Nichtigkeit einer Arbeitsplatzkündigung kann nur innerhalb Drei-Wochen-Frist geltend gemacht werden

LArbG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14.04.2010 – 12 Ta 363/10

Gemäß § 623 BGB bedarf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform, nach dem ausdrücklichen Wortlaut in § 4 Satz 1 KSchG gilt die Klagefrist nur für schriftliche Kündigungen. Mangelt es an der Schriftform, so kann der Arbeitnehmer die Nichtigkeit einer gemäß § 623 BGB formunwirksamen Kündigung daher auch außerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG geltend machen (Rn. 9).

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 7. Januar 2010 – 38 Ca 19936/09 – aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe nebst Beiordnung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

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Die Klägerin und Beschwerdeführerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die am 9. November 2009 beim Arbeitsgericht Berlin erhobene Bestandsschutzklage, mit der sie sich gegen die Beendigung des am 1. September 2009 begründeten Arbeitsverhältnisses aufgrund einer spätestens am 10. Oktober 2009 zugegangenen Kündigung vom 9. Oktober 2009 wendet. Zur Begründung ihrer Klage hat sie angeführt, die Kündigung sei gemäß § 623 BGB unwirksam, weil das ihr zugegangene Kündigungsschreiben nicht unterschrieben gewesen sei. Die Beklagte hat entgegnet, die Kündigung sei wirksam, weil die Klägerin noch keinen Kündigungsschutz genieße und die ihr per Boten in den Briefkasten geworfene Kündigungserklärung von dem Geschäftsführer handschriftlich unterzeichnet gewesen sei.

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Das Arbeitsgericht hat der Klägerin, die bislang nur eine Fotokopie der ihr angeblich zugegangenen Kündigungserklärung zur Akte gereicht hatte, zunächst eine Frist zur Vorlage des Originals bis zum 8. Januar 2010 gesetzt. Mit Beschluss vom 7. Januar 2010 hat es den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie auf Beiordnung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg und sei darüber hinaus mutwillig im Sinne von § 11a ArbGG, weil die Klägerin die Klagefrist nach § 4 KSchG versäumt habe. Zwar stelle § 4 KSchG auf den Zugang der „schriftlichen“ Kündigung ab, so dass für eine mündlich erklärte Kündigung keine Klagefrist laufe. Bei einer schriftlich verfassten Kündigung, bei der lediglich die Unterschrift fehle, gelte dies jedoch jedenfalls dann nicht, wenn die Kündigung persönlich übergeben oder wie hier durch Boten in den Briefkasten geworfen werde. Es bestehe dann kein Zweifel, dass der Arbeitgeber tatsächlich eine Kündigung habe erklären wollen.

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Gegen diesen, ihrem Prozessbevollmächtigten am 13. Januar 2010 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am Montag, dem 15. Februar 2010 bei dem Arbeitsgericht Berlin Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Klagefrist nach § 4 KSchG laufe auch bei einer durch Boten zugestellten schriftlich verfassten Kündigungserklärung nur dann, wenn diese unterschrieben sei. Im Übrigen stehe die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach die mangelnde Schriftform einer Kündigungserklärung auch nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG geltend gemacht werden könne, was eine Verneinung der Erfolgsaussicht der Klage im Rahmen der PKH-Bewilligung verbiete.

4

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde ohne Begründung nicht abgeholfen. Nach Aufforderung durch das Beschwerdegericht hat die Klägerin ein nicht unterschriebenes Kündigungsschreiben vorgelegt und hierzu erklärt, es handle sich um das Original des von ihr im Briefkasten vorgefundenen Schreibens (Blatt 39 der Hauptakte).

II.

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1. Die Beschwerde der Klägerin ist als sofortige Beschwerde gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft und gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, so dass gemäß § 572 ZPO durch das Landesarbeitsgericht zu entscheiden ist.

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2. Das Rechtsmittel ist in der Sache auch begründet. Die Klage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg.

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2.1. Vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zu prüfen, ob der Antragsteller seine Prozessaussichten so vernünftig wie ein nicht bedürftiger Anspruchsteller abwägt und das Kostenrisiko berücksichtigt. Dem dient das Erfordernis der hinreichenden Erfolgsaussicht, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, eine Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe an Stelle des Hauptsacheverfahrens darf nicht erfolgen (vgl. BVerfG vom 10. August 2001, 2 BvR 569/01, AP Nr. 10 zu Art 19 GG; vom 7. April 2000, 1 BvR 81/00, AP Nr. 12 zu § 114 ZPO, jew. m.w.Nw.). Denn das Prozesskostenhilfeverfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen (BVerfG vom 2. März 2000, 1 BvR 2224/98, NJW 2000, 2098). Daher darf die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu verlagern. Eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung liegt vor, wenn der von einem Kläger vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (BAG vom 26. Januar 2006, 9 AZA 11/05, NZA 2006, 1180; BGH vom 14. Dezember 1993, VI ZR 235/92, NJW 1994, 1160).

8

2.2. Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes hat die Klage hinreichende Erfolgsaussicht.

