Kläger schließlich verunglückt. Bezüglich des Skifahrens habe somit ein sachlicher Zusammenhang mit dem theoretischen Teil der Tagung bestanden. Entscheidend sei die gegenseitige Wechselwirkung von theoretischem und praktischem Teil gewesen. Hilfsweise sei von einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung auszugehen. Bei der Tagung habe es sich um eine geschlossene Veranstaltung gehandelt, deren praktischer Teil vom Kläger geleitet worden sei.
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Für den Kläger wird beantragt:
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Der Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 2013 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Unfall des Klägers vom 15. April 2012 ein Arbeitsunfall ist.
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Für den Beklagten wird beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig.
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Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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Der Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn bei dem Unfall des Klägers am 15. April 2012 handelt es sich nicht um einen Arbeitsunfall.
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Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3, oder 6 begründenden Tätigkeit. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignete, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Dieser innere bzw. sachliche Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005, B 2 U 29/04 R).
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Für die Beurteilung, ob die Verrichtung, bei der sich der Unfall ereignet hat, im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand, ist maßgebend, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Handelte der Beschäftigte zur Erfüllung einer sich aus seinem Arbeitsvertrag ergebenden Verpflichtung, ist dies unmittelbar zu bejahen, bei darüber hinausgehenden Erweiterungen des Versicherungsschutzes, z.B. auf Dienstreisen, bei Betriebssport, bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen, sind weitere Voraussetzungen zu erfüllen (BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009, B 2 U 29/08 R).
18
Die vom Kläger im Unfallzeitpunkt ausgeübte Verrichtung, nämlich Skifahren, stand nicht in unmittelbarem sachlichem Zusammenhang mit seiner grundsätzlich versicherten Tätigkeit als freier Handelsvertreter. Zwar fand das unfallbringende Skifahren im Rahmen einer Veranstaltung statt, deren theoretischer Teil (Freitagabend, und Samstag- und Sonntagnachmittag) als geschäftlich gewertet werden kann. Denn die dann angebotenen “Workshops” haben ihrem Thema nach einen unmittelbaren Bezug zur versicherten Tätigkeit des Klägers.
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Anders stellt sich die Situation für das Gericht in Bezug auf das für Samstag- und Sonntagvormittag angesetzte Skifahren dar. Insofern vermag sich das Gericht nicht davon zu überzeugen, dass auch dieser Teil der Direktionstagung wesentlich beruflich geprägt war. Nach dem Tagungsprogramm war zwar das Skifahren nicht als bloße private oder sportliche Veranstaltung ausgewiesen, sondern als Workshop bezeichnet. Auch sollte das Skifahren nach der Darstellung durch den Kläger als praktischer Teil dem Seminarziel “Teambildung” dienen, indem theoretisch erworbenes Wissen umgesetzt wird und sich jeder Teilnehmer als Führungskraft und als Teil der Gruppe ausprobieren kann. Der Kläger hat dazu in der mündlichen Verhandlung noch erläutert, dass quasi jeder einzelne Schritt zuvor durchdacht und dann – gegebenenfalls mit kritischer Würdigung – durchgeführt worden sei. So sei es etwa beim Einsteigen und Fahren mit Lift exerziert worden. Außerdem später an verschiedenen Übungen beim Skifahren.
