Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27.07.2011 – 13 Sa 15/11
1. Weder Urlaubsentgelt noch zusätzliches Urlaubsgeld können Gegenstand eines durch Arbeitsunfähigkeit entstandenen Verdienstausfalls eines Arbeitnehmers im Sinne von § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG sein. Vielmehr besteht der diesbezügliche Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber unabhängig vom Vorliegen oder Nichtvorliegen von Arbeitsunfähigkeit. Daher können in Bezug auf Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld auch keine Schadensersatzansprüche des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers gegen den Schädiger auf den Arbeitgeber übergehen.
2. Das Gleiche gilt für andere Ansprüche des geschädigten Arbeitnehmers, wie Erfolgsbeteiligungen oder Sonderzuwendungen (Weihnachtsgeld), die an ihn unabhängig vom Vorliegen oder Nichtvorliegen von Arbeitsunfähigkeit gezahlt werden.
(Leitsätze des Gerichts)
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 29.09.2010 (6 Ca 153/10) wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 29.09.2010 (6 Ca 153/10) wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten der Berufung trägt die Klägerin 12/19 und die Beklagte 7/19.
4. Für die Klägerin wird die Revision zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Ansprüche auf Erstattung von Entgeltfortzahlungskosten gemäß § 6 EntgeltfortzahlungsG wegen eines Verkehrsunfalls eines ihrer Arbeitnehmer geltend, der von einem anderen ihrer Arbeitnehmer verursacht wurde.
2
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen des Automobilbaus und beschäftigt am Standort N. unter anderem die Arbeitnehmer H. und D.. Das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer H. besteht seit 01.12.1982. Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen, bei dem der Pkw Seat Arosa …-… … des Arbeitnehmers D. haftpflichtversichert ist.
3
Die Klägerin stellt ihren Arbeitnehmern um das weitläufige Werksgelände herum Parkplätze zur Verfügung. Die Parkplätze befinden sich entweder auf eigenen oder auf angemieteten Flächen. Die Arbeitnehmer parken teilweise auch auf öffentlichen Straßen in der Umgebung des Werks. Der Parkplatz Nr. 4, auf dem sich der streitgegenständliche Unfall ereignete, ist nicht durch eine Pforte, eine Schranke, einen Zaun oder Ähnliches von der öffentlichen Zufahrtsstraße abgetrennt. Er ist für jedermann frei zugänglich. Eine Nutzungskontrolle findet nicht statt. Durch Beschilderung wird darauf hingewiesen, dass auf dem Parkplatz die StVO gilt.
4
Das Werksgelände der Klägerin wiederum ist durch einen Zaun und eine Pforte vom öffentlichen Bereich – auch vom Parkplatz Nr. 4 – abgetrennt. Die Klägerin hat bei Parkplatz Nr. 4 in den Zaun zum Werksgelände ein mannshohes Drehkreuz eingebaut, durch welches die Werksangehörigen unter Benutzung eines Werksausweises das Werksgelände betreten und verlassen können, ohne die nächste Pforte aufsuchen zu müssen. Das Drehkreuz ist mit einem elektronischen Ausweisleser ausgestattet. Die Freischaltung des Drehkreuzes erfolgt mit dem Werksausweis.
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Am 20.03.2009 ereignete sich gegen 05:47 Uhr auf dem Parkplatz Nr. 4 ein Unfall. Der Arbeitnehmer D. befuhr mit seinem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw auf dem Parkplatz die Durchfahrtstraße Parkplatz 6. Aufgrund beschlagener und vereister Windschutzscheibe und dadurch bedingter Sichtbeeinträchtigung wollte der Arbeitnehmer D. seitlich der Fahrbahnstraße anhalten. Hierbei übersah er den Arbeitnehmer H., der zu Fuß unterwegs war, und fuhr diesen an. Der Arbeitnehmer H. wurde durch die Kollision schwer verletzt und war unfallbedingt vom 20.03.2009 bis 29.11.2009 durchgehend arbeitsunfähig krank. Die Klägerin leistete an den Arbeitnehmer H. im Zeitraum 20.03.2009 bis 30.04.2009 Entgeltfortzahlung.
6
Die Klägerin verlangte von der Beklagten mehrfach erfolglos Ersatz der von ihr an den Arbeitnehmer H. im Krankheitszeitraum vom 20.03.2009 bis 29.11.2009 geleisteten Zahlungen, zuletzt mit Schreiben vom 11.03.2010 (vgl. Anlage K6, Akten 1. Instanz Bl. 11; I/11), wobei unter anderem auch Ansprüche betreffend eine „Mitarbeitererfolgsbeteiligung / Sonderzuwendung (anteilig)“ und „Urlaubsentgelt einschl. 50% (anteilig)“ darin enthalten sind. Die Beklagte lehnte eine Zahlung unter Bezugnahme auf das Haftungsprivileg nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ab. Mit ihrer am 14.06.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 18.06.2010 zugestellten Klage verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
7
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit vom 20.03.2009 bis 30.04.2009 sei sie dem Arbeitnehmer H. nach §§ 2, 4 EntgeltfortzahlungsG verpflichtet gewesen, Entgeltfortzahlung zu leisten. Der hierbei geleistete Betrag von EUR 22.428,33 setze sich wie folgt zusammen:
8
Fortzahlung von Entgelt | EUR 5.890,10 |
Mitarbeitererfolgsbeteiligung/ Sonderzuwendung (anteilig) |
EUR 6.864,60 |
Urlaubsentgelt einschließlich 50% (anteilig) | EUR 7.326,15 |
Arbeitgeberanteile | EUR 1.283,81 |
Firmenanteil zur Altersversorgung | EUR 1.037,09 |
Vermögenswirksame Leistungen | EUR 26,58 |
9
In diesem Zusammenhang nimmt die Klägerin Bezug auf eine von ihr gefertigte Aufstellung vom 20.02.2010 (vgl. Anlage K4; I/8). Dabei werde für die Vergütungsbestandteile Mitarbeitererfolgsbeteiligung, Sonderzuwendung, Urlaubsentgelt und zusätzliches Urlaubsgeld ein Tagessatz ermittelt und mit der Zahl der Kalendertage der Krankheit im Zeitraum 20.03.2009 bis 29.11.2009 multipliziert. Der Anspruch ergebe sich aus § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG iVm § 823 Abs. 1 BGB, § 3 Nr. 1 PflVG. Der Anspruch sei nicht nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen. Der Arbeitnehmer D. habe nicht vorsätzlich gehandelt. Der Arbeitnehmer H. habe sich nicht auf einem Betriebsweg, sondern auf dem Heimweg iSv § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII befunden, zumal sich der Parkplatz außerhalb des streng abgegrenzten Werksgeländes befinde. Die betriebliche Tätigkeit beginne und ende mit Durchschreiten oder Durchfahren des Werkstores.
