BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 418/10
Weist der Arbeitgeber in einem Personalgespräch den Arbeitnehmer – zutreffend – darauf hin, dass das Unternehmen wirtschaftlich „tot“ sei, und unterzeichnet der Arbeitnehmer daraufhin eine vorbereitete Eigenkündigung, so liegt der Unterzeichnung keine Drohung zugrunde (Rn. 15).
§ 242 BGB vermag einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Privatautonomie, wie ihn die Gewährung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Widerrufsrechts darstellen würde, nicht zu begründen. Es besteht auch von Verfassungs wegen keine Notwendigkeit, dem Arbeitnehmer über den vom Gesetzgeber in den §§ 312 ff. BGB vorgesehenen Anwendungsbereich hinaus ein solches Recht durch richterliche Rechtsfortbildung zu verschaffen (Rn. 17).
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 30. Juni 2010 – 2 Sa 12/10 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und in diesem Zusammenhang über die vom Kläger erklärte Anfechtung seiner außerordentlichen Eigenkündigung.
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Der Kläger trat 1991 in die Dienste der Beklagten und erzielte zuletzt ein Monatseinkommen von 2.215,65 Euro brutto bei einem Bruttostundenlohn von 12,25 Euro.
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Die Beklagte ist im Gerüstbau tätig. Ihr Hauptauftraggeber war eine Werft in W. Anfang Juni 2009 stellte die Werft einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Beklagte hatte keine Beschäftigung für ihre Arbeitnehmer und beantragte Kurzarbeit. Im Juli 2009 wandte sich eine Gerüstbaufirma aus S an die Beklagte und bekundete Interesse, mit bis zu 20 erfahrenen Gerüstbauern neue Arbeitsverhältnisse einzugehen.
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Am 14. und 15. Juli 2009 führten die Beklagte und das betreffende Unternehmen Gespräche mit insgesamt 23 Arbeitnehmern, darunter dem Kläger. Die Unterredungen hatten das Ziel, die jeweiligen Arbeitsverhältnisse mit der Beklagten zu beenden und neue Arbeitsverhältnisse mit dem interessierten Unternehmen zu begründen. Dies wurde in 16 der 23 Fälle erreicht, die übrigen Arbeitnehmer lehnten das Angebot ab.
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Das Gespräch mit dem Kläger fand am 14. Juli 2009 statt. Für die Beklagte und für das andere Unternehmen waren jeweils zwei Personen anwesend. Dem Kläger wurden die Konsequenzen aus der Insolvenz der Werft und die Konditionen eines Arbeitsverhältnisses bei der potentiellen neuen Arbeitgeberin erläutert. Die Stundenvergütung bei dieser sollte 12,84 Euro betragen und damit um rund 60 Cent höher liegen als bei der Beklagten. Am Ende des Gesprächs unterzeichnete der Kläger zum einen den ihm vorgeschlagenen Arbeitsvertrag, der ab 20. Juli 2009 gelten sollte, und zum anderen eine von der Beklagten vorbereitete Eigenkündigung zum 19. Juli 2009.
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Durch Anwaltsschreiben vom 16. Juli 2009 focht der Kläger „eine etwaige Kündigung“ gegenüber der Beklagten an.
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Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe sich im Gespräch vom 14. Juli 2009 erheblich unter Druck gesetzt gefühlt. Er habe geäußert, dass auch seine Frau einverstanden sein müsse. Er sei von einem Betriebsübergang ausgegangen. Er sei angeschrien worden mit den Worten, er möge doch „rausschauen“, da seien die Holzwerke, da sei die Werft, alles sei „tot“. Damit sei ihm praktisch bedeutet worden, sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten werde gekündigt, wenn er sich den unterbreiteten Vorschlägen verschließe. Er sei wie geschockt und außer Stande gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen.