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Die Richtigkeit dieser Angaben unterstellt, genügt das dem Gericht jedoch nicht, um von einer wesentlich beruflichen Prägung auszugehen. Zu bedenken ist nämlich, dass das Skifahren an sich für den Kläger und für die anderen Teilnehmer kaum Bezugspunkte zu ihrer beruflichen Tätigkeit hatte. Um den Versicherungsschutz, der für den theoretischen Teil der Tagung zu bejahen sein wird, auch darauf auszudehnen, hätte es einer deutlich engeren Verzahnung mit den sonstigen (theoretischen) Inhalten der Veranstaltung bedurft. Daran mangelt es aber, weil nicht recht ersichtlich ist, wie die Teilnehmer etwa beim ersten Teil des Skifahrens, am Samstagvormittag, bereits auf der Tagung erworbenes Wissen hätten umsetzen sollen. Am Freitag war ja laut Tagungsprogramm erst abends die Anreise mit nachfolgendem Abendessen und Gruppeneinteilung erfolgt. Beim zweiten Skifahrteil, am Sonntagvormittag, wäre denkbar, dass theoretisches Wissen umgesetzt bzw. erprobt wird, das am Samstagnachmittag erworben wurde. Allerdings spricht dagegen, dass dies auch beim Skifahren am Samstag kaum der Fall gewesen sein wird und das Gericht nicht ersehen kann, dass und weshalb sich die beiden Skifahrteile im Programm inhaltlich deutlich unterschieden haben sollten. Außerdem deuten auch die Themen der Vorträge, welche am Samstagnachmittag angeboten wurden, nicht auf Inhalte hin, bei denen eine Anwendung beim Skifahren naheliegend oder fruchtbar erscheint. Auch die weiteren Erläuterungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung zeigten nach Auffassung des Gerichts nichts auf, was über übliches Verhalten bzw. Vorgehensweisen beim Skifahren hinausgeht. Dass der Kläger mit der Gruppe, das waren alle anderen Teilnehmer, das Einsteigen in den Lift und verschiedene Skifahrtechniken geübt haben will, erscheint dem Gericht als eher banal und jedenfalls nicht als nennenswerte theoretische Prägung durch das sonstige Tagungsprogramm. Die für den Gedanken der Teambildung eventuell förderliche Gruppenbildung beim Skifahren hält das Gericht für einen bloßen, wenn auch möglicherweise erwünschten Nebeneffekt. Dieser steht aber in keinem nachvollziehbaren engen Zusammenhang mit den sonstigen Tagungsinhalten. Ferner begründet auch die geringe Zahl an Teilnehmer sowie die Tatsache, dass gezielt Skifahrer angesprochen wurden, in den Augen des Gerichts eher die Annahme, dass mit dem Skifahren Teilnehmer für die Veranstaltung als solche gewonnen werden sollten, nicht aber für einen wesentlichen beruflichen Nutzen des Skifahrens auf der Tagung. Zuletzt ist noch zu sehen, dass der zeitliche Umfang des Skifahrens den theoretischen Part überwog (sieben Stunden Skifahren zu sechs Stunden Vorträge bzw. theoretische Workshops). Auch dieses Übergewicht lässt sich mit einer wesentlichen Prägung des Skifahrens durch die beruflichen Tagungsinhalte bzw. einer beruflichen Nutzbarmachung des Skifahrens nicht recht erklären.
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In der Gesamtschau der Umstände kann sich das Gericht daher nicht sicher von einer wesentlichen beruflichen Prägung der unfallbringenden Verrichtung des Klägers überzeugen.
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Versicherungsschutz des Klägers unter dem Aspekt Betriebssport oder betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung kommt ebenfalls nicht infrage. Um Betriebssport handelte es sich schon nach Form und Ort der Veranstaltung nicht und eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung ist angesichts des geringen Kreises an Teilnehmern sowie der Beschränkung auf Skifahrer nicht gegeben. Hinzu kommt, dass alle Teilnehmer freie Handelsvertreter waren und nicht Angehörige eines Betriebes bzw. Betriebsteils.
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Auch auf Versicherungsschutz unter Vertrauensschutzgesichtspunkten kann sich der Kläger nicht berufen. Dazu wäre es nämlich erforderlich, dass die Beklagte einen entsprechenden Vertrauenstatbestand gesetzt hätte. Dafür ist aber keinerlei Anhaltspunkt ersichtlich.
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Insgesamt ist daher unter keinem Aspekt ein Versicherungsschutz des Klägers beim Skifahren am 15. April 2012 zu begründen.
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Daher ist die Klage abzuweisen.
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