10
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt:
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Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 22.428,33 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.11.2009 zu bezahlen.
12
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
14
Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, eine Haftung sei nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen. Sinn und Zweck des Haftungsprivilegs sei, auch diejenigen Fälle zu erfassen, in denen der Versicherte den Gefahrenbereich, in dem er durch die Zugehörigkeit zu seinem Betrieb betroffen ist, verlasse und sich als normaler Verkehrsteilnehmer in den Verkehrsbereich des allgemeinen Verkehrs begebe. Es sei nicht maßgeblich, wo sich der Unfall ereignet habe, sondern inwieweit er mit dem Betrieb oder der Berufstätigkeit des Versicherten zusammenhänge. Ein solcher innerer Zusammenhang bestehe hier, da Geschädigter und Schädiger nach Ende der gemeinsamen Schicht unmittelbar vorher den Betrieb verlassen und sich noch auf dem angrenzenden Parkplatz befunden hätten. Die Klägerin habe – und sei es nur lose – auf die betreffenden Mitarbeiter eingewirkt, dort zu parken, indem sie in den Zaun ein mannshohes Drehkreuz eingebaut und dadurch einen vereinfachten Zutritt zum Werksgelände geschaffen habe. Vorsorglich werde der Klageanspruch der Höhe nach bestritten, da die Mitarbeitererfolgsbeteiligung in Höhe von EUR 6.864,60 nicht kausal im Zusammenhang mit dem Entgeltfortzahlungsschaden stehe. Gleiches gelte für das Urlaubsentgelt in Höhe von EUR 7.326,15.
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Das Arbeitsgericht hat mit einem am 29.09.2010 verkündeten Urteil der Klage in Höhe von EUR 8.237,58 zuzüglich gesetzlicher Zinsen seit 17.11.2009 stattgegeben, sie im Übrigen aber als unbegründet abgewiesen. Es bestehe allerdings ein Anspruch der Klägerin dem Grunde nach aus § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG iVm § 823 Abs. 1 BGB, § 3 Nr. 1 PflVG. Dieser Anspruch sei nicht nach § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Der Unfall habe sich auf dem nicht abgeschrankten, öffentlich zugänglichen, außerhalb des Werksgeländes gelegenen Parkplatz und damit auf dem Weg vom Ort der Tätigkeit iSd § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII (Heimweg) ereignet und nicht mehr auf einem Betriebsweg. Der Arbeitnehmer D. habe den Unfall, der sich außerhalb seiner Arbeitszeit ereignet habe, nicht durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht. Er habe dort keine arbeitsvertraglichen Aufgaben durchgeführt. Vielmehr sei sein Verhalten allein von seinem Eigeninteresse bestimmt gewesen. Entsprechendes gelte für den geschädigten Arbeitnehmer H.. Durch den Unfall habe sich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht, welches jeden Arbeitnehmer auf dem Heimweg treffe. Es spiele keine Rolle, dass die Klägerin in den Zaun zum Werksgelände am Parkplatz ein mannshohes Drehkreuz eingebaut habe. Dies ändere an der strikten Trennung zwischen Werksgelände und Parkplatz nichts, da auch hier ein Zugang nur mit Werksausweis möglich sei. Die Beklagte habe aber die von der Klägerin geltend gemachten Schadenspositionen Mitarbeitererfolgsbeteiligung / Sonderzuwendung mit EUR 6.864,60 und Urlaubsentgelt einschließlich 50% (anteilig) in Höhe von EUR 7.326,15 bestritten. Es sei auch nicht einsichtig, warum diese beiden Positionen Bestandteil der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sein sollen. Es handele sich um Vergütungsbestandteile, die unabhängig von Arbeitsunfähigkeit bzw. Arbeitsfähigkeit anfielen (Erfolgsbeteiligung / Sonderzuwendung) beziehungsweise außerhalb von Entgeltfortzahlungszeiträumen (Urlaubsentgelt) lägen. In dieser Höhe sei der geltend gemachte Anspruch unschlüssig und die Klage abzuweisen.
