Amtsgericht München, Urteil vom 26.2.13 – 114 C 31118/12
Die Laubrente
Grundsätzlich kann ein Grundstücksbesitzer von seinem Nachbarn einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn von dessen Grundstück störende Einwirkungen ausgehen, die über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigen. Laub vom Nachbarn ist allerdings dann hinzunehmen, wenn die Bepflanzung mit Laubbäumen dem Charakter der Gegend entspricht.
Zwei Grundstückseigentümer gerieten 2010 in Streit. Grund war ein alter Lindenbaum mit großem Volumen, der auf dem Grundstück eines Ehepaares, ca. 10 bis 12 Meter entfernt von der Grundstücksgrenze ihrer Nachbarin, stand.
Mehrmals im Jahr, so beschwerte sich die Nachbarin, sei das Grundstück durch Blüten, Samen, Blätter und Äste vom Lindenbaum in einem Radius von mindestens 30 m bedeckt, im Herbst bilde sich aus Blättern eine mehr als 10 cm dicke Schicht. Vom Lindenbaum wehe fast alles auf ihr Grundstück. Dadurch seien nicht nur der gepflegte Rasen und der Gemüsegarten bedeckt, sondern auch die Regenrinnen verstopft. Zudem würden sich auf der Garagenzufahrt und vor dem Garagentor Laubhaufen bilden. Die Pflege des Gartens sei dadurch erheblich erschwert. Sie müsse die Regenrinnen mindestens 3-4 mal im Jahr reinigen und jährlich 10-15 80 l Tonnen an Laub entsorgen.
Für all diese Mühen sei es nur angemessen, wenn sie jährlich 500 Euro bekäme. Das käme nicht infrage, entgegnete das Ehepaar. Die Laubmengen, die entsorgt werden müssten, beträfen den gesamten Laubanfall auf dem Grundstück der Nachbarin und stammten keinesfalls überwiegend von ihrem Lindenbaum.
Die Klage kam Ende 2012 vor das Amtsgericht München. Die zuständige Richterin wies die Forderung nach einer „Laubrente“ für die Jahre 2010 bis 2012 jedoch ab:
Grundsätzlich könne zwar ein Grundstückseigentümer einen Ausgleich in Geld verlangen, wenn von dem Nachbargrundstück Einwirkungen ausgingen, die ortsüblich seien und die Benutzung wesentlich beeinträchtigen, die aber hinzunehmen seien, da sie mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen nicht verhindert werden könnten. Das Abfallen von Lindenlaub und Lindenblüten auf ein Nachbargrundstück könne eine solche Einwirkung sein.
Für die Beurteilung der Beeinträchtigung als wesentlich oder unwesentlich sei maßgebend, in welchem Ausmaß die Benutzung nach der tatsächlichen Zweckbestimmung des Grundstücks gestört werde. Maßstab sei dabei das Empfinden eines verständigen Durchschnittsbenutzers. Für ein Wohngrundstück sei maßgeblich, ob das Wohnen an Annehmlichkeiten verliere und der Grundstückswert dadurch gemindert werde. Vorliegend sei das Grundstück im Frühjahr mit Blüten und im Herbst mit Laub des Lindenbaums bedeckt, es handele sich daher um jahreszeitlich bedingte und beschränkte Einwirkungen. Ein durchschnittlich empfindender und denkender Anwohner ohne besondere Empfindlichkeit würde die geschilderten Beeinträchtigungen ohne Entschädigungsverlangen hinnehmen.
Diese Beeinträchtigungen seien auch hinzunehmen, da sie auf eine ortsübliche Benutzung des Grundstücks zurückzuführen seien und durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen nicht verhindert werden könnten. Maßgebend sei dabei das Gepräge, das sich aus der Betrachtung des aktuellen, tatsächlichen Zustands der Mehrheit der Grundstücke der betreffenden Wohngegend ergebe. Danach liege bei Laubfall von einem Nachbargrundstück eine ortsübliche Einwirkung vor, sofern eine solche Bepflanzung von Gartengrundstücken dem Charakter der Gegend entspreche. Dabei sei die Frage der Ortsüblichkeit nicht an der einzelnen Art des Laubbaumes zu orientieren. In einer stark durchgrünten Wohngegend, wo auf nahezu allen Grundstücken Laubbäume unterschiedlicher Art stünden, werde der Charakter des Gebiets durch die Baumbepflanzung schlechthin geprägt. Vorliegend handele es sich um eine solche durchgrünte Wohngegend. Die Mehrheit der Grundstücke sei stark mit Bäumen unterschiedlicher Art bepflanzt, wobei auch andere Lindenbäume vorhanden seien.
Das Ehepaar könne die von dem Lindenbaum ausgehenden Einwirkungen auch nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindern.
Die Einwirkungen beeinträchtigten die Benutzung des Grundstücks der Klägerin entgegen ihrer Ansicht auch nicht über das zumutbare Maß hinaus. Auch hinsichtlich der Unzumutbarkeit sei auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsbenutzers, nicht des konkreten Benutzers des betroffenen Grundstücks, abzustellen. Die Klägerin trage vor, sie müsse die Regenrinnen mindestens 3-4-mal im Jahr reinigen und jährlich 10-15 80 l Tonnen an Laub entsorgen. Dieser vorgetragene Reinigungsaufwand sei hinzunehmen. Die benachbarten Grundstücke befänden sich in einem seit vielen Jahren gewachsenen Wohngebiet mit hohem Baumbestand. Infolgedessen sei das Grundstück der Klägerin wie auch die Mehrheit der Vergleichsgrundstücke dem Abfallen von Laub, Blüten und Ästen der fremden und eigenen Bäume ausgesetzt. Deshalb müsse die Klägerin, ebenso wie auch andere Grundstücksnutzer in der Gegend, regelmäßig Reinigungsarbeiten vornehmen, wozu auch die Reinigung von Regenrinnen und Beseiti-gung von Laub gehöre, auch wenn es Zeit und Geld koste. Das Alter und das eigene Vermögen des Grundstücksbenutzers spiele dabei keine Rolle. Die Klägerin genieße das Wohnen im Grünen als Lagevorteil, daher müsse sie den damit verbundenen Nachteil der erhöhten Grundstücksverschmutzung durch pflanzliche Bestandteile in Kauf nehmen. Auch das gewachsene Umweltbewusstsein in weiten Kreisen der Bevölkerung, welches das Anpflanzen und Halten von Bäumen auch in Wohngebieten als erstrebenswert ansehe, spreche gegen eine Beeinträchtigung der Klägerin in der ortsüblichen Benutzung ihres Grundstücks über das zumutbare Maß hinaus.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Quelle: Pressemitteilung 44/13 des AG München vom 14. Oktober 2013