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Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch Aufhebung/Kündigung vom 14. Juli 2009 aufgelöst wurde, sondern über den 14. Juli 2009 hinaus fortbesteht.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat bestritten, dass dem Kläger mit einer Kündigung gedroht worden sei. Ihm sei lediglich die Lage erklärt worden. Er habe die Möglichkeit gehabt, bei ihr zu bleiben und abzuwarten. Andere Arbeitnehmer hätten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
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I. Die Klage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis hat aufgrund der außerordentlichen Eigenkündigung des Klägers vom 14. Juli 2009 mit dem 19. Juli 2009 sein Ende gefunden. Die vom Kläger erklärte Anfechtung ist nicht nach § 123 BGB berechtigt (1.). Der Kläger kann die Kündigung nicht als Haustürgeschäft widerrufen (2.). Die Kündigung ist nicht mangels Einräumung einer Bedenkzeit unwirksam (3.). Die Beklagte verletzt nicht Treu und Glauben oder handelt sittenwidrig, indem sie sich auf die Wirksamkeit der Kündigung beruft (4.). Auch soweit das Vorbringen des Klägers dahin zu verstehen ist, er mache die Unwirksamkeit der Kündigung wegen Fehlens eines sie rechtfertigenden wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB geltend, hat die Klage keinen Erfolg (5.).
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1. Die Kündigung ist vom Kläger nicht wirksam nach § 123 Abs. 1 BGB angefochten worden. Gemäß dieser Bestimmung kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt ist, die Erklärung mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB anfechten. Die maßgeblichen gesetzlichen Voraussetzungen liegen nicht vor.
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a) Eine Drohung iSd. § 123 Abs. 1 BGB setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Die Androhung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung beenden zu wollen, falls der Arbeitnehmer nicht bereit sei, das Arbeitsverhältnis selbst zu beenden, kann die Ankündigung eines zukünftigen empfindlichen Übels darstellen (vgl. für die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung, um eine Eigenkündigung zu erreichen: BAG 3. Juli 2003 – 2 AZR 327/02 – RzK I 9k Nr. 44; um einen Aufhebungsvertrag zu erreichen: BAG 28. November 2007 – 6 AZR 1108/06 – BAGE 125, 70).
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b) Im Streitfall ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dem Kläger sei nicht, schon gar nicht rechtswidrig gedroht worden, nicht zu beanstanden. Der Kläger hat es als Drohung ansehen wollen, dass ihm im Gespräch am 14. Juli 2009 gesagt worden ist, er möge doch aus dem Fenster schauen, alles sei „tot“. Indes lag darin nicht eine Drohung mit bestimmten konkreten arbeitsrechtlichen Schritten seitens der Beklagten, sondern lediglich der allgemeine und anschauliche Hinweis auf die damals desolate wirtschaftliche Lage in ihrem Umfeld. Gewiss sollte damit auch zum Ausdruck kommen, der Kläger müsse sich überlegen, ob er sich im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten noch eine gute Zukunft versprechen könne, oder nicht besser daran täte, das Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags anzunehmen. Diese Überlegung hat sich dem Kläger angesichts der damaligen wirtschaftlichen Lage aber ohnehin aufdrängen müssen. Dafür, dass eine Beendigung aus Sicht der Beklagten bereits konkret angestanden hätte, falls der Kläger keine außerordentliche Eigenkündigung erklären würde, bestehen keine Anhaltspunkte. Abgesehen davon könnte eine in der Äußerung etwa doch liegende Drohung allenfalls die Ankündigung einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung enthalten haben. Diese wäre schwerlich widerrechtlich gewesen. Dass die Beklagte angesichts der damals schwierigen wirtschaftlichen Lage eine ordentliche Kündigung in Erwägung ziehen durfte, liegt auf der Hand.
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2. Der Kläger hat seine außerordentliche Kündigung nicht wirksam nach § 312 Abs. 1, § 355 BGB widerrufen. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Für einseitige Erklärungen wie die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist ein gesetzliches Widerrufsrecht nicht vorgesehen. Abgesehen davon liegt kein Haustürgeschäft vor (BAG 27. November 2003 – 2 AZR 135/03 – BAGE 109, 22).