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Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Klägerin am 24.02.2011 und der Beklagten am 25.02.2011 zugestellt. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, die am 16.03.2011 beim Landesarbeitsgericht einging und innerhalb verlängerter Frist mit einem am 17.05.2011 eingegangenen Schriftsatz begründet wurde. Ferner hat die Beklagte mit einem am 25.03.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 20.04.2011 eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Die Klägerin trägt vor, sowohl die dem Geschädigten gewährte Mitarbeitererfolgsbeteiligung als auch das Urlaubsentgelt seien als anteiliges Arbeitsentgelt iSv § 4 EntgeltfortzahlungsG einzuordnen und im Falle der Entgeltfortzahlung anteilig für den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit nach § 6 Entgeltfortzahlungsgesetz erstattungsfähig. Es handele sich um echte Vergütungsbestandteile. Das Arbeitsgericht habe zu Recht eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach festgestellt. Die Gefahrensituation auf dem Parkplatz sei mit der auf dem Werksgelände nicht vergleichbar. Außerhalb des abgegrenzten Werksgeländes handele es sich um eine alltägliche Verkehrssituation.
18
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 29.09.2010 (Az.: 6 Ca 153/10) teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin insgesamt EUR 22.428,33 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.11.2009 zu bezahlen.
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Ferner beantragt die Klägerin,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen
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Die Beklagte beantragt:
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Das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 29.09.2010, Aktenzeichen 6 Ca 153/10 wird aufgehoben soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin EUR 8.237,58 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.11.2009 zu bezahlen und die Klage wird insoweit abgewiesen.
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Ferner beantragt die Beklagte,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
26
Die Beklagte wiederholt in ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 19.04.2010 (vgl. dort Seite 3 bis 7; Akten 2. Instanz Bl. 25 bis 29; II/25-29) wörtlich ihren erstinstanzlichen Vortrag aus dem Schriftsatz vom 14.07.2010 (vgl. dort Seite 3 bis 8; I/34-39). Sie könne sich auf das Haftungsprivileg des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII berufen. Das Arbeitsgericht habe sich in seiner Entscheidung nicht im Einzelnen mit der von ihr zitierten Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs, auseinandergesetzt. Das Arbeitsgericht habe zu Recht die Positionen Mitarbeitererfolgsbeteiligung und Urlaubsentgelt als nicht erstattungsfähige Vergütungsbestandteile angesehen, da diese nicht kausal mit dem Entgeltfortzahlungsschaden zusammenhingen.
27
Im Übrigen wird hinsichtlich des Vortrags der Parteien auf die zwischen ihnen in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze und Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen. Die Klägerin hat im Berufungsrechtszug ergänzend die bei ihr geltenden Betriebsvereinbarungen 04/98 „Urlaubsgrundsätze“ vom 30.09.1998 (vgl. II/65 ff.), 6/97 „Mitarbeitererfolgsbeteiligung“ vom 18.12.1997 (vgl. II/74 ff.) und 03/98 „Sonderzuwendung“ vom 30.09.1998 (vgl. II/82 ff.) in Kopie vorgelegt, worauf ebenfalls Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
28
A Berufung der Beklagten
I.
29
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 600,00 übersteigt, § 64 Abs. 2 Buchstabe b ArbGG. Die Berufung ist auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO.
II.
30
Die Berufung der Beklagten ist aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach angenommen und ein Haftungsprivileg nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII abgelehnt.
31
1. Die Klägerin kann von der Beklagten dem Grunde nach aus übergegangenem Recht Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen, der durch die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers H. entstanden ist, §§ 823 Abs. 1 BGB, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG (ehemals: § 3 Abs. 1 Nr. 1 PflVG), 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG. Der Arbeitnehmer D. hat fahrlässig die Gesundheit des Arbeitnehmers H. geschädigt, indem er trotz Sichtbehinderung infolge Vereisung und Beschlagens der Windschutzscheibe am 20.03.2009 auf einer Durchgangsstraße des Parkplatzes Nr. 4 gefahren ist und den am Fahrbahnrand gehenden Arbeitnehmer H. übersah, anfuhr und schwer verletzte. Selbst wenn man keine Fahrlässigkeit annehmen würde, bestünde eine verschuldensunabhängige Verursachungshaftung nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG. Durch die so eintretende Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers H. entsteht – unbeschadet der Vorschriften des EntgeltfortzahlunsgG – ein Schadensersatzanspruch, der gemäß § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG auf die Klägerin übergegangen ist und gemäß §§ 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 1 PflVG gegen die Haftpflichtversicherin des Arbeitnehmers D., die Beklagte, geltend gemacht werden kann.
32
2. Die Beklagte kann sich nicht auf das Haftungsprivileg nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII berufen.
33
a) Es liegt bereits keine „betriebliche Tätigkeit“ des schädigenden Arbeitnehmers D. vor (vgl. zum Folgenden ErfK-Rolfs, 11. Auflage 2011, § 105 SGB VII Rn. 3).
