Keine Entlastungsmöglichkeit eines Idealvereins bezüglich der Tierhalterhaftung

BGH, Urteil vom 21.12.2010 – VI ZR 312/09

Einem Idealverein, der sich im Rahmen seiner satzungsmäßigen Aufgaben der Reittherapie von Behinderten widmet, steht grundsätzlich die Entlastungsmöglichkeit nach § 833 Satz 2 BGB nicht zu.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor:

Die Revision des Beklagten zu 2 gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 22. September 2009 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt Schadensersatz (Schmerzensgeld und Feststellung) wegen eines Reitunfalls, bei dem sie sich durch einen Sturz von dem Pferd „Ronny“ eine Lendenwirbelfraktur zuzog. Halter des Pferdes ist der Beklagte zu 2, ein eingetragener Verein für Reittherapie von Behinderten. Der Beklagte zu 1 erteilte der Klägerin, die an einer Behinderung leidet, und deren Tochter G. in der Halle eine Reitstunde, in deren Verlauf G. auf dem Pferd „Princess“, dessen Halter der Beklagte zu 1 ist, in der Halle vorausritt. Die genaue Entwicklung des Reitunfalls ist zwischen den Parteien streitig. Während die Klägerin behauptet hat, „Princess“ sei unerwartet stehen geblieben und habe gegen den auflaufenden „Ronny“ mit der Hinterhand ausgekeilt, worauf dieser durchgegangen sei, haben die Beklagten behauptet, die Klägerin habe durch hysterische Zurufe an ihre Tochter „Ronny“ zum Galopp veranlasst. Erst als sie mit „Ronny“ im Galopp „Princess“ in zu geringem Abstand überholt habe, habe diese „den Schweif gedreht“, aber nicht ausgeschlagen.

2
Das Landgericht hat der Klage gegen den Beklagten zu 1 stattgegeben, die gegen den Beklagten zu 2 gerichtete Klage jedoch abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht – unter Zurückweisung der Berufung des Beklagten zu 1 – das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und der Klage auch gegen den Beklagten zu 2 stattgegeben. Es hat die Revision für den Beklagten zu 2 zugelassen, weil die Rechtssache mit der Frage der Entlastungsmöglichkeit des § 833 Satz 2 BGB für einen Idealverein, der seine Pferde – ohne Gewinnerzielungsabsicht – zur Verfolgung seiner als gemeinnützig anerkannten, satzungsmäßigen Zwecke halte, grundsätzliche Bedeutung habe und es hierzu unterschiedliche Auffassungen in der obergerichtlichen Rechtsprechung gebe.

Entscheidungsgründe

I.

3
Das Berufungsgericht führt aus, eine Verletzung der Klägerin durch das Pferd „Ronny“ des Beklagten zu 2 liege vor, da die Klägerin unstreitig von „Ronny“ gestürzt sei, weil dieser aufgrund eines unberechenbaren, selbständigen Tierverhaltens aus dem Galopp heraus zumindest abrupt stehen geblieben, wenn nicht sogar hinten hoch gegangen sei und gebuckelt habe. Eine Entlastungsmöglichkeit gemäß § 833 Satz 2 BGB bestehe entgegen der Auffassung des Landgerichts auch für den Beklagten zu 2 nicht. Das Landgericht habe sie in Anlehnung an ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt (VersR 1995, 1362) angenommen, weil der Beklagte zu 2 „Ronny“ zu seinem „Beruf“, nämlich zur Verfolgung seines satzungsgemäßen Zwecks, therapeutisches Reiten anzubieten, eingesetzt habe. Dem könne im Ergebnis nicht gefolgt werden. Zwar sei es zutreffend, dass bei einer juristischen Person als Tierhalter grundsätzlich an die Stelle des Berufes die Aufgaben träten, die für die juristische Person durch ihre Zweckbestimmung gegeben seien. Um die Voraussetzungen des § 833 Satz 2 BGB zu erfüllen, müsse jedoch die hauptsächliche Zweckbestimmung dem Erwerb dienen. Dies sei bei einem Idealverein, der Reitpferde zur Förderung der sportlichen Zwecke seiner Mitglieder halte, nicht der Fall. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 833 Satz 1 BGB sei auch nicht durch ein Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB gemindert. Insbesondere sei der Klägerin in diesem Zusammenhang nicht anzulasten, dass sie sich trotz ihrer Vorschädigung, die sie im Gebrauch beider Beine beeinträchtige, was einen stets ausreichenden Schenkeldruck in Frage stelle, dem Risiko des Reitunterrichts ausgesetzt habe. Im Rahmen eines therapeutischen Reitens in Kenntnis ihrer Behinderung habe die Klägerin erwarten dürfen, dass es unter entsprechender Rücksichtnahme darauf durchgeführt werde. Wenn sie gleichwohl mit dem insoweit bestehenden Risiko hätte belastet bleiben sollen, hätte es der Vereinbarung eines ausdrücklichen Haftungsausschlusses zwischen den Beteiligten bedurft.