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2.2.1. Mit der vom Arbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Erfolgsaussicht nicht verneint werden. Die Klägerin hat zwar die Klagefrist nach § 4 KSchG, die auch bei Kündigungen innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses zur Anwendung kommt, versäumt. Sie stützt ihre Klage jedoch darauf, dass die ihr zugegangene (maschinen-) schriftlich verfasste Kündigungserklärung nicht unterschrieben war. Gemäß § 623 BGB bedarf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform, nach dem ausdrücklichen Wortlaut in § 4 Satz 1 KSchG gilt die Klagefrist nur für schriftliche Kündigungen. Mangelt es an der Schriftform, so kann der Arbeitnehmer die Nichtigkeit einer gemäß § 623 BGB formunwirksamen Kündigung daher auch außerhalb der 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG geltend machen. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes und entspricht im Übrigen höchstrichterlicher Rechtsprechung und ganz überwiegender Auffassung in der Literatur (vgl. nur BAG vom 28. Juni 2007, 6 AZR 873/06, NZA 2007, 972; Hergenröder in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2009, § 4 KSchG, Rdnr. 6; Kiel in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 10. Auflage 2010, § 4 KSchG, Rdnr. 6 und 8; alle jew. m.w.Nw.).

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Aus den gesetzlichen Regelungen ergibt sich weiterhin, dass eine formunwirksame Kündigung nicht nur bei mündlicher Erklärung vorliegt, sondern auch dann, wenn es einer schriftlich verfassten Erklärung an der Unterschrift mangelt. Die durch § 623 BGB vorgeschriebene Schriftform wird nach § 126 BGB dadurch erfüllt, dass die Urkunde eine eigenhändige Namensunterschrift oder ein notariell beglaubigtes Handzeichen trägt (vgl. nur BAG vom 24. Januar 2008, 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521; Kiel in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, a.a.O.; Rdnr. 8; Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, a.a.O., § 623 BGB Rdnr. 12). Selbst wenn das Arbeitsgericht eine hiervon abweichende Rechtsansicht vertreten möchte, so weicht es damit von der überwiegend vertretenen Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ab, was die Versagung von Prozesskostenhilfe verbietet. Es stellt eine mit Art. 3 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GG unvereinbare Überspannung der Anforderungen an das Vorliegen einer hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nach § 114 ZPO dar, wenn das Gericht – selbst bei Heranziehung schlüssiger Argumente und guter Begründung – in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur abweicht (so BVerfG vom 8. November 2004, 1 BvR 2095/04, NJW-RR 2005, 500). Selbst wenn das Arbeitsgericht die Auffassung vertreten sollte, es sei in der Rechtsprechung noch gar nicht entschieden, ob eine per Boten überbrachte Kündigungserklärung, die zwar (maschinen-) schriftlich verfasst ist, bei der jedoch die Unterschrift fehlt, innerhalb der Klagefrist des § 4 KSchG angegriffen werden muss, so würde es sich jedenfalls um eine noch nicht geklärte schwierige Rechtsfrage handeln, was die Versagung von Prozesskostenhilfe ebenfalls verbietet. Denn bisher nicht hinreichend geklärte, schwierige Tat- und Rechtsfragen dürfen im PKH-Verfahren nicht entschieden werden, sondern müssen einer Klärung im Hauptverfahren zugeführt werden können (BVerfG vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, NJW 2008, 1060 m.w.Nw.).

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2.2.2. Der Klage kann auch aus anderen Gründen die Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 ZPO nicht abgesprochen werden. Die Klägerin hat nach Aufforderung durch das Beschwerdegericht eine Urkunde eingereicht, von der sie behauptet, es handle sich um das Original der ihr zugegangenen Erklärung. Diese Urkunde trägt in Übereinstimmung mit ihrem Vortrag keine Unterschrift. Ob es sich bei dieser Urkunde um die ihr tatsächlich zugegangene Erklärung handelt oder ob ihr gemäß dem unter Beweis gestellten Vortrag des Beklagten eine unterschriebene Erklärung in den Briefkasten geworfen wurde, lässt sich nicht ohne weiteres klären. Gegebenenfalls wird dies durch Beweisaufnahme festzustellen sein. Kommt aber eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, so darf Prozesskostenhilfe nicht versagt werden (BVerfG vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, a.a.O. m.w.Nw.).

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Nachdem die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung klargestellt hat, dass den Anträgen zu 1.) und 2.) keine jeweils eigenständige Bedeutung zukommen, sondern es sich um eine Feststellungsklage handeln soll, bestehen gegen die Erfolgsaussicht der Klage insgesamt keine Bedenken. Dies gilt trotz der zwischenzeitlich ausgesprochenen Schriftsatzkündigung auch für den Klageantrag zu 3.), weil zum einen bei einer Schriftsatzkündigung Form- und Zugangsfragen zu klären sind und zum anderen nicht jede weitere ausgesprochene Kündigung dem Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung entgegensteht. Da hierzu bislang jeglicher Sachvortrag auf beiden Seiten fehlt, kann auch insoweit die Erfolgsaussicht nach dem dargelegten Maßstab nicht versagt werden.

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2.3. Kann somit nach dem im Prozesskostenhilfeverfahren anzulegenden Maßstab hinreichende Erfolgsaussicht nicht verneint werden, so war der Beschluss des Arbeitsgerichts aufzuheben. Das Beschwerdegericht hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache gemäß §§ 572 Abs. 3 ZPO, 78 ArbGG zur anderweitigen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen, damit dieses über die noch nicht geprüfte Bedürftigkeit der Klägerin gemäß § 115 ZPO und über die Person des oder der Beizuordnenden gemäß § 121 ZPO eine Entscheidung treffen kann, wobei ihr auch eine Rechtsanwaltssozietät beigeordnet werden könnte (vgl. BGH vom 17. September 2008, IV ZR 343/07, NJW 2009, 440).

III.

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Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG.

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