34
aa) „Betrieblich“ ist eine Tätigkeit, die dem Arbeitnehmer, der einen Schaden verursacht, entweder ausdrücklich von dem Betrieb und für den Betrieb übertragen ist oder die er im Interesse des Betriebes ausführt, die in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis steht und in diesem Sinne betriebsbezogen ist (vgl. BAG 18. April 2002 8 AZR 348/01 – BAGE 101, 107 ff. = NZA 2003, 37 ff.; BAG 18. Januar 2007 – 8 AZR 250/06 – AP BGB § 254 Nr. 15 = NZA 2007, 1230). Entscheidend ist nicht, ob die zu dem schädigenden Ereignis führende Arbeitstätigkeit zum eigentlichen Aufgabengebiet des Beschäftigten gehört, wenn sie nur überhaupt mit dem Betriebszweck in Zusammenhang steht (vgl. BGH 2. März 1971 – VI ZR 146/69 – AP RVO § 637 Nr. 6; BAG 14. März 1974 – 2 AZR 155/73 – AP RVO § 637 Nr. 8). Erst dann, wenn das schädigende Ereignis mit dem Betrieb in keinem oder nur noch in losem Zusammenhang steht, fällt sie in das allgemeine Lebensrisiko des Arbeitnehmers. Dabei genügt es, dass der Schädiger bei objektiver Betrachtungsweise aus seiner Sicht im Betriebsinteresse handeln durfte, sein Verhalten unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit nicht untypisch ist und keinen Exzess darstellt (vgl. BAG 22. April 2004 – 8 AZR 159/03 – AP SGB VII § 105 Nr. 3 = NZA 2005, 163). Darüber hinaus sind sogar solche Tätigkeiten als betrieblich anzuerkennen, die zwar objektiv dem Betrieb nicht dienlich waren, von denen der Arbeitnehmer aber ohne grobe Fahrlässigkeit annehmen durfte, dass sie es seien (vgl. BAG 9. August 1966 – 1 AZR 426/65 – AP RVO § 637 Nr. 1). Daher verliert eine Tätigkeit ihre Eigenschaft als „betrieblich“ nicht dadurch, dass sie unter Verletzung von Unfallverhütungsvorschriften oder sachwidrig ausgeübt worden ist (vgl. BAG 19. August 2004 – 8 AZR 349/03 – AP SGB VII § 104 Nr. 4). Der notwendige innere Zusammenhang zwischen der betrieblichen Tätigkeit und dem Schadensereignis ist erst dann zu verneinen, wenn nicht mehr die Verfolgung betrieblicher Zwecke, sondern die durch die Eigeninteressen des Arbeitnehmers bedingte Art und Weise der Tätigkeit als entscheidende Schadensursache anzusehen ist (vgl. BAG 21. Oktober 1983 – 7 AZR 488/80 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 84; BGH 30. Juni 1998 – VI ZR 286/97 – NZA-RR 1998, 454).
35
bb) Im vorliegenden Fall hat der Arbeitnehmer D. die schädigende Handlung außerhalb seiner Arbeitszeit sowie der Arbeitszeit des Arbeitnehmers H. und außerhalb des mit einem Zaun abgetrennten Werksgeländes ausgeführt, ohne dass in irgend einer Weise ein Bezug zu betrieblichen Belangen, Anordnungen oder Interessen der Klägerin bestand. Der von ihm herbeigeführte Verkehrsunfall wurde weder mit einem Betriebsfahrzeug der Klägerin verursacht, noch stand die Fahrt in Zusammenhang mit betrieblichen Belangen oder Vorgaben. Vielmehr handelte der Arbeitnehmer D., der wie der Arbeitnehmer H. das Werksgelände schon verlassen hatte, allein im eigenen Interesse, um seinen Heimweg anzutreten. Hierin liegt die entscheidende Unfallursache, die in jeder Form einer betrieblichen Einwirkung – insbesondere durch die Klägerin – entzogen war. Das schädigende Ereignis steht nicht einmal in einem losen, sondern in keinem Zusammenhang zum Betrieb und betrifft das allgemeine Lebensrisiko des Arbeitnehmers H.. Der Unfall hätte sich nicht nur in gleicher Weise auf jedem anderen Parkplatz in dieser Form abspielen können, sondern es handelt sich bei Parkplatz Nr. 4 um einen offenen, für jedermann zugänglichen Parkplatz, der nicht nur von Werksangehörigen, sondern beliebigen anderen Personen benutzt werden kann. Der von der Beklagten konstruierte Bezug zum Betrieb, wegen der Nähe des Parkplatzes zum Werksgelände, der Verbindung mit einem Drehkreuz und des zeitlichen Zusammentreffens der beiden Arbeitnehmer aufgrund des gleichen Schichtendes reicht für die Begründung einer „betrieblichen Tätigkeit“ im Sinne von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nicht aus. Mit dem Drehkreuz mag die Klägerin eine besondere, vereinfachte Zugangsmöglichkeit vom Werksgelände zum Parkplatz Nr. 4 hergestellt haben. Dies ändert aber nichts daran, dass der betriebliche Bereich, in dem betriebliche Tätigkeiten für die Klägerin entfaltet werden können, am Zaun des Werksgeländes endet. Was sich jenseits des Zauns und außerhalb des Werksgeländes abspielt, dient werde betrieblichen Zwecken, noch sind solche Handlungen betrieblich veranlasst. Die allein zeitliche Nähe zum Schichtende und die räumliche Nähe zum Werksgelände haben keinen Einfluss darauf, dass die vom Arbeitnehmer D. angetretene Heimfahrt allein in seinem Interesse, aber nicht im betrieblichen Interesse lag.
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b) Unabhängig von den Ausführungen unter a) kommt ein Haftungsprivileg des Arbeitnehmers D. und damit der Beklagten nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII auch deshalb nicht in Betracht, da der Unfall auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherten Weg verursacht wurde (zum Erfordernis einer getrennten Betrachtung der unter a) und b) dargestellten Umstände vgl. ErfK-Rolfs, 11. Auflage 2011, § 105 SGB VII Rn. 3).