II.

4
Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision des Beklagten zu 2 hat keinen Erfolg.

1.

Das Berufungsgericht hat die Revision für den Beklagten zu 2 unbeschränkt zugelassen. Dies ergibt sich aus dem Tenor des angefochtenen Urteils. Aus den Entscheidungsgründen lässt sich eine Beschränkung der Revision nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnehmen (vgl. Senatsurteil vom 17. November 2009 – VI ZR 58/08, VersR 2010, 270 Rn. 7 mwN).

5
2.

Entgegen der Auffassung der Revision durfte das Berufungsgericht jedoch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass sich bei dem Reitunfall der Klägerin die typische Tiergefahr des von der Beklagten zu 2 gehaltenen Pferdes „Ronny“ verwirklicht hat und die Klägerin dadurch vom Pferd gestürzt ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Sturz dadurch verursacht worden, dass „Ronny“ aus dem Galopp heraus zumindest abrupt stehen geblieben ist, wenn nicht sogar gebuckelt hat. Die hiergegen gerichteten Verfahrensrügen der Revision haben – worauf die Revisionserwiderung mit Recht hinweist – bereits deshalb keinen Erfolg, weil das Berufungsgericht zumindest die Tatsache, dass das Pferd „Ronny“ aus dem Galopp abrupt stehen geblieben ist, in seinem Urteil ausdrücklich als unstreitig bezeichnet hat. Damit nimmt diese Feststellung an der Tatbestandswirkung des § 314 ZPO teil (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 – III ZR 277/09, […] Rn. 3 mwN). Die entsprechende tatbestandliche Feststellung erbringt somit Beweis für ein insoweit übereinstimmendes Parteivorbringen, nachdem ein Tatbestandsberichtigungsantrag gemäß § 320 Abs. 1 ZPO nicht gestellt worden ist. Die entsprechende tatbestandliche Feststellung des Berufungsgerichts ist auch nicht durch das Sitzungsprotokoll entkräftet (§ 314 Satz 2 ZPO). Der Vorrang des Protokolls erstreckt sich nur auf diejenigen Punkte, die gesetzlich in das dem Urteil zugrunde liegende Protokoll aufzunehmen sind; dazu gehören nicht Einzelheiten des streitigen Verhandelns. Deshalb kann aus der Tatsache, dass das Protokoll zu dem im Urteil als unstreitig bezeichneten Vorbringen schweigt, entgegen der Auffassung der Revision kein Beweis für das Gegenteil hergeleitet werden. Im Übrigen erstreckt sich die mündliche Verhandlung im Zweifel auf den gesamten bis zum Termin angefallenen Akteninhalt (vgl. Senatsurteil vom 27. Mai 1986 – VI ZR 275/85, VersR 1986, 1077, 1078; BGH, Urteil vom 29. April 1981 – VIII ZR 157/80, MDR 1981, 1012).

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Darüber hinaus weist die Revisionserwiderung zutreffend darauf hin, dass der Beklagte zu 1 ausdrücklich eingeräumt hat, dass „Ronny“ abrupt stehen geblieben und die Klägerin sodann hinuntergefallen sei. Ob eine Haftung des Beklagten zu 2 darüber hinaus auch unter dem Aspekt begründet wäre, dass das Pferd „Ronny“ zusätzlich gebuckelt hat, konnte das Berufungsgericht mit Recht dahinstehen lassen.

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3.

Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu 2 auch ohne Rechtsfehler eine Entlastungsmöglichkeit über das sogenannte Nutztierprivileg im Sinne des § 833 Satz 2 BGB versagt. Das Berufungsurteil steht insoweit im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsurteile vom 27. Mai 1986 – VI ZR 275/85, VersR 1986, 1077, 1078 f. und vom 26. November 1985 – VI ZR 9/85, VersR 1986, 354, 356 jeweils mwN).

