KG, Beschluss vom 15. März 2012 – (4) 121 Ss 113/12 (149/12)
Der Inhaber einer Monatskarte für die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels, der die Karte entgegen den Beförderungsbedingungen nicht bei sich führt, erfüllt jedenfalls dann nicht den Tatbestand des § 265a StGB, wenn es sich um eine personengebundene, nicht übertragbare Karte handelt.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil desAmtsgerichts Tiergarten in Berlin – Jugendschöffengericht -vom 14. November 2011 aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen desAngeklagten trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten des Erschleichens von Leistungen nach § 265a StGB schuldig gesprochen und ihn angewiesen, 20 Stunden Freizeitarbeiten abzuleisten. Nach den Urteilsfeststellungen benutzte der Angeklagte am 5. April 2011 die U-Bahn der Linie 7 im Bereich des Bahnhofs B. ohne einen gültigen Fahrausweis, um das Fahrgeld nicht zu entrichten. Der vom Jugendschöffengericht für glaubhaft erachteten Einlassung des Angeklagten zufolge hatte dieser zwar eine Schülermonatskarte für den Monat April 2011, diese aber verloren, was ihm auf dem Weg zur U-Bahn aufgefallen war.
Die hiergegen gerichtete (Sprung-)Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt und lediglich die Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung begehrt, hat Erfolg.
1. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat unter Bezugnahme auf die obergerichtliche Rechtsprechung zutreffend darauf hingewiesen,dass die vom Jugendschöffengericht getroffenen Feststellungen den Schuldspruch nicht tragen und der Angeklagte freizusprechen ist.Sie hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:
„Die Strafbarkeit nach § 265a StGB setzt einen Vermögensschaden voraus, der darin liegt, dass der Täter die Leistung eines Transportunternehmens in Anspruch nimmt, ohne diese bezahlt zu haben. Wenn es ein Verkehrsbetrieb einem Kunden ermöglicht, nach Bezahlen einer Monatskarte innerhalb eines zeitlichen und räumlichen Geltungsbereichs beliebige Fahrten zu unternehmen, erleidet er nicht dadurch einen Vermögensschaden, dass der Fahrgast, der die Karte zuvor tatsächlich bezahlt hat, sie bei einer Kontrolle lediglich nicht bei sich führt (vgl. KG, Beschlussvom 16. Juli 2008 – 3 Ws 201/08 -). Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der (…) (Angeklagte) die Mitnahme der Karte vergessen oder sie (…) verloren hat. Soweit derAngeklagte in der Absicht handelte, das Fahrgeld nicht zu entrichten (…), handelt(e) es sich um ein Wahndelikt (vgl.KG aaO.)“.
Diese Ansicht, wonach bereits der objektive Tatbestand des Erschleichens von Leistungen nicht erfüllt ist, entspricht der herrschenden Meinung (vgl. OLG Koblenz NJW 2000, 86; BayObLG NJW1986, 1504; Fischer, StGB 59. Aufl., § 265a Rn. 9, jeweils m.w.N.) und trifft jedenfalls für den hier gegebenen Fall zu, dass es sich bei dem Dauerfahrausweis um eine nicht übertragbare, also personengebundene Fahrkarte handelt. Ob anders zu entscheiden ist,wenn die Monatskarte übertragbar ist (dagegen OLG Koblenz aaO;dafür mit beachtlicher Argumentation Kudlich NStZ 2001, 90f.),braucht der Senat hier nicht zu entscheiden.
Soweit das Jugendschöffengericht darauf abgestellt hat, dass infolge Verlustes und Untergangs der Karte als Inhaberpapier im Sinne des § 807 BGB der Inhaber des Papiers „keine Leistung mehr einfordern“ könne, hat es unzulässig die zivilrechtliche Seite mit der Frage der Strafbewehrung vermengt. Es hat übersehen, dass die vertragliche Verpflichtung, die Entgeltzahlung zu beweisen, also den Fahrausweis vorzuweisen, durch § 265a StGB nicht sanktioniert ist. Ein Verstoß gegen die Beförderungsbedingungen ist von der Strafbarkeit nach § 265a StGB zu unterscheiden. Sinn der Pflicht zum Beisichführen des Fahrausweises ist die Beweiserleichterung, die darin liegt, dass nicht der Verkehrsbetrieb die Nichtzahlung, sondern der Fahrgast durch Mitführen des Fahrscheins die Zahlung des Entgelts nachzuweisen hat. Ist das Entgelt tatsächlich bezahlt worden, kann die bloße Nichteinhaltung einer derartigen Regelung eine Vermögensstraftat nicht begründen (vgl. OLG Koblenz und BayObLG, jeweils aaO).
2. Das angefochtene Urteil war hiernach aufzuheben (§ 349 Abs. 4StPO). Da der Senat ausschließt, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die einen Schuldspruch rechtfertigen, hat er gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst entschieden und den Angeklagten freigesprochen.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.