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aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, gilt in diesem Zusammenhang Folgendes (vgl. BAG 14. Dezember 2000 – 8 AZR 92/00 – AP SGB VII § 105 Nr. 1 = NZA 2001, 549): Das Verlassen des Arbeitsplatzes einschließlich des Weges auf dem Werksgelände (sog. Betriebsweg) stellt bis zum Werkstor wegen des engen Zusammenhangs mit der eigentlichen Arbeitsleistung noch betriebliche Tätigkeit dar. Der Arbeitnehmer steht hier noch in enger Berührung mit der Arbeitsleistung anderer Arbeitnehmer des Betriebs, hält sich noch in der Herrschaftssphäre des Arbeitgebers auf und unterliegt dessen Ordnungsgewalt (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Seine Tätigkeit ist für den Arbeitgeber in einem weiteren Sinne von Nutzen. Wie der Arbeitnehmer sich verhält, liegt im Interesse des Arbeitgebers, der auch den entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Risikos besitzt. Das Verlassen des Arbeitsplatzes auf dem Werksgelände ist deshalb nicht ausschließlich dem allgemeinen Lebensrisiko des Arbeitnehmers zuzurechnen. Ort der Tätigkeit ist in der Regel das gesamte Werksgelände. Auf Wegen am Ort der Tätigkeit besteht Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII, sofern der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gegeben ist. Der Weg nach dem Ort der Tätigkeit endet mit dem Durchschreiten oder Durchfahren des Werkstores. Ebenso beginnt der Weg von dem Ort der Tätigkeit mit dem Durchschreiten oder Durchfahren des Werkstores. Es ist nicht zulässig, von Fall zu Fall auf die speziellen örtlichen und baulichen Verhältnisse der jeweiligen Betriebsstätte abzustellen. Die Wege vom Werkstor zum Arbeitsplatz und zurück stehen mit der versicherten Tätigkeit in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang. Auf dem abgegrenzten Werksgelände besteht dessen betriebseigentümliche Gefahr und nicht (nur) das allgemeine Wegerisiko (BSG 22. September 1988 – 2 RU 11/88 – SozR 2200 § 725 Nr. 12). Jenseits des Werksgeländes gilt dies nicht.
38
bb) Vorliegend hat sich der Unfall außerhalb des umzäunten Werksgeländes – welches nur durch die kontrollierte Pforte oder durch ein Drehkreuz betreten werden kann, welches die Benutzung eines Werksausweises voraussetzt – auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz ereignet. Hier befanden sich die Arbeitnehmer D. und H. nicht mehr auf einem „Betriebsweg“, sondern auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versicherten Weg, vom Ort ihrer Tätigkeit nach Hause. Für diese Situationen gilt das Haftungsprivileg des § 105 Abs. 1 SGB VII nicht.
39
cc) Die Beklagte beruft sich zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags zu Unrecht auf anderweitige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die Entscheidung vom 19. Januar 1988 (BGH VI ZR 199/87, LM Nr. 36 zu § 636 RVO = NJW-RR 1988, 602 f.) betrifft gerade einen Verkehrsunfall innerhalb eines abgegrenzten Werksgeländes, bei dem der Schädiger sich im Übrigen auch noch mit einem werkseigenen Pkw auf einer Dienstfahrt befand. Dass hier das Haftungsprivileg des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII zur Anwendung kommt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 14. Dezember 2000 – AP SGB VII § 105 Nr. 1 = NZA 2001, 549), hat aber mit dem hier vorliegenden Fall eines Unfalls außerhalb des Werksgeländes auf einer privaten Heimfahrt mit einem privaten Pkw nichts zu tun. In der Entscheidung vom 9. Februar 1995 (BGH III ZR 164/94, NJW 1995, 1558 f.) wird darauf abgestellt, dass der fragliche Parkplatz zum Organisationsbereich des Arbeitgebers gehörte. Für diese Annahme ist vorliegend nichts zu erkennen. Die Klägerin hat durch Zaun und Drehkreuz klar kenntlich gemacht, wo ihr Organisationsbereich endet und wo der Ordnungsbereich der StVO beginnt, worauf auch mit Schildern hingewiesen wird. Den Arbeitnehmern steht es frei, diesen Parkplatz zu benutzen oder anderweitig auf öffentlichen Straßen zu parken, wie auch jeder andere den Parkplatz benutzen kann. Im Übrigen betrifft diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht die Haftung von Arbeitnehmern untereinander, sondern die Haftung des Arbeitgebers gegenüber einem Arbeitnehmer, wegen eines nicht verkehrssicheren Parkplatzes. Die Verkehrssicherungspflicht mag noch zum Organisationsbereich des Arbeitgebers gehören, das Verhalten der Nutzer untereinander im vorliegenden Fall aber nicht. Die Entscheidung vom 25. Oktober 2005 (BGH VI ZR 334/04, AP SGB VII § 8 Nr. 1) ist gerade darauf gestützt, dass sich der Unfall zwischen den Arbeitskollegen auf einem Parkplatz ereignete, der eindeutig zum Betriebsgelände gehörte und nur über einen von der öffentlichen Straße aufwärts führenden Weg zugänglich war, der im oberen Bereich für die Allgemeinheit durch eine Beschilderung mit dem Zeichen 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art) gesperrt war. Im vorliegenden Fall ist der Parkplatz klar vom Werksgelände durch Zaun und Drehkreuz geschieden und für jedermann zugänglich.
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3. Die Höhe des zu ersetzenden Betrages, die das Arbeitsgericht mit EUR 8.237,58 bestimmt hat, wird von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Insbesondere entspricht es den gesetzlichen Vorgaben, dass die Klägerin die Position „Fortzahlung von Entgelt“ auf den 6-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG vom 20.03.2009 bis 30.04.2009 begrenzt hat.