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3. Der Kläger vermochte seine Kündigung – unter Berufung auf § 242 BGB – auch nicht etwa deshalb zu widerrufen, weil die Beklagte ihm vor Unterzeichnung der Kündigung keine Bedenkzeit eingeräumt hatte. § 242 BGB vermag einen derart schwerwiegenden Eingriff in die Privatautonomie, wie ihn die Gewährung eines gesetzlich nicht vorgesehenen Widerrufsrechts darstellen würde, nicht zu begründen (BAG 14. Februar 1996 – 2 AZR 234/95 – EzA BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 21; 30. September 1993 – 2 AZR 268/93 – zu II 8 e der Gründe, BAGE 74, 281). Dies gilt umso mehr, als hierdurch die gesetzlichen Neuregelungen zum Widerrufsrecht konterkariert würden. Es besteht auch von Verfassungs wegen keine Notwendigkeit, dem Arbeitnehmer über den vom Gesetzgeber in den §§ 312 ff. BGB vorgesehenen Anwendungsbereich hinaus ein solches Recht durch richterliche Rechtsfortbildung zu verschaffen (BAG 27. November 2003 – 2 AZR 135/03 – Rn. 55, 56, BAGE 109, 22). Überdies ist der Kläger von der Beklagten nicht „überrumpelt“ worden. Dies würde voraussetzen, dass die Beklagte einen tatsächlich vorhandenen oder sicher zu vermutenden Widerstand des Klägers gegen ihr Angebot hat brechen wollen. Die Beklagte musste aber mit einem solchen Widerstand nicht rechnen. Sie konnte durchaus der Auffassung sein, dem Kläger zu beiderseitigem Vorteil und auf achtbare Weise einen Weg zu einer besseren Beschäftigung aufgezeigt zu haben, als sie selbst sie zu bieten in der Lage war.
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4. Die Eigenkündigung des Klägers ist nicht aus anderen Gründen unbeachtlich. Die Beklagte handelt weder treuwidrig (§ 242 BGB) noch sittenwidrig (§ 138 BGB), wenn sie sich auf deren Wirksamkeit beruft. Der Kläger befand sich weder in einer seelischen Zwangslage noch wurde er sonst in unzulässiger Weise in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien war aus damaliger Sicht aus wirtschaftlichen Gründen objektiv gefährdet. Der Kläger musste jedenfalls mit Einkommenseinbußen rechnen. Immerhin hatte die Beklagte die Genehmigung von Kurzarbeit beantragt. Wenn sie dem Kläger in dieser Lage die Beschäftigung bei einem nicht gefährdeten Arbeitgeber zu einem höheren Lohn als dem bisherigen nahezubringen versuchte, so lag darin – auch angesichts der mit einem Wechsel des Beschäftigungsorts üblicherweise verbundenen Erschwernisse – kein für den Kläger nachteiliges Angebot. Dieser konnte sich auch nicht zu dessen Annahme gezwungen fühlen. Wie etwa ein Drittel der betroffenen Arbeitnehmer hätte auch er es ablehnen können.
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5. Das Arbeitsverhältnis besteht nicht deshalb – zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – fort, weil die Kündigung nicht durch einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt wäre.
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Das Landesarbeitsgericht hat die Frage, ob die ohne Einhaltung der maßgeblichen Frist ausgesprochene Kündigung durch einen wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt ist, nicht geprüft. Ob darin ein Rechtsfehler liegen könnte, braucht der Senat nicht zu entscheiden (vgl. dazu 3. Juli 2003 – 2 AZR 327/02 – RzK I 9k Nr. 44). Es kann dahinstehen, ob für die Kündigung ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Dem Kläger ist es nach § 242 BGB verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 14. Juli 2009 zu berufen. Das Geltendmachen der Unwirksamkeit einer schriftlich erklärten fristlosen Eigenkündigung durch den Arbeitnehmer selbst ist regelmäßig treuwidrig (vgl. dazu mit ausführlicher Begründung BAG 12. März 2009 – 2 AZR 894/07 – BAGE 130, 14). Anhaltspunkte dafür, dass die – schriftliche – Kündigung im Streitfall nicht ernst gemeint war, sind nicht ersichtlich. Der Kläger ist zu ihrem Ausspruch auch nicht in rechtlich zu beanstandender Weise veranlasst worden.
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II. Die Kosten der Revision fallen nach § 97 Abs. 1 ZPO dem Kläger zur Last.