8
Das Gesetz räumt nach § 833 Satz 2 BGB dem Tierhalter die Möglichkeit, sich von der Gefährdungshaftung des § 833 Satz 1 BGB zu entlasten, nur dann ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht worden ist, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist. Dabei ist auf die allgemeine Zweckbestimmung abzustellen, die dem Tier von seinem Halter gegeben worden ist (vgl. Senatsurteile vom 27. Mai 1986 – VI ZR 275/85, aaO; vom 26. November 1985 – VI ZR 9/85, aaO und vom 15. Dezember 1970 – VI ZR 121/69, VersR 1971, 320 – insoweit in BGHZ 55, 96, 97 nicht mit abgedruckt). Daher zählen die von einem nicht wirtschaftlichen Verein (§ 21 BGB) zur Erfüllung seiner satzungsgemäßen Aufgaben zur Reittherapie von Behinderten gehaltenen Pferde ebenso wie die eines nicht wirtschaftlichen allgemeinen Reitsportvereins nach der vorgenannten Rechtsprechung nicht zu den sogenannten „Nutztieren“ im Sinne des § 833 Satz 2 BGB. Dies gilt selbst dann, wenn die Tiere nicht ausschließlich dem vorgenannten Zweck dienen, sondern nebenbei in geringem Umfang auch zu einer Erwerbstätigkeit des Vereins verwendet werden. Einem Reitverein – auch wenn er sich wie hier der Reittherapie von Behinderten widmet – stünde deshalb die Entlastungsmöglichkeit nach § 833 Satz 2 BGB nur dann zu, wenn er seine Reitpferde überwiegend oder jedenfalls in einem so erheblichen Umfang wie ein wirtschaftliches Unternehmen zu Erwerbszwecken nutzt. Dann stünden allerdings die tatsächlichen Gegebenheiten mit der satzungsmäßig ideellen Zweckbestimmung des Vereins nicht mehr in Einklang (vgl. Senatsurteil vom 26. November 1985 – VI ZR 9/85, aaO). Sachvortrag, dass es sich so verhielte, zeigt die Revision nicht auf.

9
4.

Schließlich ist es – entgegen der Auffassung der Revision – revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht der Klägerin kein Mitverschulden anlastet, weil diese trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigung überhaupt Reitstunden genommen hat. Das Berufungsgericht hat diesen Umstand, den die Revision unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr (vgl. Senatsurteil vom 17. März 2009 – VI ZR 166/08, VersR 2009, 693 Rn. 7 ff. mwN) berücksichtigt sehen will, nicht etwa – wie die Revision rügt – übersehen, sondern im Rahmen der Prüfung eines Mitverschuldens im Sinne des § 254 BGB hinreichend gewürdigt. Es hat ihm jedoch ohne Rechtsfehler deshalb keine Bedeutung beigemessen, weil sich der Beklagte zu 2 – ebenso wie der Beklagte zu 1 – gerade nach seinem Vereinszweck der Reittherapie von Behinderten widmet und vor dem Reitunterricht die Behinderung der Klägerin bekannt war. Insoweit lässt sich der Streitfall nicht mit den Fällen vergleichen, in denen der erkennende Senat ein Handeln auf eigene Gefahr unter dem Blickpunkt angenommen hat, dass sich der Verletzte freiwillig in eine besondere Gefahr begeben hat (vgl. Senatsurteil vom 13. November 1973 – VI ZR 152/72, VersR 1974, 356 mwN). Vielmehr konnte die Klägerin unter den besonderen Umständen des Streitfalls damit rechnen, dass die Reitausbildung bei dem Beklagten zu 2 ihrer Behinderung Rechnung trug.

10
Im Übrigen steht im Streitfall auch nicht fest, dass sich die körperliche Beeinträchtigung der Klägerin beim Sturz vom Pferd überhaupt mitursächlich ausgewirkt hat. Dies geht im Rahmen des § 254 BGB nach allgemeinen Grundsätzen zu Lasten des hierfür beweispflichtigen Beklagten zu 2. Ein diesbezüglicher Anscheinsbeweis besteht nicht. Auch ein Reitschüler im Anfängerstadium ohne körperliche Behinderungen kann vom Pferd fallen, wenn dieses aus dem Galopp heraus abrupt stehen bleib

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