41
B Berufung der Klägerin
I.
42
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 600,00 übersteigt, § 64 Abs. 2 Buchstabe b ArbGG. Die Berufung ist auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO.
II.
43
Die Berufung der Klägerin ist aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht bei der Berechnung des erstattungsfähigen Anspruchs der Klägerin die Positionen „Mitarbeitererfolgsbeteiligung / Sonderzuwendung (anteilig)“ und „Urlaubsentgelt einschließlich 50% (anteilig)“ nicht berücksichtigt, da sie nicht zu den Ansprüchen nach § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG gehören.
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1. Kann der Arbeitnehmer auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, so geht dieser Anspruch insoweit auf den Arbeitgeber über, als dieser dem Arbeitnehmer nach diesem Gesetz Arbeitsentgelt fortgezahlt und darauf entfallende vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Bundesagentur für Arbeit, Arbeitgeberanteile an Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Pflegeversicherung sowie zu Einrichtungen der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung abgeführt hat, § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG.
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Aus dem Wortlaut der Vorschrift wird deutlich, dass damit nicht jeder denkbare Anspruch eines Arbeitnehmers gegen einen Schädiger auf den Arbeitgeber übergeht. Der Ersatzanspruch muss auf gesetzlichen Vorschriften beruhen und einen Verdienstausfall betreffen, den der Arbeitgeber nach den Vorschriften des EntgeltfortzahlungsG zu ersetzen hat (vgl. ErfK-Dörner, 11. Auflage 2011, § 6 EntgeltfortzahlungsG Rn. 4). Der Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne von § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG stimmt dabei mit dem Entgeltbegriff des § 4 Abs. 1 Satz 1 EntgeltfortzahlungsG überein. Unter Arbeitsentgelt versteht man dementsprechend den Bruttoverdienst des Arbeitnehmers, soweit er ihn aufgrund des Arbeitsverhältnisses als Gegenleistung für seine Arbeit erhält (vgl. Schmitt, EntgeltfortzahlungsG, 6. Auflage 2007, § 6 Rn. 42, mwN).
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a) Der Anspruch auf „Urlaubsentgelt einschließlich 50% (anteilig)“ [mit Letzterem ist zusätzliches Urlaubsgeld zum Urlaubsentgelt nach Nr. 5.3 der Betriebsvereinbarung 04/98 „Urlaubsgrundsätze“ vom 30.09.1998 gemeint] fällt nicht unter die vorstehend zitierte Vorschrift des § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG, da dem geschädigten Arbeitnehmer H. diesbezüglich kein Verdienstausfall durch die Arbeitsunfähigkeit entsteht.
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aa) Auch wenn es die Regelung in § 3 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG nicht geben würde, hätte der Arbeitnehmer H. trotz Arbeitsunfähigkeit seinen vollen Urlaubsanspruch gegen die Klägerin. Das Gesetz verlangt für das Entstehen des Urlaubsanspruchs lediglich, dass ein Arbeitsverhältnis besteht und (für den Vollurlaub) eine Wartezeit zurückgelegt wird. Eine Mindestarbeitsleistung ist nicht Voraussetzung (vgl. BAG 28. Januar 1982 – 6 AZR 571/79 – BAGE 37, 382 ff. = AP BUrlG § 3 Rechtsmissbrauch Nr. 11; ErfK-Dörner/Gallner, 11. Auflage 2011, § 1 BUrlG Rn. 14). Dies gilt im vorliegenden Fall auch, soweit der Arbeitnehmer H. gegen die Klägerin einen den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigenden Urlaubsanspruch hat. Nach Nr. 3.2.4 der Betriebsvereinbarung 04/98 „Urlaubsgrundsätze“ vom 30.09.1998 erfolgt eine Kürzung von Urlaubsansprüchen unter anderem „für jeden vollen Kalendermonat einer länger als 9 Monate im Urlaubsjahr dauernden Krankheit“. Der Arbeitnehmer H. war im Urlaubsjahr 2009 nur 7 volle Kalendermonate (April bis einschließlich Oktober) arbeitsunfähig krank, so dass auch nach der Betriebsvereinbarung „Urlaubsgrundsätze“ eine Kürzung ausscheidet. Umfang und Bestand des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers H. werden daher durch die vom Arbeitnehmer D. verursachte Arbeitsunfähigkeit nicht beeinflusst, so dass diesbezüglich mangels Schadens ein Schadensersatzanspruch weder bezüglich des Urlaubsentgelts noch bezüglich eines zusätzlichen Urlaubsgeldes entstehen kann, der auf die Klägerin nach § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG übergehen könnte. Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld sind unabhängig von der Arbeitsunfähigkeit zu leistende Beträge, die auch nicht anteilig geltend gemacht werden können (vgl. Schmitt, EntgeltfortzahlungsG, 6. Auflage 2007, § 6 Rn. 55; ErfK-Dörner, 11. Auflage 2011, § 6 EntgeltfortzahlungsG Rn. 10; Staudinger-Oetker, BGB, Neubearbeitung 2011, § 616 BGB Rn. 421 f.; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Schlachter, 3. Auflage 2009 § 76 Rn. 10; Treber, EntgeltfortzahlungsG, 2. Auflage 2007, § 6 Rn. 25; wohl auch Kunz/Wedde, EFZR, 2. Auflage 2005, § 6 Rn. 65 f.).
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bb) Allerdings wird in Rechtsprechung (vgl. BAG 12. Dezember 1989 – 8 AZR 195/88 – n.v., in juris; BGH 4. Juli 1972 – VI ZR 114/71 – BGHZ 59, 109 ff. = AP BGB § 249 Nr. 16; BGH 13. Mai 1986 – VI ZR 80/85 – VersR 1986, 968 f.; OLG Köln 6. März 2007 – 3 U 188/06 – Schaden-Praxis 2007, 427) und Literatur (Münchener Kommentar zum BGB, Müller-Glöge, 5. Auflage 2009, § 6 EntgeltfortzahlungsG Rn. 7; Feichtinger/Malkmus, Entgeltfortzahlungsrecht, § 6 Rn. 37; jeweils allerdings ohne nähere Begründung) angenommen, auch Ansprüche auf Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld unterlägen dem Forderungsübergang nach § 6 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz. Dabei wird in der Rechtsprechung im Wesentlichen auf den schadensrechtlichen Aspekt abgestellt, dass es den Schädiger nicht entlasten dürfe, dass an die Stelle der ursprünglichen Grundvorstellung vom verdienten Urlaubsentgelt eine sozialstaatliche Grundlage getreten sei (vgl. BAG 12. Dezember 1989 – 8 AZR 195/88 – n.v., in juris, dort Rn. 14). Diese Ansicht kann schon deshalb nicht überzeugen, da sie mit dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar ist (vgl. ErfK-Dörner, 11. Auflage 2011, § 6 EntgeltfortzahlungsG Rn. 10). Eine derartige Ausdehnung des gesetzlichen Forderungsübergangs mag zwar zu billigenswerten Ergebnisses führen, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG lediglich einen Anspruchsübergang wegen der nach diesem Gesetz erbrachten Arbeitgeberleistungen vorsieht (vgl. Schmitt, EntgeltfortzahlungsG, 6. Auflage 2007, § 6 Rn. 55). Die Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofs beruht auf der Grundüberlegung, dass dem Arbeitgeber durch die Arbeitsverhinderung zeitweilig kein Äquivalent für seine Leistung gegenübersteht. Dieses Defizit soll aber durch § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG nicht ausgeglichen werden. Der Forderungsübergang beschränkt sich auf den Ersatz eines fiktiven Verdienstausfalls des Arbeitnehmers und dient nicht dazu, einen Ausfallschaden des Arbeitgebers zu kompensieren (Staudinger-Oetker, Neubearbeitung 2011, § 616 BGB Rn. 422; Treber, EntgeltfortzahlungsG, 2. Auflage 2007, § 6 Rn. 25). Ein Schaden, der beim Arbeitnehmer schon deshalb nicht eintritt, weil die fragliche Leistung unabhängig von einer etwaigen Arbeitsunfähigkeit zu gewähren ist, kann auch nicht auf den Arbeitgeber „übergehen“. Entgegen der zitierten Rechtsprechung kann das dort angegebene Ergebnis auch nicht damit begründet werden, es sei unbillig, dass der Schädiger sonst durch Leistungen Dritter auf sozialstaatlicher Grundlage entlastet werde. Nach Systematik sowie Sinn und Zweck dient § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG – wie auch der Zusammenhang mit Abs. 3 zeigt – nicht dazu, eine unbillige Entlastung des Schädigers zu vermeiden, sondern Doppelansprüche des Arbeitnehmers zu verhindern und insoweit dem Arbeitgeber aus übergegangenem Recht einen Anspruch gegen den Schädiger zuzubilligen.
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cc) Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die unter bb) zitierte, abzulehnende Ansicht, die einen anteiligen Anspruch auf Ersatz von Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld annimmt, nicht mit der gesetzlichen Regelung zum Entstehen des Urlaubsanspruchs vereinbar ist. Nach erfüllter Wartezeit von sechs Monaten (§ 4 BUrlG), die der geschädigte Arbeitnehmer H. seit vielen Jahren bereits absolviert hat, entsteht der volle Jahresurlaubsanspruch jeweils am 1. Januar des neuen Urlaubsjahres und nicht abschnittweise in den einzelnen Monaten des Jahres (vgl. BAG 18. März 2003 – 9 AZR 190/02 – AP BUrlG § 3 Rechtsmissbrauch Nr. 17 = NZA 2003, 1111; BAG 24. Oktober 2006 – 9 AZR 669/05 – BAGE 120, 50 ff. = AP SGB IX § 125 Nr. 1), insbesondere nicht im Zeitraum der Entgeltfortzahlung. Dies wird auch in Nr. 3.2.2 der Betriebsvereinbarung 04/98 „Urlaubsgrundsätze“ vom 30.09.1998 so geregelt. Der Arbeitnehmer H. hätte somit bereits im Januar 2009 seinen gesamten Jahresurlaub antreten und bis vor Eintritt des Unfalls am 20.03.2009 abwickeln können. Daran wird um so deutlicher, dass der spätere Unfall zu keinem Schaden bei dem Arbeitnehmer H. in Bezug auf Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld hat führen können, der gemäß § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG auf die Klägerin hat übergehen können. Entgegen der Annahme des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH 4. Juli 1972 – VI ZR 114/71 – BGHZ 59, 109 ff. = AP BGB § 249 Nr. 16; in juris Rn. 14) fehlt es damit auch an der zeitlichen Kongruenz zwischen Urlaubsentgelt / Urlaubsgeld und unfallbedingter Ausfallzeit [genauer: dem Entgeltfortzahlungszeitraum], da es grundsätzlich – abgesehen von den in § 5 Abs. 1 BUrlG abschließend aufgezählten Ausnahmefällen – gerade kein „Zwölftelungsprinzip“ im Urlaubsrecht gibt. Auch die Annahme des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 12. Dezember 1989 – 8 AZR 195/88 – n.v., in juris, dort Rn. 15) , wonach „schadensrechtlich“ das Urlaubsentgelt ein zusätzlicher Personalkostenbestandteil sei, den der Arbeitgeber letztlich nur durch erbrachte oder zu erbringende Arbeitsleistung seiner Arbeitnehmer zu leisten in der Lage sei, überzeugt in diesem Zusammenhang nicht. § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG stellt gerade nicht auf beim Arbeitgeber selbst eintretende Schäden ab, sondern lässt nur Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Schädiger auf den Arbeitgeber übergehen.
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dd) Schließlich ist die Berechnung der Klägerin (vgl. Anlage K4; I/8) in keiner Weise mit § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG konform. Während sie ausweislich des Berechnungsbogens noch die Position „Fortzahlung von Entgelt“ zutreffend gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgeltfortzahlungsG auf die Dauer von 42 Tagen begrenzt hat (20.03.2009 bis 30.04.2009), geschieht die Berechnung der Position „Urlaubsentgelt einschließlich 50% (anteilig)“ (wie im Übrigen auch der Position „Mitarbeitererfolgsbeteiligung / Sonderzuwendung (anteilig)“) unter Zugrundelegung des gesamten Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit bis 29.11.2009. Für eine solche Berechnung gibt das EntgeltfortzahlungsG, welches in § 3 Abs. 1 Satz eine Begrenzung der Dauer der Entgeltfortzahlung auf 6 Wochen und in § 6 Abs. 1 nur den Übergang von Ansprüchen vorsieht, die „nach diesem Gesetz“ geleistet wurden, keine Grundlage. Hierauf kam es aber weiter nicht an, da der Klägerin die Position „Urlaubsentgelt einschließlich 50% (anteilig)“ schon dem Grunde nach nicht zusteht.
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b) Aus den unter a) geschilderten Gründen kann die Klägerin gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf „Mitarbeitererfolgsbeteiligung / Sonderzuwendung (anteilig)“ geltend machen.
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aa) Leistungen wie Weihnachtsgeld oder Erfolgsbeteiligung, die vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer unabhängig von einer etwaigen Arbeitsunfähigkeit im Bezugszeitraum geleistet werden, können aus den unter a) dargestellten Gründen keinen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Schädiger begründen, der gemäß § 6 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG auf den Arbeitgeber übergehen könnte (vgl. Schmitt, EntgeltfortzahlungsG, 6. Auflage 2007, § 6 Rn. 55; ErfK-Dörner, 11. Auflage 2011, § 6 EntgeltfortzahlungsG Rn. 10; Staudinger-Oetker, BGB, Neubearbeitung 2011, § 616 BGB Rn. 421 f.; Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Schlachter, 3. Auflage 2009 § 76 Rn. 10; Treber, EntgeltfortzahlungsG, 2. Auflage 2007, § 6 Rn. 25; wohl auch Kunz/Wedde, EFZR, 2. Auflage 2005, § 6 Rn. 65 f.). Entgegen der Annahme des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 12. Dezember 1989 – 8 AZR 195/88 – n.v., in juris, dort Rn. 17 unter Berufung auf BGH 29. Februar 1972 – VI ZR 192/70 – VersR 1972, 566 = NJW 1972, 766), fehlt es bereits an einem Schaden des Arbeitnehmers durch die vom Schädiger verursachte Arbeitsunfähigkeit, so dass auch kein diesbezüglicher Anspruch auf den Arbeitgeber übergehen kann.
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bb) Vorliegend ist der Anspruch des Arbeitnehmers H. auf eine „Mitarbeitererfolgsbeteiligung / Sonderzuwendung (anteilig)“ nicht vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Arbeitsunfähigkeit im Bezugszeitraum abhängig. Ausweislich Nr. 2.2 der Betriebsvereinbarung 6/97 „Mitarbeitererfolgsbeteiligung“ vom 18.12.1997 ist persönliche Voraussetzung für die Mitarbeitererfolgsbeteiligung nur, dass der betreffende Arbeitnehmer zu einem bestimmten Stichtag in einem ungekündigten und unbefristeten Arbeitsverhältnis steht, was beim Arbeitnehmer H. der Fall war. Nach Nr. 4.2.8 der Betriebsvereinbarung sind Kürzungen nur in bestimmten Fällen ruhender Arbeitsverhältnisse (z.B. Wehrdienst, Erziehungsurlaub) vorgesehen, nicht aber im Fall von Arbeitsunfähigkeit. Entsprechendes gilt nach Nr. 1.2 und Nr. 3.2.4 der Betriebsvereinbarung 03/98 „Sonderzuwendung“ vom 30.09.1998. Auch bei diesen Zahlungen gilt ergänzend – wie schon unter a) dd) beschrieben – dass die Klägerin zu Unrecht eine anteilige Berechnung auf Basis der gesamten Krankheitsdauer des Arbeitnehmers H. bis 29.11.2009 und nicht nur bis zum Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums am 30.04.2011 vornimmt, worauf es aber nicht weiter ankam, da der Anspruch bereits insgesamt nicht gegeben war.
C
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Die Klägerin und die Beklagte haben die Kosten ihrer erfolglosen Berufungen entsprechend dem Verhältnis der beiden Rechtsmittelstreitwerte zu tragen, §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision für die Klägerin gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG zugelassen. Im Übrigen hat es die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind.